Archiv für Bild

Gefährliche Suizid-Berichterstattung von “Bild” und Bild.de

Es ist eine wirklich positive Entwicklung: Wenn Redaktionen über Suizide berichten, dann binden sie inzwischen fast immer einen kleinen Kasten in ihre Artikel ein, in dem die Leserschaft die Internetadresse der “TelefonSeelsorge” (telefonseelsorge.de) sowie die kostenlosen Telefonnummern (0800 – 111 0 111 und 0800 – 111 0 222) der Organisation finden kann.

In der heutigen Düsseldorf-Ausgabe der “Bild”-Zeitung gibt es auch einen solchen Kasten. Er ist überschrieben mit “Selbstmordgedanken? Hier bekommen Sie Hilfe” und endet mit den Worten: “Unter der kostenlosen Hotline (…) erhalten Sie Hilfe von Beratern, die Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen können.” Wie gesagt: Das ist gut. Aber es ist fragwürdig, wie ernst die Redaktion es wirklich mit der Suizidprävention rund um ihre Berichterstattung meint.

Der Hinweis zur “TelefonSeelsorge” gehört zu einem Artikel über einen 17-Jährigen, der sich das Leben genommen hat:

Ausriss Bild-Zeitung - Todesdrama um 17-jährigen Busfahrer - B. fuhr Passagiere ohne Führerschein. Als er aufflog, nahm er sich das Leben
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)

Auch bei Bild.de erschien der Artikel, weit oben auf der Startseite:

Screenshot Bild.de - Als er aufflog, nahm er sich das Leben - Todesdrama um 17-jährigen Busfahrer B.

Der Junge hatte eine Ausbildung zum Busfahrer begonnen und ist — ohne den nötigen Busführerschein — reguläre Linienbusse mit Fahrgästen durch Wuppertal gefahren. Nach einigen Fahrten ist er aufgeflogen. Die “Wuppertaler Stadtwerke” sollen laut “Bild” daraufhin Schlüssel und Dienstausweis zurückgefordert und dem Jungen Hausverbot erteilt haben. Die “Bild”-Autorin schreibt dazu einen ausgesprochen bedenklichen Satz:

Bis ihn die Wuppertaler Stadtwerke (WSW) bei einer seiner illegalen Touren erwischten. Da sah B(.) keinen Ausweg — und nahm sich das Leben.

Es gibt verschiedene Leitfäden für Medien, wie sie — wenn sie denn unbedingt wollen — am besten über Suizide berichten sollten. Denn seit Jahrzehnten zeigt sich, dass eine intensive Berichterstattung über Suizide zu weiteren Suiziden durch Nachahmer führen kann (“Werther-Effekt”). Rücksichtslose Schlagzeilen und Artikel können Menschenleben kosten. Einer dieser Leitfäden stammt von der “Stiftung Deutsche Depressionshilfe” (PDF), ein anderer von der “Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention” (PDF). In beiden Leitfäden wird vor einem solchen Satz, wie ihn “Bild” und Bild.de heute veröffentlichen, gewarnt:

In der Berichterstattung sollte alles vermieden werden, was zur Identifikation mit den Suizidenten führen kann, zum Beispiel den Suizid als nachvollziehbare, konsequente oder unausweichliche Reaktion oder gar positiv oder billigend darzustellen beziehungsweise den Eindruck zu erwecken, etwas oder jemand habe “in den Suizid getrieben”. (“Für ihn gab es keinen Ausweg”)

… schreibt die “Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention”. Und die “Stiftung Deutsche Depressionshilfe” schreibt:

Nachahmung setzt Identifikation voraus. Diese Gefahr steigt, wenn der Suizid als nachvollziehbare Reaktion oder als einziger Ausweg bezeichnet wird

Der so wichtige Ausweg, den es so gut wie immer gibt und mit dem “Bild” die Hotline der “TelefonSeelsorge” bewirbt, fehlt im “Bild”-Beitrag komplett.

Und auch weitere Aspekte, die in den Medienleitfäden gennant werden, missachtet der Artikel:

  • Die “Bild”-Medien berichten groß und ausführlich und prominent platziert über den Fall (im Leitfaden steht: “Diese Gefahr steigt, wenn durch Titelgeschichten, Schlagzeilen und Fotos Aufmerksamkeit erregt wird”).
  • “Bild” (im Blatt) und Bild.de (auf der Startseite) zeigen ein unverpixeltes Foto des Jungen, vermutlich mit Erlaubnis der Eltern. Jedenfalls hat die “Bild”-Autorin mit den Eltern gesprochen, Zitate der Mutter kommen im Artikel vor, genauso ein Foto der Eltern (im Leitfaden steht: “In der Berichterstattung sollte vermieden werden, ein Foto der betreffenden Person (besonders auf der Titelseite) zu präsentieren”).
  • Die “Bild”-Autorin nennt die Suizidmethode, den (anonymen) Ort sowie weitere Details zum Suizid (im Leitfaden steht: “Diese Gefahr steigt, wenn die Suizid-Methode detailliert beschrieben wird”).

Ja, es hat sich einiges verbessert bei der Berichterstattung über Suizide, auch bei den “Bild”-Medien. Es bleibt aber vieles, was sich noch verbessern muss.

Jens R.

“Spiegel Online” schreibt von “Jens R.”:

Screenshot Spiegel Online - Amoktäter von Münster - Wie Jens R. sein Leben entglitt - Der Amokfahrer von Münster hatte wohl schon als Kind Suizidgedanken. Jens R. flüchtete sich später in Verschwörungsideen und zeigte nach SPIEGEL-Informationen seinen Vater an, als der ihm helfen wollte.

Welt.de schreibt von “Jens R.”:

Screenshot Welt.de - Folgenschwerer Sturz - Wie konnte Jens R. zum Mörder werden?

FAZ.net schreibt von “Jens R.”:

Screenshot FAZ.net - Amokfahrer von Münster - Das rätselhafte Leben des Jens R.

