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In Verruf gekürzt

Die Räumung des Hambacher Forsts geht weiter. Eine Woche, nachdem ein Journalist von einer Hängebrücke gestürzt und kurze Zeit später gestorben ist, ließ die Polizei nun auch die Gedenkstätte für diesen Journalisten entfernen. Sie sicherte allerdings zu, dass die Kerzen und Blumen und Fotos nach Abschluss der Arbeiten wieder aufgebaut werden könnten.

Zu diesem aktuellen Vorgang und dem tödlichen Unfall in der vergangenen Woche schreiben Morgenpost.de, Abendblatt.de und “DerWesten” (alle Teil der Funke Mediengruppe) unter anderem:

Der 27-Jährige war am vergangenen Mittwoch in dem von Aktivisten besetzt gehaltenen Waldgebiet durch die Bretter einer mindestens 15 Meter hohen Hängebrücke gebrochen, die zwischen zwei Baumhäusern gespannt war. Er starb noch am Unglücksort. “Er war wohl zu schnell eine Leiter hochgeklettert und dann abgerutscht. Von uns helfen lassen wollte er sich anschließend nicht”, sagte ein Polizeisprecher.

Das, was so klingt, als sei jemand lieber gestorben, als sich von der Polizei helfen zu lassen, ist tatsächlich nur schlampige Arbeit der Funke-Redaktionen.

Ihre Artikel sind ein Mix aus Meldungen der Agenturen dpa und epd. Die oben zitierte Passage stammt von der dpa, wobei Morgenpost.de, Abendblatt.de und “DerWesten” sie so unglücklich gekürzt haben, dass ein völlig falscher Eindruck entsteht.

Man kann das zum Beispiel beim “Greenpeace Magazin” nachvollziehen, wo die dpa-Meldung ungekürzt veröffentlicht wurde:

Der 27-Jährige war am vergangenen Mittwoch in dem von Aktivisten besetzt gehaltenen Waldgebiet zwischen Köln und Aachen durch die Bretter einer mindestens 15 Meter hohen Hängebrücke gebrochen, die zwischen zwei Baumhäusern gespannt war. Er starb noch am Unglücksort. Die Landesregierung hatte daraufhin die Räumung der Baumhütten im Wald vorübergehend gestoppt.

Bei einem Sturz aus rund zwei Metern Höhe verletzte sich am Dienstag ein Baumbesetzer leicht. «Er war wohl zu schnell eine Leiter hochgeklettert und dann abgerutscht. Von uns helfen lassen wollte er sich anschließend nicht», sagte ein Polizeisprecher.

Die Aussage des Polizeisprechers bezieht sich also auf einen völlig anderen, viel harmloseren Vorfall.

Mit Dank an @bjokie für den Hinweis!

Nachtrag, 27. September: Die drei Redaktionen haben ihre Texte inzwischen korrigiert und im Sinne der Transparenz diesen Hinweis hinzugefügt:

(Anm. d. Red.: In einer früheren Fassung dieses Artikels haben wir leider einen Polizeisprecher aus dem Kontext gerissen zitiert. Im Anschluss an den oberen Absatz hieß es: “‘Er war wohl zu schnell eine Leiter hochgeklettert und dann abgerutscht. Von uns helfen lassen wollte er sich anschließend nicht’, sagte ein Polizeisprecher.” Diese Aussage bezog sich aber auf einen anderen Vorfall. Wir bitten diesen Fehler zu entschuldigen.)

Mit Dank an @de_noogle für den Hinweis!

Gilt Robert Wagner wirklich als Verdächtiger? Nicht von Interesse!

