Geht Teslas aufgeladener Aktienrallye der Saft aus?
Während Elon Musk sich in Deutschland mit VW-Vorstand Herbert Diess traf und eine Testfahrt mit Volkswagens neuem Elektroauto “ID.3” machte, brachen die Aktien seiner eigenen E-Wagenschmiede am Dienstag um mehr als 20 Prozent ein. 80 Milliarden Dollar Wert verpufft – an einem Tag!
Hups.
Klar, es ist weiterhin möglich, dass die Tesla-Aktie den von der “FINANZ-DIVA” ausgegebenen Zuwachs bis zum 22. September noch “locker” erreicht. Allerdings wäre nach dem jüngsten Kurseinbruch dafür nicht mehr “ein schöner Kurszuwachs von 40 Prozent” nötig, sondern ein noch schönerer von 75 Prozent.
In dem Bild.de-Artikel über die “6 Aktien”, die “jetzt Gold wert” seien, findet man noch diesen Hinweis:
Haftungsausschluss & Disclaimer: Die Inhalte auf bild.de wollen keine spezifischen Anlageempfehlungen geben und enthalten lediglich allgemeine Hinweise. Autoren, Herausgeber und die zitierten Quellen haften nicht für etwaige Verluste, die aufgrund der Umsetzung ihrer Gedanken und Ideen entstehen.
Und das gilt ja auch ganz generell: Um “Gedanken und Ideen”, auf die man bei Bild.de stößt, sollte man besser einen großen Bogen machen.
“Bild”-Chef Julian Reichelt hat eine Verteidigungsstrategie entworfen, mit der er derzeit versucht zu rechtfertigen, wie seine Redaktion aus Solingen berichtet hat, und die geht so: Die da haben das aber auch gemacht. Die da, das sind einerseits RTL und andererseits die Ermittlungsbehörden.
Reichelts Team hatte vergangene Woche bei Bild.de einen inzwischen gelöschten Artikel veröffentlicht, in dem ein Zwölfjähriger über private WhatsApp-Nachrichten eines elfjährigen Freundes spricht. Fünf Geschwister des Elfjährigen wurden kurz zuvor getötet. Bild.de zeigte auch einen Screenshot dieser Nachrichten, sogar auf der Startseite. Außerdem berichtete der Zwölfjährige von einem Telefonat mit seinem Kumpel. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk sagte Reichelt gestern:
Und wir orientieren uns natürlich auch daran, was zum Beispiel Ermittlungsbehörden tun und wie sie mit so einem Fall verfahren. Und in diesem Fall war es zum Beispiel so – das ist in der Berichterstattung oder in der Meinungsäußerung über Bild in den letzten Tagen ein bisschen verloren gegangen – dass auch die Polizei auf ihrer Pressekonferenz, aus dem Chat, oder aus einem Chat, den es gegeben hat, mit diesem überlebenden Jungen, dem unser tiefes, tiefes Mitgefühl gilt, Chats von diesem Jungen thematisiert hat und aus diesen Chats zitiert hat. Also, nicht nur wir sind zu der Einschätzung gelangt, dass diese Nachrichten, die dort im Verlauf dieser Katastrophe, kann man ja sagen, geschrieben wurden, von überragendem Interesse sind, sondern auch die Ermittlungsbehörden. Dort hat der Leiter der Ermittlungsgruppe auf der Pressekonferenz eben thematisiert, was der überlebende Junge aus dieser Familie in einem schulischen Gruppenchat geschrieben hat.
Immer wieder bezieht sich Julian Reichelt in dem Gespräch auf das Verhalten der Ermittlungsbehörden: Das, was seine “Bild”-Redaktion gemacht hat, sei eigentlich nicht viel anders gewesen als das, was Staatsanwaltschaft und Polizei bei der Pressekonferenz gemacht haben.
Wer nun glaubt, die Ermittlungsbehörden hätten bei der Pressekonferenz in Solingen den privaten Chatverlauf zwischen dem Elf- und dem Zwölfjährigen ausgedruckt und den anwesenden Journalistinnen und Journalisten in die Hände gedrückt oder einen Zwölfjährigen auf die Bühne gezerrt, der dann vom Inhalt des Telefonats mit seinem Freund berichtete, sollte sich die Pressekonferenz angucken.
Zu Beginn der PK zeichnet Einsatzleiter Robert Gereci einen Zeitstrahl nach und sagt dabei:
Gegen 14:08 Uhr ging bei uns der Hinweis ein, dass der Sohn, der Sohn […], der für uns noch nicht lokalisiert war, in einem schulischen Gruppenchat mitgeteilt habe, dass all seine Geschwister tot seien.
Das ist alles. Das ist das Fundament für Reichelts großes Ablenkungsmanöver. Mehr sagen Polizei und Staatsanwaltschaft bei der Pressekonferenz nicht zu den WhatsApp-Chats des Jungen. Es geht um eine Nachricht (und nicht um “Nachrichten”, wie Reichelt behauptet) in einem Chat (und nicht in “Chats”, wie Reichelt teilweise behauptet), die nicht direkt zitiert wird und deren Inhalt nicht über das hinausgeht, was sowieso schon alle Anwesenden bei der Pressekonferenz wussten.
Bei der Polizei und bei der Staatsanwaltschaft sagt man uns auf Nachfrage, dass man der Argumentation des “Bild”-Chefs nicht so recht folgen könne. Man habe bewusst nicht direkt zitiert. Man habe bewusst keinen direkten Empfänger genannt. Das sei vor allem wegen der Privatsphäre und der Vertraulichkeit des Inhalts der Ermittlungsakte so geschehen. Der Informationsanspruch der Öffentlichkeit habe bei den WhatsApp-Nachrichten des Kindes aus Sicht der Ermittlungsbehörden nicht überwogen.
Julian Reichelt wirft noch eine zweite Nebelkerze. Bereits vor “Bild” hatte auch RTL den Zwölfjährigen interviewt, der vor der Kamera über die WhatsApp-Nachrichten seines elfjährigen Freundes sprach. In einer internen Mitteilung an seine Belegschaft, in der er zur massiven Kritik an dem Bild.de-Artikel Stellung nimmt, schreibt Reichelt:
Wichtig ist mir noch ein Punkt: Als wir über diese Geschichte berichtet haben, war sie schon millionenfach gesehen, gelesen, angeklickt. Wir haben berichtet, was längst bekannt war. Der Zorn richtet sich gegen “Bild”, aber eine “Bild”-Geschichte war das nicht.
Gemeint sind die Beiträge von RTL und RTL.de. Der Gedanke dahinter muss sein: Weil dort das alles schon gelaufen ist, konnte “Bild” ja gar nicht anders und musste sich geradezu an ein Kind heranwanzen, um an private WhatsApp-Nachrichten eines anderen Kindes, das gerade fünf Geschwister verloren hatte, zu kommen. Wenn vorher schon RTL berichtet hat, gehört es bei “Bild” offenbar zur Chronistenpflicht, einen Screenshot dieses WhatsApp-Chats zu veröffentlichen und dem Zwölfjährigen noch ein paar Details zu einem Telefonat mit seinem verzweifelten Freund zu entlocken.
In einer Wohnung in Solingen hat die Polizei vorgestern die Leichen von fünf Kindern gefunden. Laut Staatsanwaltschaft sollen sie betäubt und erstickt worden sein. Als Verdächtige gilt die Mutter der fünf Geschwister, gegen sie wurde ein Haftbefehl erlassen. Ein sechstes Kind, ein ElfJähriger, soll zur vermuteten Tatzeit in der Schule gewesen sein. Der Junge lebt.
