Archiv für 6 vor 9

RTLs langjähriger Fälscher, Versagen von Hitzacker, Bildundtonfabrik

1. Mut zur Aufklärung
(taz.de, Anne Fromm & Peter Weißenburger)
Bei RTL hat ein Reporter über Jahre Fernsehbeiträge manipuliert, gefälscht oder in einen falschen Kontext gesetzt. Der Sender hat sich von dem Mitarbeiter getrennt und sich mit einer Erklärung an die Zuschauer gewandt. Die “taz” kommentiert: “In der Sendung “Punkt 12” am Freitag entschuldigte sich Moderatorin Katja Burkard im Namen des Senders “für die mangelnde Sorgfaltspflicht” des Mitarbeiters. Gemeint war gewiss “mangelnde Sorgfalt”. Obwohl.” Weiterer Lesetipp: RTLs offizielle Pressemitteilung mit der Schilderung eines typischen Ablaufs: “In einem weiteren Fall wurde Rohmaterial aus einem RTL Nord-Dreh mit der Musikerin Melanie C. für einen Beitrag über Desinfektionsmittel genutzt. Darin behauptete der Reporter, bei einem Interview bemerkt zu haben, dass auch Melanie C. sich die Hände desinfiziert. Tatsächlich aber cremt sich die Musikerin die Hände und Unterarme nur mit Feuchtigkeitscreme ein und sagt dies auch selbst so.”

2. Fernsehrevolten und Verleih von Flugsauriern
(sueddeutsche.de, Kathrin Hollmer)
Die Produktionsfirma Bildundtonfabrik ist vor allem bekannt durch Jan Böhmermanns Late-Night-Show “Neo Magazin Royale”, aber auch als Lieferant der Netflix-Serie “How To Sell Drugs Online (Fast)”. Kathrin Hollmer stellt die Firma und ihre umtriebigen Gründer in einem Porträt vor.
Weiterer Lesetipp: Die TV-Kritik der vergangenen Böhmermann-Sendung: Erst mit Rezo wird es fad (sueddeutsche.de, Theresa Hein).

3. Ein Jahr nach Hitzacker – Das Schweigen über ein journalistisches Versagen
(spiegelkritik.de, Timo Rieg)
Pfingsten 2018 kam es zu einer Spontandemo vor dem Hause eines Polizisten im Wendland. Viele Medien plusterten sich auf und skandalisierten den Vorgang als linken Terrorakt (wir berichteten). Juristisch schrumpfte der Elefant bereits zur Mücke: Die Ermittlungsverfahren gegen alle 50 Demonstranten wurden eingestellt. Das Problem: So laut das Geschrei der Medien damals war, so laut ist nun ihr Schweigen.

4. Wie junge Abgeordnete Social Media (nicht) nutzen
(wdr.de)
Anfang 2018 sorgten die im NRW-Landtag vertretenen CDU, FDP, SPD und Grüne für eine satte Erhöhung der Mitarbeiterpauschalen für Abgeordnete, indem sie die bisherigen 4.417 Euro nahezu verdoppelten. Der üppige Aufschlag sollte der Social-Media-Arbeit zugutekommen. Die “Westpol”-Redaktion (WDR) hat sich umgeschaut, inwieweit das auch tatsächlich umgesetzt wurde. Mit teilweise ernüchternden Ergebnissen: “Die junge Grüne Verena Schäffer beispielsweise, die die Budgeterhöhung mit gefordert hatte, sucht man bei Instagram und Youtube vergeblich, auf Facebook hat Schäffer zuletzt 2018 gepostet — genau ein Mal.”

5. Die Nerds, denen Apple zuhört
(zeit.de, Hannes Schrader)
Hannes Schrader stellt einen Blogger und Podcaster vor, der in der Apple-Szene ein großes Publikum hat: John Grubers Tech-Blog “Daring Fireball” werde 2,5 Millionen Mal im Monat aufgerufen, sein Podcast von 75.000 Leuten gehört. Mittlerweile hören sich auch die Apple-Manager an, was der Influencer zu sagen hat.

6. Vom Winde umweht
(faz.net, Johannes Nichelmann)
Wusstet ihr, dass die teilweise poppigen Mikrofonwindschützer, die Interviewten vor den Mund gehalten werden, in Handarbeit hergestellt werden, von einer deutschen Firma, die sich in dem Bereich Weltmarktführer nennt? Die “FAZ” hat mit Firmenchef Archibald Schulze-Cleven gesprochen, der die Mikrofonüberzieher im ostwestfälischen Ort Brakel für Radio- und Fernsehsender aus aller Welt produziert.

RWE und die Meinungsfreiheit, Phantom-Telefonat, Düstere Honorare

1. RWE fordert 50.000 Euro für Aufruf per Tweet
(deutschlandfunk.de, Henning Hübert)
Der Energieversorgungskonzern RWE verlangt vom 24-jährigen Pressesprecher des Aktionsbündnisses “Ende Gelände” die stolze Summe von 50.000 Euro. Der Sprecher habe auf Twitter und bei einer Veranstaltung zu “massenhaft zivilem Ungehorsam” aufgerufen. Der WDR-Journalist Jürgen Döschner sieht in der Forderung einen massiven Eingriff in die Meinungsfreiheit: “Man muss das ja nicht nur auf Pressesprecher beschränken. Ich bin öfter in der Gegend und berichte über Aktionen — wenn ich dann dort aufgegriffen werde, vielleicht von RWE auch eine solche Unterlassungserklärung zugeschickt bekomme, und dann äußere ich mich in einem Kommentar, wie ich das 2015 gemacht habe, mit Verständnis für Aktionen wie zum Beispiel eine Tagebaus — schon hätte ich potenziell auch eine Erklärung auf dem Tisch, eine solche Androhung von 50.000 Euro Strafe.”

2. Hanseat von Stil
(sueddeutsche.de, Hans Hoff)
Der ehemalige “Tagesschau”-Sprecher Wilhelm Wieben ist gestern im Alter von 84 Jahren gestorben. Hans Hoff erinnert in seinem Nachruf an die Fernsehlegende.