Stern.de schreibt von “Jens R.”:

Screenshot stern.de - Amokfahrt von Münster - Es liegt der Verdacht nahe, dass Jens R. eine paranoide Schizophrenie hatte

Tagesspiegel.de schreibt von “Jens R.”:

Screenshot Tagesspiegel.de - Täter von Münster - Hatte der Amokfahrer Jens R. Kontakte zu Rechtsextremisten?

“Zeit Online” schreibt von “Jens R.”:

Screenshot Zeit Online - Jens R. - Täter von Münster wollte Suizid begehen - Jens R. handelte laut neuen Erkenntnissen in Selbstmordabsicht. Die Ermittler dementierten Berichte, wonach er seine Tat kurz zuvor andeutete.

Süddeutsche.de schreibt von “Jens R.”:

Screenshot Süddeutsche.de - Anschlag in Münster - Jens R. gegen den Rest der Welt

Selbst “Focus Online” schreibt von “Jens R.”:

Screenshot Focus Online - Psychologe erklärt das Unfassbare - Jens R. machte Eltern Vorwürfe - Psychologe zweifelt an Kindheitstrauma als Amok-Auslöser

So gut wie jede Redaktion in Deutschland schreibt von “Jens R.”, wenn sie über den Mann berichtet, der bei seiner Amokfahrt am Samstagnachmittag in Münster zwei Menschen tötete und viele weitere verletzte — mit einer Ausnahme: “Bild” und Bild.de. Nur die “Bild”-Medien nennen den kompletten Namen des Attentäters, ohne Rücksicht etwa auf dessen Familie:

Ausriss Bild-Zeitung - Das Protokoll der Amok-Fahrt von Münster - Um 15.27 Uhr fuhr Jens Nachname Volleyball-Star Chiara ins Koma
Screenshot Bild.de - Amokfahrer von Münster schrieb Jammer-Brief im Tatfahrzeug - Psychotherapeut analysiert 92 Seiten Abschiedsbrief von Jens Nachname
(Alle Unkenntlichmachungen von uns.)

Dazu auch:

Mit Dank an @FrauBeng, @bluejacket12346 und @jujohol für die Hinweise!

BILD wird BreitBILD

Ein Gastbeitrag von Alf Frommer

Mal Hand aufs Herz: Hätte man sich jemals vorstellen können, dass man sich Kai Diekmann als BILD-Chefredakteur zurückwünscht? Der Kai Diekmann, der meinte, er könnte einen Politiker wie Karl-Theodor zu Guttenberg zum Kanzler hochschreiben, und der selbst zahllose BILD-Kampagnen gegen Minderheiten fuhr. Doch bei Diekmann hatte man noch das Gefühl, der macht dies als professioneller und abgewichster Boulevard-Journalist. Der schreibt heute “Hü” und morgen “Hott”, weil er wusste, dass sich schweigende Mehrheiten durchaus mal ändern, und das gesunde Volksempfinden eine launische Diva sein kann. Ihm war das Produkt im Zweifel näher als seine persönliche Meinung.

Dies hat sich unter Julian Reichelt komplett geändert. Der jetzige BILD-Chef ist erst ein Überzeugungstäter und dann ein Boulevard-Journalist. Wahrscheinlich ist Julian Reichelt der gefährlichste Medienmacher, den die wiedervereinigte Bundesrepublik je erleben durfte. Denn er macht aus BILD ein Weltuntergangs-Angebot im Stile der neurechten Medien wie “Breitbart”, “Tichys Einblick” oder “Compact”. Nur eben mit der Reichweite und dem Einfluss von BILD. In den neurechten Medien wird spätestens seit der “Flüchtlingswelle” 2015 der Untergang unseres schönen Deutschlands beschworen — mehr noch: fast herbeigesehnt. Da ging es früher um “Massenvergewaltigungen” (natürlich vornehmlich durch Ausländer) und heute um “massenhafte Messerangriffe” (natürlich auch vornehmlich durch Ausländer). Unter einer Epidemie machen es die Untergangspropheten nämlich nicht mehr. Sonst wäre es ja kein gesellschaftliches Problem.

Was früher ausschließlich in den Echokammern der Neurechten für Aufregung sorgte, findet heute Gehör bei einem der mächtigsten Medienmenschen des Landes. Dessen Filterblase ist so durchlässig, dass dort bekannte Hetz-Accounts als Teil einer ernsthaften Investigativ-Recherche wahrgenommen werden. Mehr noch: Julian Reichelt retweetet oder zitiert diese Accounts, die unter anderem die “Tagesschau” als “staatliche Lügenfabrik” bezeichnen. Sind das wirklich nur Mausrutscher oder hat das nicht vielmehr System? BILD reiht sich nun ein und beschwört das Bild eines Deutschlands herauf, welches islamisiert wird, überall Messerangriffe von Flüchtlingen, an jeder Ecke importierter arabischer Antisemitismus. Im Grunde unterscheidet BILD bei dieser Endzeit-Berichterstattung nichts mehr von “Breitbart” und Co. Die Redaktion macht nun ein Blatt für die 13 Prozent der Gesellschaft, die AfD gewählt haben.

Eine der verbleibenden positiven Aspekte bei BILD ist das klare Bekenntnis gegen Antisemitismus in jeder Form. Nun jedoch wird der Kampf genau dagegen missbraucht, um den Religionshass gegen Muslime zu schüren. Da wird der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben. Natürlich ist der Kampf gegen Antisemitismus zu begrüßen. Aber selbst da darf nicht jedes Mittel recht sein. Vor allem, wenn man dafür eine andere Religion als per se rückständig, frauenfeindlich, antidemokratisch, gefährlich hinstellt (übrigens auch befeuert von der Seehofer-CSU). Diese Entwicklung ist mehr als bedenklich — insbesondere, weil Julian Reichelt immer vollkommen überrascht ist, wenn man ihm oder seiner Zeitung Nähe zur AfD unterstellt. Tja, manchmal sieht man den Blätterwald vor lauter braunen Bäumen nicht mehr. Das kann selbst einem Julian Reichelt passieren.