Viele Medien berichten über den Fall. Manche seriös und nachrichtlich, andere geschmacklos und boulevardesk. Besonders eklig ist das Vorgehen der “Bild”-Medien. Sie schrecken nicht einmal davor zurück, private WhatsApp-Nachrichten des ElfJährigen publik zu machen, die dieser verfasst haben soll, nachdem er vom Tod seiner fünf Brüder und Schwestern erfahren hat.
Ein paar unserer Beobachtungen zur “Bild”-Berichterstattung.
Noch am Donnerstagabend zeigt Bild.de ein unverpixeltes Foto der Mutter auf der Startseite. Dazu die Schlagzeile: “Drama in Solingen (NRW) – Sie soll ihre fünf Kinder getötet haben”. Inzwischen wird die Frau nur noch mit einem schmalen schwarzen Balken über den Augen gezeigt.
Am nächsten Morgen ist auf der “Bild”-Titelseite von “soll” oder einem Verdacht schon nichts mehr zu lesen. Stattdessen der Urteilsspruch der “Bild”-Richter:
Auch auf der heutigen Seite 1 der “Bild”-Zeitung steht bereits alles fest:
(Augenbalken von “Bild”, weitere Unkenntlichmachung durch uns.)
Im Blatt heißt es: “Sie deckte den Frühstückstisch, dann erstickte sie ihre Kinder”.
Doch zurück zum Freitag. Am Vormittag ferndiagnostiziert im Studio von “Bild TV” ein Profiler die Motive der Mutter und erzählt vom “typischen Profil solcher Täterinnen”. Reporterinnen und Reporter von “Bild” sind in Solingen vor Ort, stürzen sich auf Nachbarinnen oder Bekannte der Familie. Manche von ihnen sind ziemlich redselig.
Am Freitagabend dann der bisherige Tiefpunkt der grässlichen “Bild”-Berichterstattung:
(Diese und alle folgenden Unkenntlichmachungen im Beitrag durch uns.)
Die Verdächtige soll sich nach der Tat mit ihrem elfjährigen Sohn getroffen, ihm vom Tod der Geschwister erzählt und ihn zur Großmutter geschickt haben. Auf dem Weg dorthin soll der Junge mehreren Freundinnen und Freunden bei WhatsApp geschrieben beziehungsweise Sprachnachrichten geschickt haben. Einen dieser Freunde hat sich “Bild” geschnappt. Die Redaktion lässt den Jungen, der gerade mal zwölf Jahre alt ist, erzählen, was ihm sein Kumpel alles anvertraut hat:
In BILD schildert […], was er über die tödliche Tragödie in der Familie seines besten Freundes […] weiß.
Die “Bild”-Redaktion benutzt ein Kind, um an private Aussagen eines anderen Kindes zu kommen. Ihr scheint dabei völlig egal zu sein, in was für einer grausamen Situation sich der Elfjährige befindet. Rücksichtslos veröffentlicht sie Zitate aus dem Telefonat der zwei Jungen. Sie zeigt auch einen Screenshot der WhatsApp-Unterhaltung der beiden – die Nachrichten des Elfjährigen seien “ein Schmerzensschrei und Hilferuf, wie sie schrecklicher nicht sein können.” Das alles passiert offenbar mit Einwilligung der Mutter des Zwölfjährigen. Die “Bild”-Redaktion schreibt extra, als wüsste sie genau, wie verwerflich ihr Vorgehen wirkt:
[…] ist 12 Jahre alt und bekam die erschütternde WhatsApp-Nachricht. Bei dem Interview mit BILD war die ganze Zeit seine Mutter anwesend
Als würde die Anwesenheit der Mutter das alles rechtfertigen; als würde eine Redaktion jegliche Verantwortung abgeben, nur weil sie jemanden gefunden hat, der bereit ist, intimste Nachrichten eines vermutlich traumatisierten, verzweifelten Kindes, das gerade alle fünf Geschwister verloren hat, öffentlich zu machen. Wie menschenverachtend kann eine ganze Redaktion sein? Sitzt dort wirklich niemand, der oder die in so einer Situation protestiert: “Nee, Leute, das können wir nun wirklich nicht machen”?
Stattdessen nutzt die “Bild”-Redaktion die schreckliche Situation des Kindes auch noch, um ein bisschen Geld zu verdienen: Sie hat den Artikel mit den WhatsApp-Nachrichten und den Details zum Telefonat hinter die “Bild plus”-Bezahlschranke gestellt. In der “Bild”-Leserschaft scheint es leider genug Leute zu geben, die richtig scharf auf solchen Stoff sind:
Nachtrag, 13:52 Uhr: Die Berichterstattung von RTL und RTL.de ist leider kein Stück besser. Online sind Fotos der Mutter ohne irgendeine Unkenntlichmachung zu sehen. Auch RTL, seit rund eineinhalb Jahren inhaltlich von der ehemaligen “Bild”-Chefredakteurin Tanit Koch verantwortet, hat Reporterteams in Solingen vor Ort. Eine Reporterin hat ebenfalls mit dem Zwölfjährigen ein Interview geführt, in dem dieser von den privaten Nachrichten seines elfjährigen Freundes erzählt. Diese Nachrichten werden bei RTL.de auch zitiert. Der Zwölfjährige ist unverpixelt zu sehen, sein vollständiger Name wird eingeblendet. Es gibt allerdings einen Unterschied zur Berichterstattung bei Bild.de: Bei RTL sagt der Zwölfjährige, dass er zwar bei dem Elfjährigen angerufen habe, aber eine andere Person den Anruf angenommen habe – er also gar nicht mit seinem Freund am Telefon gesprochen habe. Das würde der Bild.de-Schlagzeile “Freund […] telefonierte mit dem Sohn, der überlebte” und einigen Behauptungen im dazugehörigen Artikel widersprechen.
Darüber berichtete gestern auch Bild.de. Die Redaktion hat sogar mit einem Vertreter der Menschenrechtsorganisation Survival International gesprochen, die sich allgemein für indigene Völker und speziell für die Sentinelesen einsetzt:
Niklas Ennen von der Menschenrechtsorganisation Survival Internaltional [sic] sagt zu BILD: “Von einer Corona-Infektion auf der Insel der Sentinelesen gibt es bislang noch keine gesicherten Hinweise. In einer gefährlichen Situation befinden sich aber alle unkontaktierten Völker, für die ein Kontakt mit der Mehrheitsgesellschaft lebensbedrohlich sein kann.”
Auch die Sentinelesen seien “extrem anfällig für eingeschleppte Krankheiten”, so Ennen. Während einer globalen Pandemie sei “das Risiko einer folgenschweren Infektion noch größer.” Daher brauche es eine “angemessene Überwachung” der um North Sentinel herum befindlichen Gewässer. Und dann, schreibt Bild.de, habe Ennen über die Sentinelesen noch gesagt:
“Wir versuchen den Begriff ‘Steinzeitmenschen’ zu vermeiden, da er suggeriert dass diese Menschen einer früheren Entwicklungsstufe angehören. Das stimmt aber nicht. Auch indigene und unkontaktierte Völker entwickeln sich – wenn auch in einer anderen Art und Weise, als wir dies tun.”
