“Bild” entdeckt den Text (sueddeutsche.de, Caspar Busse)
“Bild” und “Bild am Sonntag” verlieren kräftig an Auflage. Nun gibt Springer-Chef Döpfner Zuständigkeiten ab – und der Online-Auftritt soll weniger Erotik, dafür mehr Inhalt bieten.
Die besten Medienmanager 2007 (persoenlich.com)
Wie bereits im Vorjahr hat die “persönlich”-Jury die erfolgreichsten Medienmanager des Jahres erkoren. Dabei gab es einige frappante Änderungen: Peter Wanner führt das Ranking an, altbekannte Persönlichkeiten wie Medienpionier Roger Schawinski oder Verleger Charles von Graffenried tauchen neu in der Rangliste auf. Um andere, wie Ringier-Boss Michael Ringier (2006: Rang 1) oder Verlegerpräsident Hanspeter Lebrument, ist es dieses Jahr erstaunlich ruhig geblieben.
Irrsinn Kommentarhaftung (debatte.welt.de, Don Dahlmann)
Millionen Menschen tauschen sich tagtäglich in Blogs, Foren und Leserkommentaren aus. Doch die Kommentarfunktion birgt eine große Gefahr, vor allem für die Foren- oder Blogbetreiber. Schuld daran sind einige Gerichte in Deutschland.
Leander Haußmann rasiert sich mit dem blanken Messer (faz.net, Nils Minkmar)
Nach knapp einjähriger Pause erscheint wieder das Kulturmagazin “Liebling“. Es erzählt, was die Welt der Kunst im Innersten zusammenhält. Selbst die literarische Seite der gemeinen Seife offenbart sich darin und Leander Haußmann inszeniert seinen Tod per Küchenmesser.
Besser als Sudoku? (nzzfolio.ch, Judith Stalpers und Florian Coulmas)
Wie kein zweites Rätsel hat Sudoku die Welt erobert. Der japanische Spielepapst Maki Kaji glaubt, etwas noch Besseres auf Lager zu haben.
Friedrich Küppersbusch, 46, ist Journalist und Fernsehproduzent und wurde einer breiten Öffentlichkeit als Moderator der WDR-Magazine “Zak” und “Privatfernsehen” bekannt. “Bild” nannte ihn damals “die messerscharfe Zunge vom WDR”. Seine Firma Probono, die für n-tv die tägliche Gesprächssendung mit Sandra Maischberger produziert hat, stellt für den Nachrichtensender heute unter anderem die Talkshows “Busch @ n-tv” und “Das Duell” her. Sie produziert außerdem für RTL die Sendung “Raus aus den Schulden”.
Von Friedrich Küppersbusch
Ich heiße Friedrich und bin “Bild”-Leser. Seit drei Jahren trocken, und die Zeitung heute für das Blog anzufassen, lässt mich ahnen, wie es wäre, aus übergeordneten Gründen nochmal eine rauchen zu müssen. Der Kompromiss — öfter mal eine anstecken, und zwar die “Bild” — mag der Maschinensturm der 68er gewesen sein, der stets jeder vernünftigen Oppositionsgründung vorausgeht.
Härter als “Bild” heute kann man einen Interviewpartner wohl nicht angehen. Im Kommentar links darüber völkelt Who-the-Vogg-Müller gegen “Kinderrechte im Grundgesetz”: “Notfalls müssen die Kleinen ihren Eltern viel schneller weggenommen werden…” — worin zum Beispiel FDJ und Pimpfe Bleibendes geleistet haben — denn sie, die Kinder “brauchen einen aktiven Staat und aufmerksame Nachbarn.” Blockwart statt Grundrecht, als Nächstes müsste die neue Juso-Chefin aus Müller-Vogg austreten und nicht nur aus der gegen ihn gemässigt linken “Roten Hilfe”. Bild textet das im Stile des Revierpächters beim Streckelegen:
Möchten Sie ein “e” kaufen? Nehmen Sie gleich zwei: In der notorischen “Pest von Wagner” geht’s diesmal um die Balina Luft. Wie man mit so wenig Buchstaben so wirksam das Gefühl stimulieren kann, sich sofort gründlich waschen zu wollen, wird mir ewig ein Rätsel bleiben. Wagner wagnert sich was vom Menschen als “das Größte” zusammen, der noch jede Naturkrise überstanden habe. Denn:
Ich weiß nicht, wie ein Rhinozeros schmeckt, aber ich hätte es aufgegessen.