Bild  

Julian Reichelt und der rechte Hetz-Account (diesmal aber ein anderer)

Eigentlich wollten wir es erstmal gut sein lassen — jetzt müssen wir aber doch noch mal über Julian Reichelt und sein Verhalten bei Twitter sprechen. Am Donnerstag hat der “Bild”-Chef einen Tweet verbreitet von einem Account namens “Onkel Jakob”:

Screenshot eines Tweets von Julian Reichelt, der den Account Onkel Jakob retweetet hat und dazu schreibt - Ist das zutreffend dass das wieder gelöscht wurde, lieber Tagesschau-Fakrenfinder Patrick Gensing - der Tweet von Onkel Jakob lautet - Linksextremist Patrick Gensing und die staatliche Lügenfabrik Tagesschau wollten uns erzählen, dass es keine Messerepidemie gibt, haben ihren peinlichen Tweet dann aber doch lieber wieder eingestampft

Nur kurz zum Hintergrund: Vergangene Woche verkündete die “Bild”-Zeitung auf ihrer Titelseite eine “Messer-Angst in Deutschland”. Die AfD hatte bereits eine Tage zuvor behauptet, dass eine “Messerepidemie” grassiere. Die ARD-“Faktenfinder” Patrick Gensing und Gabor Halasz haben sich die amtlichen Zahlen mal genauer angeguckt und geschrieben, dass es ihrer Ansicht nach keine “Messerepidemie” in Deutschland gebe:

Die AfD warnt vor einer “Messer-Epidemie”. Die “Bild” berichtet von einer Zunahme solcher Delikte von bis zu 300 Prozent. Doch vorliegende Zahlen zeigen ein differenziertes Bild.

Die “Faktenfinder” mussten ihren Text an einer Stelle korrigieren. Es wurden deswegen einzelne Tweets gelöscht. Alles etwas durcheinander. Dazu gab es mehrere Diskussionen bei Twitter, unter anderem zwischen Julian Reichelt und Gabor Halasz.

Und es gab eben diesen Tweet von “Onkel Jakob”, den Reichelt offenbar so interessant fand, dass er ihn — mit einer Nachfrage an Patrick Gensing versehen — an seine knapp 56.000 Follower verbreitete.

Wir hatten Anfang des Monats hier im BILDblog ja davon berichtet, dass Julian Reichelt einen Tweet des rechten Hetz-Accounts “Dora zwitschert” verbreitet hat. Während man nur anhand des Tweets, um den es damals ging, nicht direkt erkennen konnte, in welch bräunlichen Gewässern der Absender fischt und wie grässlich es sonst auf dem Kanal zugeht, sieht es im aktuellen Fall ganz anders aus: “Onkel Jakob” (vielleicht nur zufällig ein Anagramm des längst gesperrten Hetz-Accounts “Kolja Bonke”) bezeichnet Patrick Gensing als “Linksextremisten” und die “Tagesschau” als “staatliche Lügenfabrik”. Das ist schon bemerkenswert: Der Chefredakteur von Deutschlands größter Tageszeitung verbreitet auf Twitter das unsägliche “Lügenpresse”-Geschrei, das man sonst von “Pegida”-Märschen kennt.

Doch es passt zur großen Widersprüchlichkeit von Julian Reichelt: Ständig regt er sich auf, wenn ihm und seiner Redaktion eine “Lüge” vorgeworfen wird (und das oft zu Recht — denn zur Lüge gehört die Absicht zu lügen; bei “Bild” und Bild.de entsteht ein Großteil der Fehler allerdings aus reiner Schlampig- und Unfähigkeit). Bezeichnet aber ein sehr rechter Twitter-Account einfach mal die gesamte “Tagesschau” als “staatliche Lügenfabrik”, hat Julian Reichelt damit offensichtlich kein Problem. Er widerspricht nicht. Er ordnet nicht ein. Er verbreitet es einfach weiter.

Was wäre wohl los, wenn Patrick Gensing den Tweet eines anonymen linken Hetz-Accounts verbreiten würde, in dem Reichelt als “Rechtsextremist” bezeichnet wird und “Bild” als “Lügenfabrik”?

Dass der “Bild”-Chef erst einen Tweet von “Dora zwitschert” retweetet und nur wenige Tage später einen von “Onkel Jakob” zeigt auch auf erschreckende Weise, in welcher Szene er sich (zumindest digital) zu bewegen scheint: in einer, in der Verleumdung und Fremdenhass und Hetze ganz normal ist. In der ohne Ende gezündelt wird. In der üble Kampagnen gegen Einzelpersonen gestartet werden. Und noch mal: Julian Reichelt verantwortet die Inhalte der größten Zeitung Deutschlands.

Der Account “Onkel Jakob” wurde von Twitter inzwischen übrigens komplett gesperrt.

Bild  

Die Frau von

Was muss eine Ehefrau eines mehr oder weniger prominenten Mannes im Leben erreicht haben, damit die “Bild”-Redaktion sie als eigenständiges Wesen anerkennt und sie nicht als “die Frau von XY” präsentiert?

Wie wäre es mit: ein abgeschlossenes Medizinstudium, angesehene Oberärztin, Professorin, Leiterin der Frauenklinik an einem Universitätsklinikum, Bundesverdienstkreuz am Bande, Mitglied der “Leopoldina” und nun Ministerin in einem Bundesland? Das müsste doch reichen.

Marion Kiechle ist seit gestern bayerische Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst. Sie ist die einzige Person im Kabinett des neuen bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder ohne eine CSU-Mitgliedschaft. Sie war bis vor Kurzem Direktorin der Frauenklinik des “Klinikums rechts der Isar” der TU München. Sie hat das Bundesverdienstkreuz verliehen bekommen. Sie ist Mitglied der “Leopoldina”. Und sie ist verheiratet mit dem TV-Moderator Marcel Reif.

So präsentiert “Bild” Marion Kiechle heute:

Foto eines Bild-Zeitungskasten mit der Titelzeile Marcel Reif - Seine Frau ist jetzt Ministerin in Bayern

Mit Dank an Julian Geist für das Foto!

“Frivole Sex-Spiele an der Schule”: Wie “Bild” sich am Missbrauch durch Lehrerinnen aufgeilt

Wenn sich ein Lehrer an einer minderjährigen Schülerin vergeht, finden die Leute von “Bild” das bestialisch, widerwärtig, unverzeihlich.

