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Im Namen des Volkszorns

Es ist schwierig mit der “Bild”-Redaktion und dem Rechtsstaat. Der heutige Kommentar im Blatt handelt vom Urteil im Prozess gegen eine Mutter, die gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten den eigenen Sohn missbraucht und an Pädophile verkauft hat. “Bild”-Ressortleiter Christian Stenzel schreibt:

Ausriss Bild-Zeitung - Kein Urteil im Namen des Volkes

Was muss man in Deutschland tun, um nicht mehr aus dem Gefängnis herauszukommen?

Seit gestern wissen wir: Als Mutter den eigenen Sohn zu missbrauchen und an Kinderschänder aus ganz Europa zu verhökern, reicht nicht. Es wird nicht einmal die Höchststrafe verhängt.

15 Jahre Haft wären laut Gesetz möglich gewesen. Nur 12 Jahre hat die Horror-Mutter von Staufen bekommen. Die Milde des Richters mag vom Gesetz gedeckt sein — wütend macht sie trotzdem. Aus drei Gründen besonders.

1.) Zugutegehalten wird Berrin T., dass sie ein zögerliches Geständnis abgelegt hat. Leugnen hätte sie aber auch kaum können — sie hat den Missbrauch selbst auf Film festgehalten!

2.) Die Horror-Mutter ist nicht vorbestraft.

Rechtlich ist sie vielleicht eine Ersttäterin. Doch kann jemand nach dem gesunden Menschenverstand ein Ersttäter sein, der sein Kind 19-fach missbraucht? Sie konnte ja auch nicht zuvor verurteilt werden. Warum nicht? Weil Jugendämter gepennt haben, ersten Hinweisen auf Missbrauch nicht nachgegangen sind.

3.) Sicherungsverwahrung war laut Gesetz nicht möglich, Wiederholungsgefahr bestünde auch nicht.

Der Gesetzgeber sollte darüber nachdenken, ob das Gesetz für Fälle wie in Staufen angepasst werden muss.

Wer tat, was Berrin T. tat, sollte das Gefängnis nie wieder verlassen dürfen. Ich bin kein Richter. Aber ich bin sicher: Das Urteil von Freiburg ist kein Urteil im Namen des Volkes.

“Bild”-Chef Julian Reichelt hat Stenzels Kommentar komplett bei Twitter gepostet und dazu wiederholt:

Screenshot eines Tweets von Julian Reichelt - Die Täterin von Staufen hat nicht einmal die Höchststrafe bekommen. Sie habe ein Recht auf Resozialisierung, so der Richter. Wenn unsere Gesetze es nicht hergeben, solche Menschen für immer wegzusperren, sollte die Politik die Gesetze ändern.

Ja, der Missbrauch macht wütend. Und man kann sich definitiv darüber wundern, dass das Freiburger Landgericht darauf verzichtet hat, gegen Berrin T. die Höchststrafe von 15 Jahren zu verhängen, die für den besonders schweren Fall des sexuellen Missbrauchs von Kindern vorgesehen ist. In seiner Urteilsbegründung nannte der Vorsitzende Richter Gründe, die zur Strafmilderung führten, darunter das abgelegte Geständnis. Dennoch kann man sich der Frage anschließen, die Heribert Prantl bei Süddeutsche.de stellt:

Wann, wenn nicht in diesem Fall, soll denn bitte die Höchststrafe verhängt werden?

Einen wichtigen Punkt erwähnen Stenzel in seinem Kommentar und Reichelt in seinem Kommentar zum Kommentar interessanterweise überhaupt nicht: Im Prozess von Freiburg wurde jemand “für immer weggesperrt”, die Gesetze geben es also bereits her. Der Lebensgefährte von Berrin T., der ebenfalls angeklagt war, bekam zwölf Jahre Gefängnis mit anschließender Sicherungsverwahrung. Der Unterschied zwischen den beiden Angeklagten: Der Lebensgefährte war bereits vorbestraft wegen sexuellen Missbrauchs. Das Gericht entschied daher, dass von ihm als Wiederholungstäter auch weiter eine Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht. Für Berrin T. hingegen hat ein Gutachter festgelegt, dass sie nicht pädophil veranlagt sei. Daher sehe man keine Wiederholungsgefahr. Ihr stehe unter anderem deswegen die Chance auf Resozialisierung zu.

Wofür plädiert Christian Stenzel stattdessen in seinem Kommentar? Ein Strafmaß nach dem “gesunden Menschenverstand”? Gesetze und Urteile dem wutgeladenen Bauch nach? “Im Namen des Volkes” heißt nicht: im Namen des Volkszorns.

Aber noch mal zurück zur Resozialisierung: Dass die im Fall von Berrin T. kaum klappen wird, dafür wird die “Bild”-Redaktion schon sorgen, so, wie sie häufig dafür sorgt, dass die Resozialisierung von Straftätern nicht klappt. Sie legt damit heute schon los, indem sie die verurteilte Frau, anders als viele andere Medien, im Blatt und online ohne Verpixelung zeigt.

Wer in Deutschland ein Recht auf Resozialisierung hat, entscheidet laut “Bild” immer noch “Bild” und nicht so ein Pillepalle-Verein wie ein Gericht.

Ach, und eine Bitte noch, Christian Stenzel und “Bild”: Überlegen Sie doch mal, ob Ihnen nicht ein anderer Begriff als das unsägliche Wort “Kinderschänder” einfällt. Warum das im Sinne der Opfer dieser schrecklichen Taten ist, können Sie hier nachlesen.

“Bild”-Brückenbauer von #aufstehen zum Nationalsozialismus

Die Friedensbewegung. Die Anti-Atomkraft-Bewegung. Die Bewegung Podemos in Spanien. Die Lesbenbewegung. Die Bewegung Occupy Wall Street. Die Tierrechtsbewegung. Emmanuel Macrons En Marche in Frankreich. Die Schwulenbewegung. Die Bürgerrechtsbewegung in den USA. Die Frauenbewegung. Die Arbeiterbewegung. Die Bewegung Pulse of Europe.

Und? Denkt hier jetzt auch gerade jeder an die Nazis unter Adolf Hitler?

Vermutlich nicht. Einer aber schon: Michael Wolffsohn. Der ist Historiker, darf öfter mal in “Bild” schreiben und äußert sich derzeit in den “Bild”-Medien (bei Bild.de hinter der Bezahlschranke) zur neuen Bewegung #aufstehen von und mit Sahra Wagenknecht:

Screenshot Bild.de - Sahra Wagenknecht - Wie rechts ist ihre linke Bewegung?

Wolffsohn weiter: “Wenn ich ‘BEWEGUNG’ höre, klingeln bei mir alle Alarmglocken. Die Nazis legten seinerzeit auch Wert darauf, keine herkömmliche Partei zu sein, sondern ‘Bewegung’. Wissen das Wagenknecht und ihre Mit- plus Nachläufer nicht? Wollen sie ganz bewusst und scheinbar unverfänglich solche Gedankenverbindungen herstellen? Wollen sie damit signalisieren, dass sie die bessere AfD wären? Also eine Partei der “Kleinen Leute”. “Sozial. Und natürlich (siehe “Bewegung”) national. Also national-sozial.