Die Frage, ob man zum Überleben notfalls auch etwas sehr ekliges essen würde, hat das Rhinozeros anders beantwortet, Wagner kam durch. Immerhin darf er eine dissente Meinung zur Titelschlagzeile vertreten, die da dröhnt: “So machen wir unsere Erde kaputt — der erschütternde Bild-Report”.
Weltuntergang wird durch “Bild” erst schön, und damit nun keiner ernsthaft glaubt, es hätte was mit jedem Einzelnen zu tun, gurgelt man ebenfalls auf der Eins eine Untersuchung der Spritsekte ADAC hoch: Danach lohne sich der Invest für ein Öko-Auto, z.B. “Ford Focus Econetic”, erst bei einer Fahrleistung von “185.200 km” — pro Jahr.
Ich hätte lieber eine geraucht. Sensationell, wenn sich in drei Jahren gar nichts geändert hat.
Meine Frau und Mutter unserer Kinder teufelte damals: “Ich kauf’ für ein Höllengeld sauberes Essen im Ökomarkt, und Du schleppst den Dreck gedruckt ins Haus”, was schon allein deshalb sehr hart war, weil einerseits sie es sagte und es andererseits aber stimmte. In den Weihnachtsferien gebrach es mir an der Ausrede, es “beruflich tun zu müssen”. Bei Rückkehr in die politische Talk-Redaktion argwöhnte ich lange, in Debatten um Themen, Gäste, Herangehensweisen von den “Bild”-lesenden Kollegen mindestens hinterrücks als “so langsam hat der Alte ja gar keine Ahnung mehr” verspottet zu werden. Das blieb aus, zumal ich im Zweifel Wetten anbot, wie das Blutblatt eine in Rede stehende causa behandelt haben mochte. Dann musste ein Untergebener nachschauen. Man muss es sich einfach leisten können, das nicht selbst anzufassen.
Mich schreckt dieses Amalgam aus Voreingenommenheit, bedenkenloser Geschichtslosigkeit, ins Objektive gewandete Propaganda — und immer, immer der ungefragte Griff an andererleuts Unterleib. Vom Fickbrötchen-Foto auf der ersten Seite über viehische Details widerwärtiger Gewaltverbrechen bis zum dumpfen Volksempfinden und Schalkedoof — ich kann das nicht mehr lesen, ohne mich hinterher einer gewissen Mittäterschaft zu zeihen. Ich habe 50 Cent gegeben, damit ein namenloser Aasverwerter sich nochmal durch die Leiche einer Vierjährigen wühlt:
Der mysteriöse Tod der kleinen Leonie (4)
Einzig die Dachzeile darüber würde ich mir als Merkzettel für die nächsten drei Jahre gern aufbewahren:
Auf ihrer neuen täglichen Service-Seite und als Auftakt einer Serie “So machen Sie mehr aus Ihrem Geld” erklärte die “Bild”-Zeitung ihren Lesern am Samstag: “Wie Sie mit dem Internet Geld verdienen können”.
Grob unterscheiden lassen sich dabei zwei Möglichkeiten. Möglichkeit eins: Die Axel Springer AG verdient daran, wenn Sie im Internet Geld verdienen. Möglichkeit zwei: Die Axel Springer AG verdient nicht daran, wenn Sie im Internet Geld verdienen.
