Bild.T-Online wird ja durchschnittlich über eine Million Mal täglich angeschaut.
Offenbar jedoch noch immer nicht von den Bild.T-Online-Mitarbeitern, wie der nebenstehende Ausriss aus einem (so bereits seit heute, 13 Uhr, auf Bild.T-Online veröffentlichten) Artikel eindrücklich zeigt.
Mit Dank an Philip S., Julia K. und vic.
Nachtrag, 20.20 Uhr: Sicher ist sicher. Und so hat Bild.de den Fehler zwar nicht korrigiert, aber das Foto samt Bildunterschrift inzwischen komplett aus dem Artikel entfernt…
Die “Bild”-Zeitung fasst heute die Kriegshandlungen im Nahen Osten so zusammen:
Die Kämpfe gingen unterdessen mit voller Härte weiter. Die Hisbollah feuerte über 90 Raketen auf Nordisrael ab. Bei Kämpfen im Südlibanon starben drei Soldaten und 30 Hisbollah-Kämpfer.
Zum Vergleich: So berichteten die Nachrichtenagenturen gestern über die Ereignisse (alle Hervorhebungen von uns):
dpa, 20.22 Uhr: “Bei Gefechten im Südlibanon seien drei Soldaten getötet und fünf weitere verletzt worden, zudem seien 30 Hisbollah-Kämpfer getötet worden, teilte die israelische Armee mit.”
dpa, 19.33 Uhr: “Die israelische Armee hat nach eigenen Angaben …”
AP, 19.32 Uhr: “Bei heftigen Gefechten im Grenzgebiet kamen nach israelischen Militärangaben…”
Reuters, 19.03 Uhr: “Am 28. Kriegstag kamen nach Angaben der Armee…”
AP, 16.29 Uhr: “Bei heftigen Gefechten im Grenzgebiet kamen nach israelischen Militärangaben…”
dpa, 15.45 Uhr: “Die israelische Armee teilte mit, …”
Am vergangenen Sonntag hatte “Bild am Sonntag” die Mahnung zitiert, dass in einem Krieg “jede der handelnden Parteien ein eigenes Interesse bei der Zurverfügungstellung von Informationen” habe, und Medien deshalb Distanz wahren und vermitteln müssten. Für die “Bild”-Zeitung scheint das nicht zu gelten. Sie macht ohne Not aus unüberprüften Informationen einer der handelnden Parteien objektive Tatsachen – und schreibt sie ganz ohne Quellenangabe auf…
Am Sonntag sind im Nahost-Krieg viele Libanesen und Israelis ums Leben gekommen. Die Nachrichtenagentur AP beispielweise fasste die Ereignisse des Tages am Abend so zusammen:
Bei den bislang schwersten Raketenangriffen der Hisbollah-Miliz auf den Norden Israels wurden am Sonntag mindestens 15 Menschen getötet. 14 Menschen kamen bei israelischen Militäraktionen im Südlibanon ums Leben.
In der “Bild”-Zeitung ist am folgenden Tag von libanesischen Opfern nicht die Rede. Sie berichtet ausschließlich von den 15 israelischen Opfern:
Das könnte aus Platzgründen geschehen sein oder auch aus journalistischen Erwägungen, denn die Raketenangriffe der Hisbollah auf den Norden Israels waren die bisher blutigsten.
Am Montag kamen am Vormittag bei Angriffen der israelischen Armee auf den Süden Libanons nach Angaben der Nachrichtenagentur AFP “mindestens 33 Libanesen” ums Leben. Weitere Tote wurden am Abend bei einem Luftangriff auf einen Vorort der libanesischen Hauptstadt Beirut gemeldet.
In der “Bild”-Zeitung ist am folgenden Tag von libanesischen Toten oder Verletzten wieder nicht die Rede. Sie berichtet stattdessen erneut ausschließlich über israelische Opfer (siehe Ausriss rechts).
Aus journalistischen Erwägungen? Aus Platzgründen? Die Toten und Verletzten in der israelischen Hafenstadt Haifa, über die “Bild” am Dienstag berichtet, sind diejenigen Opfer, über die “Bild” schon am Montag berichtet hat.