Da sich Frau Wagenknecht als Sozialistin bezeichnet, bewirkt das phrasenhafte Mischmasch des Internetauftritts auch ohne Gedankenkrücken wohl nicht zufällig Gedankenbrücken zum Begriff “National-Sozialismus” oder gar Nationalsozialismus. Davon hatten Deutschland und die Welt genug. Selbst ohne Krieg und Holocaust nie wieder das!

Manche Website-Akteure dienen wissentlich oder nicht der “Bewegung” als Tarnmittel: Die Journalistin Nada “mit syrischen Wurzeln”. Oder der farbige DJ René. Pastor Kurt sorgt für “Christlichkeit”, wobei daran erinnert sein (sic), dass vor allem die Evangelische Kirche alles andere als ns-immun war.”

Irgendwo unterwegs muss der Bild.de-Redaktion ein abschließendes Anführungszeichen verloren gegangen sein. Daher ist nich so ganz klar, was alles direktes Zitat von Michael Wolffsohn ist und was paraphrasiert.

Aber auch so kann man sich fragen: Wie bitte? Wolffsohn baut seine “Gedankenbrücken” von #aufstehen in Richtung “national-sozial”, “‘National-Sozialismus'” und “Nationalsozialismus” komplett auf dem Umkehrkurzschluss Nazis = Bewegung, Bewegung = Nationalsozialismus auf. Es gibt ganz gewiss ernstzunehmende Kritik an Wagenknechts Bewegung. Wolffsohns Argumentation aber ist selbst für “Bild”-Verhältnisse bemerkenswert gaga.

Wie ist das denn beispielsweise mit der spanischen Bewegung Podemos? Ebenfalls “national-sozial”, “‘Nationalsozialismus'”, “Nationalsozialismus”? Und Macrons En Marche? Und die ganzen anderen genannten gesellschaftlichen Bewegungen, die sich selbst als Bewegungen sahen und sehen? Wollten und wollen die auch “ganz bewusst und scheinbar unverfänglich solche Gedankenverbindungen” zu den Nazis herstellen? Und tarnen die sich alle auch nur mit Menschen mit ausländischen Wurzeln und Pastoren?

Die Sache ist “Bild” und Bild.de übrigens nicht einfach nur durchgerutscht. “Bild”-Chef Julian Reichelt findet Michael Wolffsohns Gedanken zu #aufstehen ganz toll:

Screenshot eines Tweets von Bild-Chefredakteur Julian Reichelt - National-sozial. Der großartige Michael Wolffsohn in Bild über die Bewegung von Sahra Wagenknecht. PS: Wer sich für Aufstehen richtig in Stimmung bringen will, sollte sich ein paar Fotos von Regalen in Venezuela anschauen.

Wie “Bild” mit Ausländern Rekorde knackt – ein Beispiel

Bei “Bild” haben sie neulich einen Rekord geknackt: Im Juni erreichte die Redaktion mit ihren Artikeln als erste deutschsprachige Website mehr als 5 Millionen Interaktionen in den Sozialen Netzwerken, also zusammengerechnete Likes und Kommentare bei Facebook, Retweets bei Twitter und so weiter. Der Chef dankte dem “ganzen NP-Team”, was wohl “New Platforms” heißen soll:

Screenshot eines Tweets von Julian Reichelt - Dank an Andreas Rickmann, Jakob Wais, Marc Biskup und das ganze NP-Team. Ihr habt es einfach drauf!

Nun ist 5.000.000 erst mal eine (große) Zahl, die nicht zwingend etwas über die Qualität der kommentierten, geliketen und retweeteten Artikel aussagt. Und dass ein Lügenportal wie “jouwatch” im selben Ranking auf Platz 11 liegt oder die Islamhasser von “Politically Incorret” auf Platz 31 oder “RT Deutsch” auf Platz 19 oder “Promiflash” auf Platz 10 oder “Epoch Times” auf Platz 6 oder “Focus Online” auf Platz 4, spricht auch dafür, dass es dort ausschließlich um Quantität geht.

Wie die “Bild”-Redaktion auch zu ihrem Rekord kommt, mit welcher Art von Inhalten sie viele Interaktionen erzielt, und wie diese Inhalte aufbereitet sind, kann man zum Beispiel an diesem Text über Freibäder in Chemnitz und Zwickau beobachten, der am 24. Juli bei Bild.de erschienen ist:

Screenshot Bild.de - Stell dir vor es ist Sommer und ... Keiner geht ins Freibad

Ausgangspunkt des Artikels ist ein Facebook-Post des Betreibervereins des Freibads Crossen in Zwickau. Carol Forster, der Vorsitzende des Vereins, schreibt darin unter anderem:

Hallo Zusammen…

aus aktuellem Anlass hier auf der Facebook Seite des Freibades Crossen ein mehr oder weniger Hilferuf und / oder die Frage: Was können wir noch verändern und/ oder verbessern.

Hintergrund ist jener, dass wie vielleicht Einige von Euch gelesen haben, die derzeitige Besuchersituation in allen Freibädern der Stadt Zwickau, so auch bei uns recht Verhalten ist.

Obwohl wir ja nun schon seit einigen Wochen mehr als nur schönes Badewetter haben.

Woran liegt es:
An den Ferien ?
An den Eintrittspreisen ?
Am Umfeld ?
Am Service ?
Oder hat jetzt jeder einen Mini Pool im Garten ?

Eure Meinung zählt…..

Wir wissen es eben nicht und machen uns nun berechtigte Sorgen wie es weiter gehen soll.

“Bild” und Bild.de griffen die Sache auf. Forster kommt im Artikel zu Wort und sagt, dass “das Freibad als soziokultureller Treffpunkt” verlorengehe:

“Heute verabredet man sich in der WhatsApp-Gruppe, bequatscht so alles — früher war der Treffpunkt das Freibad.”

Roland Mehlhorn, Schwimmmeister aus Annaberg, nennt einen anderen Grund, warum vornehmlich Jugendliche nicht mehr ins Freibad kämen:

“Wenn ihre komischen Wetter-Apps Regen anzeigen, kommen sie nicht. Dabei stimmen die Vorhersagen oft gar nicht!”

Und dann taucht noch ein “Bad-Betreiber aus dem Vogtland” auf, der seinen Namen aber offenbar nicht nennen möchte, jedenfalls bleibt er anonym:

Weiterer Grund für den Besucherschwund: “Es sind andere Gäste da als früher. Jugendliche, auch aus anderen Kulturkreisen, die oft sehr laut sind”, so ein Bad-Betreiber aus dem Vogtland zu BILD.

Jaja, die lärmenden Ausländer wieder.