Welche Überschrift hat die “Bild”-Redaktion wohl für ihren Artikel gewählt, in dem sich dieser Appell gegen die respektlose Bezeichnung befindet? Genau:
Bei “Bild” knöpfen sie sich jetzt Minderjährige vor:
(Augenbalken von “Bild”, weitere Unkenntlichmachung durch uns.)
Der Jugendliche, über den sich die “Bild”-Redaktion vergangenen Donnerstag in ihrer Hamburg-Ausgabe hermachte, ist der 15-Jährige, der inmehrerenVideosequenzen zu sehen war, die vor zwei Wochen in den Sozialen Medien auftauchten und für eine erneute Diskussion über Polizeigewalt sorgten. Was in den Videos passiert, lässt sich grob so zusammenfassen: Der Junge steht in Hamburg mit dem Rücken zu einer Hauswand, er ist umzingelt von vier Polizisten. In den ersten paar Sekunden ist zu sehen, wie er mit den Beamten ringt, diese von sich wegschubst. Die Polizisten weichen daraufhin etwas zurück, einer von ihnen zieht seinen Schlagstock. Man hört Sirenen. Verstärkung kommt, und nun sind es acht Polizisten, die vor dem Jungen stehen. Die Beamten schreien mehrmals: “Auf den Boden!” Der Jugendliche bleibt aber stehen und wird schließlich niedergerungen, als er sein T-Shirt ausziehen will, bis er ruft: “Ich krieg’ keine Luft!” Ausgangspunkt war eine Polizeikontrolle, nachdem der Junge mit einem E-Scooter in Hamburg-Neustadt auf dem Gehweg gefahren war. Er konnte oder wollte sich nicht ausweisen, dann eskalierte die Situation.
Über das Vorgehen der Polizisten wurde daraufhin viel diskutiert, vor allem in den Sozialen Medien: War es übertrieben? War es angemessen? Mussten die Beamten derart rabiat vorgehen? Konnten sie gar nicht anders? War das unangemessene Polizeigewalt?
Laut “Bild” nicht. Laut “Bild” handelte es sich nur um “vermeintliche Polizeigewalt”:
Vergangene Woche war er Mittelpunkt eines Videos, das vermeintliche Polizeigewalt dokumentieren sollte. Hobby-Boxer K[.] geriet nach einer E-Scooter-Kontrolle mit acht Beamten aneinander (BILD berichtete). Doch nun sieht es weniger nach Polizeigewalt aus – K[.] gerät wegen Übergriffen selbst in den Fokus.
In dem letzten Satz steckt der ganze Ekel dieser “Bild”-Geschichte: Weil der Jugendliche zwei Monate zuvor wegen vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt worden sein soll, soll das Vorgehen der Polizisten (in einer davon völlig unabhängigen Situation) weniger schlimm gewesen sein? Weil er “selbst in den Fokus” gerät, sieht es nun “weniger nach Polizeigewalt aus”? Als würde es einen Unterschied machen bei der Bewertung eines Polizeieinsatzes, wessen Körper da gerade unter dem Knie eines Polizisten liegt – der eines vorbestraften Jugendlichen oder der eines Jugendlichen, der sich noch nie etwas hat zu Schulden kommen lassen. Es ist ein gruseliges Verständnis vom Rechtsstaat, in dem eigentlich jeder und jede das Recht hat, dass ihm oder ihr keine unnötige Polizeigewalt angetan wird. Auch frühere Straftäter, auch E-Scooter-Fahrer, die unerlaubterweise auf dem Gehweg fahren.
Der “Bild”-Artikel dient gleich zwei Zielen: Er verteidigt einerseits die Hamburger Polizei, indem er es so klingen lässt, als hätten die Beamten gar nicht anders gekonnt – der Junge habe schließlich auch mal seinen “LEHRER VERPRÜGELT”. Und er lenkt andererseits ab von einer legitimen Diskussion über Gewalt durch Polizisten. Er verschiebt den Fokus auf die in diesem Fall völlig unerhebliche Vergangenheit des möglichen Opfers. Er diskreditiert das mögliche Opfer, indem er einstige Vergehen rauskramt – als hätte das eine (der Polizeieinsatz gegen den Jungen) mit dem anderen (mögliche Vorstrafen des Jungen) etwas zu tun. Die “Bild”-Redaktion geht sogar so weit, dass sie das Wort “Opfer” in ihrer Überschrift hämisch nur in Anführungszeichen schreibt.
Bereits eine Woche zuvor ging es bei “Bild” nicht weniger hämisch und geschmacklos zu. In Hamburg standen solche Werbeaufsteller vor Kiosken:
(Diese und alle folgenden Unkenntlichmachungen durch uns.)
In der Hamburg-Ausgabe der “Bild”-Zeitung erschien ein großer Artikel mit wortgleicher Überschrift. Auch hier ging es bereits darum, den Jungen zu diskreditieren.
Erstmal zum “Boxer”, was lediglich ein sprachlicher Kniff der Redaktion ist. Vielleicht findet sie es auch irgendwie lustig. Der 15-Jährige geht noch zur Schule, ist also erst einmal Schüler. In seiner Freizeit boxt er im Sportverein. Ihn als “Boxer” zu präsentieren, als hätten es die Polizisten mit einem durchtrainierten Profisportler zu tun gehabt, ist, vorsichtig ausgedrückt, unangebracht. Außerdem schließt sich die “Bild”-Redaktion damit dem Framing der Hamburger Polizei an: Diese hatte in einer Pressemitteilung gleich zweimal geschrieben, der Jugendliche sei “sehr groß und stark” gewesen. Die Betonung der Attribute “groß” und “stark” lenkt von dessen Minderjährigkeit ab. Die “Bild”-Redaktion steigert dieses Framing noch, indem sie den 15-Jährigen zum “Boxer” erklärt.
Dass der Junge gegen die Polizisten “verloren” habe, wie “Bild” titelt, zieht die ernste Angelegenheit endgültig ins Lächerliche. Die Redaktion macht damit aus einer Situation, in der ein unbewaffneter Jugendlicher mehreren bewaffneten Vertretern der Staatsgewalt gegenüberstand, einen sportlichen Wettkampf, bei dem es ums Gewinnen oder Verlieren geht. Und auch in diesem Artikel stürzt sich “Bild” auf mehrere angebliche Ermittlungsverfahren, die schon gegen den Jungen gelaufen sein sollen. Auch diese haben rein gar nichts mit dem Vorfall, um den es eigentlich geht, zu tun.
Diese “Bild”-Masche – sich lieber auf mögliche Opfer von Polizeigewalt und deren kriminelle Vergangenheit zu konzentrieren, statt auf die Polizeigewalt selbst – konnte man zur selben Zeit bei einem weiteren Fall beobachten:
In einem Video, das den Polizeieinsatz in Düsseldorf zeigt, sieht man, wie ein Polizist einen Jugendlichen am Boden fixiert. Das Knie des Beamten befindet sich auf dem Kopf des Jungen. Das schockierte viele, zwischenzeitlich auch Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul. Die “Bild”-Redaktion ging hingegen schnell dazu über (wie auch manchandere Redaktion), sich den 15-Jährigen unter dem Polizistenknie vorzunehmen. Sie machte eine Reihe von früheren Vergehen des Jungen öffentlich, die dieser teils begangen haben soll, als er noch nicht strafmündig war. Und wieder klingt es nach irgendwas zwischen “Ach, sieh mal einer an: Der war aber auch kein Engel” und “Na also, da hat es ja genau den Richtigen getroffen”. Dabei schreibt selbst der Autor des Bild.de-Artikels:
Wenn man seine Polizeiakte liest, ist der junge Mann kein unbeschriebenes Blatt. Was natürlich nicht bedeutet, dass er nicht selbst ein Opfer von Gewalt sein kann.
