Rechtsweg ausgeschlossen

Der Rechtsanwalt der ehemaligen RAF-Terroristin Brigitte Mohnhaupt, Hellmuth Jipp, hat die “Bild”-Zeitung in einer Abmahnung aufgefordert, Mohnhaupt nicht mehr “schlimmste Terroristin” oder “Mörderin” zu nennen. “Bild” nimmt das heute zum Anlass, Mohnhaupt in einem großen Seite-2-Text mehrfach “Mörderin” und “Terroristin” zu nennen:

"Jetzt schickt sie ihren Anwalt los: Terroristin Mohnhaupt will nicht mehr

Und nachdem “Bild”-Kolumnist Franz Josef Wagner bereits am Montag “unfassbar” fand, dass “in unserem Land eine Mörderin die Chance hat, glücklich zu werden” (was er in seiner heutigen Kolumne bekräftigt), empört “Bild” sich heute darüber, dass sich “nicht nur Mohnhaupt”, sondern auch andere ehemalige RAF-Mitglieder auf “ihr Recht auf ‘Resozialisierung'” berufen, das (wir erinnern uns) vor rund 34 Jahren vom Bundesverfassungsgericht zum grundrechtlichen Anspruch erklärt wurde.

Und “Bild” findet noch etwas anderes “unfassbar”.

Es ist unfassbar! Sie bombte und mordete, um den deutschen Rechtsstaat, das “Schweinesystem BRD”, zu vernichten! Dafür bekam sie lebenslänglich. Der Rechtsstaat ließ sie nach 24 Jahren auf Bewährung frei — um ihr eine zweite Chance zu geben. Und nun will RAF-Terroristin Brigitte Mohnhaupt (gerade vier Tage auf freiem Fuß) denselben Rechtsstaat benutzen, um nicht mehr “Terroristin” genannt zu werden! Auch nicht “Mörderin”!

Darüber, ob der “Rechtsstaat” (also zunächst das Hamburger Landgericht) ihr da Recht geben sollte, darf und kann man streiten.

Nicht streiten darf und kann man hingegen darüber, dass jeder Mensch — und das schließt Mörder und Terroristen ein — “in unserem Land” selbstverständlich das verfassungsmäßige Recht hat, den Rechtsweg zu beschreiten. Das weiß doch jedes Kind. “Bild” aber ist offenbar der Meinung, dass das für ehemalige RAF-Terroristen nicht gelten soll. Indem sie nämlich Mohnhaupt vorwirft, “denselben Rechtsstaat benutzen” zu wollen, der sie entlassen habe, “um ihr eine neue Chance zu geben”, spricht “Bild” ihr dieses Recht ab.

Wie gefährlich ist “Bild”?

Was erwartet eigentlich der Leser von einer Tageszeitung?

Neuigkeiten? Und Hintergründe?

Und was erwartet den Leser bei “Bild”?

Die Beantwortung der Frage “Wie gefährlich sind Mikrowellen?” durch das “Schulprojekt” einer “Schülerin der 6. Klasse” (ein mit microwaved water begossenes Pflänzchen ging nach neun Tagen ein) und zwei Vorher/Nachher-Fotos des “Experiments”, die “im Internet kursieren” (siehe Ausriss).

“Bild” schreibt dazu:

“Ist das der Beweis, dass Mikrowellen doch gefährlich sind?”

Offensichtlich nicht zu erwarten hat der “Bild”-Leser eine Antwort auf diese Frage — beispielsweise diese: Das mutmaßliche “Schulprojekt” wurde irgendwann 2006 durchgeführt, besitzt quasi keinerlei Aussagekraft, und “im Internet kursieren” längst auch einleuchtendere Gegenbeweise.

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Qualitätsmedien im Netz, Folge 3271
(stefan-niggemeier.de)
Gelegentlich wird BILDblog ja vorgeworfen, unsere Arbeit sei schon deshalb unsinnig, weil die meisten Leser eh nicht glaubten, was in der ?Bild?-Zeitung steht. Interessanterweise aber glauben Journalisten, was in der ?Bild?-Zeitung steht.

