Symbolfoto L

Bild.de zufolge sehen wir auf obigem Foto eine Zelle in einem türkischen Gefängnis.

Wir allerdings fänden es erstaunlich, wenn sich die Raumausstatter türkischer Gefängnisse beim Zellendesign tatsächlich derart eng am klassischen Vorbild orientiert haben sollten, wie folgendes Foto aus der legendären US-Haftanstalt Alcatraz nahelegt:

Mit Dank an Günter S., Jürgen D. und Marko B, der “beim Durchsehen alter Urlaubsfotos” ebenfalls eins aus Alcatraz entdeckte.

Irb langsam!

Erben muss man sich leisten können.
(unbekanntes Sprichwort)

Der Herr Hoeren von “Bild” hatte ja heute die lustige Idee, dass die Bundesregierung in Sachen Erbschaftssteuer einfach gar nichts hätte tun müssen. Das noch geltende Gesetz hätte sich dann, weil es verfassungwidrig ist, “in Luft aufgelöst”. Hoeren nennt das “große Chance”, die vertan wurde, und seine Idee eine “einfache Lösung”. Das stimmt zweifellos, wenn man (wie Hoeren) das kleine Detail ignoriert, dass sich auf diese Weise auch jährlich fast fünf Milliarden Euro Einnahmen in Luft auflösen.

Aber so richtig in der Materie zu sein scheint Hoeren ohnehin nicht, sonst hätte er vermutlich gewusst, dass es noch nicht Ende 2007, sondern erst Ende 2008 Puff gemacht hätte.

Das ist im konkreten Fall vielleicht ein bisschen egal: Ist ja nur ein Kommentar. Ärgerlicher ist, dass “Bild” auch für den großen Ratgeber-Artikel zum Thema niemanden gefunden hat, der sich mit der Sache auskennt. Autor Hanno Kautz behauptet dort:

GÜLTIGKEIT

Das Gesetz wird rückwirkend ab 1. Januar 2007 gelten: Alle, die in diesem Jahr geerbt haben oder in Zukunft ein Erbe erwarten, sind vom neuen Erbschaftssteuerrecht betroffen. Das heißt: Wer heute erbt, wird zwar nach geltendem Recht versteuert. Sollte sich aber nach Inkrafttreten der Reform herausstellen, dass er dann weniger an den Fiskus zahlen müsste, bekäme er Steuergutschriften. Alle aktuellen Erbschaftsteuer-Bescheide sind also nur vorläufig.

Das ist gleich doppelt falsch.

Erstens müssen Erben, die wollen, dass die neue Regelung auch für einen Erbfall zwischen dem 1. Januar 2007 und dem Inkrafttreten des Gesetzes gilt, extra einen Antrag stellen. Das geschieht — anders als “Bild” nahelegt — nach dem jetzt verabschiedeten Gesetzentwurf nicht automatisch, und insofern sind auch die Bescheide nicht generell vorläufig.

Zweitens sieht der Gesetzentwurf ausdrücklich vor, dass in diesen Fällen nicht auch die neuen, höheren Freibeträge gelten, sondern die alten. Für Erben von Privatvermögen wäre durch eine Rückwirkung nichts zu gewinnen. Ausschließlich Unternehmenserben können von ihr profitieren.

Ja, blöd: “Was Sie jetzt wissen müssen” steht drüber, aber nicht drin.

Und wo bleibt das Positive? Hier: Immerhin schreibt die “Bild”-Zeitung nicht mehr den Unsinn von Anfang November. Wenn Sie vergleichen möchten:

“Bild”, 5.11.2007:

“Erben privater Vermögen und Immobilien müssen sich auf
deutlich höhere Steuern einstellen!”

“Bild”, 12.12.2007:

“Die Nutznießer der Reform sind alle nahen Verwandten. Für Ehegatten, Kinder, Enkel und Urenkel gelten künftig deutlich höhere Freibeträge.”

neu  

Was “Bild” weglässt (außer Weichspüler)

Eine Möglichkeit ist es natürlich, Khaled al-Masri (wie berichtet) als “durchgeknallten Schläger, Querulant und Brandstifter” zu bezeichnen, als “irren Deutsch-Libanesen”, der “monatelang die Bundesregierung, Parlament und Öffentlichkeit terrorisierte”.