Das Argument ist allein schon deswegen interessant, weil es auch recht schnell unter dem Facebook-Post des Freibads Crossen auftauchte

Schon einmal darüber nachgedacht, dass es vielen “Einheimischen” unbehaglich ist, von unseren zugereisten Neubürgern begafft zu werden?

… und Vereinschef Forster darauf antwortete, dass es so gut wie keine “zugereisten Neubürger” als Badegäste bei ihnen gebe:

Das ist aber weit weit hergeholt als Argument. Sorry. Erstens haben wir noch fast keine, wie sagtet ihr, Neudeutschen, bei uns gehabt und zweitens ist es immer möglich, gegenüber evtl. Daneben Benehmen einzuschreiten.

All die Leute, die unter dem zum Artikel gehörenden Facebook-Post der “Bild”-Redaktion ihren Ärger, ihre Wut, ihren Hass hinterlassen, juckt so ein Argument natürlich nicht. Sie wollen eben nur ihren Ärger, ihre Wut, ihren Hass hinterlassen:

Screenshot eines Facebook-Kommentars - Es sind andere Gäste da als früher. Jugendliche, auch aus anderen Kulturkreisen, die oft sehr laut sind... mehr Begründung braucht es nicht!
Screenshot eines Facebook-Kommentars - wieso gehen wir nicht ins Freibad? Weil wir keine Lust haben mit 500 anderen Menschen in einem kleinem Becken eingepfercht zu sein. Weil wir keine Lust haben, dass den Kindern ohne Rücksicht auf den Kopf gesprungen wird.
Weil wir keine Lust haben, angepöbelt zu werden. Weil wir keinen gefühlten Auslandsurlaub machen wollen
Screenshot eines Facebook-Kommentars - Ein neuer Bürger hat im Bad gemeint, meine Frau an Stellen begrabschen zu dürfen, wo er es für richtig hält! Hat er nur einmal gemacht, jetzt geht's nicht mehr! Leider ist das, mal vom Eintritt abgesehen, die Realität... Nein, ich bin kein Rassist, da selbst andere Wurzeln, aber irgendwo gibt's Grenzen!
Screenshot eines Facebook-Kommentars - Meine Kinder gehen nur aus einem einzigen Grund nicht mehr ins Freibad, wegen der sexuellen Belästigungen, die sie durch kulturfremde Menschen erfahren haben.
Screenshot eines Facebook-Kommentars - Das Freibad ist nicht mehr das was es war...ein erholungsort eine Oase zum Abkühlen.Respekt und Anstand herrschte mal und die Kinder und Frauen waren sicher.
Das war einmal ....die Gäste haben sich geändert und das ist der Preis der Toleranz
Screenshot eines Facebook-Kommentars - Komisch das es in wirklich JEDEM Bereich Probleme mit den Bereicherern gibt und wir aber offiziell kein Problem haben. Schließt die Bäder und gut ist, so wie im Moment nutzen sie zumindest keinem Einheimischen etwas. Und das sind die welche den Spass finanzieren.
Screenshot eines Facebook-Kommentars - Wenn ich mit meinem Mann ins Freibad gehen würde, würde mein Mann im 10 Minütigen Takt dort Backpfeifen verteilen bei dem Volk das dort teilweise rum läuft und meinen die dürften hier alles! Ne , da sind wir sowas von raus. und mit dem Handy hat es rein garnichts zu tun
Screenshot eines Facebook-Kommentars - Ja, auch ich habe einmal sehr schlechte Erfahrungen in einem Städtischen Bad gemacht. Jugendliche aus anderen Kulturkreisen, ach es ist problematisch
Screenshot eines Facebook-Kommentars - Nun ja, im Freibad darf man das nicht und jenes nicht. Dann weiß man nicht wer als Handtuch Nachbar auftaucht. Ich kenne viele Frauen und Mädels die da nicht mehr hingehen weil Horden von Neubürger meinen sie sind da Freiwild.

Noch mal: Im Zwickauer Freibad Crossen, um das es im Beitrag geht, sind Menschen mit Migrationshintergrund laut Betreiberverein kein Problem, allein schon, weil kaum da. Eine anonyme Quelle hat diesen Aspekt ins Spiel gebracht, und “Bild” hat ihn in den Artikel gepackt.

Dass es daraufhin im Kommentarbereich der “Bild”-Facebookseite so wirkt, als traue sich kaum noch jemand ins Freibad, weil dort “Bereicherer”, “neue Bürger”, “Jugendliche aus anderen Kulturkreisen” lauern, ist umso erstaunlicher, wenn man sich aktuelle Meldungen zu Besucherzahlen von Freibädern im Rest Deutschlands anschaut:

Aachen — Rekord!
Elmshorn — Rekord!
Grevesmühlen — Rekord!
Unna — Rekord!
Wermelskirchen — Rekord!
Ganderkesee — Rekord!
Saarlouis — Rekord!
Rastede — Rekord!
Siegburg — Rekord!
Leipzig — Rekord!
Ratingen — Rekord!
Tarp — Rekord!
Hannover — Rekord!

Das ließe sich noch eine ganze Weile fortführen.

Apropos Rekord: Bis jetzt hat die “Bild”-Redaktion mit ihrem Artikel zum Freibad in Crossen nur bei Facebook über 10.700 Interaktionen erzielt. Allein der Facebook-Post des “Bild”-“NP-Teams” wurde 2197 Mal kommentiert, 936 Mal geteilt, 1725 Mal geliket. Dazu kommen zahlreiche Interaktionen durch AfD-Accounts und -Politiker. Es braucht eben nur Ausländer, schon läuft das mit dem Rekord in den Sozialen Netzwerken.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Jens Schröder hat den Fall bei “Meedia” ebenfalls schön aufgedröselt:

Deutschlands dümmste Fehlerquote

Mal angenommen, “Bild”-Chefkorrespondent und -Chefzahlenverdreher Dirk Hoeren veröffentlich in einem Jahr 1000 Artikel, und wir schreiben hier im BILDblog, dass 100 davon falsch seien. Hoeren und “Bild” prüfen das dann, mit dem Ergebnis: Ganz so schlimm ist es nicht, aber 50 der 100 von uns kritisierten Texte sind tatsächlich falsch. Dann haben Texte von Dirk Hoeren eine Fehlerquote von 50 Prozent. Jedenfalls laut Dirk Hoeren.

Gestern titelte die “Bild”-Redaktion groß auf Seite 1:

Ausriss Bild-Titelseite - Deutschlands dümmste Job-Center

Was Hoeren und “Bild” mit der Unterzeile “Bis zu 50 Prozent der Hartz-IV-Widersprüche berechtigt” an Vertrauen in ihre Statistik-Kenntnisse aufbauen, zerstören sie auf Seite 2 direkt wieder mit dieser Tabelle:

Ausriss Bild-Zeitung -

Nehmen wir als Beispiel mal das Jobcenter in Weimar. Dort schicken die Mitarbeiter eine bestimmte Anzahl an Bescheiden raus. Wie viele es sind — das verrät uns Dirk Hoeren nicht. Es können ein paar Hundert sein, es können ein paar Tausend sein. Gegen diese Bescheide gibt es dann 374 Widersprüche. Und in 104 Fällen (die allerdings nicht alle aus den 374 Widersprüchen stammen müssen — dazu weiter hinten mehr) erkennt das Jobcenter den jeweiligen Widerspruch wegen eines Rechtsfehlers an. Laut Hoeren eine “Fehlerquote” von 27,8 Prozent. Eben eines von “Deutschlands dümmsten Job-Centern”.