Das hindert die “Bild”-Redaktion freilich nicht daran, so eine Story zu bringen.
Die Berliner Versammlungsbehörde hat entschieden, dass mehrere Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung, die am Wochenende in der Hauptstadt stattfinden sollten, nicht stattfinden dürfen. Dieses Verbot begründet sie damit, “dass es bei dem zu erwartenden Kreis der Teilnehmenden zu Verstößen gegen die geltende Infektionsschutzverordnung kommen wird.” Zur Demo wollten zahlreiche Verschwörungsmystiker, Rechtsextreme, Neonazis, Antisemiten aus ganz Deutschland anreisen.
Die “Bild”-Redaktion kommentiert die Entscheidung der Behörde heute so:
Mit selbst für “Bild”-Verhältnisse ungewöhnlichem Furor spricht sie von einem “inakzeptablen Angriff auf eines unserer höchsten Grundrechte”, die Entscheidung sei “gegen jede Verhältnismäßigkeit” getroffen worden, sie sei “an politischer Dummheit kaum zu überbieten”. Bei Berlins Innensenator Andreas Geisel treffe man auf “Sprache und Denken wie aus der DDR”. Das alles sei “auf demokratieverachtende Weise lächerlich”.
Vor gerade mal vier Tagen, als eine Demonstration in Hanau zum Gedenken an die neun Menschen, die ein halbes Jahr zuvor Opfer eines rassistischen Anschlags geworden sind, nicht stattfinden durfte, war von diesem Furor bei “Bild” keine Spur. Lediglich einen Artikel veröffentlichte die Redaktion dazu, vier sachliche Absätze. Kein “inakzeptabler Angriff”, keine fehlende “Verhältnismäßigkeit”, keine “politische Dummheit”, nicht mal das Wort “Verbot” taucht in dem Text auf. Die “Bild”-Redaktion spricht stattdessen von “abgesagt”:
So gewaltig die Worte auch sind, die sie für ihren Kommentar zum Demo-Verbot in Berlin gewählt hat – natürlich kann die “Bild”-Redaktion dieser Meinung sein, die sie mit großer Leidenschaft vertritt. Allerdings könnte ihre Berichterstattung über das Demo-Verbot in Hanau dadurch auch nicht leidenschaftsloser wirken.
Vor dem Landgericht Wiesbaden läuft derzeit ein Prozess gegen einen Mann, dem unter anderem schwerer sexueller Missbrauch von vier Kindern vorgeworfen wird. Die “Bild”-Zeitung berichtet heute groß in ihrer Bundesausgabe über das Verfahren und druckt dazu zwei Fotos: Das eine zeigt den Angeklagten, der sich das Gesicht mit einem Briefumschlag verdeckt, im Gerichtssaal. Das andere, eine ältere Aufnahme, zeigt ihn am Schreibtisch sitzend, das Gesicht klar erkennbar. “Bild” hat nichts verpixelt:
(Unkenntlichmachung durch uns.)
Auch bei Bild.de ist das Schreibtisch-Foto unverpixelt zu sehen.
Die fehlende Unkenntlichmachung ist natürlich kein Versehen, kein Flüchtigkeitsfehler, sondern genau so von der “Bild”-Redaktion gewollt. Sie hat es noch nie sonderlich interessiert, dass ein Angeklagter kein verurteilter Täter ist, und dass in Deutschland die Unschuldsvermutung gilt (und selbst eine eventuelle Verurteilung bedeutet nicht automatisch, dass man das Gesicht des Mannes einfach zeigen darf).
Neben dem Schutz des Angeklagten kommt in diesem Fall aber noch, zumindest indirekt, ein weiterer Aspekt hinzu, den “Bild” missachtet: der Schutz der Opfer. In der “Bild”-Überschrift ist nicht zu überlesen, dass es sich bei den Opfern um die Töchter des Angeklagten handele. Wer den Angeklagten kennt und dank der “Bild”-Redaktion auf dem Foto erkennt, weiß direkt, um wen es sich bei den Opfern handeln muss. Da bringt es auch nichts, dass im Artikel bei Bild.de die Vornamen der Opfer von der Redaktion geändert wurden.
Der Prozess in Wiesbaden findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt – auf Antrag der Nebenklage und zum Schutz der Opfer. Der “Spiegel” schreibt: “Zu groß sei die Gefahr, dass sich eine Veröffentlichung negativ auf die weitere Entwicklung der Kinder auswirken könnte, sagte die Vorsitzende Richterin Annette Honnef.”
Es ist gut, dass Bürgerinnen und Bürger über das Portal “Abgeordnetenwatch” zum Beispiel einer Bundestagsabgeordneten oder einem Landespolitiker Fragen stellen können.
Es ist schlecht, wenn diese Fragen allein auf, nun ja, Informationen aus der “Bild”-Zeitung beruhen.
Ein Mann nutzte Anfang dieses Monats die Möglichkeit, die “Abgeordnetenwatch” bietet, und schrieb an die rheinland-pfälzische Landtagsabgeordnete Bettina Brück:
Sehr geehrte Frau Brück,
einem Beitrag in “Bild Deutschland” vom 4.8.2020 S. 3 “Dürfen sich dicke Lehrer vom Unterricht befreien?”, konnte ich entnehmen, daß im Saarland lediglich 1,4% der Lehrerschaft zur Corona-Risikogruppe gehören, in Rheinland-Pfalz dagegen 15%, mit der damit höchsten Quote der einzelnen Bundesländer. Wie als erklären Sie sich als Bildungspolitikerin diesen eklatanten Unterschied?
Die “Bild”-Redaktion hatte am 4. August “spannende Fragen zum Schulbeginn nach den Ferien” gesammelt und versucht, diese zu beantworten:
Die erste Frage lautete: “Wie viele Lehrer werden fehlen?” Antwort der “Bild”-Redaktion:
BILD fragte bei den Bildungsministerien aller 16 Bundesländer nach. Das Ergebnis: Zwischen 1,4 % (Saarland) und 15 % (Rheinland-Pfalz) der Lehrer gehören zu einer Corona-Risikogruppe und sind daher nicht zum Erscheinen in der Schule verpflichtet.
Das ist tatsächlich ein “eklatanter Unterschied”, wie der Fragesteller bei “Abgeordnetenwatch” schreibt. Bloß: Der “Bild”-Vergleich ist falsch. Bettina Brück antwortete dem Mann:
Die Antwort ist schnell gegeben: dieser eklatante Unterschied erklärt sich aus einem journalistischen Fehler der BILD-Zeitung.