Wenn sich eine Lehrerin an einem minderjährigen Schüler vergeht, finden sie das — megaheiß.

Ein Hammer-Body. Tolle Augen. Ein Bikini, der alle Blicke auf sich zieht! Welcher Schüler würde beim Anblick einer solchen Lehrerin nicht auf verbotene Gedanken kommen?

schrieben sie etwa 2014, als eine Lehrerin in den USA wegen 30-fachen Missbrauchs eines Schülers vor Gericht stand. Als im vergangenen Jahr eine andere Lehrerin in einem ähnlichen Fall angeklagt wurde, geierten sie:

Diese Kurvendiskussionen waren im Lehrplan sicher nicht vorgesehen: Mathelehrerin Erin [M.] (25) verführte gleich drei ihrer Schüler zum Sex.

Genüsslich breitet die Redaktion dann die „pikanten Details“ aus (“‘Sie taten es irgendwann sogar mit Sex-Spielzeug, Lutschern und trugen Halsbänder’“) und beschreibt detailliert, wo und wie sie es “miteinander trieben”, sie zitiert aus den “heißen SMS”, zeigt Fotos der (gerne mit Attributen wie „schön“ oder „attraktiv“ versehenen) Lehrerinnen und nennt die Taten statt „Missbrauch“ viel lieber:

FRIVOLE SEX-SPIELE AN DER SCHULE | Er war erst 16! - Sex-Lehrerinnen haben flotten Dreier mit Schüler - Ein 16-jähriger Football-Star an der Schule - das törnte die Lehrerinnen wohl gehörig an: Nach dem Spiel kam's zum flotten Dreier! | Affäre mit Schülerin (15) - Sex-Lehrerin (26) muss in den Knast - Weil Lehrerin Emily Fox (26) ein Verhältnis mit ihrer Schülerin (15) hatte, schickte ein Richter sie jetzt für 15 Monate in den Knast.

„Frivole Sex-Spiele an der Schule“. “Flotter Dreier im Klassenzimmer”. “Die Schule als Sündenpfuhl”. So wird aus einem sexuellen Übergriff — schwupps! — ein erotisches Abenteuer zum Mitsabbern.

Diese Pornoisierung — und damit einhergehende Verharmlosung und sogar Aufwertung der Taten — zeigt sich schon an der Wahl der Begriffe. Während zum Beispiel männliche Täter, die ihre Schülerinnen oder Schüler missbrauchen, meist als “Kinderschänder” bezeichnet werden (mehr zu diesem Begriff hier), nennt “Bild” die übergriffigen Frauen immer nur “Sex-Lehrerinnen”. Sie “vergewaltigen” auch nicht, sie “verführen”.

Sex-Lehrerinnen verführen Schüler (13)

Sex-Lehrerin verführte Schüler

Sex-Lehrerin verführt drei Schüler - Anklage!

Schüler (15) von Sex-Lehrerin verführt

Sex-Lehrerin (27) verführt Schüler (16)

Lehrerin (45) verführte 17-jährigen Schüler

Sex-Lehrerin (31) verführte Schülerin (17)

Lehrerin verführt Schüler (16)

Religions-Lehrerin (39) verführte 15-jährigen Schüler

Sex-Lehrerin (25) verführt Schüler (17)

Spanisch-Lehrerin verführt katholischen Schüler (15)

Sie verführte geistig behinderten Schüler

Sex-Lehrerin verführt Opfer mit Autos und Waffen

Sex-Lehrerinnen verführten Schüler am Strand

Und bei “Bild” geht ihnen dermaßen einer ab bei solchen Geschichten, dass sie keine einzige davon auslassen.

Folgend eine Collage mit elf Sex-Lehrerin-Schlagzeilen

Keine einzige.

Folgend eine Collage mit elf weiteren Sex-Lehrerin-Schlagzeilen

Keine. Einzige.

Folgend eine Collage mit 71 weiteren Sex-Lehrerin-Schlagzeilen

In den USA (aus denen die meisten dieser Fälle stammen) wird übrigens ein Großteil der sexuellen Übergriffe von Männern begangen — auch an Schulen. Von diesen Fällen liest man bei “Bild” so gut wie nie.

Mit Dank an Moritz D., Christian M., Rudy, Sven, brian und roy für die Hinweise!

Siehe auch:

“Bild” lässt Siebenjährigen auf Lehrerin einstechen

Ein 18-Jähriger ersticht aus Eifersucht seine Freundin (17). Ein Siebenjähriger rammt seiner Lehrerin ein Messer in den Bauch. Ein 15-Jähriger ersticht seine Mitschülerin (14). Ein 14-Jähriger sticht auf einem Spielplatz einen Mann ab, sagt danach: “Mir egal, hat er verdient.”

Mit dieser Sammlung beginnt die “Bild”-Redaktion ihren heutigen “Report” zur “Messer-Angst in Deutschland”:

Ausriss Bild-Titelseite - Bis zu 300 Prozent mehr Angriffe - Messer-Angst in Deutschland - Polizei schlägt Alarm - der Report

Der Fall des Siebenjährigen, der vor knapp zwei Wochen seine Lehrerin mit einem Messer verletzt haben soll, steht wie selbstverständlich zwischen all den anderen Fällen, die laut “Bild” und Bild.de in ihrer Häufung “ein mulmiges Gefühl” hinterlassen. Die “Bild”-Medien stellen den Grundschüler in eine Reihe mit Jugendlichen, die grausame Verbrechen begangen haben oder begangen haben sollen, andere Menschen umgebracht haben oder umgebracht haben sollen. Schaut man sich allerdings die bisher bekannten Fakten zu dem Vorfall im baden-württembergischen Teningen an und liest sich Aussagen des Opfers durch, wirkt es alles weit weniger brutal, als es “Bild” in den vergangenen Tagen dargestellt hat.

Doch der Reihe nach.