Natürlich liegt die Fehlerquote in Weimar nicht bei 27,8 Prozent. Sie ist deutlich niedriger (wie niedrig sie genau ist, wissen wir nicht, weil Dirk Hoeren nicht die Gesamtzahl aller Bescheide aus Weimar mitliefert). 27,8 Prozent der Bescheide, gegen die Widerspruch eingelegt wurde, mussten in Weimar korrigiert werden. Das ist ein bedeutender Unterschied.

Für Ingolstadt, in Dirk Hoerens Rechnung mit einer “Fehlerquote” von 39,5 Prozent auf Rang 2, sieht dieser Unterschied so aus: Laut Isfried Fischer, Leiter des Ingolstädter Jobcenters, gab es insgesamt rund 9300 Bescheide und 70 Rechtsfehler. Das entspricht einer Fehlerquote von 0,75 Prozent.

So ähnlich sieht es auch auf übergeordneter Ebene aus: Deutschlandweit haben die Jobcenter der Bundesagentur für Arbeit 2017 20,8 Millionen Bescheide verschickt. Gegen 528.200 davon gab es Widersprüche, also rund 2,5 Prozent. Von diesen Widersprüchen wurden rund 39 Prozent teilweise oder komplett anerkannt, wie uns eine Sprecherin der Bundesagentur auf Nachfrage sagte — also etwa 206.000 korrigierte Bescheide beziehungsweise rund 1 Prozent aller Bescheide. Wobei es sich dabei nicht nur um Fälle handelt, denen wegen Rechtsfehlern stattgegeben wurde, sondern beispielsweise auch, weil Unterlagen nachgereicht wurden, was laut Statistiken der häufigste Grund für die Anerkennung eines Widerspruchs ist.

Völlig exakt dürften unsere Rechnungen übrigens auch nicht sein. Es gibt mindestens zwei Quellen, die Ungenauigkeiten verursachen können: Erstens kann gegen ein und denselben Bescheid mehrfach Widerspruch eingelegt werden. 100 Widersprüche müssen sich also nicht zwingend auf 100 Bescheide beziehen. Und zweitens — das dürfte auch bei Dirk Hoerens Rechnung relevant sein — können sich die Zahlen auf unterschiedliche Zeiträume beziehen: In Ingolstadt zum Beispiel sollen die 177 Widersprüche alle aus dem ersten Halbjahr 2018 stammen, die 70 anerkannten Rechtsfehler aber können auch mit Bescheiden aus dem Jahr 2017 zusammenhängen.

So ärgerlich jeder einzelne falsche Hartz-IV-Bescheid für den jeweiligen Empfänger ist — so heftig, wie Dirk Hoeren es mit seiner “Fehlerquote” behauptet, wird in den Jobcentern nicht “geschlampt”. Die Schlagzeile “Deutschlands dümmste Job-Center” klingt in Anbetracht von tatsächlichen Fehlerquoten aufgrund von Rechtsfehlern im Bereich von 0,75 Prozent vor allem: ganz schön dumm.

Es gibt eine gewissen Tradition für diese fehlerhafte “Fehlerquote” bei “Bild” und in anderen Medien:

Mit Dank an Gabriele H. für den Hinweis!

Nachtrag, 2. August: Mehrere Leserinnen und Leser weisen zu Recht darauf hin, dass es allgemein (und damit auch bei unserer Rechnung) noch eine weitere Quelle für eine Ungenauigkeit bei der Fehlerquote gibt: Es wehrt sich längst nicht jeder, der einen falschen Bescheid bekommen hat, gegen diesen falschen Bescheid — sei es aus Unwissenheit, aus Angst vor Ärger mit dem Jobcenter, aufgrund von Sprachschwierigkeiten, weil der Betroffene meint, dass er eh keine Chance habe, da gibt es sicher viele mögliche Gründe. Wo kein Widerspruch eingelegt wird, kann natürlich auch kein Rechtsfehler entdeckt werden.

Kommt es, nach der Ablehnung von Widersprüchen, zu Klagen gegen die Jobcenter-Bescheide, ist die Erfolgsquote der Klagenden recht hoch: Sie liegt seit Jahren bei rund 40 Prozent.

Erfolgreiche Erdogan-Propaganda in den “Bild”-Medien

Vorgestern twitterte “Bild”-Chef Julian Reichelt das hier:

Screenshot eines Tweets von Bild-Chef Julian Reichelt - Erdogan telefoniert mit Özil und freut sich, dass große Teile der deutschen Medien und zahlreiche Politiker auf den Rassismus-Spin reingefallen sind. Das Foto mit Özil und die Nachwirkungen sind sein bisher größter Propaganda-Erfolg in Deutschland.

Das Foto mit Mesut Özil sei Teil von Erdogans “bisher größtem Propaganda-Erfolg in Deutschland”, und das auch dank deutscher Medien — ja, da könnte Julian Reichelt recht haben. Man erinnere sich nur mal daran, wie häufig diese Fotos von Erdogan mit Özil und mit Ilkay Gündogan und mit beiden deutschen Fußballern seit dem 14. Mai in Zeitungen und bei Onlineportalen zu sehen waren.

Manche Redaktionen waren besonders besessen von dem Bild haben dem türkischen Präsidenten bei diesem PR-Coup besonders fleißig geholfen. Dazu gehören ganz sicher Bild.de, “Bild” und “Bild am Sonntag”, die alle von Julian Reichelt verantwortet werden:

Collage mit 47 verschiedenen Screenshots und Ausrissen von Bild.de, Bild-Zeitung und Bild am Sonntag, die alle die Fotos von Mesut Özil mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zeigen, manche mit Ilkay Gündogan, manche ohne.
(Ohne Anspruch auf Vollständigkeit — draufklicken für größere Version)

Dazu kommen noch einige Fotos, die nur Erdogan und Gündogan zeigen, die wir hier aber weggelassen haben.

Gestern twitterte “Bild”-Chef Julian Reichelt dann das hier:

Screenshot eines Tweets von Bild-Chef Julian Reichelt - Großer Dank an alle Politiker und Journalisten wie Patrick Bahners, die aus Social-Media-Gefallsucht und Bild-Hass der AKP die Propaganda-Tür geöffnet haben. Deutschland ist wegen Özil jetzt antidemokratisch und rassistisch und die AKP freut sich über jede Menge deutsche Zeugen.