Leider hat die zu Axel Springer gehörende “Bild”-Zeitung, äh: vergessen, diese Unterscheidung kenntlich zu machen, also ihren Lesern zum Beispiel zu verraten, dass die Axel Springer AG im vergangenen Mai die Mehrheit an der von “Bild” wortreich empfohlenen Firma Zanox erworben hat.
Wenn man aber, wie Joachim Dethlefs es in seinem Blog “Journalist und Optimist” getan hat, die verschiedenen besprochenen Angebote im “Bild”-Artikel unterschiedlich farbig markiert…
…könnte man fast erraten, welchem Unternehmen die Zeitung geschäftlich verbunden ist. Alternativ hilft es, die Texte in der Rubrik “Und so handeln Sie im Netz” zu vergleichen, in denen es u.a. heißt:
Als Zanox-Nutzer haben Sie mit der Warenlieferung nichts zu tun. Die übernimmt der Händler, bei dem der Kunde gekauft hat.
Haben Sie etwas bei Ebay verkauft, müssen Sie nach Bezahlung die Ware an den Käufer verschicken. Die Versandkosten trägt der Käufer. Auch bei Amazon-Verkäufen verschicken Sie die Ware. Versandkosten werden erstattet.
Der Service von Zanox ist für Sie kostenlos. Wer bei Ebay verkauft, zahlt Gebühren! Das Anbieten von Ware kostet ab 0,25 Euro (je nach Startpreis), nach dem Verkauf kassiert Ebay max. 5 Prozent des Kaufpreises (je nach Höhe des Preises).
Amazon nimmt pro erfolgreichen Verkauf 1,14 Euro Gebühr, dazu 10 bis 15 Prozent des Verkaufspreises (je nach Produkt).
Alles, einfach alles scheint für dieses tolle Zanox-Angebot zu sprechen, ähnlich wie für Äpfel als Vitaminspender, wenn man sie mit Schaufelradbaggern vergleicht. Denn “Bild” vergleicht den Gebrauch von sogenannten Affiliate-Links (über Zanox), in denen man nur Werbepartner ist, mit dem Verkauf eigener Produkte (über Amazon oder Ebay), der natürlich ein bisschen aufwändiger ist. Dass auch Amazon ein Affiliate-Programm anbietet, erwähnt “Bild” nicht.
Es weihnachtet. Und das ist immer eine gute Gelegenheit, sich was zu wünschen. Wir haben uns Gastbeiträge gewünscht — für unsere große BILDblog-Adventsaktion. Und ohne schon jetzt zuviel zu verraten: Unser Wunsch wurde erhört.
Von heute bis Weihnachten präsentieren wir immer um 16 Uhr einen “BILDblogger für einen Tag”, der sich der aktuellen “Bild”-Ausgabe annimmt — und danken schon jetzt allen sehr, die sich spontan bereiterklärt haben, extra für uns eine “Bild”-Zeitung zu lesen!
«Gratiszeitungen sind eine Übergangserscheinung» (blick.ch, Klaus Lange und Marc Walder) Der mächtigste Medienmanager Deutschlands gibt selten Interviews. Mit SonntagsBlick sprach er über die Zukunft der Zeitungen, über die Schweiz – und über sich selbst.
Hans Dichand gegen “Hans Dichand” (futurezone.orf.at)
In der Sonntags-Printausgabe kündigte “Krone”-Herausgeber und Blogger Hans Dichand an, einen unbekannten “Fälscher” seines Blogs “zu überführen”. “Wer ihr ‘wahrer’ Hans Dichand ist, das entscheiden immer noch sie, geneigter Leser”, antwortet der Parodist.
Noch hat der Kreml die Medien nicht restlos unter Kontrolle (welt.de, Jens Hartmann)
“Russische Journalisten haben Blogs als Fluchtburgen für sich entdeckt. Dort wird frech und frei formuliert, dort formiert sich eine intellektuelle Gegenkultur.”