Am 6. März schickte eine Grundschullehrerin einen Zweitklässler aus dem Klassenzimmer, damit dieser an einem Tisch auf dem Flur nicht erledigte Hausaufgaben nachholt. Der Junge soll schon seit seiner Einschulung auffällig sein, den Unterricht stören, gegenüber Mitschülern gewalttätig sein, häufig Probleme machen. Als die Lehrerin nach dem Jungen schaut, hat dieser ein Messer in der Hand, vermutlich hat er es in der Bastelecke der Schule gefunden. Der “Badischen Zeitung” sagt die Lehrerin (Artikel nur mit Abo lesbar), sie habe den Jungen aufgefordert, ihr das Messer zu geben. Das habe dieser nicht getan. Sie habe dann nach der Hand des Schülers gegriffen, um ihm das Messer abzunehmen. Es kam dann wohl zu einer Rangelei:

“Dann hat er zu sich gezogen und ich zu mir — da muss es dann passiert sein”, sagt die Frau. Wie genau — da sei sie aber unsicher. Sicher sei sie jedoch, dass der Junge das Messer in der Bastelecke gefunden und nicht mitgebracht habe. “Ich bin sicher, dass er es nicht geplant hat.”

Die Schilderungen der Lehrerin klingen nach einem sehr unglücklichen Ablauf mit schlimmen Folgen für sie selbst: Die etwa ein Zentimeter tiefe Stichwunde im Bauchbereich musste unter Vollnarkose operiert werden, die Frau ist bis heute krankgeschrieben, sie leide noch immer unter Panikattacken. Ihre Beschreibung des Vorfalls klingt nicht so, als wäre der Siebenjährige ein skrupelloser Gewalttäter, der geplant mit Waffen auf andere Menschen losgeht.

Genau dazu macht ihn aber ein Artikel, den “Bild” und Bild.de (nur mit “Bild plus” lesbar) bereits am Samstag veröffentlicht haben:

Screenshot Bild.de - Siebenjähriger sticht auf seine Lehrerin ein - Sabine T. und ihre Kollegen hatten die Behörden immer wieder vor dem Zweitklässler gewarnt

Die “Bild”-Medien schreiben:

Alle wussten, welche Gefahr von dem aggressiven Jungen (7) ausgeht. Doch es passierte — nichts. Jetzt griff der Zweitklässler zum Messer — und stach es einer Lehrerin in den Bauch!

Und:

Als sie ihm das Messer wegnehmen wollte, stach er zu!

Diese Darstellung passt nicht zum Ermittlungsstand der Polizei. Demnach ist der Junge kein Messerstecher im Sinne von: Messer greifen und aktiv zustechen. Es habe sich nicht um einen “gezielten Angriff” gehandelt, steht in der Polizeimeldung: “Es gibt derzeit keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Siebenjährige seine Lehrerin bewusst verletzen wollte.”

Die Darstellung der “Bild”-Medien passt auch nicht mit der Aussage des Opfers in der “Badischen Zeitung” zusammen — das Gerangel kommt im “Bild”-Text gar nicht erst vor. Dabei sprach die Redaktion sogar mit der Lehrerin (“Doch jetzt meldet sich die verletzte Lehrerin in BILD zu Wort.”). Sie sagt in dem Artikel unter anderem: “‘Ich leide noch heute unter dem Angriff und finde es schlimm, dass das so verharmlost wird.'” Sie meint damit wohl auch eine Aussage der zuständigen Polizeistelle, die anfangs lediglich von “oberflächlichen Schnittverletzungen” sprach.

Den “Bild”-Artikel von Samstag griffen einige weitere Redaktionen auf. Bei “Spiegel Online” wird der Junge zum “Messerstecher”:

Screenshot Spiegel Online - Attacke auf Lehrerin - Siebenjähriger Messerstecher war schon mehrfach gewalttätig

Bei RTL.de sticht er “auf (die) Lehrerin ein”:

Screenshot RTL.de - Teningen: Siebenjähriger sticht auf Lehrerin ein - dabei hatte die Grundschule die Behörden vor ihm gewarnt

Bei Heute.at sticht er die “Lehrerin nieder”:

Screenshot Heute.at - Bub sticht Lehrerin nieder - Polizei verheimlicht Tat

Und laut “Bild”-Ausgabe von heute hat er seiner Lehrerin also “ein Messer in den Bauch” gerammt.

Bei dem Siebenjährigen handelt es sich offenbar um ein Kind, das größere Probleme mit Aggression hat und besondere Hilfe braucht. Es scheint sich aber nicht um einen kaltblütigen siebenjährigen Schwerverbrecher zu handeln, den man in der Titelgeschichte von Deutschlands größter Tageszeitung in einem Atemzug mit vermutlichen Mördern oder Totschlägern nennen sollte. Heinz-Rudolf Hagenacker, Bürgermeister von Teningen, warnt vor einer “medialen Vorverurteilung” des Jungen. Ein Bürgermeister muss Redaktionen bitten, dass sie sich nicht auf einen Siebenjährigen — wohlgemerkt: Siebenjährigen (!) — stürzen.

Leider scheinen solche Hinweise nötig zu sein: Ein BILDblog-Leser, dessen Kinder nach eigener Aussage auf die Grundschule in Teningen gehen, schrieb uns, dass die Schule heute von Kamerateams und Pressemitarbeitern belagert wurde. Angeblich mussten Polizisten kommen, und Eltern ihre Kinder abholen.

Mit Dank an UK für den Hinweis!

Resozialisierung? Nicht mit “Bild”!

Zwischen Donnerstag und Samstag vergangener Woche muss irgendetwas passiert sein, das nur die “Bild”-Medien mitbekommen haben. Jedenfalls schien der am Donnerstag für “Bild” und Bild.de offenbar noch geltende Anspruch von Dieter Degowski auf Resozialisierung am Samstag aus Sicht von “Bild” und Bild.de nicht mehr zu gelten.

Degowski, einer der zwei Täter bei der Geiselnahme von Gladbeck im August 1988, ist seit dem 15. Februar dieses Jahres wieder auf freiem Fuß. Er hat seine lebenslange Freiheitsstrafe abgesessen, im Gefängnis eine Therapie absolviert, eine Ausbildung gemacht, der Rechtsausschuss im Landtag von Nordrhein-Westfalen urteilte, dass von Degwoski keine Gefahr mehr ausgehe. Dass seine Entlassung für die Angehörigen der zwei bei der Geiselnahme getöteten Menschen wahnsinnig schmerzhaft sein kann, steht außer Frage.