Der neue Horror für Verlage
(welt.de, Lars Winckler)
Was YouTube für Videoclips ist, soll Scribd für Text-Dateien werden. Das Portal zieht kurz nach dem Marktstart bereits mehr als 130.000 Nutzer täglich an. Scribd ist praktisch – doch für Verlage weltweit eine große Gefahr.

Eitle Jagd nach Schnipseln
(facts.ch, Kai Michel)
Wer brachte es in die Zeitung? Mit Schere und Klebstoff trugen Wissenschaftler ihren Ruhm zusammen.

Wocheninterview mit Thomas Landolt
(werbewoche.ch, René Worni)
Aus Rumänien zurück, lenkt er als Generalmanager das Schweizer Business von Ringier. Im Gespräch mit René Worni erklärt der neue starke Mann des Hauses, warum er die Gattung Print hochhält, wie er mit seinen Leuten den schlingernden Blick auf Kurs bringen will und warum er die Mentalität im wilden Osten schätzt, wo Tempo fast alles ist.

“Vanity Fair” verstümmelt Eisbärbaby Knut
(dwdl.de, Jochen Voß)
Der Knut-Titelgeschichte in der aktuellen “Vanity Fair” fehlt wegen einer Panne der Schluss. Ungeachtet dessen ist die Branche vom Erfolg des Blattes überzeugt.

Wisi liebt Claudia
(ronorp.net, Wisi)
Waren bis anhin die abendlichen Zugfahrten nach Hause eine Qual, so sind sie heute ein Hochgenuss. Dafür verantwortlich: Das Heute.

Yan-Yan-Content

“Wegen Knut?” fragte “Bild” bereits gestern auf der Titelseite.

Denn just, nachdem der populäre Eisbär (wir berichteten) in einem Berliner Gehege der Öffentlichkeit präsentiert wurde, starb im selben Zoo die Pandabärin Yan Yan. Und “Bild” schrieb:

Noch wird über die Ursache gerätselt. Starb sie wegen Knut? War es der Stress durch die plötzlich täglich 30 000 Besucher, die kommen, um Knut zu sehen?

Und eine Antwort auf die vielen Fragen gab es auch. Eine Antwort, wie man sie vermutlich nur in “Bild” finden kann:

Die Todesursache — war es der Stress der letzten Tage? (…) BILD-Reporter hatten in den vergangenen Tagen beobachtet: “Viele Menschen, die wegen der langen Schlangen keinen Blick auf Knut werfen konnten, gingen dann zu Yan Yan. Sie wirkte verunsichert, verschüchtert.”

Wie die Obduktion ergab und der heutigen “Bild” zu entnehmen ist, hatte die Pandabärin einen “kleinen Lebertumor”, starb aber “offiziell an Herzstillstand!” (Bundes-Ausgabe) beziehungsweise “an einer Darmverstopfung, ihr Herz hörte einfach auf zu schlagen” (Ausgabe Berlin-Brandenburg). Oder noch genauer: “Durch die Verstopfung gelangten Darmgifte in die Blutbahn, griffen ihr Herz an” (“Zoobiologe Dr. Ragnar Kühne”). Beziehungsweise: “Durch eine Darmverstopfung wurden giftige Stoffe nicht ausgeschieden. Eine Blutvergiftung führte dann zum Herzversagen” (“Andreas Ochs vom Berliner Zoo”).

Keine Knutitis also, sondern Ileus — “ein unglücklicher Zufall”, wie es der Zoobiologe nennt.

Wie wenig diese Wahrheit der “Bild”-Zeitung gefällt, illustriert sie in folgenden Zeilen, die über dem Yan-Yan-Artikel stehen:

"Yan Yan erlag einem Darmverschluss und hatte einen Leber-Tumor! Oder starb sie
an Eifersucht auf den beliebten Knut?"

Wer “Bild” verstehen will, sollte dieses Satzpaar eine Weile auf sich wirken lassen.