3. Das Telefonat, das nie geführt wurde
(wienerzeitung.at, Heinz Fischer)
Als der ehemalige österreichische Bundespräsident Heinz Fischer im Rahmen der Regierungskrise gefragt wurde, ob er bereit wäre, vorübergehend das Amt des Bundeskanzlers zu übernehmen, verneinte er unter Hinweis auf sein Alter. Trotzdem machten einige Medien (unter anderem der “Spiegel”) mit der Behauptung auf, er würde sich um das Amt bemühen und verwiesen auf Telefonate und SMS-Nachrichten, die es laut Fischer jedoch nie gab. Seinen Gastbeitrag mit der Schilderung der Vorgänge will Fischer auch an den Presserat schicken. Ohne sich all zu viel davon zu versprechen: “Er wird voraussichtlich nichts tun, aber sich vielleicht wenigstens wundern, was in Qualitätsmedien alles möglich ist.”

4. Freischreiber-Report 2019: Wer verdient was?
(wasjournalistenverdienen.de, Katharina Jakob & Michel Penke)
Der Berufsverband Freischreiber hat bei freien Journalistinnen und Journalisten rumgefragt, wie hoch ihr Honorar bei verschiedenen Medien ist. Herausgekommen sind der Honorarreport 2019 und die Erkenntnis, dass “das gemittelte Zeichenhonorar aller Medien” derzeit “bei 40 Euro pro 1000 Zeichen” liege. Ein Fazit der Freischreiber: “Guter Journalismus sollte überall ähnlich viel wert sein. Ist er aber nicht. Und es ist vielerorts ziemlich düster.”

5. Jetzt ist Schluss!
(spiegel.de, Jan Fleischhauer)
“Spiegel”-Kolumnist Jan Fleischhauer verabschiedet sich mit seiner letzten Kolumne bei den “Spiegel”-Lesern. Auf stolze 438 Kolumnen hat er es insgesamt gebracht. “Haben mich alle im SPIEGEL geliebt? Ganz sicher nicht, aber darauf kommt es auch nicht an. Meine Chefs haben alles gedruckt, was ich am Kolumnentag an sie geliefert habe, selbst wenn ich damit quer zur Mehrheit der Redaktion lag. Mehr kann man als Journalist nicht erwarten.” Ab August wird man Fleischhauer beim “Focus” lesen können: “Solange sich Zweidrittel der in Deutschland tätigen Journalisten politisch links der Mitte verorten, bleibt für jemanden wie mich genug zu tun.”

6. 10 Tipps, wie du deine Podcast-Reichweite noch heute verbessern kannst
(podigee.com, Mati Sojka)
Als Podcast-Hoster kennt sich Mati Sojka von Podigee naturgemäß gut mit den technischen Aspekten von Podcasts aus. In seinem Beitrag verrät er Podcast-Anbietern zehn bewährte Methoden zur Reichweitensteigerung.

LinkedIn mit Gendersternchen, Tim Wolffs Titanic-Years, Graslutscher

1. Nachrichtennutzung über soziale Medien nimmt zu: Deutsche Ergebnisse des “Reuters Institute Digital News Report 2019” zur Nachrichtennutzung im internationalen Vergleich veröffentlicht
(hans-bredow-institut.de)
Die Ergebnisse des “Reuters Institute Digital News Report 2019” basieren auf etwa 75.000 Befragungen in 38 Ländern. Für den deutschen Teil war das Leibniz-Institut für Medienforschung in Hamburg zuständig. Die Nachrichtennutzung der Deutschen sei auf einem hohem Niveau geblieben, wobei ein großer Anteil der 18- bis 24-jährigen Onliner seine Nachrichten von Instagram beziehe. Weiter erstaunlich: Das Interesse an Videonachrichten sei eher gering. Die kompletten Ergebnisse für Deutschland gibt es hier (PDF).

2. The most popular social media networks each year, gloriously animated
(twitter.com/thenextweb)
In der Tat “gloriously animated”: Die Entwicklung der populärsten Sozialen Netzwerke über die vergangenen anderthalb Jahrzehnte verpackt in einer anderthalbminütigen Animation.

3. Liebe Leser*innen: Warum wir ab sofort das Gendersternchen benutzen
(linkedin.com, Sara Weber)
Die deutschsprachige Redaktion des Geschäftskontakt-Netzwerks LinkedIn erklärt, warum sie sich für die Verwendung des sogenannten Gendersternchens entschieden hat: “Für viele von Ihnen mag das Sternchen ungewohnt sein, einige wird es womöglich sogar verärgern. Doch gendergerechte Sprache verändert tatsächlich etwas: Kinder trauen sich eher zu, bestimmte Berufe ergreifen zu können, wenn sie gendergerecht dargestellt sind. Frauen werden als geeigneter für Führungsposten angesehen, wenn ein/e Projektleiterin/Projektleiter gesucht wird, nicht nur ein Projektleiter.”

4. Wie eine ARD-Doku absurdes Zeug über Elektromobilität verbreitet und dadurch den Klimawandel verstärkt
(graslutscher.de, Jan Hegenberg)
Der “Graslutscher” ärgert sich über eine ARD-Doku über Elektroautos: “Nachdem ich die Hälfte der ARD-Dokumentation “Kann das Elektro-Auto die Umwelt retten” gesehen hatte, rechnete ich schon fast damit, dass Elektroautos am Ende der Sendung nicht nur für eine Menge Umweltschäden, sondern schlussendlich auch beim Einspielen düsterer Musik für die Ermordung Kennedys, die achte Staffel von Game of Thrones und den Prager Fenstersturz verantwortlich gemacht werden.”