Aber es gibt auch andere, leisere und nicht minder effektive Möglichkeiten, einen Menschen zu diffamieren. In ihrer Berichterstattung über das Urteil im Prozess gegen al-Masri zeigen “Bild” und Bild.de, dass sie auch diese Variante beherrschen.

Der Bild.de-Artikel beginnt mit dem Satz:

Der Deutsch-Libanese (bekannt als angebliches Folter-Opfer) ist vom Landgericht Memmingen zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt worden.

Erstaunlich an dieser Formulierung ist nicht nur, dass ein Medium, das sonst schon aus kleinsten Gerüchten größte Schlagzeilen macht, plötzlich im Fall al-Masris das Wort “angeblich” im Wortschatz der deutschen Sprache entdeckt. Erstaunlich ist vor allem, dass Bild.de mit dem Wort “angeblich” wieder einmal Zweifel an al-Masris Aussagen ausdrückt, die zuständige Behörden nicht haben.

Bild.de enthält den Lesern ebenso wie die gedruckte “Bild”-Zeitung (siehe Ausriss rechts) auch die Begründung des Gerichtes vor, warum es jemanden, den es immerhin der Brandstiftung, gefährlichen Körperverletzung, Beleidigung und Hausfriedensbruch für schuldig befindet, trotzdem nur zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Die “Schwäbische Zeitung” formulierte es so:

Seine Traumatisierung durch die fast sechsmonatige Gefangenschaft in Händen des amerikanischen Geheimdienstes CIA in Afghanistan und sein umfassendes Geständnis waren es, die dem 44-Jährigen einen weiteren Aufenthalt im Gefängnis ersparten.

Und die Nachrichtenagentur dpa fasste das so zusammen:

Das Gericht rechnete El Masris Geständnis, die Entschuldigungen bei den Opfern und die Traumatisierung durch seine Entführung nach Afghanistan als strafmildernd an.

Natürlich hat “Bild” das weggelassen, sonst hätten vermutlich Millionen “Bild”-Leser gefragt: “Traumatisiert? Wovon das denn??” Schließlich hat ihre Zeitung ihnen al-Masri bislang und konsequent nur als “durchgeknallten Schläger, Querulant und Brandstifter” und potentiellen Lügner vorgestellt, dem nicht mehr passiert ist, als dass er “versehentlich in Mazedonien verschleppt und für fünf Monate inhaftiert wurde”, was aber kein Skandal sei.

Der psychiatrische Gutachter Norbert Ormanns sagte im Verfahren übrigens, al-Masris Taten hätten sehr wahrscheinlich verhindert werden können, wenn al-Masri, der vor seiner Entführung 20 Jahre lang unbescholten in Deutschland gelebt hat, die dringend notwendige Therapie bekommen hätte. Auch das steht nicht in “Bild”. Vermutlich, weil die Zeitung solche Zusammenhänge erklärtermaßen für “irre” hält.

Als “Bild” vor zwei Wochen schrieb:

Wir werden unsere Berichterstattung [über al-Masri] nicht weichspülen – so wenig wie bei Hasspredigern, Nazis oder sonstigem durchgeknallten Gesindel.

meinte die Zeitung also in Wahrheit vermutlich ungefähr:

Wir werden auch in Zukunft so manipulativ und irreführend berichten, dass unsere Leser keine Wahl haben, als die von uns verbreiteten Vorurteile bestätigt zu finden.

AFP-Meldung beweist: Bild.de unschuldig

Es sieht ganz so aus, als trügen die Nachrichtenagenturen AFP und AP eine Mitschuld an dieser Bild.de-Geschichte:

"DNA-Test beweist: US-Bürger saß 27 Jahre unschuldig im Gefängnis"

AP hatte nämlich gestern eine Meldung unter der Überschrift veröffentlicht “US-Amerikaner saß fast 30 Jahre unschuldig in Haft”, während AFP letzte Nacht eine Meldung unter der Überschrift veröffentlicht hatte “US-Bürger saß 27 Jahre unschuldig hinter Gittern”. Allerdings ließ sich dem AFP-Text entnehmen, dass der US-Bürger John White zwar 1980 wegen einer Vergewaltigung — die er, wie sich jetzt rausstellte, nicht begangen hatte — zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. 1990 aber wurde er auf Bewährung* entlassen und 1997 sei er wegen eines Diebstahls** wieder ins Gefängnis gekommen.