Versacer bei Bild.de

(Wird fortgesetzt…)

Nachtrag, 18 Uhr:

Mit Dank an Hobbes, Andrea B., Sascha H., Michael M., Lisa H., Ingo F., Michael D., Lutz R. und Stefanie H.

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Blogs schweben nicht in einem luftleeren Raum innerhalb der Gesellschaft, in dem Geld keine Rolle spielt
(don.antville.org)
Als ich gegen Ende der 80er darüber nachdachte, wie und wo ich Texte veröffentlichen konnte, da war der Einstieg klar: man fing an für Fanzines zu schreiben. Ohne Geld, aber mit viel Enthusiasmus. Wenn man Glück hatte, dann konnte man auch mal ein paar CD oder Kinokritiken im örtlichen Stadtmagazin unterbringen. Fanzines waren die Blogs der 80er und frühen 90er Jahre. Man tauschte Geschichten aus, man bekämpfte sich auch mal, wenn es um Interviewtermine ging, aber insgesamt gesehen, war man sich einig, dass man nicht auf Dauer bei einem Fanzine schreiben wollte, weil man irgendwann ja auch mal Geld verdienen wollte.

Echolote in die Tiefen des Netzes
(perlentaucher.de, Thomas Rohde)
Seit dem vergangenen Herbst ist eine neue tägliche Online-Presseschau im Netz. Das ist eine gute Nachricht nicht nur für die Nutzer der neuen Seite, sondern auch für die von ihr ausgewerteten Medien. Wie der Perlentaucher mit seiner Feuilletonrundschau über die Kulturseiten der deutschsprachigen Qualitätszeitungen berichtet, widmet sich Ecolot.de den Wirtschaftsteilen der einschlägigen Zeitungen.

Wenn der Morgen mit Toni Mahoni beginnt (+)
(fr-online.de, Daland Segler)
Der starke Zug ins Internet: Die 40. Mainzer Tage der Fernsehkritik fragen nach dem “Wandel der Öffentlichkeit”.

Meinung ohne Gewähr
(tagesspiegel.de, Clemens Wergin)
Das Urteil des Bundesgerichtshofes macht Internetprovider für bei ihnen veröffentlichte Inhalte verantwortlich. Gegen Hasspropaganda im Netz wird das wenig ausrichten.

Auf der Fernbedienung schließlich auch Platz eins und zwei
(faz.net, Michael Hanfeld)
Sie sind nicht als Erste darauf gekommen, doch sie kommen als Erstes darauf, wie üblich Vorrang für sich einzufordern. Und zwar, ebenfalls wie üblich, von Gesetzes wegen: ARD und ZDF haben das Internet entdeckt und erkannt, dass sie um ihre Plätze fürchten müssen, um Platz eins und Platz zwei, wie sie es von der Fernbedienung her gewohnt sind.

Das Knutchen-Schema
(jungle-world.de, Elke Wittich)
Noch kriegt er das Fläschchen, aber bald wird der kleine Eisbär die Welt in »essbar« und »nicht essbar« einteilen. Menüvorschlag: die Familie Baring.

F. J. Wagner findet Verfassung “unfassbar”

“Bild”-Kolumnist Franz Josef Wagner schreibt heute wieder einmal an die ehemalige Terroristin Brigitte Mohnhaupt.

Der letzte Satz seines bösartigen Textes lautet:

Es ist unfassbar, dass eine Mörderin in unserem Land die Chance hat, glücklich zu werden.

Was Wagner so “unfassbar” findet, ist der Resozialisierungsgedanke, der im Jahr 1977 als “Vollzugsziel” explizit im Strafvollzugsgesetz festgeschrieben wurde. Das Bundesverfassungsgericht hat ihn aus Artikel 2 Absatz I des Grundgesetzes (Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit) in Verbindung mit Artikel 1 Absatz I Grundgesetz (Menschenwürde) entwickelt. Er ist seit nunmehr rund 34 Jahren ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.

Und wir dachten, Wagner hätte sich, wie alle Springer-Mitarbeiter, per Arbeitsvertrag zu den Unternehmensgrundsätzen und damit zum “freiheitlichen Rechtsstaat Deutschland” bekannt.