Brummen vor Selbstgenuss (sueddeutsche.de, Ijoma Mangold)
Im Videoblog, dem neuen Lieblingsspielzeug vieler Journalisten, darf jeder so richtig “Ich” sagen: Radikal subjektiv, gerne auch in der eigenen Wohnküche, wird kommentiert und geplaudert, was das Zeug hält.
Das Rattenrennen um die Öffentlichkeit (zeit.de, Video, 3:48 Minuten) Warum Offene Briefe eine Qual sind. Eine Videokolumne von Jens Jessen, Ressortleiter des Zeit-Feuilleton.
Kenne deinen Gegner! (Lesetipp) (dasmagazin.ch, Martin Beglinger)
Warum Christoph Blocher nicht zu knacken ist. Und wie er es künftig doch sein könnte.
Am Samstag schrieb “Bild”-Kolumnistin Evelyn Holst darüber, “was Männer wirklich besser können — und was nicht”, denn:
“Was sie [die Männer] überhaupt nicht können, ist gut und glaubwürdig zu lügen.”
Nun ja. Unmittelbar neben Holsts “Lügen”-Kolumne jedenfalls wurde am Samstag ausgebreitet, was “Bild” schon auf der Titelseite angekündigt hatte:
(…) In “Bauer sucht Frau” steckt in Wahrheit ganz viel Mist! BILD liegt exklusiv der geheime Vertrag vor, den die Mitwirkenden unterschreiben müssen — und enthüllt, wie in der Sendung geschwindelt wird.
Ein gutes halbes Dutzend “Schwindel” hat die erfolglose “Bild” in der erfolgreichen RTL-Doku-Soap entdeckt bzw. derart schlecht und unglaubwürdig zusammengestoppelt, dass sich die Produktionsfirma MME zum Widerspruch veranlasst sieht.
So stimme u.a.* nicht, wenn “Bild” behauptet,
die Kandidatinnen dürften den Hof des Bauern nicht verlassen, wann sie wollen, sondern verpflichteten sich vertraglich, mindestens drei Tage auf dem Hof zu bleiben.
(Laut MME gibt es dafür, dass beispielsweise Kandidatin Beate den Bauern Bernhard bereits nach weniger als drei Tagen wieder verlassen hat, nicht nur Millionen Zuschauer als Zeugen; ein vorzeitiges Ausscheiden sei zudem “mit keinerlei Sanktionen oder Strafen” verbunden.)
die Kandidatinnen machten nicht nur mit, weil sie die große Liebe suchen, sondern bekämen pro Drehtag 150 Euro.
(Laut MME kann das Geld keine Motivation für die Teilnahme gewesen sein, weil die Kandidatinnen erst nach ihrer Bewerbung über die Aufwandsentschädigung informiert wurden.)
die Kandidatinnen entschieden nicht selbst, welchen Bauern sie treffen: “Bianca (26) hatte sich für Bauer Andi beworben. Weil der aber schon so viele Bewerbungen hatte, wurde sie einfach Bauer Markus zugewiesen, den sie gar nicht mochte”, so “Bild”.
(Laut MME widerspricht Kandidatin Bianca dieser Behauptung vehement: “Das stimmt nicht, was in BILD steht. Ich habe mich für Bauer Markus und nie für Bauer Andi beworben!”)
*) Ehrlich gesagt: Es gibt noch weitere zweifelhalfte “Bild”-“Wahrheiten” (und eine hatte “Bild” drei Tage zuvor ohnehin selbst schon mal enthülltgefunden). Weil aber beispielsweise die “Wahrheit” über das Hundebaby Bella den Glauben an “Bauer sucht Frau” ebensowenig erschüttern dürfte, wie die Wahrheit über Bella den Glauben an “Bild”, sparen wir uns das. Deshalb nur soviel: No animals have been harmed, Bella geht’s gut!
Kommen wir lieber zurück zu Evelyn Holst:
“Dass Männer nicht lügen können, kann manchmal niedlich sein. (…) Manchmal ist es allerdings nur frech und dämlich.”