“Bild” steht im gegenwärtigen Nahost-Krieg uneingeschränkt hinter der israelischen Armee. Ob das eine gute Voraussetzung für eine Zeitung ist, um ihre Leser unvoreingenommen und umfassend über die Vorgänge im Krieg zu informieren, darüber kann man streiten. Die “Bild”-Zeitung aber geht in ihrer Parteinahme soweit, dass sie Tatsachen verdreht, übertreibt und verfälscht. Und darüber kann man eigentlich nicht streiten.
“Bild” berichtet heute über die vor allem in vielen Blogs aufgeworfenen Zweifel daran, was während und nach dem Angriff der israelischen Armee auf die libanesische Stadt Kana wirklich geschah. “Bild” schreibt:
Hat die Terror-Organisation Hisbollah diese Bilder etwa perfide inszeniert — um mit toten Kindern Propaganda gegen Israel zu machen?
Renommierte Blätter wie “Süddeutsche” und FAZ sprechen von “Propaganda” und “Zweifeln” an den genauen Umständen des Angriffs. Die “Neue Zürcher Zeitung” nennt das Chaos aus Schutt und Leichen vor dem zerstörten Haus “eine bloße Darbietung für angereiste Journalisten!”
Alle drei Zitate aus “renommierten Blättern” sind falsch. SZ und FAZ berichten zwar beide über “Verschwörungstheorien” (SZ) und “Spekulationen” (FAZ) über die Umstände des Angriffs auf Kana. Weder in der SZ, noch in der FAZ tauchen in diesem Zusammenhang jedoch die Wörter “Propaganda” oder “Zweifel” auf.
Und die NZZ spricht zwar von “Propaganda” und “Zweifeln”, nennt das Chaos aber keineswegs selbst, wie “Bild” behauptet, “eine bloße Darbietung für angereiste Journalisten”, sondern zitiert diese Meinung nur — als “Vermutung” von “Beobachtern”.
Den gleichen Trick wendet “Bild” noch einmal an und schreibt:
Die FAZ berichtet über einen noch abscheulicheren Verdacht:
Unter Berufung auf die libanesische Internetseite “Libanoscopie” heißt es, dass die Hisbollah einen Raketenwerfer auf das Dach des Hauses gestellt und behinderte Kinder in das Gebäude gebracht habe.
“Bild” tut so, als habe die FAZ den Vorwurf übernommen, dabei referiert die FAZ ihn nur in indirekter Rede. Warum zitiert “Bild” nicht einfach die Originalquelle? Warum versucht sie, diese Originalquelle über den Umweg der FAZ aufzuwerten, wenn die FAZ keine Aussagen darüber trifft, ob sie dieser Quelle glaubt oder nicht?
Die “Bild”-Redakteure Julian Reichelt und Sebastian von Bassewitz fragen heute: “Wurde die ganze Welt durch die Hisbollah-Terroristen getäuscht?” Ganz anders als die von ihnen zitierten “renommierten Blätter” beantworten sie die Frage aber auch sogleich: “Wie die Terroristen der Hisbollah mit toten Kindern Propaganda machen”, “Auch den Ort ihrer schauderhaften Inszenierung wählte die Hisbollah geschickt”, “Das Kalkül der Hisbollah ging auf”.
Die “Bild”-Zeitung setzt der “Propaganda” der Hisbollah etwas entgegen, das sie “Fakten” nennt, und schreibt:
Fakt ist aber: Ausgerechnet aus Kana feuerte die Hisbollah unmittelbar vor dem jüngsten Angriff 150 Raketen auf Nordisrael — dadurch lenkten die Terroristen den Luftschlag der Israelis bewusst und gezielt auf den symbolträchtigen Ort.
Der zweite Teil dieses “Fakts” ist eine Vermutung. Und der erste Teil ist falsch. Laut Untersuchungsbericht der israelischen Armee wurden aus Kana und der Umgebung “seit 12. Juli” über 150 Raketen abgefeuert, also nicht “unmittelbar vor dem jüngsten Angriff”, sondern seit Beginn des Krieges. Dass die israelische Armee in dieser Hinsicht untertreibt, darf man ausschließen.
“Bild” schreibt weiter:
Fakt ist auch: Obwohl libanesische Behörden anfangs 56 Tote meldeten, fand das Rote Kreuz “nur” 28 Leichen.