Das Problem bei den “Bild”-Zahlen laut der Politikerin: Während die 1,4 Prozent aus dem Saarland eine “Prognose zum Start des neuen Schuljahrs” seien, handele es sich bei den 15 Prozent aus Rheinland-Pfalz um einen Wert aus dem vergangenen Schuljahr. Oder anders: “Bild” vergleicht Zahlen von vor den Sommerferien mit Zahlen von nach den Sommerferien. Allerdings hat sich während der Sommerferien einiges getan bei den Regelungen, welche Lehrkräfte von zu Hause aus unterrichten dürfen und welche nicht. Vor den Sommerferien durften in Rheinland-Pfalz beispielsweise Lehrerinnen und Lehrer, die 60 Jahre oder älter sind, selbst entscheiden, ob sie zum Präsenzunterricht erscheinen. Das ist nun nicht mehr so. Brück schreibt:
Richtig ist: Vor Beginn der Sommerferien waren ca. 15 % der rund 41.000 Lehrkräfte in Rheinland-Pfalz aufgrund des Alters oder von Vorerkrankungen ausschließlich von zuhause tätig. Das Bildungsministerium geht aber begründet davon aus, dass diese Zahl nach den Sommerferien sinken wird. Die Vorgaben für den Schulstart nach den Sommerferien wurden nämlich derart geändert, dass nur noch Lehrkräfte mit attestierten Vorerkrankung von zu Hause arbeiten können.
Laut SWR schätzt das rheinland-pfälzische Bildungsministerium, “dass zu Beginn des neuen Schuljahrs rund zwei Prozent aller Lehrer (…) mit Attest freigestellt werden”.
Es ist schlecht, wenn Politikerinnen und Politiker ihre Zeit damit verbringen müssen, den Unfug, den die “Bild”-Medien verbreiten, richtigzustellen.
Corona-Alarm im Norden! Der Kreis Dithmarschen in Schleswig-Holstein droht zum Risikogebiet zu werden.
(30. Juli)
(30. Juli)
(27. Juli)
(24. Juli)
(18. Juli)
(2. Juli)
(28. Juni)
Corona-Alarm in einer Grundschule in Leipzig-Holzhausen. Ein Kind der vierten Klasse ist dort positiv auf das Virus getestet worden.
(26. Juni)
Wieder Corona-Alarm im Hamburger Hafen!
Im Hansahafen liegt bei Unikai der italienische Autotransporter “Grande Cotonou” (236 Meter) in der Kette – er wurde unter Quarantäne gestellt, darf den Hafen zwei Wochen lang nicht verlassen.
(25. Juni)
(5. Juni)
Corona-Alarm im Psychiatriezentrum der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Königslutter (Kreis Helmstedt): Bei der Aufnahme war ein Patient vorige Woche positiv auf das Virus getestet worden.
Im Libanon soll eine Untersuchungskommission der Frage nachgehen, wie es zu den verheerenden Explosionen im Beiruter Hafen kommen konnte, bei denen nach aktuellem Stand mindestens 220 Menschen getötet, mehr als 6000 verletzt und Hunderttausende obdachlos wurden. Doch eigentlich können sich die Libanesen die Ermittlungsarbeit schenken, denn die “Bild”-Redaktion weiß das alles längst:
… titelte Bild.de am Donnerstag, keine 48 Stunden nach den Explosionen.
Es lohnt sich, einen genaueren Blick auf die “Bild”-Berichterstattung zum Thema zu werfen, denn sie zeigt, wie unjournalistisch die Redaktion arbeitet. Statt erst offen zu recherchieren und sich so einer mit Fakten unterfütterten These zu nähern, läuft es bei “Bild” andersrum: Am Anfang steht eine These, die selbstverständlich ins simple Freund-Feind-Schema des Blatts passt, und anschließend werden angebliche Fakten zusammengesucht, die die Erzählung stützen könnten. In diesem Fall noch schlimmer: Manche Fakten verbiegen die beiden Autoren Julian Röpcke und Mohammad Rabie kräftig, sie wählen sie einseitig aus oder geben sie gleich komplett falsch wieder, damit ihre Texte irgendwie zur bereits bestehenden These passen.
Um es gleich zu Beginn einmal klar zu sagen: Der Hisbollah, die große (finanzielle) Unterstützung aus dem Iran bekommt, einen gewissen Rückhalt in Teilen der libanesischen Bevölkerung genießt, über eine Miliz verfügt, deren Kampfkraft stärker sein soll als die der Armee des Landes, und die mit ihrem politischen Arm auch politisch ausgesprochen mächtig im Libanon ist, ist durchaus zuzutrauen, dass sie etwas mit dem Ammoniumnitrat im Beiruter Hafen zu tun hat. Sie hätte die Mittel dafür und ein mögliches Interesse. Es handelt sich immerhin um eine islamistische Gruppierung, die in Deutschland und vielen anderen Ländern der Welt als Terrororganisation eingestuft wird. Die Hisbollah trägt eine beachtliche Mitschuld an der desaströsen Lage, in der sich der Libanon, auch unabhängig von dem Unglück am Dienstag, aktuell befindet. Allerdings sollte man für eine Schlagzeile wie “SO BRACHTE DIE HISBOLLAH DEN SPRENGSTOFF NACH BEIRUT” etwas mehr in der Hand haben als Vermutungen und Vorurteile. Doch mehr haben Röpcke und Rabie nicht. Ihre Texte sind letztlich nicht viel mehr als ein “ist das nicht merkwürdig?”-Geraune plus falsche Recherche.
Bereits am Mittwoch schrieb das “Bild”-Duo über das “SCHIFF”, das “DEN TOD NACH BEIRUT” “BRACHTE”, ohne dabei die Hisbollah zu vergessen:
Die Rhosus, um die es in dem “Bild”-Beitrag geht, gilt als Quelle für das Ammoniumnitrat, das wiederum als Ursache für die große Explosion am Dienstag in Beirut gilt. 2013 war das Schiff nach offiziellen Angaben von Georgien nach Mosambik unterwegs, beladen mit 2750 Tonnen Ammoniumnitrat (und nicht mit dem “TOD”, wie “Bild” schreibt – der soll erst durch viele spätere Versäumnisse die Folge gewesen sein). Es lief allerdings ungeplant den Hafen von Beirut an. Warum die Crew diesen Umweg einlegte, dafür gibt es unterschiedliche Angaben: An manchen Stellen heißt es, technische Probleme seien der Grund gewesen (PDF); andernorts ist davon die Rede, dass zusätzliche Ladung aufgenommen werden sollte (die allerdings gar nicht auf das Schiff passte), um die Fahrt rentabler zu machen oder sich überhaupt erst die Passage durch den Suez-Kanal leisten zu können. Den Beiruter Hafen verließ die Rhosus jedenfalls nicht mehr. Bei einer Hafenstaatkontrolle seien Mängel festgestellt und ein Auslaufverbot verhängt worden. Der Besitzer der Rhosus (“Bild” nennt ihn gewohnt sachlich “windigen Russen”) habe Hafengebühren nicht zahlen wollen und das Schiff letztlich aufgegeben. Die Ladung, das Ammoniumnitrat, wurde konfisziert und in Lagerhalle 12 des Beiruter Hafens geschafft. Inzwischen sind Briefe aufgetaucht, die belegen sollen, dass Vertreter des Zolls wiederholt an die Justiz geschrieben haben sollen, in denen sie darauf drängen, das Ammoniumnitrat wegen Sicherheitsbedenken aus der Halle schaffen zu lassen. Eine Reaktion auf diese Briefe soll es nie gegeben haben.
Wie sich dabei nun die Hisbollah eingemischt haben soll? So, laut Röpcke und Rabie:
Ein Grund dafür, dass keine Entscheidung [durch die Justiz] getroffen wurde, könnte sein, dass sich möglicherweise die Terrororganisation Hisbollah bereits damals in die Bemühungen um die hochexplosive Fracht im Hafen von Beirut eingeschaltet hatte.