5. “Der Polizeischutz war wirklich Wahnsinn!” Tim Wolff im Gespräch – Die Titanic-Years
(kaput-mag.com, Linus Volkmann)
Linus Volkmann hat sich mit dem langjährigen “Titanic”-Chefredakteur Tim Wolff über dessen Zeit bei dem Satiremagazin unterhalten. Ein spannendes und unterhaltsames Gespräch, bei dem man viel erfährt, was sonst nicht bekannt ist. Zum Beispiel von den Schwierigkeiten des Satirikers im Brennpunkt des öffentlichen Interesses: “Auf öffentlichen Aufruhr zu reagieren machte mir eigentlich sogar Spaß, du hast die vielen, größtenteils inkompetenten Reaktionen auf ein Geschehnis oder auf einen Skandal und du kannst damit spielen. Wobei es vor Kameras nie leicht ist, seine eigene Version durchzubekommen. Man erzählt dann vor der Kamera seine drei gut vorbereiteten Gags und dann kommen immer wieder Rückfragen und irgendwann sagt man dann doch mal einen ernsten Satz — und der wird dann gesendet! Schriftliche Interviews waren mir deswegen immer viel lieber.”

6. Ministerium erwägt Influencer-Gesetz
(tagesschau.de)
Das Justizministerium erwägt ein Gesetz, das es Influencern vorschreibt, etwaige Werbung klar zu kennzeichnen. Zur Zeit sei Werbung in den Sozialen Medien vielfach eine rechtliche Grauzone (tagesschau.de, Audio: 2:39 Minuten).
Ein derartiges Gesetz könnte auch Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner helfen, bei der es anscheinend an Bewusstsein für diese Thematik mangelt. Siehe dazu auch: Blamiert: Klöckners werbliches Video mit Nestlé (ndr.de, Caroline Schmidt & Tim Kukral).

“FAZ”-Selbstzerstörer, Philipp Amthors Code, Über das Schreiben

1. FAZ-Innenpolitikchef zerstört sich im Kampf gegen Rezo
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Achtung, für diesen Beitrag braucht man starke Nerven und sollte einigermaßen Fremdscham-resistent sein: Stefan Niggemeier dröselt den Twitter-Beef zwischen dem “FAZ”-Innenpolitikchef Jasper von Altenbockum und dem Youtuber Rezo auf. Niggemeier bringt es schon im ersten Satz gut auf den Punkt: “Jasper von Altenbockum sollte mehr FAZ lesen und weniger Youtube-Videos gucken.”

2. Können wir aufhören, Philipp Amthor in eine Opferrolle zu schreiben?
(twitter.com/C_Holler)
In letzter Zeit erschienen verschiedene Artikel über den Umgang mit dem CDU-Politiker Philipp Amthor (“Tagesspiegel”, “Freitag”, “Bento”). Allgemeiner Tenor: Man möge es unterlassen, Amthor für sein Auftreten zu kritisieren. Für Claudius Holler greift dies zu kurz. Sein Twitter-Thread startet mit: “Können wir aufhören, Philipp Amthor in eine Opferrolle zu schreiben? Dafür ist er viel zu schlau. Was hier vorschnell Lookismus genannt wird, ist die Sichtbarmachung seines Codes. Er kleidet sich nicht unbeholfen, sondern ganz bewusst und aus Machtinteresse exakt so.”

3. “Hört den Leisen zu!”
(journalist-magazin.de, Ellen Ehni)
Das Medienmagazin “journalist” befragt regelmäßig führende Journalisten und Journalistinnen nach ihrem persönlichen Blick auf den Journalismus. In der aktuellen Ausgabe äußert sich die WDR-Chefredakteurin Ellen Ehni. In einem achtteiligen Appell fordert sie ihre Kollegen und Kolleginnen dazu auf, sich selbst und ihre Routinen zu hinterfragen. Es sind viele Selbstverständlichkeiten dabei, die aber — wie so oft bei Selbstverständlichkeiten — eben doch nicht so selbstverständlich sind.

4. Vom Politik- zum Presseskandal?
(message-online.com, Magdalena Neubig)
Magdalena Neubig fasst in einem längeren Beitrag die Verdachtsberichterstattung rund um das Bremer BAMF und dessen Leiterin Ulrike B. zusammen. Dabei lässt sie sowohl die berichterstattenden Medien als auch ihre Kritiker zu Wort kommen. Sie endet mit einem Zitat eines Strafrechtsprofessors, der es für gut möglich hält, dass es sich beim sogenannten “BAMF-Skandal” eher um einen “Skandal der (übertriebenen) Medienberichterstattung” handeln könnte.

5. Micropayments für Journalismus funktionieren nicht, Episode 736: Auch Blendle gibt auf
(neunetz.com)
Seit Jahren suchen die Verlage nach funktionierenden Erlösmodellen für ihre journalistischen Inhalte. Eine Idee war es, einzelne Artikel zum Kauf anzubieten und über Micropayment abzurechnen. Der niederländische Dienst Blendle hatte hierzu eine Infrastruktur aufgebaut, streicht jedoch jetzt die Segel. Marcel Weiss kommentiert die Entscheidung und verweist dazu auf seine Aussagen von 2015 zur Inkompatibilität von Journalismus und Micropayment: “Man liest selbst den besten journalistischen Text nur einmal. Musikstücke, vor allem die, die man sogar kauft, hört man öfter an. Noch wichtiger: In der Regel hat man den Song, den man kaufen will, bereits oft gehört -im Radio, auf YouTube, in einer TV-Serie-. Man kennt also schon das Informationsgut, das jetzt erworben wird und weiß bereits, dass es gefällt und den zu bezahlenden Preis wert ist. Das kann für journalistische Texte niemals gelten.”

6. WR953 Wie man (k)ein populärwissenschaftliches Sachbuch macht
(wrint.de, Holger Klein & Florian Freistetter, Audio: 91 Minuten)
Im “Wrint”-Podcast unterhalten sich Holger Klein und Florian Freistetter über das Schreiben von populärwissenschaftlichen Sachbüchern. Das ist insofern interessant, als dass Florian Freistetter ein erfahrener Sachbuchautor ist und Holger Klein jüngst an der Produktion eines Buchs gescheitert ist. Es geht unter anderem um Ideenfindung, Arbeitsweise und Strukturierung, die Wahl eines passenden Verlags und was unter dem Strich finanziell hängenbleibt.