Die Menschenrechtsorganisation “Human Rights Watch” korrigierte die Zahl der Opfer, die am Wochenende im Dorf Kana bei einem israelischen Luftangriff getötet wurden, auf 28 Tote. Arabische Quellen hatten von 56 Toten gesprochen.
“Bild” verschweigt nicht nur die massive Kritik, die “Human Rights Watch” bei der gleichen Gelegenheit an dem israelischen Vorgehen geübt hat, sondern vor allem auch, dass laut “Human Rights Watch” die Zahl von 28 Todesopfern eine “vorläufige” Zahl ist. 13 Menschen würden noch vermisst und liegen womöglich unter den Trümmern, die Bergungsarbeiten könnten aber nicht fortgesetzt werden. Der Unterschied zu den ursprünglichen Schätzungen rühre daher, dass mehr Menschen, die sich im Keller des bombadierten Hauses aufgehalten hatten, lebend entkommen seien als angenommen.
“Bild” suggeriert (möglicherweise zurecht), dass ursprünglich bewusst eine zu hohe Opferzahl genannt wurde. Und nennt stattdessen eine Zahl, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu niedrig ist, weil sie die Vermissten komplett verschweigt.
Keine Frage: Es ist fast unmöglich für die Medien, in einem Krieg wie diesem die Wahrheit von den Propagandalügen zu unterscheiden. Aber man kann versuchen, seine Leser so gut wie möglich zu informieren: Man kann Quellen angeben und korrekt zitieren. Man kann es vermeiden, sich Behauptungen einer der Parteien zu eigen zu machen. Man kann Spekulationen und Gerüchte als solche kennzeichnen. Und man kann darauf verzichten, den Verdrehungen der Beteiligten noch eigene hinzufügen.
Es ist das Top-Thema in Deutschland: Die großen Gehalts-Listen von BILD! Heute sagt BILD, wie viel unsere rund zwei Millionen Staatsdiener verdienen (…) Ihr Job ist sicher, Kündigung ausgeschlossen. (…) Pensionen: Im Alter 71,75 % des letzten Gehaltes (steuerpflichtig).
Huch?! Nee, Verzeihung! Das war ja der Text, den “Bild” vor ziemlich genau zwei Jahren unter der Überschrift “So viel verdienen deutsche Beamte” druckte. Heute steht in “Bild”:
Die große Geld-Debatte: Ganz Deutschland diskutiert, wer wieviel Geld für seine Arbeit bekommt. Heute sagt BILD, was die rund zwei Millionen deutschen Beamten verdienen (…) Nicht jeder Staatsdiener verdient sehr viel — dafür hat er einen sicheren Arbeitsplatz, weniger Abgaben und eine gute Pension (71,75 % vom letzten Brutto).
Und was vor zwei Jahren irreführend war, ist es noch immer. Zum Beispiel die “Bild”-Angabe zu den Pensionen. Zwar beträgt die höchstmögliche Beamten-Pension tatsächlich 71,75 Prozent, allerdings muss man dafür 40 Jahre verbeamtet gewesen sein. Denn das Ruhegehalt berechnet sich nach § 14 BeamtVG. Bei 30 Dienstjahren kommt man so auf rund 54 Prozent “vom letzten Brutto”, bei 20 Dienstjahren nur auf 36 Prozent.
Anders als vor zwei Jahren, als “Bild” bei den meisten Einkommen noch eine Einkommensspanne angegeben hatte, will sie es diesmal ganz genau wissen und gibt dafür im Kleingedruckten “Berechnungs-Annahmen” an:
35jähriger verheirateter Beamter, der mit 23 Jahren verbeamtet wurde; ohne Weihnachtsgeld und Zulagen
Wir haben mal ein paar Stichproben gemacht und festgestellt, dass die Annahmen bei manchen Berufsgruppen zu recht abenteuerlichen Konstellationen führen. Wer z.B. nach 12-jähriger Dienstzeit mit 35 Jahren immer noch Gefreiter ist, der hat definitiv was falsch gemacht. Andererseits sindGeneralbundesanwälte oder RichteramBundesgerichtshof für gewöhnlich etwas älter als 35.