Schaut man sich die Überschriften verschiedener deutscher und österreichischer Medien zu den neuesten Entwicklungen zum Tod von Schauspielerin Natalie Wood an, könnte man ja fast meinen, dass ihr früherer Ehemann Robert Wagner offiziell als Verdächtiger gilt:

Screenshot Bild.de - Todesfall von Ehefrau Natalie Wood - Ehemann Robert Wagner gilt jetzt als verdächtig
(Bild.de)
Screenshot morgenpost.de - Ermittlungen - Todesfall Natalie Wood – Ehemann gilt als verdächtig
(Morgenpost.de)
Screenshot Bunte.de - Hollywood-Star Natalie Wood - 36 Jahre nach ihrem mysteriösen Tod: Jetzt wird ihr Witwer verdächtigt
(Bunte.de)
Screenshot Derwesten.de - Todesfall Natalie Wood nach 36 Jahren vor schockierender Wende - Ehemann gilt als verdächtig
(DerWesten.de)
Screenshot heute.at - TV-Star Robert Wagner
(Heute.at)

Nur: Wagner gilt nicht offiziell als verdächtig — egal, wie viele Redaktionen das behaupten.

Seit 2011 gibt es neue Ermittlungen zum Tod von Schauspielerin Natalie Wood, die 1981 unter bislang nicht endgültig geklärten Umständen ums Leben kam. Lange ging die Polizei von einem Unfall aus, inzwischen ist der Fall als “verdächtiger Tod” eingestuft. Der US-Sender CBS hat gestern ein Interview mit einem Sheriff veröffentlicht, in dem dieser über Robert Wagner sagt:

As we’ve investigated the case over the last six years, I think he’s more of a person of interest now.

Wagner gelte als die letzte Person, die Wood vor deren Verschwinden gesehen hat. Aber: “Person of interest” bedeutet nicht automatisch, dass Wagner als Verdächtiger gilt. Den Begriff benutzen die Ermittlungsbehörden in den USA für Personen, bei denen sie vermuten, dass diese Informationen besitzen, die für einen Fall hilfreich sein könnten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass aus einer “person of interest” ein Verdächtiger wird. Nur ist man als “person of interest” nicht automatisch Verdächtiger.

Und dass Robert Wagner überhaupt als “person of interest” gilt, sei nun auch nicht so neu, berichtet jedenfalls “NBC News”:

A sheriff’s department spokesperson told NBC News that Wagner has remained a person of interest, and there has been no change in the status of the case. An investigation into Wood’s death was reopened in 2011 after police sought to interview witnesses about claims of foul play, but it was never classified as a criminal case and no one has ever been charged.

Mit Dank an James B. und @Dabo_612 für die Hinweise!

Beate Zschäpe auf dem Laufsteg der Nebensächlichkeiten

Welche Modenschauen sind wohl die wichtigsten der Welt? Klar, die in Paris und die in New York. Sicher auch die in Mailand. Und dann wäre da noch eine etwas unbekanntere, die seit knapp viereinhalb Jahren im Saal A 101 im Münchner Strafjustizzentrum in der Nymphenburger Straße stattfindet:

Beate Zschäpe trägt ein rot-orangenes, sommerliches Shirt mit kurzen Ärmeln, ein ungewohnt luftiges Outfit. Rechtsanwalt Wolfgang Stahl erscheint in weißer Hose unter seriösem Jackett.

Diese Passage stammt aus einem “dpa”-Text über einen der bedeutendsten Strafprozesse seit Jahrzehnten in Deutschland, den NSU-Prozess. Die Onlineredaktion der “Stuttgarter Zeitung” hat sie gestern veröffentlicht, ebenso die der “Berliner Morgenpost”, die der “Kieler Nachrichten”, die der “Abendzeitung” aus München, haz.de, derwesten.de und vermutlich noch einige weitere.

Auch direkt vor und nach den zwei Sätzen zum Outfit von Beate Zschäpe und Wolfgang Stahl geht es fast nur um Nebensächlichkeiten. Der “dpa”-Artikel startet so:

Es scheint fast so etwas wie Ferienstimmung in der Luft zu liegen an diesem 379. Verhandlungstag im NSU-Prozess, dem fünften Tag des Anklage-Plädoyers und letzten Sitzungstag vor der Sommerpause des Gerichts. Beate Zschäpe trägt ein rot-orangenes, sommerliches Shirt mit kurzen Ärmeln, ein ungewohnt luftiges Outfit. Rechtsanwalt Wolfgang Stahl erscheint in weißer Hose unter seriösem Jackett. Und vor den Ferien ist auch die Ehefrau des mutmaßlichen Waffenbeschaffers für den “Nationalsozialistischen Untergrund”, Ralf Wohlleben, da: Sie betritt den Saal, nachdem die Fotografen ihn verlassen mussten, schlängelt sich an den Plätzen der Verteidiger vorbei, streichelt ihrem Mann über die Schulter, küsst ihn zur Begrüßung auf den Mund.