In puncto “Propaganda-Tür” öffnen: siehe oben. Zu Reichelts Aussage, dass Deutschland jetzt “wegen Özil” als rassistisch gesehen werde: Klar, Erdogans Partei AKP und einige ihrer Anhänger schlachten die Sache jetzt auf üble Weise aus. Mesut Özil aber hatte in seinem dreiteiligen Statement nie behauptet, dass der Rassismus vom gesamten Land komme. Im Gegenteil. Er schrieb zum Beispiel …

I don’t want to even discuss the hate mail, threatening phone calls and comments on social media that my family and I have received. They all represent a Germany of the past, a Germany not open to new cultures, and a Germany that I am not proud of. I am confident that many proud Germans who embrace an open society would agree with me.

… und nannte die Leute, die ihn aus seiner Sicht rassistisch angegangen seien, größtenteils namentlich.

Die Erzählung, Özil habe mit ganz Deutschland abgerechnet, gibt es auch. Sie stammt von “Bild” und Julian Reichelt:

Ausriss der Bild-Titelseite - Im Internet! Auf Englisch! Özils wirre Jammer-Abrechnung mit Deutschland

Dazu auch:

Die “Bild”-“Analyse” zu Mesut Özil: jämmerlich und wirr

Es wäre doch eigentlich gar nicht so schwer, mal ein bisschen zu differenzieren. Warum nicht Mesut Özils Erklärung zu seinem Foto mit Recep Tayyip Erdogan fragwürdig und schwach finden — gleichzeitig aber die Rassismusvorwürfe, die er erhebt, ernst nehmen? Warum nicht sagen: Das Foto war und ist falsch, Erdogan ist ein Autokrat, der Menschen unterdrückt, ihnen die Freiheit raubt, sie ohne Grund aus dem Job schmeißen und ohne Anklage ins Gefängnis stecken lässt — aber auch sagen: Rassismus ist nie in Ordnung, egal gegen wen? Warum nicht fragen, wo Özils Selbstkritik bleibt — die Kritik an gesellschaftlichen Zuständen und an medialen Kampagnen dennoch gelten lassen?

Das Gegenteil einer solchen Differenzierung sieht so aus:

Ausriss der Bild-Titelseite - Özil - Jammer-Rücktritt und seine wirre Abrechnung mit Deutschland

Das ist die Seite 1 der “Bild”-Zeitung von gestern. Die Titelseiten mancher “Bild”-Regionalausgaben, zum Beispiel in Hamburg und in Chemnitz, sind noch ein bisschen schlimmer, weil sie den Schwerpunkt etwas anders setzen: der da gegen Deutschland.

Ausriss der Bild-Titelseite - Im Internet! Auf Englisch! Özils wirre Jammer-Abrechnung mit Deutschland

… und dann auch noch im Internet und auf Englisch!

Ein Team aus sechs “Bild”-Autoren, darunter “Bild”-Chef Julian Reichelt, haben sich Özils drei Twitter-Nachrichten von Sonntag vorgenommen, in denen der Fußballer versucht, das Erdogan-Foto zu erklären, Rassismus in Medien, von Sponsoren, Politikern, der Gesellschaft beklagt und seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft verkündet. Sie nennen es eine “Bild-Analyse”. Es ist auch eine Selbstverteidigung von “Bild”.

Schreibt Özil, “dass die Medien die schlechte Weltmeisterschaft einer ganzen Mannschaft auf meine doppelte Herkunft und ein Foto schieben”, schreibt das “Bild”-Team: “Kompletter Unfug, pures Selbstmitleid”, “frei erfunden”.

Schreibt Özil: “Gewisse deutsche Zeitungen nutzen meine Herkunft und mein Foto mit Erdogan als rechte Propaganda, um ihre politische Agenda voranzutreiben”, schreibt das “Bild”-Team: “Hier ist Özil in seinem Weltbild gefährlich nah an Erdogan und anderen Despoten. Wer es wagt, ihn zu kritisieren, muss eine politische Agenda haben.”

Schreibt Özil, die Medien hätten nicht meine Leistung, sondern bloß meine türkische Herkunft kritisiert”, schreibt das “Bild”-Team: “Frei erfundener Unfug. ALLE Medien kritisierten zurecht Özils Leistung, keine große Medienmarke kritisierte je seine Herkunft. Eine Dreistigkeit gegenüber den freien Medien seiner Heimat, denen Özil pauschal und ohne jeden Beleg Rassismus vorwirft.”

So unsachlich und aufgebracht ist der Ton durchgehend.

Schaut man sich die Berichterstattung von “Bild” und Bild.de seit dem Erdogan-Foto an, kann man sehen, dass es dort — wenig überraschend — tatsächlich keinen offenen Rassismus gegen Mesut Özil im Stile der NPD gegeben hat. “Der Türke soll raus aus der Nationalmannschaft” oder “Wann schmeißt Löw endlich das Ölauge raus?” steht dort nicht. Aber natürlich gab es Stimmungsmache. Natürlich haben die “Bild”-Medien eine Grundlage für dumpfesten Nationalismus gelegt. Natürlich gab es eine Kampagne gegen Mesut Özil. Sein Deutschsein wurde hinterfragt. Die Redaktion hat gezeigt: Hier, schaut mal, der ist schon anders als wir. Rassistische Beleidigungen von der Tribüne gegen Özil wurden als “Ärger” abgetan (wobei man gar nicht weiß, was schlimmer ist: dem Rassismusopfer den “Ärger” in die Fußballschuhe zu schieben oder Rassisten als “Fans” zu bezeichnen).

Ein paar Beispiele in chronologischer Reihenfolge.

Am 15. Mai titelt “Bild”:

Ausriss der Bild-Titelseite - Unser Weltmeister Mesut Özil - Schäbige Propaganda für Erdogan!

Am selben Tag erscheint bei Bild.de dieser “Bild plus”-Artikel:

Screenshot Bild.de - Einer sprach zu Hause nur Türkisch - So deutsch sind Özil und Gündogan

Viele fragen sich: Wie deutsch sind Gündogan und Özil wirklich?

Es dauert gerade mal ein paar Stunden, da hat die “Bild”-Redaktion schon das Deutschsein von Mesut Özil und Ilkay Gündogan zur Diskussion gestellt. Die zwei sind, so sieht es für “Bild”-Leser aus, Fälle, bei denen man mal genauer nachschauen muss, wie deutsch sie “wirklich” sind. Egal, dass beide einen deutschen Pass haben, in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, seit Jahren für deutsche Nationalmannschaften spielen. Der, der “zuhause nur Türkisch” sprach, ist Mesut Özil.

In anderen Fällen bringt Bild.de auch solche Überschriften. Kurz vor dem WM-Finale zwischen Frankreich und Kroatien veröffentlicht die Redaktion diesen Artikel über Dejan Lovren und Mario Mandzukic, die wegen des Krieges in ihrer Heimat als Kinder in Deutschland lebten:

Screenshot Bild.de - Morgen spielen sie im WM-Finale - So deutsch ticken diese zwei Kroatien-Stars

Bei zwei kroatischen Staatsbürgern, die in Deutschland aufwuchsen, fragt Bild.de, wie viel Deutschland in ihnen steckt. Und bei den zwei deutschen Staatsbürgern Mesut Özil und Ilkay Gündogan.