Auch das stimmt schließlich nur so halb: Verfasst wurde die “Wahrheit über ‘Bauer sucht Frau'” für “Bild” nämlich von Bettina Lüke und Nicole Richter.
Selbst, wenn es genau so in einem Text des Bild.de-Kolumnisten Heiko Roloff steht, ist es doch mehr als unwahrscheinlich, dass Hillary Clinton bezüglich ihrer Haltung gegenüber illegalen Einwanderern “eine 360-Grad-Wende” vollzogen hat.
Mit Dank an Axel M., Jan und Philip W.
Nachtrag, 3.12.2007: Inzwischen hat Bild.de eine 180-Grad-Wende vollzogen.
Keine Krähen, Abgang verpasst, Geld von Belgien, Schleichwerbung.
Der Schweizer Textkünstler Christoph Geiser (“kein morgen | kein wind | keine krähen | in den ästen | wartet laub | den mond | vergass ich | zwischen den gittern wächst | frost | die steine waren noch warm | als ich starb”, Zuger Tagblatt, 2. Juni 1971) blitzte vor dem Presserat ab mit einer Beschwerde gegen einen Artikel aus dem inzwischen eingestellten Facts. Die implizite Unterstellung, er benütze seine sexuelle Orientierung zur Beschaffung von Fördermitteln, entbehre jeglicher tatsächlichen Grundlage. Der Text von Daniel Arnet nannte sich “Die Subventionskünstler” und nannte die Schweizer Literaturförderung ein dunkles Kapitel. Wer ein Gesuch schreiben könne und Modethemen verwurste, habe alle Chancen, Steuergelder abzusahnen. Talent brauche es kaum.
Der Ringier-Verlag baute einige wenige Stellen ab (“Es besteht ein grosszügiger Sozialplan. Wenn immer möglich werden den Betroffenen intern Stellen angeboten.”) und will ab Februar nicht mehr mit dem Karikaturisten des hauseigenen Boulevardblatts Blick zusammenarbeiten. Der “geniale”, aber “schon beim Tagi völlig überbezahlte Nico mit seinen horrenden Lohnforderungen” habe “wohl den Abgang verpasst” (persoenlich.com Kommentare).
Der Presserat hat seine Meinung geändert. Gestern noch hatte er grundsätzlich nichts an der abstrusen Art und Weise auszusetzen, mit der die “Bild”-Zeitung darüber berichtete, dass sie für ihre al-Masri-Berichterstattung gerügt worden war (siehe Ausriss). Das jedenfalls sagte uns Presserats-Geschäftsführer Lutz Tillmanns (wir berichteten). Heute indes hat man sich beim Presserat entschieden, eine Pressemitteilung herauszugeben, damit sich “Leser (…) ein korrektes Bild von der öffentlichen Rüge gegen BILD machen können”:
Aus der Berichterstattung der BILD-Zeitung vom 29.11.2007 (…) geht nicht hervor, weshalb der Deutsche Presserat — bereits im September — gegen BILD eine Rüge ausgesprochen hat. Deshalb stellt der Presserat allen interessierten Lesern die komplette Entscheidung des Beschwerdeausschusses 1 vom 11.09.2007 nachfolgend zur Verfügung: (…)
Leider ist nicht davon auszugehen, dass beispielsweise “Bild”-Leser Oliver B. zu diesen “interessierten Lesern” gehört. Oder die “Bild”-Leser Hans L., Günter E., Gert L., Hans-Jürgen N. oder P.M. Obwohl das wünschenswert wäre. Deren Leserbriefe an “Bild”, die das Blatt heute abdruckt, demonstrieren nämlich eindrucksvoll, dass sie die Entscheidung des Presserats genauso gut verstanden haben, wie “Bild” sie gestern erklärt hat:
Und angesichts der Stellungnahme des Axel Springer Verlags, die in der Entscheidung des Presserats dokumentiert ist, muss man sich ernsthaft fragen, ob “Bild” ihre Leser womöglich gar nicht bewusst falsch informiert hat. Denn Springers Rechtsabteilung geht ausführlich darauf ein, dass “an der Aufdeckung des Falles” al-Masri ein “hohes Informationsinteresse” bestehe, referiert ausführlich alte und neue Vorwürfe gegen al-Masri und schreibt, dass “nicht erst eine Traumatisierung durch seine Entführung ihn zu Gewalttätigkeiten veranlasst habe”.