Bei Bild.de hat die Redaktion Zschäpes “Sommer-Look” sogar in die Überschrift gepackt, als wäre das die entscheidende Entwicklung im NSU-Prozess:

Ausriss Bild.de - Blümchenschal und luftiges rot-orangenes Shirt - Zschäpe im Sommer-Look in die Sommerpause

In der Zwischenzeit haben sie wohl auch bei Bild.de gemerkt, wie grässlich es ist, über einen Prozess zu berichten, auf den so viele trauernde Angehörige schauen, und dabei den “BLÜMCHENSCHAL” und das “LUFTIG ROT-ORANGENE SHIRT” einer Person hervorzuheben, der die Mittäterschaft in zehn Mordfällen vorgeworfen wird. Dachzeile und Überschrift haben die Bild.de-Mitarbeiter inzwischen geändert (nun: “ERST ENDE AUGUST GEHT ES WEITER — Zschäpes letzter Auftritt vor der Sommerpause”), die einleitende Passage zur “Ferienstimmung” komplett gestrichen.

Mit Dank an @tagesschauder für Hinweis und Screenshot!

Fordert Heiko Maas wirklich “Rock gegen Links”?


(morgenpost.de)


(“Huffington Post”)

(n-tv.de)

(jungefreiheit.de)

(Welt.de)

(Bild.de)

Die angebliche Aussage von Justizminister Heiko Maas zu einem möglichen Konzert unter dem Motto “Rock gegen Links”, die viele Medien aufgegriffen haben, schlägt vor allem in den Sozialen Netzwerken ziemlich hohe Wellen. Nun ist es angesichts früherer Erfahrungen mit Rockkonzerten, die sich bewusst gegen “links” oder auch gegen den Kommunismus positioniert haben und die bis heute in der neonazistischen Szene als tolle Feste gesehen werden, vielleicht nicht die beste Idee von “Rock gegen Links” zu sprechen. Und auch dass die rechtsextreme Band “Freikoprs” vor vielen Jahren einen Song mit dem Namen “Rock Gegen Links” veröffentlicht hat, macht Maas’ vermeintliche Wortwahl nicht besser.

Aber hat Heiko Maas tatsächlich so etwas wie ein “Rock gegen Links”-Konzert gefordert?

Der Ursprung dieser ganzen Geschichte liegt bei Bild.de. In dem dortigen Talk-Format “Die richtigen Fragen” interviewten heute morgen das Moderatoren-Duo Anna von Bayern und Ali Aslan sowie “Bild”-Politik-Chef Nikolaus Blome Bundesjustizminister Maas. Blome fragte mit Bezug auf die Ausschreitungen rund um den G20-Gipfel in Hamburg:

Eine Frage, wenn ich noch darf. Nach solchen Schandtaten, nach solchen Gewaltausbrüchen, wenn sie von rechtsextremistischer Seite kommen, und das hat es ja oft genug gegeben, sammelt sich so eine gesellschaftliche Gruppe, oftmals Künstler, Sänger, und veranstalten so was wie “Rock gegen rechts”. Sie haben da, glaube ich, auch schon mal einschlägige Erfahrungen gesammelt beim Belobigen einer solchen Veranstaltung. Also, “Rock gegen rechts” gibt’s. Warum gibt’s kein “Rock gegen Links”?