Nach der Ausstrahlung von Teil 1 des erfolgreichen Gladbeck-Zweiteilers im “Ersten” titelte “Bild” am Donnerstag:

Ausriss Bild-Titelseite - Millionen sahen den ARD-Film - Das Leben der Gladbeck-Gangster heute

Im Blatt zeigte die Redaktion ein aktuelles Foto von Dieter Degowski, das Gesicht hatte sie verpixelt.

Zwei Tage später schreibt Rainer Fromm, ein Fotograf, der für “Bild” bei dem Geiseldrama dabei war und zur Medienmeute gehörte:

Ausriss Bild-Zeitung - Es ist eine Schande, dass Degowski frei rumläuft

Dass Fromm schreibt, Degowski sehe “noch genauso dümmlich aus wie damals” — geschenkt. Und es ist auch völlig legitim, es schwer auszuhalten und falsch zu finden, dass der einstige Geiselnehmer wieder in Freiheit leben darf, während der von ihm erschossene Emanuele De Giorgi nicht älter als 15 Jahre werden konnte. Wirklich problematisch ist, dass die “Bild”-Medien ein neues Foto von Degowski zeigen, ohne dabei sein Gesicht unkenntlich zu machen:

Ausriss Bild-Zeitung - Übersicht der ganzen Seite mit dem Degowski-Foto
Screenshot Bild.de - Foto von Dieter Degowski
(Unkenntlichmachungen — auch beim Foto des blutverschmierten Emanuele De Giorgi, das “Bild” ohne Rücksicht auf Angehörige zeigt — durch uns.)

Damit könnte die Redaktion die Resozialisierung Degowskis enorm erschweren. Es ist im Interesse der Gesellschaft, dass dessen Wiedereingliederung, die jedem Ex-Häftling zusteht und die nicht von den “Bild”-Mitarbeitern nach Gutdünken mal zugelassen werden kann und mal nicht, klappt — schließlich erhöht sie die Chance, dass er nicht rückfällig wird. Für diesen Zweck hat Degowski auch die Erlaubnis bekommen, seinen Namen zu ändern. Am Donnerstag schrieb “Bild” zur Namensänderung:

Den neuen Namen bekam Degowski auch, weil befürchtet wird, dass die Mafia den Mord an dem italienischen Jungen Emanuele de Giorgi rächen könnte.

Sollte das stimmen, kennt die Mafia jetzt vielleicht noch nicht den Aufenthaltsort von Dieter Degowski und auch nicht den neuen Namen. Aber dank “Bild” und Bild.de hat sie immerhin ein aktuelles Foto.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

“Bild” will “‘Bild’-Girl” anziehen. Den “Bild”-Sexismus beendet das nicht

Es gibt heute eine ganz gute Nachricht im Zusammenhang mit der “Bild”-Zeitung. Und sie kommt auch noch von der “Bild”-Redaktion selbst:

Ausriss Bild-Zeitung - Das ist neu bei den Bild-Girls - Männer, ihr müsst jetzt ganz stark sein!

Liebe BILD-Leserinnen und -Leser,

mit der BILD-Ausgabe vom 12.03.2018 endet eine Ära, die über Jahrzehnte Boulevardzeitungen (nicht nur BILD) geprägt hat: Wir verabschieden uns von dem, was ganz früher mal “Mieze” hieß (heute undenkbar) und seit zehn Jahren BILD-Girl.

Wir werden keine eigenen Oben-ohne-Produktionen von Frauen mehr zeigen.

Man habe “zunehmend” das Gefühl, “dass viele Frauen diese Bilder als kränkend oder herabwürdigend empfinden, sowohl bei uns in der Redaktion, aber auch unter unseren Leserinnen”:

Aber natürlich dienen diese Fotos einem Hauptzweck. Sie sollen unterhalten, und zwar meistens Männer. Wir bei BILD glauben nicht, dass die Unterhaltung von Männern die Kränkung von Frauen in Kauf nehmen sollte (und natürlich auch nicht umgekehrt).

Ein wichtiges Wort fehlt in diesem Absatz natürlich: mehr. Die bei “Bild” glauben nicht mehr, “dass die Unterhaltung von Männern die Kränkung von Frauen in Kauf nehmen sollte”. Die ganzen letzten Jahre und Jahrzehnte war das offensichtlich kein Problem. Die ganzen letzten Jahre und Jahrzehnte hat “Bild” Frauen gekränkt, um Männer zu unterhalten.

Das “‘Bild’-Girl” wird es weiterhin geben, nun eben in Dessous oder sonst wie angezogen. Und es werden auch ganz sicher in Zukunft Oben-ohne-Fotos in “Bild” zu sehen sein. Die Redaktion hat sich gleich zwei Hinterscheunentore offen gehalten: Die Aussage, dass man “keine eigenen Oben-ohne-Produktionen” mehr zeigen wolle, lässt selbstverständlich die Möglichkeit zu, “Oben-ohne-Produktionen” von irgendjemandem sonst einzukaufen und zu drucken. Außerdem nennt “Bild” auch eine ganz konkrete Ausnahme:

Es gibt aber auch die Nackt-Fotos, über die das Land spricht. Kati Witt im “Playboy” war so ein Beispiel. Diese Bilder gehören auch weiter in BILD.

Es wird auf jeden Fall interessant zu beobachten, ob die “Bild”-Mitarbeiter sich auch in Zukunft wie wild auf jeden “Busen-Blitzer” von Schauspielerinnen beim Aussteigen aus dem Taxi stürzen oder Fotos verwenden werden, bei denen Paparazzi Frauen im Bikini ungeniert in den Intimbereich fotografiert haben.