Kampf der “NZZ” gegen PC, Staatshumor, Klarnamenpflicht

1. Verteidigung der Missionarsstellung
(tagesanzeiger.ch, Andreas Tobler)
Andreas Tobler hat bei der “NZZ” so etwas wie ein eigenes Genre entdeckt: den Artikel gegen die “politische Korrektheit”. Allein im vergangenen Jahr seien in der “NZZ” über hundert dieser Anti-PC-Beiträge erschienen. Tobler kommentiert: “Gehegt und gepflegt wird das Phantasma der politischen Korrektheit nicht zuletzt, um sich ja nicht mit der schlichten Tatsache zu beschäftigen, dass Normalität schon immer einer gesellschaftlichen Aushandlung unterlag.”

2. Zuhause ist, wo die Männer sind
(tagesspiegel.de, Gerrit Bartels)
Das kommende Herbst- und Winterprogramm des Rowohlt-Verlags bestehe zu 90 Prozent aus Titeln von Männern, kritisiert Gerrit Bartels. Sein Unmut darüber mündet in einem langen Satz: “Man muss kein Feminist sein, um das seltsam und unbedacht zu finden, gerade in Zeiten, in denen der Verlag Klett-Cotta in seiner Vorschau bei der Ankündigung eines Buches von Lady Bitch Ray das “Trendthema Feminismus” entdeckt hat; in denen in den sozialen Medien alle halbe Jahre sorgfältig gezählt wird, wieviel Titel die Verlage von Frauen und Männern veröffentlichen; in denen, genau, das interessiert Verlage, junge Feministinnen nicht nur wie Stokowski, sondern auch wie Sophie Passmann oder Jagoda Marinic mit “Alte weiße Männer” und “Sheroes” gerade Bestseller veröffentlicht haben; in denen, auch das ist bekannt, Frauen mehr zu Büchern greifen als Männer, zu Belletristik überdies.”

3. Rezo-Video: Trend vom Lesen weg zum Vorlesen wie im Mittelalter
(infosperber.ch)
“Infosperber” greift ein “Deutschlandfunk”-Interview des Medienwissenschaftlers Christoph Engemann auf, das dieser anlässlich des Rezo-Videos (“Die Zerstörung der CDU”) gegeben hat. Wie ist diese Art der “Vorlesung” einzuordnen, was bedeutet dies für die Kommunikationskultur, und wie soll man darauf reagieren? Der Kommunikationswissenschaftler Martin Emmer erklärt, warum sich die CDU so schwer mit einer Reaktion tut: “Das ganze politische System ist stark formalisiert und strukturiert. Man kennt sich. Das war bisher eine gut geölte Maschine. Wenn da plötzlich irgendein Akteur aus dem Nichts kommt, den man auch nicht richtig einordnen kann, nicht ein Parteiakteur, keiner der für irgendwelche Interessengruppen steht, eher so ein Halbprominenter in einer bestimmten Generation, der sehr massiv, sehr fundiert und eben sehr gut sichtbar seine Meinung äussert — das irritiert die Politiker natürlich.”

4. Was soll der Müll
(freitag.de, Hannah Schlüter)
Hannah Schlüter beschäftigt sich mit dem erfolgreichen Genre der Aussteiger- und Reisefilme. Die Protagonisten seien oft Influencer oder würden es durch ihre Filme werden wollen: “Der blinde Fleck der Filme bleibt die eigene Herkunft, die ökonomischen Bedingungen, unter denen die Protagonisten auf ihre Reisen gehen können (und anschließend auf Kinotour durch Deutschland). Und der große Unterschied zwischen ihnen und den Leuten, die sie auf ihren Reisen treffen: Sie können am Ende wieder nach Hause. Sich doch wieder den Ballast eines Hauses gönnen und sesshaft werden.”

5. Das Problem heißt Hass
(taz.de, Johanna Roth)
CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat eine Klarnamenpflicht im Internet gefordert. Eine derartige Pflicht wäre jedoch wenig hilfreich, findet “taz”-Redakteurin Johanna Roth: “Eine Klarnamenpflicht verhindert keine Hasskommentare. Facebook fordert seine User schon lange dazu auf, sich mit echten Namen zu registrieren, auch wenn eine entsprechende Verpflichtung im vergangenen Jahr für rechtswidrig erklärt wurde. Das hält Nutzer aber nicht davon ab, Beleidigungen und Morddrohungen zu posten. Das Problem heißt nicht Anonymität, das Problem heißt schlicht: Hass.”

6. Hoch lebe der Staatshumor
(heise.de, Wolf Reiser)
Wolf Reiser hat einen Artikel über die Humor- und Kabarettsendungen der öffentlich-rechtlichen Sender geschrieben und dabei reichlich Ohrfeigen verteilt. Den ARD-Satiriker Dieter Nuhr beschreibt er wie folgt: “Die Marke Nuhr ist eine seltsam konturlose Gestalt, ein wenig Disko-Türsteher, einem auch bei Lehrern beliebten Klassenclown, einem durchreisenden Jahrmarkt-Jakob und einer sprechenden Parkuhr.” Das ZDF mit seiner “heute show” kommt nur wenig besser weg: “Natürlich ist das frech, keck und oft auch richtig lustig, hat seinen Reiz wie eine gewisse Berechtigung und verärgert mitunter sogar ungelenke Parlamentarier, die sich für ein Drehverbot unter der Glaskuppel stark machen. Letztlich endet der Klamauk aber bei dem Bubenhumor im Pausenhof einer Waldorfschule, wo sich die Raucher von den Strebern trennen und sich als elitäre Sekte feiern.”
Nachtrag: Der Beitrag ist ein wildes Rumgebashe in viele möglichen Richtungen, manchmal auch in die falschen. Eine Leseempfehlung in den “6 vor 9” bedeutet nicht automatisch, dass der Kurator sich die Aussagen in den verlinkten Texten zu eigen macht. Dies gilt für diesen Text ganz besonders.