Heiko Maas antwortete darauf:

Das kann ich Ihnen nicht sagen, weil Sie, das muss man die fragen, die sowas organisieren. Aber ich glaube, dass es niemanden in unserer Gesellschaft gibt, und zwar in allen gesellschaftlichen Gruppen, die das akzeptieren, was in Hamburg geschehen ist. Und ich will auch gar nicht ausschließen, dass das eine gesellschaftliche Reaktion hervorruft. Und ich würde mir auch wünschen, dass jegliche Form von politischem Exptremismus, der dann umschlägt in sinnlose Gewalt, in Straftaten, bis hinzu zum versuchtem Mord, nicht ohne gesellschaftliche Reaktion bleibt. Wir sind viel zu lange

Maas konnte den Satz nicht mehr zu Ende führen, weil Anna von Bayern ihm ins Wort fiel:

Also Sie wünschen sich ein “Rock gegen Links”?

Maas’ Antwort:

Ja, ein “Rock gegen Links” oder was auch immer. Das werden diejenigen entscheiden müssen, die so etwas auf die Beine stellen. Aber so was kann doch nicht ohne gesellschaftliche Reaktion bleiben. Wir sind viel zu oft die schweigende Mehrheit, die ein tolerantes und respektvolles Land will, aber die dann auch glaubt, dass es reicht, die schweigende Mehrheit zu sein. Und das reicht eben nicht mehr, wie wir permanent sehen.

Das ist alles, was Heiko Maas zum Thema “Rock gegen Links” gesagt hat: “Das kann ich Ihnen nicht sagen” und ein leicht unwirsches “Ja, ein ‘Rock gegen Links’ oder was auch immer. Das werden diejenigen entscheiden müssen, die so etwas auf die Beine stellen.” Er schloss ein “Rock gegen Links”-Konzert also nicht aus — die Idee dafür stammt aber nicht von Maas, sondern von Nikolaus Blome. Und auch die Formulierung “Rock gegen Links”, die gerne von Neonazis gebraucht wird, stammt von Nikolaus Blome.

Diese Details interessieren Nikolaus Blome aber nicht. Er, der eigentlich sehr genau wissen müsste, wie das Gespräch mit Heiko Maas abgelaufen ist, twitterte heute Mittag:

Bei CDU-Generalsekretär Peter Tauber, der übrigens auch die Lüge der Polizeigewerkschaft DPolG über die “Tagesschau”-Berichterstattung zu den G20-Ausschreitungen glaubte und bei Twitter verbreitete, war Heiko Maas dann schon derjenige, der “Rock gegen Links” vorgeschlagen hat:

“Bild”-Redakteure haben eine Idee. Sie fragen einen Politiker, was er davon hält. Dieser stimmt nicht explizit zu oder fordert etwas anderes. “Bild” und Bild.de schreiben trotzdem, dass der Politiker die Idee toll finde. Und politische Konkurrenten stimmen mit ein. Dieses Vorgehen ist nichts Neues bei den “Bild”-Medien. Ganz ähnlich haben sie schon mal dem Grünen-Bundestagsabgeordneten Omid Nouripour die Forderung in den Mund gelegt, dass Christen “im Weihnachts-Gottesdienst muslimische Lieder singen” sollen.

In nur vier Stunden vom Obdachlosen zum Perser

Helge Schneider hat für seine Zivilcourage mal ordentlich Prügel kassiert. Das hat er vergangenen Woche in einem Interview mit der “Süddeutschen Zeitung” (mit Bezahlschranke) erzählt:

Aber viele Künstler sind sehr verliebt in die Regel: Die Politik ist hilflos, wir müssen jetzt ran.

Wenn einem etwas direkt im Alltag begegnet, muss man schon ran. Das nennt man Zivilcourage, hab’ ich auch schon mal gemacht.

Was war passiert?

Das waren zwei Typen, die wollten einen Perser verkloppen. Da bin ich dazwischengegangen. Der konnte wegrennen. Dann hab’ ich das abgekriegt.

Wurden Sie verletzt?

Es hielt sich im Rahmen. Ich hatte den Kiefer angebrochen. […]

Schneider, Schlägerei, angebrochener Kiefer — klar, dass das auch andere Medien aufgreifen. Zum Beispiel “Spiegel Online”

… oder stern.de

… oder welt.de:

Und auch “Focus Online”. Doch dort klingt die Geschichte schon in der Überschrift etwas anders:

Und Helge Schneider erzählt auf einmal eine ganz neue Version des Vorfalls:

“Das waren zwei Typen, die wollten einen Penner verkloppen. Da bin ich dazwischengegangen”, erzählte der Komiker und Musiker der “Süddeutschen Zeitung” vom Samstag.