In dem Zoll-Schreiben des Jahres 2016 erklärt der damalige Zolldirektor: Sollte ein Export der Ladung nicht möglich sein, könne “die Fracht auch, wie von der Armee empfohlen, an das libanesische Sprengstoff-Unternehmen ‘Majdal Shams’ verkauft werden”.
Und jetzt kommt’s:
Alarmierend: Majdal Shams ist der Name einer Stadt im 1981 von Israel annektierten Golan, die von den Vereinten Nationen bis heute als Teil Syriens geführt wird. Ihr gegenüber liegt nur vier Kilometer entfernt das syrische Dorf Khadar, in dem die Hisbollah massive Terrorstrukturen und einigen Berichten zufolge auch Tunnel errichtet hat, um Majdal Shams anzugreifen.
Der Verdacht, den auch der zuständige Richter gehabt haben könnte: Die Terroristen wollten das Ammoniumnitrat kaufen, um einen nie da gewesenen Terroranschlag auf Israel zu verüben.
Darum die verweigerte Antwort auf die Bitten des Zolls mit Unterstützung womöglich Hisbollah-freundlicher Elemente in der libanesischen Armee
(Link im Original)
Das ist nicht nur eine bemerkenswerte Häufung von “möglicherweise”s, “womöglich”s und Konjunktiven, sondern auch eine ziemlich kühne Herleitung: Die Hisbollah soll hinter dieser Firma stecken, weil diese einen Namen trägt, den auch eine von Israel annektierte Stadt in den Golanhöhen trägt, von der “nur vier Kilometer entfernt” ein Dorf liegt, in dem die Hisbollah Strukturen entwickelt hat? Allein schon zeitlich wäre das ein überraschender Vorgang: Der im “Bild”-Artikel beim Satzteil “in dem die Hisbollah massive Terrorstrukturen” gesetzte Link führt zu einem Beitrag aus dem Juli dieses Jahres, in dem es um eine aktuell möglicherweise bevorstehende Vergeltung durch die Hisbollah geht. Die Hisbollah hätte also schon bei der Namensgebung der Firma, mit der sie sich einem Brief von 2016 zufolge um das Ammoniumnitrat im Beiruter Hafen bemüht haben soll, wissen müssen, dass sie vier Jahre später, als Vergeltung für einen israelischen Angriff, eine Stadt namens Majdal Shams angreifen wird. Das wären bedeutende seherische Fähigkeiten.
Und es wird noch peinlicher für Röpcke und Rabie. Denn sie geben den Brief des Zollbeamten, in dem es um Majdal Shams gehen soll, schlicht falsch wieder: Darin ist nicht die Rede von “Majdal Shams”, sondern von “Majid Shammas”. “Majid” ist ein gängiger Vorname. Und “Shammas” der Name der Familie, der die Firma gehört, die sich um das Ammoniumnitrat bemüht haben soll: Lebanese Explosives Co. SARL (Majid Shammas & Co.).
Einen Tag nach diesem fehlerhaften Artikel, am Donnerstag, war laut “Bild” die Hisbollah dann nicht nur beteiligt am Versuch, das konfiszierte Ammoniumnitrat zu kaufen, sondern gleich gänzlich dafür verantwortlich, dass es überhaupt nach Beirut kam. Zur Erinnerung:
Vielleicht erstmal zum Begriff “Sprengstoff”, der nicht nur in der “Bild”-Überschrift, sondern auch im Artikel mehrmals auftaucht: Ammoniumnitrat ist kein Sprengstoff, sondern ein Salz aus Ammoniak und Salpetersäure. Dieses kann zur Herstellung von Sprengstoff verwendet werden. Es ist dadurch aber nicht automatisch ein Sprengstoff. Denn sonst würden sich Landwirte weltweit Sprengstoff auf ihre Felder kippen – Ammoniumnitrat kann schließlich auch zur Herstellung von Düngemittel verwendet werden. Wie kommen Röpcke und Rabie also darauf, von “Sprengstoff” zu sprechen? Sie schreiben, das Schiff Rhosus habe 2750 Tonnen “einer billigen Kopie des australischen Minen-Sprengstoffs ‘Nitropril’ an Bord gehabt”, und berufen sich bei dieser Einschätzung auf einen “Waffenexperten”. Grundlage dafür ist ein Foto, das den Eingang einer Lagerhalle im Beiruter Hafen zeigen soll, in der Säcke mit dem Aufdruck “NITROPRILL” (also mit doppeltem L) stehen. Es gibt allerdings noch weitere Aufnahmen, die diese Säcke mit dem “NITROPRILL”-Aufdruck zeigen sollen. Und auf denen steht auch: “AMMONIUM NITRATE”. “NITROPRILL” scheint dabei nur eine gewählte Marken- oder Typbezeichnung zu sein.
Doch zurück zur von “Bild” längst festgeschriebenen Rolle der Hisbollah. Röpcke und Rabie schreiben über die Explosionen in Beirut:
BILD-Recherchen zeigen: Die Terrororganisation Hisbollah trägt zumindest eine Mitverantwortung, wenn nicht gar die alleinige Schuld an der Tragödie.
Leider liefern sie dafür dann keine Belege. Aber einen “Verdacht”, den haben sie: Die Ladung der Rhosus sollte nie nach Mosambik:
Der Verdacht: Die angebliche Lieferung nach Afrika war nur ein Vorwand, um den Sprengstoff in Hisbollah-Reichweite zu bringen.
Auch hier: kein Beweis, kein Hinweisgeber, nichts. Dafür aber wieder die Zollschreiben und der versuchte Kauf des Ammoniumnitrats – diesmal immerhin mit dem korrekten Firmennamen:
Es wird noch irrer: Die libanesische Firma “Majid Shammas & CO.”, fast gleichnamig mit der 1967 von Israel eroberten Stadt “Majdal Shams” im Golan, bietet Anfang 2014 an, die knapp 3000 Tonnen Sprengstoff zu kaufen. Die Firma hatte bereits 2013 heimlich Sprengstoff an Syrien-Diktator Assad verkauft – einen der engsten Verbündeten der Hisbollah.
Weil eine Firma mal Sprengstoff an den syrischen Diktator Baschar al-Assad verkauft hat, und die Hisbollah Assad nahesteht, muss die Firma nach “Bild”-Logik eine Verbindung zur Hisbollah haben. Fall gelöst.
Viel einfacher kann man es sich nicht machen. Vor allem, wenn es um den Libanon geht, wo das Verhältnis zu Syrien ein sehr komplexes ist. Man kann die politische Landschaft im Libanon unter verschiedensten Gesichtspunkten unterteilen. Einer davon: Ist eine Partei pro- oder anti-syrisch? Die “March 14 Alliance”, angeführt vom ehemaligen Premierminister Saad Hariri, ist anti-syrisch. Die “March 8 Alliance”, angeführt vom aktuellen libanesischen Präsidenten Michel Aoun, ist hingegen pro-syrisch. Zu dieser “Allianz des 8. März” zählt auch die Hisbollah. Aber nicht nur. Andere Parteien, wie das Amal Movement oder Aouns Free Patriotic Movement, gehören ebenfalls dazu. Michel Aoun ist maronitischer Christ. Wendet man die “Bild”-Logik an, könnte man also auch sagen: Weil eine Firma mal Sprengstoff an den syrischen Diktator Baschar al-Assad verkauft hat, und das Free Patriotic Movement Syrien nahesteht, muss die Firma Verbindung zu Michel Aoun haben. Oder als “Bild”-Überschrift: “SO BRACHTEN DIE CHRISTEN DEN SPRENGSTOFF NACH BEIRUT”. Das wäre genauso wackelig wie Röpckes und Rabies Argumentation.