Noch weiter neben der Realität liegt “Bild” beim Staatsanwalt:
Staatsanwälte werden nach Besoldungsgruppe R1 [pdf] bezahlt. Demnach kommt man in Westdeutschland als 35-Jähriger auf 3.695,38 Euro und im Osten auf 3418,23 Euro Grundgehalt. Der Familienzuschlag für Verheiratete beträgt 105,28 Euro, bzw. 97,38 Euro. Wie “Bild” auf die eigenen Zahlen (s.o.) kommt, ist uns ehrlich gesagt schleierhaft.
Ähnlich sieht’s beim Richter am Landessozialgericht (Besoldungsgruppe R2) aus:
Nach unserer Rechnung ergibt sich für einen 35-Jährigen ein Bruttoeinkommen von 4.261,50 Euro (West) und 3.941,88 Euro (Ost). “Bild” hat auch hier sehr viel höhere Beträge raus (s.o.).
Und wenn “Bild” schon möchte, dass “ganz Deutschland” darüber diskutiert, “wer wieviel Geld für seine Arbeit bekommt”, dann wünschte man sich dafür doch wenigstens eine korrekte Grundlage. Sonst kann man sich ja die Infos gleich selber zusammensuchen.
Mit Dank an Robert T., Oliver H., Marcel H., Jan G. und Benjamin S. für die sachdienlichen Hinweise.
Gutes Thema eigentlich, mit dem die “Bild”-Zeitung heute aufmacht (siehe Ausriss). Wer kommt schon mit seinem Geld aus? Wer überzieht nicht ab und zu sein Konto? So wie die 14 Kontoinhaber, die “Bild” unter der Überschrift “Unser Geld reicht nie für einen Monat” präsentiert und deren Geld mehrheitlich für einen Monat zu reichen scheint. Laut Schuldenreport 2006 sind sogar 3,1 Millionen Haushalte in Deutschland überschuldet. Und auch das steht so in “Bild”:
Immer mehr Deutsche kommen mit ihrem Geld nicht aus! Laut Schuldenreport 2006 sind schon 3,1 Millionen Haushalte überschuldet. Seit 1999 hat sich diese Zahl mehr als verdoppelt.
Als “wichtige Gründe” dafür nennt “Bild” “Sinkende Einkommen”, “Steigende Lebenshaltungskosten”, “Explodierende Energiekosten”, “Steigende Abgaben und Gebühren” und “Angst um den Arbeitsplatz” (?).
Und mal abgesehen davon, dass die 14 Kontoinhaber mit dem wichtigen Thema Überschuldung nichts zu tun haben und sich die Zahl der überschuldeten Haushalte nicht “seit 1999”, sondern zwischen 1993 und 2002 mehr als verdoppelt hat, ist auch in der Pressemitteilung zum Schuldenreport 2006, der im Februar veröffentlicht wurde, die Rede davon, dass “bereits kleine ‘Störungen’ wie etwa die Reparatur der Waschmaschine oder steigende Energiepreise den finanziellen Kollaps auslösen können”. Allerdings geht es den Herausgebern des Reports (Caritas, Diakonie, Rotes Kreuz und Bundesverband der Verbraucherzentralen, VZBV) noch um etwas anderes. In der Pressemitteilung heißt es über überschuldungsgefährdete Haushalte:
Diese Haushalte stehen auf der Kante — leichtfertige Kreditvergabe und die diskriminierenden Scoring-Praktiken der Banken können hier leicht den Anstoß zur Überschuldung geben.
Deshalb fordern die Verbände u.a. einen “Ausbau der Schuldnerberatung”, “die gesetzliche Verankerung des Rechts auf ein Girokonto auf Guthabenbasis” und “die Verankerung der Pflicht zu einer verantwortlichen Kreditvergabe in der EU-Verbraucherkreditrichtlinie”.
In “Bild” steht davon nichts. Stattdessen beantwortet “Bild” unterhalb der bereits erwähnten Überschrift “Unser Geld reicht nie für einen Monat” die Frage:
Beim Diakonischen Werk findet man das abwegig. Ein Sprecher sagte uns:
Der Dispo sollte eigentlich nur als Überbrückung dienen. Wir wären ja mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn wir zur Erhöhung des Dispos raten würden, obwohl das Geld ohnehin schon nicht ausreicht.