Bei morgenpost.de ist ebenfalls von einem “Penner” die Rede.

Der Protagonistenwechsel dürfte durch eine fehlerhafte dpa-Meldung entstanden sein. Die Nachrichtenagentur hatte am Samstagmittag den “Penner” ins Spiel gebracht und erst vier Stunden später eine Korrektur verschickt, mit dem Hinweis: “Berichtigung: Wort im zweiten Satz berichtigt”.

Das interessierte offenbar weder “Focus Online” noch morgenpost.de: Ihre falschen Artikel veröffentlichten beide Redaktionen erst, als die dpa-Korrektur schon Stunden raus war.

Dass ein Medium durchaus auf Agentur-Berichtigungen reagieren — und das auch noch der Leserschaft transparent präsentieren — kann, beweist diepresse.com:

Anmerkung der Redaktion: Quelle dieses Artikels ist die Nachrichtenagentur DPA. Diese hat in einer ersten Meldung von einem “Penner” geschrieben, später allerdings auf “Perser” korrigiert. Wir bedauern den Irrtum.

Mit Dank an Hansi!

Die Olympischen Ehe-Ringe

Die Reporter der “Bild”-Zeitung haben am Rande der Olympischen Spiele in der Bilddatenbank von “Getty Images” eine erstaunliche Entdeckung gemacht:

Bei einem Sport-Event in Nizhnekamsk (Tatarstan) hielt die Sportgymnastik-Olympiasiegerin (2 Mal Gold) am Wochenende stolz ihren Ehering in die Kameras. Putin trug gestern bei der Skilanglauf-Staffel der Herren auf der Ehrentribüne in Sotchi das gleiche Modell.​

Na sowas! Und wenn man jetzt noch berücksichtigt, dass diese Dame laut “Bild” seit fünf Jahren “die angebliche Geliebte von Russlands Präsident” ist, stellt sich natürlich ruckzuck die Frage:Liebesgrüße aus Moskau - Hat Putin seine Olympia-Siegerin geheiratet?Das fragen sich — angestachelt von “Bild” — inzwischen auch einige andere Medien. Der Grund für die Spekulationen ist ein ganz bestimmtes Foto, das “Bild” als Beleg für die Theorie auch groß über dem Artikel abgedruckt hat:Bildunterschrift: "BLING! Wladimir Putin trägt in Sotchi Goldring" Kleiner Haken an der Geschichte: Das ist gar nicht Putins Ring. Das ist nicht mal seine Hand. Sie gehört dem Mann, der neben ihm sitzt. Putin selbst hat gar keinen Ring getragen.

Mit Dank an Philipp und **Kiki**

Nachtrag, 24. Februar: Bild.de hat das Foto gelöscht, den Rest des Artikels aber so gelassen.

Gina-Lisa macht “solche Sachen” nicht

Wenn Sie sich nicht für Fußball interessieren, haben Sie’s gerade schwer genug. Wenn Sie sich nicht für das interessieren, was Fußballer außerhalb des Fußballplatzes so machen, wird’s jetzt richtig schlimm. Aber weil es Journalisten gibt, die sich genau dafür interessieren, müssen wir da jetzt gemeinsam durch:

Wenige Tage vor Beginn der Fußball-Europameisterschaft kam es in einem Berliner Hotel zu einer nächtlichen Begegnung mit Folgen: Der deutsche Nationalspieler Jerome Boateng und die Boulevard-Prominente Gina-Lisa Lohfink trafen sich an der Hotelbar (“Sie trinkt Champagner, er trinkt Wasser”) und suchten später mit einer dritten Person ein Hotelzimmer auf (“Die TV-Blondine: ‘Wir haben uns nur unterhalten!'”).