Das macht nach unserer Rechnung insgesamt 20 Jahre Gefängnis, von denen White jedoch lediglich 10 Jahre unschuldig gesessen hätte. Es wäre also für Bild.de gar nicht mal so schwer gewesen, die Überschrift als Unsinn zu entlarven.

Ach ja, AFP hat ihre Meldung heute um kurz nach 13 Uhr korrigiert.

Mit Dank an die zahlreichen Hinweisgeber.

*)Dass es bei Bild.de fälschlicherweise heißt, der Mann sei 1990 “begnadigt” worden, liegt demnach nicht an der AFP-Meldung, wahrscheinlich aber an der AP-Meldung.

**) Auch hier irrt die deutsche AFP. Tatsächlich wurde John White 1997 wegen Raubes verurteilt, nicht wegen Diebstahls, wie sich auch der englischsprachigen Version der AFP-Meldung entnehmen lässt. Die scheint aber auch insofern ungenau zu sein, als White offenbar zudem 1993 wegen eines Drogendelikts zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden war. Das wiederum berichtet die Nachrichtenagentur ap in einer englischsprachigen Meldung.

Selber Würstchen!


Klaus Vater, 61, ist seit über fünf Jahren Sprecher der Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt. Er leitet die Pressestelle des BMG und war zuvor schon Sprecher des Bundesarbeitsministeriums. Seine berufliche Karriere begann der gelernte Politikwissenschaftler als Journalist; er war u.a. Redakteur bei der SPD-Zeitung “Vorwärts”. 2004 berichtete der “Tagesspiegel”, Vater schreibe nebenbei an einem Roman (“Mittvierzigerin im großen Ministerium, die einer Verschwörung auf die Spur kommt”). Auf die Frage, was daraus geworden ist, antwortet er heute, er sei “derzeit nicht so in der Laune”. Von Vater verfasste Pressemitteilungen beginnen auch schon mal mit den Worten: “‘Bild’ lügt.”

Von Klaus Vater

Liebe Bildblog-Gucker(innen)! Ganz aufgeregt — seit Tagen aufgeregt — wartete ich heute auf “Bild” von heute. Wenn ich schon der Blogger des Tages sein soll, dann soll’s auch eine irgendwie besondere Ausgabe sein.

Ergebnis: Nix da. Was die Deutschen verdienen, verspricht “Bild” heute. Nicht ‘n paar Deutsche, sondern die. Also alle, ausnahmslos. Jeder und Jede. Sofort im Alphabet rum gerutscht. “A”, dann “B”, dann “C” – wie Chefredakteur “Bild”. Keine Angabe. Nix über K.D. Also verdient der auch nichts. Oder? Anschließend unter Vorstandsvorsitzende nachgeschaut. “V” wie Döpfner zum Beispiel. Schon wieder nichts. Hmmmm. Möglich wäre ja, dass man ihm Verluste im Geschäft vom Gehalt abgezogen hat. Dann würde er schon aus der Tabelle raus fallen. Also ein Klassiker wird die Gehälter-Tabelle in “Bild” nicht.

Dafür bietet “Bild” unten auf der Seite freilich einen echten Klassiker. Nämlich, dass die Deutschen zu einem Drittel an Heiligabend Würstchen mit Kartoffelsalat essen. Gänse fliegen mit 19 Prozent abgeschlagen hinterher. Eine Zeitschrift namens “Bella” will das herausgefunden haben. Um das zu wissen, hätte keine Zeile von “Bella” zu “Bild” springen müssen. Weiß doch jeder, dass es Heiligabend Würstchen gibt! Selber Würstchen! Dazu passt allerdings nicht, links neben dem Kartoffelsalat gedruckt, dass die Deutschen zu wenig sparen. Vielleicht findet “Bild” ja heraus, dass die Deutschen weniger sparen, weil sie mehr und größere Würste sowie noch mehr Kartoffelsalat essen. Paris Hilton soll übrigens wieder in Berlin sein. Was ich persönlich nicht glaube. Denn sie kennt laut “Bild” Knut nicht.