Und was bringt das Anziehen der “‘Bild’-Girls” überhaupt? Der “Bild”-Sexismus steckt nicht im Offensichtlichen. Das häufige Reduzieren von Frauen auf ihr Äußeres ist unter anderem das Schlimme. Hope Hicks war “die schöne Sprecherin” von Donald Trump. Nicht die begabte oder unbegabte, die geschickte oder ungeschickte. Leonie Frank ist die “schöne Anwältin”. Nicht die fähige oder unfähige, die trickreiche oder plumpe. Ihre männlichen Kollegen können noch so schön oder hässlich sein — sie werden von “Bild” nach ihrer Leistung und ihrem Können bewertet und nicht nach ihrem Aussehen.

Vor der Fußball-Europameisterschaft der Frauen zeigte Bild.de “die schönsten Seiten der Frauen-EM”:

Ausriss von Bild.de - Fußballerinnen privat bei Instagram - Das sind die schönsten Seiten der Frauen-EM

Die Fähigkeiten der Fußballerinnen? Völlig egal. Hauptsache: schöne Frauen.

So gilt schon immer bei “Bild”: Männer die Macher, Frauen die Objekte. Er der “Rap-Star”, sie die “Schönheit”:

Screenshot Bild.de - Lisa Volz und Casper - Rap-Star heiratet heimlich GNTM-Schönheit

Er “Sänger”, sie “Single”:

Single Garrn und Sänger Bourani beim Basketball - Das sagt Toni zum Tuschel-Foto

Besonders furchtbar: Dieses Reduzieren auf Körper und Aussehen macht die Redaktion auch schon bei minderjährigen Mädchen.

Die Initiative “StopBildSexism” hat vor einer Weile nachgeschaut, wie oft Männer und Frauen in den verschiedenen “Bild”-Themenbereichen vorkommen. Das traurige, aber wenig überraschende Ergebnis: Auf der Titelseite, in Politik und Wirtschaft sowie im Sport kommen Frauen deutlich seltener vor als Männer, im Bereich Unterhaltung ist es einigermaßen ausgeglichen, nur bei den nackt abgebildeten Personen sind Frauen in der Überzahl.

Nun gibt es bei den “Bild”-Medien ja einige Frauen in bedeutenden Positionen: Marion Horn ist Chefredakteurin bei “Bild am Sonntag”, Tanit Koch war bis vor Kurzem “Bild”-Chefredakteurin, Karina Mößbauer und Miriam Hollstein dürfen für “Bild” und “BamS” regelmäßig prominente Politiker interviewen. Wir hoffen, dass sie alle in diese Positionen gekommen sind, weil sie etwas (für den Boulevardbetrieb) Besonderes können und nicht weil sie als “die schöne Marion” oder “die schöne Tanit” oder “die schöne Karina” oder “die schöne Miriam” galten.

“Bild-Manifest” bringt Falsches und Verdrehtes aus der “Diesel-Hölle”

Die “Bild”-Redaktion hat heute ein “Manifest” veröffentlich, “DAS BILD-MANIFEST” zum deutschen Diesel:

Ausriss Bild-Zeitung - Das Bild-Manifest - Deutschland sollte stolz auf den Diesel sein

Deutschland geht durch die Diesel-Hölle — drohende Fahrverbote, Stinke-Image und Verkaufszahlen im Keller.

Dabei ist das alles Blödsinn, der Diesel noch lange nicht tot. Und dafür gibt es gute Gründe. Hier 10 Wahrheiten, die sich viele Politiker nicht zu sagen trauen (oder vielleicht einfach mal nachlesen sollten). Unser Diesel-Manifest.

Beim Begriff “Manifest” kann man ja so etwas wie eine Grundsatzerklärung erwarten, und das passt in diesem Fall ganz gut, denn das “BILD-MANIFEST” ist voller Fehler und Verdrehungen und Verkürzungen — eben genau so, wie “Bild” ständig arbeitet.

Es ist wirklich einiges schiefgelaufen beim Text von Tom Drechsler, Chefredakteur Auto der “Bild”-Gruppe, und Stefan Voswinkel, stellvertretender Chefredakteur Auto der “Bild”-Gruppe. Deshalb: der Reihe nach. Fangen wir mit der Bildunterschrift an. Dort steht:

Knapp die Hälfte aller Autos in Deutschland wird von einem Diesel-Motor angetrieben

Schon das ist falsch. Laut Kraftfahrt-Bundesamt gab es 2017 insgesamt 45.803.560 Pkw in Deutschland. 15.089.392 davon waren Diesel, also etwa ein Drittel. Es gab ungefähr halb so viele Diesel wie Benziner (29.978.635). Dass “knapp die Hälfte aller Autos in Deutschland” von einem Diesel-Motor angetrieben werde, stimmt aber schlicht nicht.

Das ist schon beeindruckend: Der Chefredakteur Auto und sein Stellvertreter bekommen es nicht mal hin, für ihr “Diesel-Manifest” unfallfrei aus einer Tabelle den Anteil an Diesel-Autos in Deutschland abzulesen. Sie schaffen es nicht, Grundsätzliches zum Diesel richtig darzustellen, wollen aber in einem “Manifest” dem Land erklären, warum es sich bei Diesel-Kritik um “Blödsinn” handelt.

Weiter zu “Wahrheit” Nummer 1:

Ausriss Bild-Zeitung - Der Diesel ist der effizienteste und sauberste Motor für Pkw

Wir führen die Diesel-Diskussion zu einer Zeit, wo das Stickoxid-Problem technisch gelöst ist. Sagt sogar die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Der Verband hat gerade getestet (7 der 10 saubersten Diesel kommen aus dem VW-Konzern) und einen Mercedes E220 d besonders gelobt. Der unterschreitet die neusten Grenzwerte um den Faktor 0,6, NOx (Stickoxide) auf der Straße mit 44 g/km.

Natürlich meinen Drechsler und Voswinkel nicht “44 g/km”, sondern 44 mg/km. Aber davon mal abgesehen: “7 der 10 saubersten Diesel kommen aus dem VW-Konzern”, dazu noch ein Mercedes, der von der “Deutschen Umwelthilfe” (“DUH”) gelobt werden soll — das klingt ja ganz schön sauber. Schaut man sich die Ergebnisse (PDF) der zitierten “DUH”-Messung allerdings mal an, erkennt man, dass nur sechs von 66 der getesteten Euro-6-Diesel den NOx-Grenzwert (80 mg NOx/km) einhalten (plus ein VW Transporter, der den Grenzwert für Diesel-Nutzfahrzeuge einhält). Ein getesteter Audi A8 “aus dem VW-Konzern” überschreitet den Grenzwert um dem Faktor 17,8. Bei den getesteten Euro-5-Dieseln sind es zwei von fünf Fahrzeugen, die unter dem Grenzwert (180 mg NOx/km) liegen, allerdings beide mit Hardwarenachrüstung.