Auch die am Mittwoch bereits thematisierten Schreiben des Zolls thematisieren Röpcke und Rabie am Donnerstag noch einmal:
Unterlagen des Zolls, die BILD vorliegen, enthüllen: Zwei Zolldirektoren drängen im August 2016 und Juni 2017 ein libanesisches Gericht, dem Kauf durch die offenbar der Hisbollah nahe Firma zuzustimmen. Erstens handele es sich um “gefährliche Materialien”, die “unter unangemessenen Außenbedingungen im Lager aufbewahrt” würden. Zweitens könne “die Fracht auch, wie von der Armee empfohlen, an das libanesische Sprengstoff-Unternehmen ‘Majid Shammas’ verkauft werden”.
Das ist eine stark einseitige Darstellung. Denn der Verkauf “an das libanesische Sprengstoff-Unternehmen ‘Majid Shammas'” war nur einer von drei Vorschlägen der Zollbehörde. Die zwei anderen: die Wiederausfuhr des Ammoniumnitrats ins Ausland sowie eine Übergabe an das libanesische Militär. Die Zolldirektoren nannten drei Optionen – sie “drängten” nicht auf eine davon.
Wenn Julian Röpcke und Mohammad Rabie über die Stellung der Hisbollah im Libanon schreiben, sind ihre Beschreibungen und Einschätzungen merkwürdig inkonsistent. Auf der einen Seite stellen sie die Gruppierung als sehr mächtig dar, auch in Bezug auf den Hafen in Beirut und das Ammoniumnitrat: Die Hisbollah habe gewusst, “dass man jederzeit auf die 2750 Tonnen zugreifen konnte und hielt sich deshalb mit weiteren Aneignungsversuchen zurück.” Auch diese Behauptung ist reine Spekulation, die “Bild”-Autoren liefern keine Belege. Es stimmt allerdings, dass die Hisbollah als heimlicher Herrscher zumindest mancher Teile des Beiruter Hafens gilt. Auf der anderen Seite schreiben Röpcke und Rabie im selben Artikel ein paar Absätze später:
Reagierten die Hafenbehörden auf ein erneutes Interesse der Terrorgruppe an dem Sprengstoff im Hafen? Dafür spricht: Der Brand in der Lagerhalle soll bei Schweißarbeiten an einem Tor des Gebäudes ausgebrochen sein. Zollbeamte hätten versucht, den Sprengstoff gegen Diebstahl zu sichern, berichteten lokale Medien.
Ein einfaches Tor sollte also die Gruppe, die sich laut “Bild” alles im Libanon erlauben kann und “jederzeit auf die 2750 Tonnen zugreifen konnte”, davon abhalten, auf die 2750 Tonnen zuzugreifen. Ganz nebenbei suggeriert der Absatz: Es musste geschweißt werden, weil man das Ammoniumnitrat vor der Hisbollah schützen musste, und die Schweißarbeiten sollen den Brand in der Lagerhalle ausgelöst haben – also: Die Hisbollah ist indirekt schuld an den Explosionen in Beirut.
Dazu kommt: Die Behauptung, dass die Hisbollah sich “mit weiteren Aneignungsversuchen” zurückgehalten habe, nur weil sie gewusst hätte, dass sie auf das Ammoniumnitrat “jederzeit (…) zugreifen konnte”, ist eine schwache Antwort auf die Frage, die sich beim Lesen der “Bild”-Artikel automatisch stellt: Warum sollte die Hisbollah so großen Aufwand betreiben und eine vermeintliche Lieferung nach Mosambik inszenieren, die Lieferung dann aber jahrelang nicht anrühren? Durch ihre Verwicklungen in den Bürgerkrieg in Syrien und ihre Aggressionen gegen Israel hätte sie definitiv Bedarf gehabt. Und es stellen sich weitere Fragen: Warum sollte die Hisbollah so eine Geheimoperation daraus machen, dann aber auf den “Bill of Loading” (wobei wir diesen nicht endgültig verifizieren können) schreiben, dass es sich um Ammoniumnitrat handelt? Warum sollte die Hisbollah überhaupt so eine Anstrengung unternehmen für einen Stoff, der nicht so schwer zu bekommen ist? Warum sollte die Hisbollah dafür den Hafen von Beirut nutzen, in dem auch andere Gruppen mitmischen, wenn sie im Süden des Libanons, wo sich Hisbollah-Hochburgen befinden, in einem kleineren Hafen viel unkomplizierter und unbeobachteter Ladung an Land schaffen kann? Oder warum nicht gleich in Syrien in den größeren Häfen von Latakia oder Tartus, wo das Assad-Regime der befreundeten Hisbollah ganz sicher nicht im Weg stehen würde? Und warum fragen Röpcke und Rabie nicht einfach mal in Mosambik bei der Fábrica de Explosivos de Moçambique nach, die als der eigentliche Empfänger für das Ammoniumnitrat gilt, oder bei der Banco Internacional de Moçambique, die den Handel finanziell abgewickelt haben soll, ob dort das Ammoniumnitrat erwartet wurde? Dann bestünde natürlich die Gefahr, dass die “Bild”-Geschichte, die Ladung sollte von Anfang an an die Hisbollah gehen, überhaupt nicht mehr passt.
Dass die einstige Schlagzeile “SO BRACHTE DIE HISBOLLAH DEN SPRENGSTOFF NACH BEIRUT” so gut wie gar nicht vom dünnen Artikel gedeckt ist, merkte offenbar auch die “Bild”-Redaktion im Laufe des Donnerstags. Sie änderte sie klammheimlich in eine Frage:
Nachtrag, 22. August: In den vergangenen Tagen haben mehrere Redaktionen (weiter)recherchiert, wie das Ammoniumnitrat nach Beirut kam, und ob die Hisbollah damit etwas zu tun hat. Das hat zu neuen Erkenntnissen geführt, die wir hier ergänzen möchten. Wir beziehen uns dabei auf zwei Artikel: einen von Welt.de und einen vom “Spiegel” (nur mit Abo lesbar, als englische Übersetzung auch ohne Abo lesbar).
Der Grund, warum wir gerade diese zwei Artikel wählen: “Bild”-Redakteur Julian Röpcke stellt es bei Twitter so dar, als würden sie belegen, dass wir mit unserer Kritik an seiner Berichterstattung (siehe oben) völlig danebengelegen hätten. Wir hätten es “#VollVergeigt”, so Röpcke.
Entweder hat er die zwei Artikel nicht gelesen oder er hat sie gelesen und reißt weiter fröhlich Dinge aus dem Zusammenhang. Denn: Die Recherchen von Welt.de und “Spiegel” lassen die “Bild”-Behauptungen, die wir kritisiert haben, aus unserer Sicht nicht weniger kritikwürdig erscheinen. Sie stützen nicht das, was Röpcke und dessen Co-Autor Mohammad Rabie geschrieben haben. Ihre falsche Übersetzung bleibt falsch, ihr unbelegtes Geraune bleibt unbelegtes Geraune. Manch ein Recherche-Ergebnis widerspricht sogar ihren Spekulationen.