Wenn Sie glauben, das sei die langweiligste Geschichte der Welt, haben Sie die Rechnung ohne die Boulevardpresse gemacht: Zufällig war auch ein Fotograf anwesend, grieselige Bilder erschienen in “Bild”. Und weil ein Nationalverteidiger, der zu spät ins Bett geht, ein Vorfall von nationaler Bedeutung ist, drehten die Medien an der Demarkationslinie von Boulevard und Sport über Tage frei.

Arthur Boka, Verteidiger beim VfB Stuttgart und Ex-Freund von Frau Lohfink, gab gegenüber der Münchner “tz” zu Protokoll:

“Ich bin mir sicher, dass Jerome in eine Falle gelockt wurde! Gina-Lisa macht solche Sachen immer wieder, um in den Schlagzeilen zu bleiben.”

Medien wie Eurosport oder “Welt Kompakt” (und damit auch welt.de und morgenpost.de) übernahmen die Informationen aus dem Boka-Interview gerne — und haben jetzt den Salat:

Gegendarstellung
Auf dem Online-Portal www.morgenpost.de wurde am 10.06.2012 unter der Überschrift “Jerome Boateng kämpft sich aus Frust aus der Luder-Falle” ein Artikel öffentlich zugänglich gemacht, der unwahre Tatsachenbehauptungen enthält, die ich wie folgt richtig stelle:

Es wird behauptet:

“Inszenierung mit Gina-Lisa

Es war offenbar eine Inszenierung, in die Boateng hineingeraten war. …

“Jerome wurde in eine Falle gelockt

Arthur Boka, … einst mit Lohfink liiert, erkannte das Muster: ‘Ich bin mir sicher, dass Jerome in eine Falle gelockt wurde’, … und beschrieb die Inszenierung so: ‘Ich glaube, dass der Fotograf in das Hotel bestellt wurde. Dann wurden die Bilder verkauft, und Gina-Lisa hat Geld dafür bekommen’, sagt: ‘So bekommt sie Aufmerksamkeit und bleibt im Gespräch.”

“Boateng ist in die Falle getappt.”

Hierzu stelle ich fest:

Diese Behauptungen sind unwahr. Weder habe ich einen Fotografen in das Hotel bestellt, noch habe ich Geld für den Verkauf der Bilder bekommen. Es handelte sich daher auch nicht um eine Inszenierung. Ich habe Herrn Boateng daher auch nicht in eine Falle gelockt und ich mache “solche Sachen” auch nicht immer wieder, um in den Schlagzeilen zu bleiben.

Köln, den 20.06.2012

für Gina-Lisa Lohfink

Heiko Klatt
Rechtsanwalt

Anmerkung der Redaktion: Frau Lohfink hat recht. Unser Artikel basierte auf Angaben ihres ehemaligen Lebensgefährten, der seine Aussagen mittlerweile zurückgezogen hat.

Tatsächlich ist der Originalartikel im Internetangebot der “tz” inzwischen offline, auch die Artikel bei Eurosport und welt.de sind verschwunden.

Ironie der Geschichte: Frau Lohfink ist mal wieder in den Schlagzeilen.

Davon geht Morgenpost Online nicht unter

"Bio kann Morgenpost Online nicht retten"

Nein, da ist nicht Alfred Biolek auf seine alten Tage zu “Morgenpost Online” gewechselt. Und “Morgenpost Online” möchte sich auch nicht an dem lustigen Online-Spiel beteiligen, das wir vergangene Woche versehentlich gestartet haben.

Da hatten wir ja über zwei Schiffbrüchige berichtet, die “über Gott und Morgenpost Online” geredet haben sollen. Schuld war offenbar die automatische Bearbeitung eines Textes von “Welt Online”. Da die Zeitungen “Die Welt” und “Berliner Morgenpost” und ihre Online-Ableger von der gleichen Redaktion gemacht werden, wird bei Artikelübernahmen im Internet die Selbstbezeichnung der “Welt” durch “Morgenpost Online” ersetzt — in diesem Fall eben an einer Stelle, an der es gar nicht um die Zeitung “Die Welt” ging, sondern um die Welt als solche.