Lästige Prozesswelle, Klöckner-Video wohl Schleichwerbung, Todes-Drama!

1. Euros für Ärzte: CORRECTIV wehrt sich gegen Prozesswelle
(correctiv.org, Frederik Richter)
Es ist wahrlich eine verrückte Geschichte, die der stellvertretende “Correctiv”-Chef Frederik Richter erzählt. Ein Berliner Anwalt überziehe “Correctiv” und “Spiegel Online” wegen der Datenbank “Euros für Ärzte” mit einer beispiellosen Prozesswelle. Mit jedem der nahezu identischen Schriftsätze trete er irgendwo in Deutschland vor Gericht an und kassiere eine Niederlage. Es gäbe bereits 53 Urteile für “Correctiv” und 83 Urteile für “Spiegel Online”. Was sich unsinnig anhört, kann aus der Sicht des Anwalts jedoch sinnvoll sein: Er kassiert jedesmal nicht nur eine Niederlage, sondern auch das Geld seiner Mandanten beziehungsweise das ihrer Versicherungen. Für die betroffenen Redaktionen gestaltet sich die Sache jedoch weitaus weniger attraktiv, denn neben der vielen Arbeit besteht ein erhebliches finanzielles Risiko.

2. Niemand sieht Dein YouTube-Video
(heise.de, Daniel AJ Sokolov)
Nach den Erhebungen der Video- und Musiksuchmaschine Pex würden nur 0,64 Prozent aller Youtube-Videos mehr als 100.000 Zugriffe erreichen. Diese seien jedoch für mehr als vier Fünftel des Traffics verantwortlich. Daniel AJ Sokolov konstatiert: “Mehr als 99 Prozent aller gehosteten Videos könnte YouTube theoretisch löschen, ohne nennenswerte Umsatzeinbußen zu erleiden — denn diese Videos schaut sowieso fast niemand an.”

3. Bundesweit Razzien wegen Hasskommentaren im Internet
(zeit.de)
Anlässlich des dritten Aktionstags zur Bekämpfung von Hasspostings (das Bundeskriminalamt (BKA) spricht vom vierten Aktionstag) ist die Polizei in 13 Bundesländern gegen Hasskommentierer vorgegangen, hat Wohnungen durchsucht und Verdächtige vernommen. Laut BKA ließen sich 77 Prozent der Hasspostings dem rechtsextremen Spektrum zuordnen, 14 Prozent entsprängen unterschiedlichen Ideologien und neun Prozent würden aus dem linksextremen Milieu stammen.

4. Wendepunkt am Buchmarkt 2018: Verlage und Buchhandlungen entwickeln erfolgreich Wege zum Leser
(boersenverein.de)
Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels blickt auf ein positives Jahr 2018 zurück. Die Zahl der Buchkäufer sei erstmals seit 2012 wieder gestiegen. Die Branche habe vergangenes Jahr ihren Umsatz gehalten und sei mit Zuwächsen ins Jahr 2019 gestartet. Der stationäre Buchhandel sei immer noch für rund 47 Prozent Buchverkäufe verantwortlich. Den stärksten Umsatzzuwachs habe es bei Sachbüchern gegeben (+5,5 Prozent).

5. “Sie hätte das Posting als Werbung kennzeichnen müssen”
(deutschlandfunk.de, Sebastian Wellendorf)
Kurz nachdem die Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner ihr umstrittenes Nestlé-Video veröffentlichte, tauchte die Frage auf, ob es sich dabei um Werbung beziehungsweise Schleichwerbung handele. Der “Deutschlandfunk” hat dazu den Medienanwalt Christian Solmecke nach dessen Einschätzung befragt: “Es gibt zwar unterschiedliche Urteile der verschiedenen Gerichte zum Thema Schleichwerbung, aber hier hat sich Frau Klöckner ausnahmslos positiv zugunsten eines Unternehmens ausgesprochen, und da muss man auch, gerade wenn man die Influencer-Urteile der letzten Monate ins Kalkül zielt, sagen, ja, sie hätte das Posting als Werbung kennzeichnen müssen.”

6. “Neue Post”: Schwerer Abschied von Roland Hag
(uebermedien.de, Mats Schönauer & Boris Rosenkranz, Video: 4:14 Minuten)
Todes-Drama bei der “Neuen Post”! Chefredakteur Roland Hag verlässt das Blatt. Sterben damit nun auch all die Lügen- und Quatschgeschichten, mit denen die Leserinnen und Leser 25 Millionen Mal im Jahr hinters Licht geführt werden? Keiner kann darauf eine schönere Antwort geben als Mats Schönauer und Boris Rosenkranz in diesem Video. Überaus gut angelegte vier Minuten vor dem Start ins Wochenende.

Klöckners Nestlé-Video, Heiße Luft um Wetterkarten, Assistenzwanzen

1. Viel heiße Luft um die Wetterkarte
(tagesschau.de. Patrick Gensing)
AfD-Verbände stellten “Tagesschau”-Wetterkarten mit ähnlichen Temperaturen von 2009 und 2019 mit unterschiedlicher Farbgebung gegenüber: die von 2009 im freundlichen Grün und jene von 2019 im bedrohlichen Glutrot. Die Unterstellung: Die “Tagesschau” würde die Zuschauer manipulieren und die Auswirkungen des Klimawandels gezielt übertreiben. Es handelt sich jedoch um zwei völlig verschiedene Wetterkarten, die sich nicht miteinander vergleichen lassen, so Patrick Gensing vom ARD-“Faktenfinder”.