So geht das also: Statt ein wichtiges Thema, das jeden angeht, in seiner gesellschaftspolitischen Brisanz sachkundig zu erörtern, gibt “Bild” lieber einen blöden Tipp.
Auf Seite 1 der “Bild”-Zeitung ist heute zu lesen:
Es geht um das Ende der Mülltrennung in Deutschland. Denn, so “Bild”:
Das Umweltbundesamt prüft derzeit eine neue Ein-Tonnen-Lösung (Name: “GiG”, Kurzform für “Gelb in Grau”).
Und sachkundigkommentiert wird diese Nachricht auch noch — vom “Bild”-Kommentator Willi Schmidt:
Der Gelbe Sack wird wieder gefaltet, er war nur ein Windbeutel.
Seit 13 Jahren wird getrennt, nun soll es enden. Warum erfahren wir erst jetzt die Wahrheit? Braucht man wirklich so lange, um einen Fehler im Recycling-System zu bekennen?
Das Umweltbundesamt (UBA) hält die “Bild”-Berichterstattung für “irreführend”. Artikel und Kommentar “verkürzen zudem grob”, heißt es in einer Pressemitteilung. Dort steht auch, dass es tatsächlich Untersuchungen gebe, die Mülltrennung in Deutschland zu vereinfachen und zu modernisieren — allerdings nicht, wie “Bild” behauptet, “derzeit”:
Bereits seit mehreren Jahren testen verschiedene Abfall-Entsorger Anlagen, die die Abfälle aus Haushalten vollautomatisch nach Wertstoffen wie Kunststoff, Glas, Metall oder Papier trennen. Solche Test-Anlagen stehen unter anderem in Essen und Trier. In den Medien wurde in den vergangenen Jahren bereits mehrfach über diese Anlagen berichtet.
In einem Sachstandbericht des UBA wird zudem nachdrücklich festgehalten, dass es “derzeit” keine Alternative zur Praxis der getrennten Sammlung gebe. Der Bericht stammt aus dem Jahr 2004. Und UBA-Sprecher Martin Ittershagen sagt uns, daran habe sich bis heute nichts geändert. Ebensowenig übrigens wie an der von “Bild” zitierten Meinung der FDP-Frau Birgit Homburger. Deren O-Ton steht — quasi wortgleich — nicht nur in der “Rheinischen Post” von heute, sondern beispielsweise auch im “Berliner Kurier” vom März 2004 bzw. einer FDP-Pressemitteilung von damals oder einem FDP-Antrag vom Dezember 2003.
Der UBA-Sprecher nennt die “Bild”-Meldung übrigens “kalter Kaffee” und sähe sie am liebsten mit einer “gelben Sommerlochente” bebildert. Soll er haben.
Was “Bild” uns heute mit dieser Seite-2-Überschrift sagen will, ist: In Zukunft werden ganze Generationen weniger Geld aus der gesetzlichen Rentenkasse herausbekommen, als sie eingezahlt haben.
Und wie kommt “Bild” zu dieser Prognose?
Aufhänger des Artikels ist ein “Welt”-Artikel. Darin sagt Hans-Jürgen Papier, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, es könne verfassungswidrig sein, “wenn das eingezahlte Kapital regelhaft bei weitem das übersteigt, was der einzelne später an Leistungen erhält”. Wohlgemerkt: Papier sagt — anders als der flüchtige “Bild”-Leser glauben könnte — nicht, dass dies so kommen wird. Er spricht von den Konsequenzen, falls es so kommt.
Aber die “Bild”-Zeitung weiß ja schon, was kommt. Sie druckt eine Tabelle, über der es heißt: “Soviel Rente gibt es pro 100 Euro Rentenbeitrag”. Daneben steht: “Hier sehen Sie, ob Sie ein Gewinner oder Verlierer sind”. Männer und Frauen sollen anhand ihres Jahrgangs erfahren können, mit wieviel Auszahlungen sie je 100 Euro Einzahlungen rechnen können.
Und für eine grobe Abschätzung, wie seriös die “Bild”-Tabelle ist, genügt es vielleicht schon, sich vor Augen zu halten, dass sie sich Vorhersagen zutraut für Menschen, die die nächsten 34 Jahre noch nicht einmal geboren sind und voraussichtlich im Jahr 2107 in Rente gehen werden.