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Weblogs, Datenschutz und Persönlichkeitsrechte
(onlinejournalismus.de, Fiete Stegers)
Wenn sich Blogger ärgern, machen sie sich im Netz Luft. Auch Journalisten, die sonst selbst andere zitieren, finden sich auf einmal auf der anderen Seite wieder, wenn ihre Antworten auf Leserbriefe oder Zitate aus Anrufen in der Redaktion in Blogs erscheinen. Verblüfft, vielleicht verärgert, fragen sich einige: ?Dürfen die das?? Nachfrage bei zwei Internetrechtlern.

Alphablogger: Jens Schröder, Medien-Analyst und Blog-Statistiker
(readers-edition.de, Peter Turi)
Jens Schröder ist eine stille Macht im Medien-Business: Als Daten-Analyst beim Mediendienst kress kommentiert er die Auflagen- und Anzeigentrends der Printmedien, zerpflückt und beschreibt kenntnisreich die Quoten und Werbeumsätze der Fernseh- und Radiosender. Auf seiner eigenen Website www.deutscheblogcharts.de analysiert der bekennende Statistik-Fan mit Liebe zum Detail den Publikums-Zuspruch der 100 wichtigsten Blogs in Deutschland: Welche Seite wird am häufigsten zitiert und verlinkt? Wer sind die Auf- und die Absteiger unter den Blogs? Aber Schröder hat noch eine andere Seite: Als Popkulturjunkie.de bloggt er seine Welt-Sicht zu Fernsehen, Film und Musik – und gehört damit zu den Top 30 seiner Blogcharts.

Die Leserzahlen der Printmedien
(persoenlich.com)
Die erste Auswertung der Leserzahlen der Printmedien für das Jahr 2007 zeigt: Der Gratistitel 20 Minuten ist weiter im Vormarsch, während der Blick erneut an Terrain verliert. Bei den Zeitschriften sind mit der Schweizer Illustrierten und dem Beobachter zwei Titel unter die Millionen-Grenze gefallen und auch die Weltwoche hat den Turnaround noch nicht geschafft.

Schöne neue Netzwelt
(diezuender.de/gallery)
Ebenso lange wie das Internet gibt es Menschen, die sich von der Technologie eine bessere Welt erhoffen. Viele lagen falsch, einige Theorien aber prägen das Web bis heute. Ein Überblick über die Netz-Utopien der vergangenen 50 Jahre.

«Google ist halt doch böse»
(heute-online.ch, Thomas Benkö)
Der Zürcher Blogger Benbit deckt auf seinem Blog oft Sicherheitslücken grosser Firmen auf. Das macht ihn unbeliebt. So unbeliebt, dass ihn Google aus dem Index schmiss.

Aufgedeckt
(bildblog.de)
Wie “Bild” den “Piano-Mann” fand.

Ex-Terroristen und ihr Persönlichkeitsrecht

Wie berichtet dokumentiert die “Bild”-Zeitung heute fast ganzseitig ihr eigenes Scheitern: Trotz eines erheblichen Aufwandes ist es keinem der zahlreichen “Bild”-Mitarbeiter, die bei der Entlassung der Ex-RAF-Terroristin Brigitte Mohnhaupt auf der Lauer lagen, gelungen, Fotos von ihr zu machen. Stattdessen zeigt “Bild”: einen blauen VW-Bus bei Nacht, eine zeitlose Außenansicht der JVA Aichach, den Gefängnisdirektor — und natürlich, wie Mohnhaupt vor einem Vierteljahrhundert auf einem Fahndungsfoto aussah. Die Enttäuschung darüber ist “Bild” förmlich anzumerken:

Dass die nächtliche Belagerung der JVA Aichach der letzte Versuch von “Bild” gewesen sein könnte, Mohnhaupt zu fotografieren, ist unwahrscheinlich. Und dass die “Bild”-Verantwortlichen nicht zögern, ihren Lesern aktuelle Mohnhaupt-Fotos zu zeigen, ist ja bekannt. Bleibt die Frage: Dürften sie das?

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