2. Klöckner wegen Nestlé-Video in der Kritik
(spiegel.de)
Das Landwirtschaftsministerium hat auf Twitter ein Video veröffentlicht, in der Landwirtschaftsministerin und CDU-Vizechefin Julia Klöckner mit Nestlés Deutschland-Chef Marc-Aurel Boersch allerlei lobpreisende Dinge über Nestlé-Produkte in die Kamera plaudert. Kritiker gaben daraufhin zu Bedenken, die Ministerin lasse sich von dem Lebensmittelkonzern für PR-Zwecke ausnutzen. Klöckner verteidigt das Video und bezeichnet die Kritiker als “Hatespeaker”. Die Twitterin @dasnuf fragt in einem Kommentar: “Fällt das Video nicht unter Schleichwerbung @mabb_de ? Warum gelten für ein Ministerium andere Regeln als beispielsweise für YouTuber?” Die angesprochene Medienanstalt Berlin-Brandenburg will den Fall nun prüfen.

3. Die Mär von “Social Bots”
(background.tagesspiegel.de, Florian Gallwitz & Michael Kreil)
Immer wieder wird vor sogenannten “Social Bots” gewarnt, die automatisiert in den Sozialen Medien Stimmung machen würden. Die Erhebungen dazu sind jedoch äußerst zweifelhaft, wie Medieninformatiker Florian Gallwitz und Datenjournalist Michael Kreil ausführen. Das traurige Resümee: “Die sogenannte “Social-Bot-Forschung” hat sich in wenigen Jahren zu einem Forschungsfeld mit prall gefüllten Fördertöpfen entwickelt, sich dabei allerdings von der Realität entkoppelt. Politik und Fördermittelgeber sollten diese Entwicklung zur Kenntnis nehmen.”

4. Umbruch bei der “Kronen Zeitung”
(deutschlandfunk.de, Antje Allroggen, Audio: 7:34 Minuten)
Im berühmten Ibiza-Video malte sich der damalige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache aus, wie man bei der “Kronen Zeitung” die Herrschaft an sich reißen könne. Er schlug einer vermeintlichen Investorin vor, Anteile an der “Krone” zu erwerben, und wollte danach allerlei Personaländerungen im Sinne seiner Partei vornehmen. Welchen Einfluss hat dies auf die “Kronen Zeitung”? Wie wird es dort weitergehen? Der “Deutschlandfunk” hat mit dem ORF-Redakteur Stefan Kappacher gesprochen. Und der äußert sich auch zur Beteiligung des Investors René Benko: “Jetzt wird natürlich vermutet, dass es Absprachen zwischen Politik und dem Investor gegeben haben könnte”.

5. Persona non grata
(taz.de, Benno Stieber)
In der “Badischen Zeitung” erschien ein Artikel über die NS-Vergangenheit eines Freiburger Unternehmens, der den Unmut des Chefredakteurs auslöste. Von journalistischen Mängeln war die Rede. Man muss jedoch auch wissen, dass es sich bei dem kritisierten Unternehmen um einen guten Anzeigenkunden handelt. Mehr als zehn Monate später bot der freie Autor der Freiburger Lokalredaktion einen Text über ein anderes Kaufhaus an. Zunächst kam die Zu-, dann die Absage.

6. Alexa & Co.: Innenminister wollen Zugriff auf Daten aus dem “Smart Home”
(netzpolitik.org, Tomas Rudl)
Amazons Alexa zählt zur “Smart Home”-Technologie, doch der Begriff “Assistenzwanze” beschreibt es auch ganz gut. Auf diese Wanzen wollen nun die Innenminister zugreifen können, wie netzpolitik.org mit Hinweis auf eine entsprechende Meldung berichtet.

Kurzdeutsch, Zuckerindustrie vs. Homöopathiekritikerin, Nippel-Protest

1. Kooperation problematisch
(djv.de, Hendrik Zörner)
Der mögliche Einstieg des US-Investors KKR beim Springer-Konzern versetzt den Deutschen Journalisten-Verband (DJV) in Alarmstimmung. DJV-Chef Frank Überall fühlt sich an das Engagement von KKR bei ProSiebenSat.1 erinnert: “Der Hedgefonds hat den Sender auf Kosten von redaktionellen Arbeitsplätzen ausgepresst. Den Nutzen hatte nur der Investor und niemand sonst.”

2. “Gehst du Bahnhof?” – Diana Marossek zum “Kurzdeutsch” in der Umgangssprache
(blmplus.de, Bettina Pregel)
Die Soziolinguistin Diana Marossek hat über den Sprachwandel im Deutschen promoviert. Im Interview spricht sie über ihre Beobachtungen zum Phänomen der verkürzten Kommunikation: “Kurzdeutsch lässt sich u.a. an folgenden Charakteristika erkennen: die Artikelvermeidung (“Guck dir Turm an!”), das Weglassen von Präpositionen (“Ich gehe Fußball”), rituelle Beschimpfungen (“Du Knecht”, “Ihr Opfer”), Code-Switching — der Wechsel zwischen verschiedenen Sprachen in einem Dialog oder Sch-Laute (“Isch mach Vortrag”).”

3. Finanzamt entzieht CDU-nahem Verein die Gemeinnützigkeit
(tagesspiegel.de, Matthias Meisner)
Der CDU-nahe Verein #cnetz will “das Bewusstsein für den durch das Internet stattfindenden gesellschaftlichen Wandel stärken” und “die ökonomische Bedeutung der Digitalisierung unserer Welt” vermitteln. Bislang galt der Verein als gemeinnützig, Spenden an ihn waren also steuerlich abzugsfähig. Nun hat das Berliner Finanzamt dem Verein die Gemeinnützigkeit aberkannt, was bei einigen CDU-Politikern zu Protesten führte. Dies ist besonders bemerkenswert, weil einige Unionspolitiker den Entzug der Gemeinnützigkeit bei Attac noch begrüßten und dies auch für die Deutsche Umwelthilfe tun, die vor Gericht Diesel-Fahrverbote erwirkte.