Andere Quellen kommen zu Prognosen, die von denen, die “Bild” distanzlos übernimmt, massiv abweichen. Die Zeitschrift “Finanztest” hat in ihrer Mai-Ausgabe ebenfalls nachgerechnet und kam zu dem Ergebnis, dass von einer “Minus-Rente” keineswegs die Rede sein könne:
Die nominalen Renditen werden drastisch sinken, doch bleiben nach derzeitigem Rentenrecht voraussichtlich immer positiv für alle, die bis 2070 in Rente gehen.
“Finanztest” weist aber auch darauf hin, dass so weit in die Zukunft reichende Prognosen grundsätzlich “sehr problematisch” seien. “Bild” weist nicht einmal darauf hin, dass es sich überhaupt um Prognosen handelt.
Georg Streiter, der Politikchef der “Bild”-Zeitung, findet es falsch, dass es Politiker in Mecklenburg-Vorpommern gibt, die den amerikanischen Präsidenten Bush nicht treffen wollten oder sogar gegen ihn demonstrierten. In einem “Bild”-Kommentar kritisierte er “diese Herrschaften” gestern dafür, und das ist soweit noch nicht bemerkenswert.
Bemerkenswert ist seine Argumentation. Streiter schreibt:
Diese Leute durften noch vor 16 Jahren ihren Mund nur aufmachen, wenn sie für das SED-Regime waren.
Demonstrationen gab es nur, wenn die Regierung ihre eigenen Fahnen schwenkte.
Das können diese Herrschaften nicht vergessen haben. Sie können auch nicht vergessen haben, daß sie ihre Freiheit nicht zuletzt den Amerikanern zu verdanken haben.
Aber sie haben einfach nichts dazugelernt!
Es ist nicht leicht, aber vielleicht lohnt sich der Versuch, die Logik dieses Kommentars nachzuvollziehen. Was wirft Streiter den Politikern vor: Dass sie von dem Demonstrationsrecht, das sie früher nicht hatten, heute einfach Gebrauch machen? Dass sie die Freiheit, die sie früher nicht hatten, heute einfach ausleben?
Und was genau meint Streiter, wenn er schreibt, die ostdeutschen Politiker hätten “nichts dazugelernt”? Meint er, dass die DDR-Bürger dumm waren? Und warum sind sie seiner Meinung nach immer noch dumm? Weil sie demonstrieren? Weil sie den amerikanischen Präsidenten nicht treffen wollen? Weil sie glauben, dass zu ihrer neu gewonnenen Freiheit, selbst wenn sie sie von den Amerikanern bekommen haben sollten, auch das Recht gehört, sie gegenüber genau diesen Amerikanern anzuwenden? Weil sie ein anderes Demokratieverständnis haben als die “Bild”-Zeitung, die am Freitag offenbar glaubte, es sei als Zeichen der Verbundenheit mit den USA angemessen, über die Proteste gegen Bush gar nicht zu berichten und wider besseres Wissen zu behaupten: “Deutschland fliegt auf die Bushs”?
Streiters Argumentation steht in einer langen Tradition. Interessant ist es, in diesem Zusammenhang die Arbeit von Gudrun Kruip über das Weltbild des Axel-Springer-Verlages zu lesen. Darin schreibt sie über die Studentenproteste Ende der 60er Jahre:
Nur dank des Schutzes der USA könnten die Studenten [nach Ansicht des Springer-Verlages] überhaupt für ihre Ansichten demonstrieren, denn in sozialistischen Staaten würden derartige Meinungsäußerungen mit brutaler Gewalt unterdrückt. Es sei daher geradezu unhöflich, diese Rechte ausgerechnet gegen den Garanten dieser Rechte auszuspielen. (…) Demonstrationen wurden [von Springer] zwar pro forma als demokratisches Recht anerkannt, sollten jedoch keinesfalls den reibungslosen Ablauf des Verkehrs stören und darüber hinaus auch die richtige Kritik artikulieren, sich also vor allem gegen den Ostblock wenden. (…)
Die Einstellung [der “Bild”-Zeitung] zu Demonstrationen entsprach damit in weiten Teilen derjenigen zu Streiks: Theoretisch waren sie zwar ein demokratisches Recht, praktisch aber durften sie die gesellschaftliche und politische Harmonie nicht beeinträchtigen. Innerhalb des Konzerns gab es kaum Verständnis dafür, daß es keine allgemeingültige Wahrheit geben kann und zur Demokratie folglich ein Recht auf unterschiedliche Meinungen gehört (…).