Ebenfalls am 15. Mai veröffentlicht Bild.de dieses Pro und Contra:

Screenshot Bild.de - Nach schäbigem Propaganda-Auftritt von Özil und Gündogan - Muss Jogi beide rauswerfen?

Zwei Redakteure diskutieren im Pro und Contra, ob Jogi Löw Gündogan und Özil rauswerfen muss?

Den Pro-Part übernimmt “B.Z.”-Chefredakteurin Miriam Krekel. Die Position kann man vertreten, aber dann sollte man als Redaktion auch dazu stehen, dass man dieser Position Platz eingeräumt hat. Julian Reichelt und seine fünf Kollegen behaupten gestern in ihrer “Analyse” hingegen:

Özil schwelgt in seiner Opferrolle, die mit der Realität nichts zu tun hat. Die meisten deutschen Medien haben TROTZ des Erdogan-Fotos nie seinen Rauswurf gefordert, auch BILD nicht.

Der angeblich nötige Rauswurf von Özil und Gündogan ist auch einen guten Monat später noch mal Thema in den “Bild”-Medien. Am 13. Juni titelt Bild.de:

Screenshot Bild.de - Klartext von Effe - DFB hätte Özil & Gündogan rauswerfen müssen!

Seine Experten-Meinung hatte Stefan Effenberg bei t-online.de hinterlassen. Bild.de adelte sie als “Klartext”.

Aber zurück zur Chronologie. Am 17. Mai legt Bild.de nach:

Screenshot Bild.de - Skandal-Foto mit Erdogan - Bild sucht die Wurzeln von Gündogan und Özil

Bei den Özils zu Hause sprach man Türkisch, auf dem Bolzplatz um die Ecke auch.

Am 19. Juni, also zwei Tage nach der WM-Auftaktniederlage gegen Mexiko, zitiert die “Bild”-Redaktion ihren WM-Kolumnisten Lothar Matthäus auf der Titelseite:

Ausriss Bild-Titelseite - Lothar Matthäus knallhart: Özil fühlt sich nicht wohl im DFB-Trikot

Christoph Cöln, Springer-Kollegen von “Welt”, schrieb dazu bei Welt.de (allerdings ohne “Bild” dabei zu erwähnen):

Ähnlich pseudoseriös und verschwörerisch unkte Weltmeister Lothar Matthäus kürzlich. Özil fühle sich im Nationaltrikot nicht wohl, so Matthäus. Das ist infam. Die Aussage suggerierte, dass der in Gelsenkirchen geborene Sohn türkischer Einwanderer Identitätsprobleme hat, dabei spielt Özil seit seiner Jugend in der Nationalmannschaft, er ist einer ihrer verdientesten Repräsentanten.

Am selben Tag berichtet Bild.de von Mario Baslers Auftritt in der TV-Sendung “Hart aber fair”:

Screenshot Bild.de - Körpersprache eines toten Frosch - Basler vernichtet Özil!

Am 27. Juni — die deutsche Nationalmannschaft hat da bereits das letzte Gruppenspiel gegen Südkorea verloren und ist aus dem Turnier ausgeschieden — titelt Bild.de:

Screenshot Bild.de - Frust-Aus gegen Südkorea - Özil-Krach mit deutschen Fans

Es stellt sich raus: Mesut Özil wurde nach dem Spiel von der Tribüne aus auf übelste Weise rassistisch beleidigt. “Bild” titelt dazu am 29. Juni:

Ausriss Bild-Zeitung - Özil - Zweimal Ärger und sonst nix

… als ginge die Aggression von Özil aus. Das meinen Julian Reichelt und seine fünf Co-Autoren wohl, wenn sie gestern in ihrer “Analyse” zu Özils Aussagen schreiben:

Ein Schlag ins Gesicht für Millionen Fans, die ihn vorurteilsfrei bewundert und bejubelt haben. Und für diejenigen, die ihn — wie auch BILD — gegen Rassismus in Schutz genommen haben. Die ausländerfeindlichen Beleidigungen eines Fans nach dem Südkorea-Spiel, die Özil beschreibt, verurteilt BILD ebenso aufs Schärfste.

Am 30. Juni veröffentlicht Bild.de diesen “Bild plus”-Text:

Screenshot Bild.de - Kosmos Özil - Er pilgerte nach Mekka und liebt eine Miss Türkei

Natürlich hätte die Redaktion den Artikel auch mit “Er ist ein Gelsenkirchener Junge” überschreiben können oder mit “Mops Balboa ist sein treuer Begleiter”. Beides steht im Artikel und beides ist faktisch genauso richtig wie die Infos zu Özils Reise nach Mekka und zu seiner Freundin. Das Bild.de-Team hat aber das Fremde, das Nicht-Deutsche in die Titelzeile gepackt.

Auch das liefert Futter für den Stammtisch. Auf die Kritik, dass ihre Überschriften Tatsachen verzerren, entscheidende Aspekte weglassen oder durch bestimmte Schwerpunkte Stimmungen erzeugen können, antworten “Bild”-Mitarbeiter gern: “Unsere Leser können mehr als nur Überschriften lesen.” Man muss entweder sehr doof sein oder sich sehr doof stellen, wenn man bei “Bild” arbeitet und nicht die Wirkungskraft von Schlagzeilen kennt; bei einem Blatt, das sich tagtäglich über große Schlagzeilen verkauft.

Die Geschichte aus dem “Kosmos Özil” mit dem Mekka-und-Miss-Türkei-Titel hat Bild.de gestern übrigens noch einmal, mit einer Aktualisierung zum Rücktritt des Fußballers, auf die Startseite gepackt.

Es war natürlich nicht immer so, dass die Herkunft von Mesut Özil so im Mittelpunkt der “Bild”-Berichterstattung stand. Wühlt man sich durch das Bild.de-Archiv dieses Jahres, findet man von 1. Januar bis zum 13. Mai keinen Artikel mit einem solchen Schwerpunkt. Seit dem Erdogan-Foto ist das anders.

Schaut man noch weiter zurück, findet man solche Beiträge: Mesut Özil als Musterbeispiel der Integration, aus dem September 2011. Özil war da schon Nationalspieler, aber noch längst nicht Weltmeister:

Screenshot Bild.de - 50 Jahre türkische Gastarbeiter - Meine Disziplin ist deutsch, meine Gelassenheit türkisch

BILD stellt 50 Beispiele für gelungene Integration vor. Heute: Fußballnationalspieler Mesut Özil (22).

Davon könnte die “Bild”-Berichterstattung heute nicht weiter weg sein. “Sport Bild”-Chefredakteur Matthias Brügelmann schrieb gestern in seinem “Bild”-Kommentar:

BILD hatte nie Özils Rauswurf aus der Nationalelf gefordert. Jetzt wäre es soweit gewesen, wenn er nicht selbst zurückgetreten wäre. Wer so über Deutschland denkt, kann nicht für Deutschland spielen.