4. Nippelprotest in New York
(taz.de, Corinna Koch)
Über 100 Menschen haben gegen die Zensur von weiblichen Nippeln auf Facebook und Instagram protestiert. Vor dem Hauptquartier von Facebook in Manhattan und nackt. Die Aktion ging von der National Coalition against Censorship aus, die sich gegen die Zensur weiblicher Nippel ausspricht. Eine derartige Zensur beeinträchtige Künstler und Künstlerinnen in ihrer Arbeit. Facebook und Instagram sollen die Berichterstattung über die Aktion behindert haben, indem sie, zumindest zeitweilig, Beiträge unter dem Hashtag blockiert haben sollen.

5. Wächterpreis für Amri-Recherchen bei WELT
(welt.de)
Der Journalist Florian Flade hat zum Fall Anis Amri recherchiert und dabei einige Ermittlungspannen aufgedeckt. Dafür ist er nun mit einem der drei Wächterpreise der Tagespresse 2019 ausgezeichnet worden. Der erste Preis ging an das “Handelsblatt” für eine Artikelserie zur VW-Diesel-Affäre. Mit dem dritten Preis wurde die Recherche der “HNA” zur Fast-Pleite der documenta 14 ausgezeichnet.

6. Solidarität mit Natalie Grams!
(onkelmichael.blog, Michael Scholz)
Ein bundesweit bekannter Zuckermittelproduzent (Hevert Arzneimittel GmbH und Co.) hat der Homöopathiekritikerin Natalie Grams eine Unterlassungserklärung zugestellt. Grams soll nicht behaupten dürfen, dass die Homöopathie keine weitere Wirkung als über den Placeboeffekt hinaus habe. Sollte Grams ihre Aussage wiederholen, will Hevert jedesmal 5.100 Euro von ihr haben.

Verlage als willige Facebook-Spione, Seehofers Schein-Dementi, Click­bait

1. Facebook trackt Nutzer auf drei Viertel aller deutschen Nachrichtenseiten
(rufposten.de, Matthias Eberl)
Matthias Eberl hat 130 deutsche Nachrichtenseiten ausgewertet. 75 Prozent würden Seitenaufrufe an Facebook weiterleiten, obwohl die Gesetze diese Form von Tracking untersagen würden. Auf das Argument, dass Nutzerinnen und Nutzer sich dagegen durch technische Maßnahmen schützen könnten, entgegnet Ebner: “Die systematische Auswertung unserer persönlichen Mediennutzung durch Facebook ist aber kein privates Problem, es hat eine gesellschaftliche Dimension. Daher sollte das Problem direkt bei den Verlagen gelöst werden.” Bis dies hoffentlich irgendwann geschieht, hat Ebner Tipps zur Selbsthilfe.

2. Ibiza-Video: Strache zeigt auch “Spiegel” und “Süddeutsche” an
(derstandard.at, David Krutzler)
Der wegen des Ibiza-Videos zurückgetretene FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache hat seinen Anwalt Strafanzeige gegen alle Personen erstatten lassen, “die für Herstellung, Verbreitung und Veröffentlichung des Videos mitwirkend verantwortlich sind”. In Wien hatte er bereits eine derartige Anzeige erstattet, nun erfolgte dies auch in Hamburg und München, wo “Spiegel” und “Süddeutsche” ansässig sind. “Auch diese Strafanträge erfolgen in dem Bestreben, die Hintergründe, Beteiligten und möglichen Auftraggeber der Videoherstellung und Videoverbreitung zu ermitteln”, so Straches Anwalt.

3. Statement des Orga-Teams zur Bloggerin des Jahres 2017
(die-goldenen-blogger.de)
Das Organisationsteam der “Goldenen Blogger” hat der “Bloggerin des Jahres 2017” die Auszeichnung aberkannt: “Wir haben uns an diesem Wochenende untereinander beraten, recherchiert und mit fachkundigen Menschen gesprochen, um eine angemessene Reaktion zu finden. Was bringt Menschen dazu, so zu handeln? Diese Frage hat uns in den vergangenen Tagen umgetrieben. Wir fürchten: Die Antwort ist ebenso düster und traurig wie viele der Geschichten auf Readon, my dear.”
Zum Hintergrund: Bloggerin soll Holocaust-Opfer erfunden haben (tagesspiegel.de, Julia Prosinger).

4. Was macht eine gute Multimedia-Reportage aus?
(journalist-magazin.de, Jens Radü)
Jens Radü hat sich als “Head of Multimedia” beim “Spiegel” Gedanken darüber gemacht, was eine gute Multimedia-Reportage ausmacht, jenseits von Bauchgefühl und Klickraten. Radü hat zehn Qualitätskriterien definiert, ist sich jedoch bewusst, dass dies nicht die Antwort auf alle Fragen ist: “Und? Ist das nun die Ikea-Bauanleitung für eine perfekte Multimedia-Geschichte? Die Schablone, mit der alles gut und einfach wird? Nein. Eine schlechte Geschichte wird auch mit den zehn Kriterien nicht außergewöhnlich gut werden. Und wenn die grundlegenden Qualitätskriterien — Richtigkeit, Vollständigkeit, Relevanz und dergleichen — nicht erfüllt sind, retten auch sanfte Übergänge oder ein Introvideo die Geschichte nicht. Aber der Katalog kann helfen, eine mittelmäßige Story zu verbessern, handwerkliche und dramaturgische Standards zu etablieren, mit denen ein gewisses Niveau nicht mehr unterschritten wird.”

5. Schein-Dementi und Nebelkerzen von Seehofer
(reporter-ohne-grenzen.de)
“Reporter ohne Grenzen” hat vor wenigen Tagen vor brisanten Plänen des Bundesinnenministeriums gewarnt. Danach soll es deutschen Geheimdiensten künftig erlaubt sein, Medien im In- und Ausland digital auszuspionieren. Innenminister Horst Seehofer verteidigte in einem Interview mit “Bild” das Gesetzesvorhaben. Man wolle Terrorismus und Extremismus bekämpfen, nicht aber Medien oder Journalisten. Ein Schein-Dementi, wie “Reporter ohne Grenzen” findet: “Diese Versprechungen Seehofers sind rhetorisch geschickt, räumen die zentrale Kritik an der Aufweichung des Redaktionsgeheimnisses jedoch nicht aus.”