(Hervorhebung von uns.)
Auch Georg Streiter schreibt nicht, dass er anderer Meinung sei als die Repräsentanten Mecklenburg-Vorpommerns, sondern wirft ihnen “Dummheit” und “Unbelehrbarkeit” vor, weil sie gegen den Präsidenten demonstrierten oder nicht mit ihm grillen wollten.
“Nichts dazugelernt” ist insofern eine ganz gute Überschrift.
Man kann wahrlich nicht behaupten, dass “Bild” dem Besuch von George Bush bei Angela Merkel wenig Platz einräumt. Die Seiten 2 und 3 der heutigen Ausgabe sind voll davon. “Bild” zeigt Händeschüttel-Fotos, Kuss-Fotos (gleich vier!), Bush beim Grillen, Bush beim Radfahren, Bush beim Baby-Hochhalten usw. “Bild” berichtet über “Wirtin Hanni”, die sich “die Hand nicht mehr waschen” will, weil Bush ihr ein Autogramm darauf gegeben hat, und “Bild” druckt ein “Minuten-Protokoll des historischen Besuchs”. Das alles (und ein wenigmehr) unter der großen Überschrift: “Deutschland fliegt auf die Bushs” (siehe Ausriss).
Das “Minuten-Protokoll” glänzt mit Detailverliebtheit. Ein paar Auszüge:
Bush duscht, zieht seinen schwarzgrauen Anzug mit blauer Krawatte an, frühstückt. (…) Auf dem Tisch: Extra eingeflogenes US-Mineralwasser (“Deer-Park”) – doch Bush trinkt lieber Cola light. (…) Mittagessen. Lachs und Heilbutt aus der Ostsee, Entenbrust mit grünem Spargel, Waldbeeren mit weißer Schoko-Mousse. Dazu Mineralwasser, danach Espresso. (…) Das Präsidentenehepaar hat sich zum Grillfest umgezogen (Bush: hellblaues Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln, Laura Bush: beigemelierter Hosenanzug) (…) Gemeinsam mit dem Ehepaar Merkel (in Jeans und Blazer) und Sauer (beige Hose, offenes Hemd) begrüßen die Bushs fünfzig handverlesene Gäste. Das von Gastwirt Olaf Micheel selbstgeschossene 30-Kilo-Wildschwein (eineinhalb Jahre alt), seit sechs Stunden auf dem Grill, ist fertig. (…) Merkel und ihr Mann bringen Laura und George W. Bush zu ihrem Hubschrauber. Er startet in die Abendsonne – Angela Merkel und ihr Mann winken ihren Gästen noch lange hinterher.
Wenn man das alles so liest, bekommt man tatsächlich den Eindruck, dass Deutschland auf die Bushs fliegt. Jedenfalls erwähnt “Bild” heute mit keinem Wort, dass es Proteste und Demonstrationen gegen den Besuch von George Bush gab. In Stralsund und auch in anderen deutschen Städten. Das ist zumindest bemerkenswert. Andere Medien schaffenesnämlichohneProbleme, daseinoderandereWortüberdie Anti-Bush-Demonstrationen zuverlieren.
Mehr als bemerkenswert, man könnte sagen irreführend oder sogar gelogen, ist allerdings die Überschrift. Tatsächlich fliegt “Deutschland” (was immer “Bild” auch damit meint) nicht auf die Bushs. Und damit meinen wir gar nicht die demonstrierende und protestierende Minderheit, sondern rund die Hälfte der Deutschen. Laut einer repräsentativen Umfrage der Forsa im Auftrag des “Stern” bewerten nämlich 52 Prozent den Bush-Besuch negativ und nur 41 Prozent positiv. Auch davon erfahren die “Bild”-Leser freilich nichts. Dabei wäre eigentlich genügend Platz gewesen.