Es gibt einen Spruch von der extremen Rechten, von Neonazis: “Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen.” Wir glauben nicht, dass Brügelmann daran andocken wollte. Seine Aussage ist aber auch nicht wahnsinnig weit davon entfernt.

Und dann ist da ja noch Franz Josef Wagner.

Das eigentlich Traurige und Erschreckende an der “Bild”-Berichterstattung von gestern ist, dass sie offenbar nicht im Ansatz verstanden haben, dass man Mesut Özils Erklärungen zum Erdogan-Foto für kompletten Unsinn halten und falsch finden und dennoch die Rassismusvorwürfe ernst nehmen kann. Patrick Markowski, leitender Chef vom Dienst bei “Bild”, twitterte gestern zum Beispiel:

Screenshot eines Tweets von Patrick Markowski - Hier noch ein schockierendes Beispiel dafür, wie hart ein deutscher Fußball-Millionär in London vom Rassismus getroffen werden kann. Dazu ein Screenshot, der zeigt, dass Mesut Özil 2016 zum Nationalspieler des Jahres gewählt wurde

Was ist das für eine Logik? Weil Mesut Özil zum Nationalspieler des Jahres 2016 gewählt wurde, kann er nicht “vom Rassismus getroffen werden”? Weil er “Fußball-Millionär” ist, kann er nicht “vom Rassismus getroffen werden”? Weil er in London lebt, kann er nicht “vom Rassismus getroffen werden”? Weil 54,5 Prozent von 316.850 Leuten Özil wählten, können einem genug andere das Leben nicht zur Hölle machen?

Heute geht es bei “Bild” mit dem Thema weiter, verständlicherweise. “Bild”-Chef Julian Reichelt schreibt in seinem Kommentar:

Die SPD-Chefin Andrea Nahles mahnt: “Das Gefühl, ausgegrenzt zu sein, … droht auf viele Migranten auf und neben dem Fußballplatz überzugehen.” Unsere Justizministerin warnt, es sei “ein Alarmzeichen” wenn Özil sich “in seinem Land wegen Rassismus nicht mehr gewollt” fühle.

Nur pflichtschuldig erwähnt wird dagegen, worum es eigentlich gehen sollte: Ein Deutscher hat sich an der Propaganda für einen Mann beteiligt, der deutsche Staatsbürger ohne Anklage eingekerkert hat. (…)

Özils Foto steht symbolisch für den Kampf zwischen freiheitlichen und unterdrückerischen Systemen. Viele deutsche Politiker haben sich in diesem Kampf auf die verheerend falsche Seite geschlagen!

Politiker und Politikerinnen, die sich Gedanken um Menschen mit Migrationshintergrund und deren Gefühl der Ausgrenzung machen, sind laut Julian Reichelt Kämpfer gegen freiheitliche und für unterdrückerische Systeme. Der “Bild”-Chef beweist einmal mehr: Es geht immer noch ein bisschen irrer.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Die zwei Herzen von Franz Josef Wagner

Selbstverständlich hat sich auch “Bild”-Briefchenschreiber Franz Josef Wagner zum Rücktritt von Fußballer Mesut Özil aus der deutschen Nationalmannschaft geäußert. Er schreibt in der heutigen Ausgabe und bei Bild.de:

Ausriss Bild-Zeitung - Post von Wagner - Lieber Mesut Özil, gut, dass Sie das Hemd mit dem Adler ausgezogen haben, wir passen nicht mehr zusammen. Das eine Foto mit dem Erdogan verzeihe ich Ihnen. Da wurden Sie in einen PR-Termin hereingequatscht. Es war eine Dummheit. Es gibt nur eine unverzeihliche Sünde: die doppelte Dummheit. Sie wollen also immer noch nicht begreifen, dass Sie besser kein Pose-Foto mit einem Mann gemacht hätten, der Journalisten ins Gefängnis wirft, Zeitungen und Radiosender schließt, Justizbeamte ins Gefängnis steckt. Sie sind Fußballer. Fußballer sind nicht politisch. Fußballer haben Berater. Irgendwer sagt den Fußballern, was sie tun, was sie sagen sollen. Welcher Idiot gibt Ihnen diese irren Ideen ins Gehirn? Sie sind ein großartiger Fußballspieler. Vor Jahren schrieb ich, dass Sie einmal der Kapitän der deutschen Nationalmannschaft werden würden. Goodbye, Mesut Özil. Es muss furchtbar sein, wenn man mit seinem ganzen Herzen für eine Mannschaft spielt und sein zweites Herz für ein anderes Land schlägt. Alles Gute, Sie zerissener Mesut Özil. Herzlichst, Franz Josef Wanger

Die Sache mit den zwei Herzen kommt von Mesut Özil. Bei Twitter verkündete er gestern nicht nur seinen Rücktritt aus der Nationalelf, sondern gab auch eine recht dünne Erklärung zu dem dämlichen Foto ab, auf dem er mit dem türkischen Autokraten Recep Tayyip Erdogan posiert hatte. Er habe das Foto aus Respekt vor dem höchsten Amt des Landes seiner Familie gemacht. Das habe nichts mit Politik zu tun gehabt.

Aber eigentlich kommt die Sache mit den zwei Herzen auch von Franz Josef Wagner. Der schrieb nämlich schon in der “Bild”-Ausgabe vom 10. Juli einen Brief an Mesut Özil. Und da fand der Kolumnist es noch gar nicht so “furchtbar”, wenn einer wie Özil ein deutsches und ein türkisches Herz hat:

Ausriss Bild-Zeitung - Post von Wagner - Lieber Mesut Özil, Sie sind ein Vorbild für alle Einwanderer-Kinder, 92-facher deutscher Nationalspieler, fünfmal wurden Sie zum Nationalspieler des Jahres gewählt. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung nannte Sie einen Brückenbauer. Wenige Einwanderer-Kinder werden Anwälte, Bundestagsabgeordnete, Ärzte. Sie wurden ein Fußballstar. Ihre Großmütter, Ihre Väter verkauften Gemüse. Arbeiteten in Bergwerken. Sie heißen nicht Müller, Sie heißen Özil. In Ihrem Herzen ist die Türkei, wo Ihre Oma, Ihre Cousins leben. Haben Sie keine Angst, das alles zu sagen! Alles, was in Ihrem Herzen ist. Was ist so falsch daran, dass man zwei Herzen hat? Herzlichst, Franz Josef Wagner

Da macht Mesut Özil ziemlich genau das, was Franz Josef Wagner ihm zuvor rät: Erklären, dass er neben dem deutschen auch ein türkisches Herz hat. Und schon passen die beiden für Wagner “nicht mehr zusammen.”