6. Pro­gramm­zeit­schrift muss für Krebs-Click­bait zahlen
(lto.de)
Das Oberlandesgericht Köln hat die Programmzeitschrift “TV Movie” dazu verdonnert, dem Fernsehmoderator Günther Jauch 20.000 Euro zu zahlen wegen einer besonders unanständigen Form des Clickbaits: Die Zeitschrift hatte 2015 auf Facebook die Krebserkrankung eines anderen Moderators mit einem Jauch-Bild illustriert, um Aufmerksamkeit und Klicks zu erzeugen.

Fake on my dear, Rezo-Fallout, Facebook kennt keine Privatsphäre

1. Bloggerin soll Holocaust-Opfer erfunden haben
(tagesspiegel.de, Julia Prosinger)
Der Erfolg der promovierten Historikerin und Bloggerin (“Read on my dear, read on”) Marie Sophie Hingst beruht anscheinend auf weitgehend erfundenen Geschichten. So habe Hingst ihre jüdische Familiengeschichte erlogen. Auch sei fraglich, ob Hingst im Alter von 19 Jahren tatsächlich ein Slumkrankenhaus gegründet habe. “Zeit Online” rückt mittlerweile von einem Beitrag über eine angebliche Aufklärungs-Sprechstunde mit Geflüchteten ab. Die “FAZ” hat ein mit Hingst veröffentlichtes Interview offline genommen.
Weiterer Lesetipp: Anke Gröner kommentiert in ihrem Blog: “Holocaust-Opfer zu erfinden, ist nicht nur geschmacklos, es ist gefährlich. Es ist Wasser auf den Mühlen der Holocaust-Leugner, es ist Wasser auf den Mühlen derer, die Opfern eine Mitschuld unterstellen, ganz gleich, von was sie Opfer geworden sind, es ist Wasser auf den Mühlen der Geschichtsverfälscher und -umdeuter, die im Nachhinein besser wissen wollen, was passiert ist und wie wir damit umgehen sollten (“Schlusstrich”, “langt jetzt auch”, “DRESDEN!”).”
Und wer sich noch weiter einlesen will: Die Causa Hingst – Fragen und erste Antworten zu einem Skandal der Blogosphäre (archivalia.hypotheses.org, Klaus Graf).

2. Angaben zu Social-Media-Profilen sind jetzt Pflicht
(spiegel.de)
Antragsteller für ein US-Visum müssen zukünftig ihre Social-Media-Identitäten offenlegen und sowohl ihre aktuellen als auch ihre früheren Telefonnummern angeben. USA-Urlauber seien davon jedoch derzeit nicht betroffen. Für sie gilt das visumlose ESTA-Programm für Besuche mit befristeter Aufenthaltsdauer.

3. Lügen, Sex und YouTube
(gutjahr.biz)
Anlässlich der jüngsten Videoveröffentlichungen mit politischem Rückhall, kommentiert Richard Gutjahr: “Stellen wir uns vor, das Ibiza-Video wäre kein Video gewesen, sondern nur ein Audio-Mitschnitt. Oder ein verschriftetes Wortprotokoll. Ich gehe jede Wette ein, Kurz und Strache wären heute noch im Amt. Oder die “Zerstörung der CDU”. Nehmen wir mal an, Rezo hätte seinen Rant nicht als Video, sondern in Schriftform ins Netz gestellt. Wort für Wort. Mit allen Fußnoten und Quellenhinweisen. Rezo… wer?” Gutjahrs Prognose: “Die Bedeutung von Video wird in den kommenden Jahren nicht nur weiter linear wachsen, sondern geradezu explodieren.”

4. Nutzer können laut Facebook keine Privatsphäre erwarten
(golem.de, Friedhelm Greis)
In einem Prozess um den Cambridge-Analytica-Skandal verteidigt sich Facebook mit einer bemerkenswerten Argumentation: Das Unternehmen habe nicht gegen Datenschutzvorgaben verstoßen, da es bei Sozialen Medien “keine vernünftige Erwartung auf Datenschutz” gebe und weiter: “Es gibt keine Verletzung der Privatsphäre, da es überhaupt keine Privatsphäre gibt”.

5. Rezo-Fallout: “Wir brauchen Regeln gegen Desinformation”
(heise.de, Markus Kompa)
Markus Kompa kommentiert ein Interview, das Tobias Schmid, Direktor der Landesanstalt für Medien NRW, der “FAZ” zur Netzregulierung gegeben hat (Wir brauchen Regeln gegen Desinformation). “Landesmediendirektor Schmid behauptet im Interview allen Ernstes, die Einhaltung journalistischer Standards überwache bei der Presse der Presserat. Bei solch weltfremder Naivität möchte man in die Tischkante beißen. Der Presserat ist nichts weiter als eine Propaganda-Veranstaltung der Verlagsbranche, mit der man in den 1950er Jahren den Erlass eines lästigen Ehrenschutzgesetzes verhindern wollte. Das geplante Gesetz wurde aber überflüssig, weil die Rechtsprechung praktisch die gleichen Ergebnisse durch Entwicklung des aus der Verfassung hergeleiteten allgemeinen Persönlichkeitsrechts erzielt.”

6. Diese Instagram-Accounts gingen im Mai durch die Decke
(horizont.net, Giuseppe Rondinella)
“Horizont” hat die Wachstumsraten aller deutschsprachigen Instagram-Kanäle ab 100.000 Follower für den Monat Mai analysieren lassen. Die Top 10 werden von den Teilnehmerinnen von “Germany’s Next Topmodel” dominiert. Mit dabei sind aber auch ein Fußballer und ein PARTEI-Politiker.

Blättern:  1 ... 168 169 170 ... 495