Dass “Bild” jedoch einen psychisch Kranken herabsetzend als “irre” und als “durchgeknallten Schläger” bezeichnet hatte und damit seine Würde verletzt und eindeutig gegen Richtlinie 8.4 des Pressekodex verstoßen hat, rechtfertigt Springer offenbar nur mit der dürftigen Behauptung, “Bild” bewege sich “mit den wertenden Bezeichnungen im Rahmen zulässiger Meinungsäußerung”.
Das erstaunt. Beim Presserat handelt sich schließlich um eine freiwillige Selbstkontrolle, bei der die Verlage sich selbst zum Pressekodex bekennen und dazu, “die von den zuständigen Gremien des Deutschen Presserats wegen des Verstoßes gegen den Pressekodex (…) ausgesprochenen Sanktionen zu befolgen” (Paragraph 10 der Satzung des Presserats).
Teil dieser Sanktionen war übrigens auch die Bitte des Presserats, die Rüge unter Beachtung des Grundsatzes abzudrucken, “dass die Persönlichkeitsrechte Betroffener durch den Abdruck nicht erneut verletzt werden”.
Aus der Petition:
(…) Wir respektieren die Unabhängigkeit der türkischen Justiz (…). Aber ist es angemessen, dass ein Junge 222 Tage in Untersuchungshaft sitzt? (…) Finden Sie es angemessen, dass der Prozess sechs Mal vertagt wird, nur weil das Gericht über Monate auf die übersetzte Aussage von Charlotte wartet?
WIR FINDEN DAS NICHT! (…)
Am 19. November hatte die “Bild”-Zeitung ihre Leser aufgefordert, eine Petition zu unterzeichnen, in der der Richter des in der Türkei inhaftierten Marco W. aufgefordert wird, “diesen Prozess” und die “Tortur” Marcos zu beenden. “Bild” hatte versprochen, alle Petitionen bei Gericht im türkischen Antalya abzugeben. Laut Angaben von “Bild” sind 18.900 Leser dem Aufruf gefolgt. Schöne Aktion. Oder?
Marcos Anwalt Michael Nagel findet das nicht. Am Mittwoch sagte er in der Sendung “Quer gefragt” des SWR auf die Frage, ob die Aktion von “Bild” wenigstens eine moralische Unterstützung für Marco sei:
“Man muss wirklich unterscheiden: Dass sich die deutsche Bevölkerung so hinter Marco stellt, das ist, glaube ich jedenfalls, in meiner Wahrnehmung von Marco mittlerweile überlebenswichtig. Nichtsdestotrotz ist es schädlich, durch solche Aktionen zu versuchen, unmittelbar auf das Gericht einwirken zu wollen.”
Schade also, dass die “Bild”-Zeitung tatsächlich “Wort gehalten” hat, wie sie heute stolz verkündet:
Gestern Mittag, viertel vor zwölf, Schwurgericht von Antalya (Türkei). Reporter großer türkischer Zeitungen (u.a. “Hürriyet”, “Sabah”) und TV-Teams warten bereits, als ein Bote sieben große Kartons anlieferte. Es waren die 18 900 Petitionen der BILD-Leser! Familien, Vereine, ganze Schulklassen hatten einen Brief an den Richter von Marco (17) aus Uelzen, Abdullah Yildiz unterzeichnet: “Wir appelieren an Ihre Menschlichkeit … Beenden Sie diesen Prozess!”
Mit Dank an Lothar Z. für den sachdienlichen Hinweis.