Erstmal zum Welt.de-Artikel: Die Überschrift “Die explosive Spur führt zur Hisbollah” könnte einen glauben lassen, dass Autor Daniel-Dylan Böhmer die entscheidende Verbindung von Hisbollah zu den Explosionen in Beirut gefunden hat. Allerdings geht es in Böhmers Text erstmal nur um ganz andere Lieferungen von Ammoniumnitrat an die Hisbollah. Es gebe lediglich einen “engen zeitlichen Zusammenhang mit dem in Beirut detonierten Material”, was heißen soll: Etwa zu der Zeit, als die Rhosus, also das Schiff, das mit den 2750 Tonnen Ammoniumnitrat beladen war, im Beiruter Hafen angelegt hat, hat die Hisbollah “große Lieferungen von Ammoniumnitrat” erhalten. Allerdings von ganz woanders (von der Kuds-Einheit der Iranischen Revolutionsgarden), teils über ganz andere Wege (per Flugzeug und per Landweg über die syrische Grenze) und ganz andere Mengen (vermutlich 630 bis 670 Tonnen).
Daniel-Dylan Böhmer schreibt:
Ob die Lieferungen aus den Unterlagen, die WELT einsehen konnte, in direktem Zusammenhang mit der Explosion in Beirut standen, ist ungewiss. Das Ammoniumnitrat, das am 4. August detonierte, soll nach heutigem Kenntnisstand ein Frachter unter moldawischer Flagge Ende 2013 in Beirut abgeladen haben, nachdem er auf seiner Fahrt von Georgien nach Mosambik wegen technischer und finanzieller Probleme einen Zwischenstopp in Beirut einlegen musste. Unklar ist bislang, warum die Chemikalien im Hafen gelagert und weder weitertransportiert noch vernichtet wurden.
Diese Faktenlage weist nicht direkt auf die Hisbollah als Empfänger dieses Stoffes hin.
Der letzte Satz widerspricht der “Bild”-Überschrift “SO BRACHTE DIE HISBOLLAH DEN SPRENGSTOFF NACH BEIRUT”, die die Redaktion später in die Frage “Brachte die Hisbollah den Sprengstoff nach Beirut?” geändert hat, auf die man dem Welt.de-Artikel zufolge mit “Nach aktuellem Kenntnisstand: nein” antworten müsste.
Im “Spiegel”-Artikel geht es um eine andere Verbindung zur Hisbollah, allerdings auch nur über Bande. Die Überschrift lautet: “Was die Hisbollah mit dem mysteriösen Fall der ‘Rhosus’ verbindet”. Im Teaser gibt es darauf einen ersten Hinweis: “Es gab Verbindungen des Reeders zur Bank der Hisbollah”.
Der Besitzer der Rhosus, so hat es der “Spiegel” herausgefunden, ist gar nicht Igor Gretschuschkin (den “Bild” den “windigen Russen” nennt), sondern ein Mann aus Zypern, der Reeder Charalambos Manoli. Gretschuschkin hatte die Rhosus nur gechartert. Manoli soll sich bereits 2011 etwa vier Millionen Dollar bei der tansanischen FBME-Bank geliehen habe. Die FBME-Bank wiederum sei die “Hausbank der Hisbollah”, so der “Spiegel”. Sie soll der Terrororganisation unter anderem bei der Geldwäsche geholfen haben. Dokumenten zufolge konnte Manoli den Kredit nicht komplett zurückzahlen. Er soll zwischenzeitlich die Rhosus als Sicherheit angeboten haben, was die Bank allerdings ablehnte. Die Frage, die der “Spiegel” aufwirft: Gibt es eine Verbindung zwischen den Schulden Manolis und dem Stopp des mit Ammoniumnitrat beladenen Frachters in Beirut? Der Reeder dementiere “jeden Zusammenhang”, so der “Spiegel”:
Ein Ermittler hingegen sagt, die FBME-Bank sei berüchtigt dafür gewesen, säumige Schuldner zu Gefälligkeiten gegenüber zwielichtigen Kunden wie der Hisbollah zu drängen.
Einen eindeutigen Beleg, der es schafft, eine direkte Verbindung von Hisbollah zum Frachter oder zum im Beiruter Hafen explodierten Ammoniumnitrat herzustellen, gibt es im “Spiegel”-Artikel nicht.
Beweise, die die Spekulationen der “Bild”-Autoren Julian Röpcke und Mohammad Rabie stützen, findet man dort ebenfalls nicht. Es geht im “Spiegel”-Artikel auch gar nicht um die Aspekte aus der “Bild”-Berichterstattung, die wir weiter oben kritisiert haben: Es geht nicht um eine Firma namens “Majdal Shams” (die falsche Übersetzung von Röpcke und Rabie, die die “Bild”-Redaktion inzwischen transparent korrigiert hat). Es geht nicht um eine Firma namens “Majid Shammas”, die Röpcke und Rabie in die Nähe der Hisbollah rücken. Es geht nicht darum, dass der libanesische Zoll ein Gericht “gedrängt” habe, das Ammoniumnitrat an diese angeblich Hisbollah-nahe Firma zu verkaufen, wie Röpcke und Rabie es einseitig darstellen.
Dafür gibt es auch im “Spiegel”-Artikel eine neue Erkenntnis, die Röpckes und Rabies Spekulation widerspricht. Die “Bild”-Autoren mutmaßen zu den ausgebliebenen Antworten der Justiz auf die Anfragen des Zolls, das Ammoniumnitrat aus dem Hafen zu schaffen:
Der Verdacht, den auch der zuständige Richter gehabt haben könnte: Die Terroristen [der Hisbollah] wollten das Ammoniumnitrat kaufen, um einen nie da gewesenen Terroranschlag auf Israel zu verüben. Darum die verweigerte Antwort auf die Bitten des Zolls mit Unterstützung womöglich Hisbollah-freundlicher Elemente in der libanesischen Armee
Der “Spiegel” hat hingegen herausgefunden, dass der Grund für die ausgebliebenen Antworten ein ganz anderer sein könnte: Die Schreiben seien “beharrlich an das falsche Gericht geschickt” worden:
Immer wieder warnten Behörden, vor allem der Zoll, das Ammoniumnitrat müsse aus dem Hafen weggebracht werden. Doch die Schriftsätze wurden so beharrlich an das falsche Gericht geschickt, dass es beteiligten Juristen schwerfällt, an bloße Inkompetenz zu glauben.
Eine Sache wollen wir bei dieser Gelegenheit noch einmal wiederholen: Wir haben nie ausgeschlossen, dass die Hisbollah etwas mit dem Ammoniumnitrat im Beiruter Hafen zu tun haben könnte. Im Gegenteil: Wir haben extra “gleich zu Beginn einmal klar” geschrieben:
Der Hisbollah […] ist durchaus zuzutrauen, dass sie etwas mit dem Ammoniumnitrat im Beiruter Hafen zu tun hat. Sie hätte die Mittel dafür und ein mögliches Interesse.
Unsere Kritik an den “Bild”-Artikeln war eine Kritik an der “Bild”-Artikeln und keine Verteidigung für die Hisbollah. Wir finden, dass bei einem so heiklen Thema und bei einem Ereignis, bei dem viele Menschen gestorben sind und viele verletzt wurden, wilde Spekulationen nicht in die Berichterstattung gehören – unabhängig davon, ob es um eine schweinische Terrororganisation geht oder nicht.