Die “DUH” hat im selben Test auch Euro-6-Benzin- und Benzin-Hybrid-Pkw gemessen. Dort haben vier von fünf Fahrzeugen den für sie jeweils anzuwendenden Grenzwert eingehalten.

Eine weitere “Bild”-“Wahrheit”:

Ausriss Bild-Zeitung - Die Stickoxid-Grenzwerte liegen in Fabriken und in Büros höher als auf der Straße

40 Mikrogramm pro Kubikmeter soll der Jahresmittelwert in der Außenluft nicht übersteigen. In Büros liegt er bei 60 Mikrogramm, in industriellen Arbeitsplätzen und im Handwerk bei 950 Mikrogramm. Die Luft auf den Straßen soll sauberer sein, als am Arbeitsplatz? Was für ein Irrsinn!

Ja, “Irrsin”, wie man Dinge aus dem Zusammenhang reißen kann. Die von Drechsler und Voswinkel erwähnten 60 Mikrogramm pro Kubikmeter in Büros stammen laut Umweltbundesamt aus den 1990er-Jahren. Während die 40 Mikrogramm pro Kubikmeter für Außenluft eben ein Jahresmittelwert sind, handelt es sich bei dem sogenannten “Richtwert II” für Büros um “einen wirkungsbezogenen Wert, bei dessen Erreichen beziehungsweise Überschreiten unverzüglich zu handeln ist.” Laut “Tagesschau”-“Faktenfinder” empfehle das Bundesumweltamt aber sowieso “aufgrund neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse, diesen Wert nicht mehr anzuwenden.”

Die 950 Mikrogramm pro Kubikmeter für Industriearbeitsplätze waren schon im Bundestagswahlkampf ein Desinformationsschlager von AfD, CSU und FDP. Was die Politiker damals und die zwei “Bild”-Autoren heute nicht erwähnen: Während der Grenzwert für die Außenluft auch kranken und schwachen Leuten, Schwangeren, Säuglingen und alten Menschen jederzeit einen Aufenthalt draußen ermöglichen soll, gilt der Industriegrenzwert laut Umweltbundesamt für “gesunde Arbeitende an acht Stunden täglich und für maximal 40 Stunden in der Woche”. Dass für spezielle Berufe, etwa Stahlkocher, mit speziellen Belastungen spezielle Regelungen gelten, ist so überraschend nicht. Es wundert ja auch kaum jemanden, dass ein Radiologe laut Bundesamt für Strahlenschutz an seinem Arbeitsplatz einer deutlich höheren Strahlenbelastung ausgesetzt sein darf als ein Kleinkind in der Kita.

Weiter zur nächsten “Wahrheit”:

Ausriss Bild-Zeitung - Busse haben großen Anteil am deutschen Stickoxid-Ausstoß

Die größten Stinker in Innenstädten sind nicht Diesel-Pkw, sondern der öffentliche Nahverkehr mit seinen alten Bussen. Trotzdem reicht das Sofortprogramm “Saubere Luft” der Bundesregierung nur für den Kauf von ein paar Hundert E-Bussen. Berlin will ab 2019 nach und nach 45 zu den bisherigen 4 (!) E-Bussen anschaffen. Zum Vergleich: Im chinesischen Shenzen fahren 16 359 elektrische Busse, 100 Prozent!

Dass Nahverkehr-Busse viel Stickoxid ausstoßen, soll ein “guter Grund” dafür sein, dass “der Diesel noch lange nicht tot” ist? Und warum sollte man nicht die Probleme mit den Diesel-Pkw und die Probleme mit den “alten Bussen” parallel angehen können?

Jedenfalls: Drechslers und Voswinkels Vergleich zwischen Shenzhen und Berlin hinkt wie ein vom “BVG”-Bus angefahrenes Wildschwein. Erstmal: Shenzhen ist deutlich größer als Berlin. Die Fläche der chinesischen Stadt beträgt mehr als das Doppelte, in Shenzhen wohnen knapp dreieinhalb Mal so viele Menschen wie in Berlin. Die Busflotte ist dementsprechend auch viel größer: Während durch Shenzhen also 16.359 Busse fahren, sind es in Berlin rund 1400 Busse der “Berliner Verkehrsbetriebe” (“BVG”). Die komplette Umstellung auf Elektrobusse geschah in Shenzhen auch nicht über Nacht, sondern hat gut acht Jahre gedauert. Nach dem ersten Jahr hatte die Stadt 200 E-Busse im Einsatz. Auch dagegen mögen die 45 zusätzlichen Elektrobusse in Berlin mickrig wirken. “Bild” erwähnt aber auch nicht, dass es für die “BVG” aktuell ausgesprochen schwierig ist, überhaupt an E-Busse zu kommen.

Zum Schluss ist da dann noch die Überschrift, die die “Bild”-Redaktion für ihr “Diesel-Manifest” gewählt hat:

DEUTSCHLAND SOLLTE STOLZ AUF DEN DIESEL SEIN!

Man hätte ja alles mögliche über den Artikel schreiben können: “Lasst unseren Diesel in Ruhe!” oder “Diesel ist voll super!” oder “Diesel! Diesel! Olé, olé, olé!”. Stattdessen sollen die Deutschen stolz sein auf ihren Diesel. Das kommt uns irgendwie bekannt vor.

So reagierte die AfD auf das Diesel-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts:

Screenshot AfD-Kampagne - Teilen wenn auch du Diesel fährst - Ich bin stolzer Dieselfahrer

Mit Dank an Martin E., Erik und @andreas_vogt für die Hinweise!

Blättern:  1 ... 40 41 42 ... 152