Daraus entwickelte sich auf Twitter ein Mem, bei dem die Nutzer in Redewendungen, Filmtiteln und anderen Formulierungen das Wort “Welt” durch “Morgenpost Online” ersetzten. “Morgenpost Online” vermerkte den Fehler und seine Korrektur in ihrer Rubrik “Leider falsch — wir korrigieren”.

Doch “Morgenpost Online” tat noch mehr: Offenbar durchforstet die Redaktion seit dem Vorfall ihr eigenes Archiv auf der Suche nach weiteren Fehlern dieser Art.

Der oben abgebildete Artikel jedenfalls sah fast vier Jahre lang so aus, bis er irgendwann nach unserem Eintrag überarbeitet wurde. Heute heißt er “Bio kann die Welt nicht retten”.

Über den Playboy Rolf Eden wusste “Morgenpost Online” zu berichten:

Morgenpost Online des Playboys Rolf Eden bleibt blond

Und diese zauberhafte Verwechslung war nicht auf ein allein stehendes “die Welt” beschränkt:

Das Milliarden-Volk der Chinesen zischt immer mehr Bier. Das lässt Morgenpost Onlineweite Produktion kräftig steigen.

Wie Morgenpost Onlinepresse urteilt.

Die Importe erhöhten sich sogar um 14 Prozent auf 919 Milliarden Euro. "Morgenpost Onlinekonjunktur wird sich insgesamt abschwächen."

Morgenpost Onlineuntergangsstimmung, die in Bezug auf China und die Menschenrechte vor Olympia aufkommt, mag sie trotzdem nicht teilen.

Außerdem findet Google mindestens drei Fälle, in denen es um “Morgenpost Onlineranglisten” geht.

Nach der großen Aufräumaktion ist Morgenpost Online jetzt aber offenbar wieder in Ordnung.

PS: Dass man es bei Axel Springer offenbar für normal und journalistisch zulässig hält, die Quellen von Texten umzudeklarieren, solange beim Suchen und Ersetzen der entsprechenden Angaben keine Fehler passieren, ist natürlich noch einmal ein anderes Thema.

Mit großem Dank an Pascal K.!

Eine Meldung aus einer anderen Morgenpost

Die Springer-Zeitungen “Die Welt” und “Berliner Morgenpost” und ihre jeweiligen Online-Ableger werden von der gleichen Redaktion betreut. Bei Artikelübernahmen wird einfach, wo nötig, im Artikel die Nennung der “Welt” durch die der “Morgenpost” ersetzt.

Das passiert offenbar automatisch und kann durchaus interessante Folgen haben, wie der “Welt Online”-Artikel über einen texanischen Fischer, der mit seinem Freund Schiffbruch erlitten hatte, im “Morgenpost Online”-Remix beweist:

Den restlichen Tag und die halbe Nacht strampelten sie um ihr Leben und redeten über Gott und Morgenpost Online, um sich abzulenken. Als schließlich absehbar war, dass sein Freund nicht länger durchhalten würde, schwamm der ebenfalls stark geschwächte Henderson dann alleine weiter.

Mit Dank an Jörg L.

Nachtrag, 15.40 Uhr: Während “Morgenpost Online” den Fehler inzwischen korrigiert hat, weisen uns mehrere Leser darauf hin, dass der Vorspann des Artikels bei beiden Medien falsch ist: Dort heißt es, Ed Coen habe den Schiffbruch überlebt. Wie aus dem Artikel hervorgeht, ist Ed Coen derjenige der zwei Fischer, der ertrunken ist. Überlebt hat sein Freund und Kollege Ken Henderson.

Mit Dank an Falk Z., Sabine E. und Jonas M.

2. Nachtrag, 19.03 Uhr: Beide Medien haben den Fehler im Vorspann transparent korrigiert.

Mark Zuckerberg “privat” (2)

Stellen wir uns für einen Moment vor, junge Menschen würden durch irgendeinen Zufall in den Besitz von Privatfotos eines Mitschülers kommen und diese Bilder, die nicht für die Öffentlichkeit gedacht waren, für jeden sichtbar ins Internet stellen. Eltern wären empört, Lehrer schockiert und Journalisten würden auf die zunehmende Verrohung unter Jugendlichen verweisen und – nicht zu Unrecht – von “Cybermobbing” sprechen.