Geier Sturzflug (3)

Die Auflagen von “Bild” und “Bild am Sonntag” sinken weiter deutlich:

Auflagenentwicklung von Bild und Bild am Sonntag im 2. Quartal seit 1998 - aktuell verkaufte Auflage von Bild: 1,55 Millionen, aktuell verkaufte Auflage von Bild am Sonntag: 0,83 Millionen

Damit ist die verkaufte “Bild”-Auflage — die seit 2017 übrigens nur noch zusammen mit der Auflage der “Fußballbild” ausgewiesen wird — so niedrig wie vor gut 65 Jahren. Die der “Bild am Sonntag” hat ungefähr das Niveau aus dem Jahr 1957, also kurz nach Gründung des Blatts, erreicht:

Auflagenentwicklung von Bild und Bild am Sonntag seit den 1950er-Jahren
(Draufklicken für größere Version)

Zum Gesamtbild gehört allerdings auch, dass Bild.de seit Jahren mehr und mehr Visits verzeichnen kann:

Entwicklung der Visits von Bild.de seit 2002 - aktuelle monatliche Visits von Bild.de: 397,52 Millionen

Die “Bild”-Medien haben erst vergangenen Monat den fünften Geburtstag des Bezahlangebots “Bild plus” gefeiert. Und gleichzeitig 400.000 “Bild plus”-Abonnenten. Diese zahlen, je nach Abo-Modell, zwischen 3,99 Euro und 12,99 Euro pro Monat. Viele sicher auch weniger, weil es immer wieder Kombi-Spar-Angebote gibt in Zusammenarbeit mit Streaming-, Mobilfunk- und Wasauchimmer-Anbietern.

Demgegenüber steht der Verlust von etwa 980.000 “Bild”-Käufern im selben Zeitraum, die nun nicht mehr rund 20 Mal im Monat am Kiosk zwischen 75 Cent und 1 Euro bezahlen, je nach Regionalausgabe.

Mathias Döpfner, Vorsitzender des Springer-Verlags, sagte vor wenigen Tagen im Interview mit “Meedia” zur Auflagen-Entwicklung von “Bild”:

Aktuell aber freuen wir uns bei Bild, dass der Rückgang etwas verlangsamt worden ist. Der Kurs von Julian Reichelt wird von vielen Lesern begrüßt.

Diese Wertschätzung des “Kurses von Julian Reichelt” bedeutet konkret, dass “Bild” nun nicht mehr 12,3 Prozent der harten Auflage (nur Einzelverkauf und Abo, ohne Bordexemplare im Flugzeug und andere Auflagen-Kosmetik) innerhalb eines Jahres verliert, sondern nur noch 10,5 Prozent — und damit weiterhin deutlich mehr als andere überregionale Tageszeitungen. Dazu auch von uns: herzlichen Glückwunsch!

Bild  

La Le Lu

Könnte man als Redaktion nicht auf die Idee kommen, noch mal kurz zu checken, ob es im Französischen wirklich le vidéo oder doch eher la vidéo heißt, bevor man riesengroß zum WM-Sieg Frankreichs das hier titelt?

Ausriss Bild-Zeitung - Vive le vidéo

Mit Dank an Mirko G. für den Hinweis!

Menschen im Koma schützen? Nicht mit “Bild”!

Bei “Bild” und Bild.de interessieren sie sich offenbar nicht für den Schutz von hilflosen Personen.

Vor vier Monaten stürzte ein Mann beim Joggen in einem Park in Berlin-Wilmersdorf. Er wurde bewusstlos und liegt bis heute im Koma. Da er keinen Ausweis bei sich hatte und ihn niemand als vermisst meldete, wusste die Polizei lange nicht, wer der Mann ist. Bis gestern. Da meldete sich ein andere Mann, der auf einem von der Polizei veröffentlichten Foto einen Schlüssel wiedererkannte. Mit Hilfe des Anrufers konnten die Beamten die Wohnung des Joggers ausfindig machen und damit dessen Identität klären.

Bild.de veröffentlichte gestern einen Artikel zu der aktuellen Entwicklung. Darin auch dieses Zitat von Uwe Dziuba, Hauptkommissar in der Vermisstenstelle:

Screenshot Bild.de - Als er anrief, waren mein Kollege und ich gerade unterwegs, fuhren aber sofort zu der Adresse – die Schlüssel des Joggers passten. Im Flur fanden wir seinen Ausweis und seine Krankenkassenkarte, die wir mitnahmen und der Betreuerin übergaben. Sie bat uns darum, seine Identität zu schützen, deshalb geben wir seinen Namen nicht heraus. Die Betreuerin wurde umgehend informiert.

Nur drei Absätze später, unter der Zwischenüberschrift “Das ist der Jogger”, nennt die Bild.de-Autorin den Namen des Mannes:

Screenshot Bild.de - Sein Name
(Unkenntlichmachung durch uns.)

Sie nennt die zwei Vornamen des Mannes und den abgekürzten Nachnamen, auch in der gedruckten “Bild”. Sie nennt das Alter des Mannes und den Namen der Straße, in der sich seine Wohnung befindet (beide Informationen stehen auch in einer Pressemitteilung der Polizei). Sie nennt den Familienstand des Mannes, schreibt, wie lange er bereits in seiner Wohnung wohnt. Sie und ihre Redaktion zeigen ein Foto der Straße, in der sich die Wohnung des Mannes befindet. Sie zeigen ein Foto des Briefkasten des Mannes. Und sie zeigen ein Foto, auf dem der Mann im Koma zu sehen ist, ohne Verpixelung. Dieses Foto hatte die Polizei rausgegeben, als die Identität des Mannes noch nicht geklärt war. Nun ist sie geklärt. Für die “Bild”-Medien offenbar kein Grund, das Gesicht einer hilflosen Person nicht mehr zu zeigen.

Inzwischen hat die Bild.de-Redaktion eine wichtige Information aus ihrem Artikel gelöscht. Allerdings nicht den Namen des Mannes, oder den der Straße, in der sich seine Wohnung befindet. Sondern einen Teil des Zitats von Uwe Dziuba, dem Polizeibeamten, der sagt, dass man die Identität des Mannes schützen wolle. So wurde aus …

Screenshot Bild.de - Als er anrief, waren mein Kollege und ich gerade unterwegs, fuhren aber sofort zu der Adresse – die Schlüssel des Joggers passten. Im Flur fanden wir seinen Ausweis und seine Krankenkassenkarte, die wir mitnahmen und der Betreuerin übergaben. Sie bat uns darum, seine Identität zu schützen, deshalb geben wir seinen Namen nicht heraus. Die Betreuerin wurde umgehend informiert.

… auf einmal:

Screenshot Bild.de - Als er anrief, waren mein Kollege und ich gerade unterwegs, fuhren aber sofort zu der Adresse – die Schlüssel des Joggers passten. Im Flur fanden wir seinen Ausweis und seine Krankenkassenkarte, die wir mitnahmen und der Betreuerin übergaben.

Mit Dank an Daniel B., Ulrike, wolkenzottel und @kentrail_ticker für die Hinweise!

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