Wenn Journalisten durch irgendeinen Zufall in den Besitz von Privatfotos eines Prominenten kommen, erscheint es ihnen völlig naheliegend, diese Bilder, die nicht für die Öffentlichkeit gedacht waren, für jeden sichtbar ins Internet stellen oder in einer Zeitung abzudrucken.

Nun hat es Facebook-Gründer Mark Zuckerberg erwischt und der Zufall war eine Sicherheitslücke auf seiner eigenen Internetplattform. Vielleicht ist es Ironie, vielleicht hätte es aber auch jeder andere Prominente sein können — Fakt ist: Medien im In- und Ausland zeigen diese Bilder.

Dass Bild.de – wie gerade berichtet – die Bilder zeigt, hat uns ehrlich gesagt kaum überrascht. Immerhin nutzt “Bild” auch gerne schon mal geklaute Nacktfotos von Prominenten, um einen Artikel zu bebildern, der die Verurteilung der Fotodiebe zum Inhalt hat (BILDblog berichtete). Doch auch andere Medien bedienen sich bei Zuckerbergs Privatfotos — oder dem, was sie dafür halten.

“Spiegel Online” etwa zeigt stolz diese Trophäe:

Dass die Welt einen so nicht gewollten Einblick in das Privatleben des Vorstandsvorsitzenden von Facebook erhält, liegt an einem Programmierungsfehler bei dem Online-Netzwerk selbst. Demnach war es kurze Zeit möglich, mit einem Trick fremde Bilder runterzuladen.

Doch das Foto hatte Zuckerberg selbst im März auf dem Facebook-Profil seines Hundes Beast veröffentlicht. (Wobei es etliche Journalisten vermutlich auch für realistisch hielten, dass der Hund das Bild selbst hochgeladen hat.)

“RP Online” hat sich für diesen Aufmacher entschieden:

Private Fotos im Internet aufgetaucht: Facebook-Panne trifft Mark Zuckerberg

Auch dieses Foto steht seit März für jeden sichtbar auf Beasts Facebook-Profil.

Die “Berliner Morgenpost” hat einen dpa-Artikel zum Thema um diesen Absatz ergänzt:

Für Mark Zuckerberg war es da schon zu spät. Einige der 800 Millionen Facebook-Mitglieder nahmen sich Zuckerbergs Profil vor. Und veröffentlichten die Funde im Netz. Zu sehen ist: Zuckerberg mit Freundin Priscilla Chan in der Küche, Zuckerberg mit Hund, Zuckerberg mit Kindern an Halloween, beim Zubereiten von Sushi, beim Empfang mit US-Präsident Barack Obama – und mit einem anscheinend toten, noch ungerupften Huhn, das der Facebook-Chef kopfüber an den Beinen Richtung Kamera hält.

morgenpost.de hat etliche Links auf die Seite gesetzt, auf denen die “gefundenen” Zuckerberg-Fotos der Welt präsentiert wurde. Bei Hund, Halloween oder Obama hätten die Redakteure aber auch einfach auf Facebook verlinken können.

Die BBC zeigt nur neue Bilder, die tatsächlich aus privaten Alben von Mark Zuckerberg stammen — und sie hat dafür sogar um Erlaubnis gefragt:

Die BBC hat Facebook um Erlaubnis gebeten, bevor sie die Fotos von Herrn Zuckerberg veröffentlicht hat. Die Firma sagte, dass sie keine Urheberrechtsverletzungen verfolgen würde, da die Bilder jetzt gemeinfrei seien.

(Übersetzung von uns.)

Über den deutschen Onlinejournalismus lehrt diese Geschichte zwei Dinge, die beide auf ihre Weise beunruhigend sind: Erstens sind Journalisten bereit, für eine knallige Story auf alle Persönlichkeits- und Urheberrechte zu pfeifen. Und zweitens ist es offenbar naiv anzunehmen, dass Menschen, die im Internet über das Internet schreiben, das Internet auch irgendwie bedienen können.

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