Aus meinem “Zuständigkeitsbereich” Gesundheit und damit Verbundenes habe ich fast nichts gefunden. Außer dass Chef-Kommentator Hoeren auf Seite zwei irgendwie schlecht aussieht. Hängt vielleicht mit dem Thema zusammen. Erbschaftssteuer. Wenn ich ihn richtig verstanden habe (3 x gelesen), will er die Erbschaftssteuer weg haben. Er meint, die Politik solle nichts tun, dann würde sie keine große Chance vertun. Das soll einer verstehen. Halt. Stopp. Nur nichts übersehen? Auf Seite eins steht, es gebe in Deutschland wieder mehr Geburten. Und dann steht da der Satz — Zitat: “Eigentlich gingen die Forscher auch für dieses Jahr von einem Rückgang aus.” Die Forscher! Da ich fünf Kinder habe, könnte mich die ganze Sache ja eiskalt lassen. Aber was zum Teufel haben die Forscher mit der Geburtenrate zu tun? Männer, deutsche Männer, traut den Forschern nicht. Wehrt Euch!

Letzter Blick auf die Zeitung: 50 Cent. Na ja. Dafür gibt’s andere Verwendungen. Beim nächsten Besuch im Einstein leg ich drei Euro für den Cappu zu 2,50 Euro auf den Tresen. “Stimmt so”. Dafür krieg’ ich ein nettes Lächeln der hübschen Frau hinter dem Tresen. Das ist gut angelegte Kohle.
 
BILDblogger für einen Tag ist morgen Jürgen Trittin.

Kurz korrigiert (447)

Was hat John Wayne beim Pferdeholen mit dem Nobelpreis zu tun? Eigentlich nichts, aber als am Montag die Nobelpreise in Stockholm und Oslo verliehen wurden, nahm Al Gore seinen Friedensnobelpreis in Cowboy-Stiefeln entgegen. Diese Tatsache war für “Bild” offenbar so wichtig, dass sie sich gestern in der Klatsch-Rubrik auf der letzten Seite ausführlich damit beschäftigte. Rund die Hälfte des Textes über die “Nobelpreis-Überreichungs-Zeremonie” drehte sich allein darum.

Nicht so wichtig war für “Bild” hingegen, wer da eigentlich sonst noch wofür irgendwelche Nobelpreise bekam:

Genauso höflich verneigten sich seine deutschen Preisträger-Kollegen bei Schweden-König Carl Gustaf XVI. (61): die Physik-Nobelpreisträger Professor Gerhard Ertl (71) und Professor Peter Grünberg (69).

Gerhard Ertl bekam den Chemie-Nobelpreis, während der Physik-Nobelpreis an den Deutschen Peter Grünberg und den Franzosen Albert Fert ging.

Mit Dank an wayne für den sachdienlichen Hinweis.

6 vor 9

Medien mit Migrationshintergrund
(bundblog.espace.ch, Artur Vogel)
Wenn etwas vom Staat an uns Journalisten herangetragen wird, sei es in Form einer Empfehlung, einer Anregung oder eines Befehls, werde ich hellhörig. Staat und Medien, das verträgt sich nur auf Distanz; es ist immer wieder zu beobachten, wie einer, wenn er die alleinige Herrschaft anstrebt — sei dies Putin in Russland, Mugabe im Simbabwe, Chavez in Venezuela oder Mubarak in Ägypten — stets zuerst versucht, die Medien unter Kontrolle zu bringen.

Zensur? Nein, Zivilität
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Anstatt gleich Zensur zu schreien, sollte sich das deutsche Online-Völkchen lieber Verantwortung auf die Fahnen schreiben. So frei wie das Medium Internet ist, so stark hat es sich in der Vergangenheit kommerzialisiert und verlangt der Kontrolle.

Der Süddeutschen wird das Internet zuviel
(telepolis.de, Florian Rötzer)
Zuerst ließ man einen Redakteur eine Breitseite gegen den Internetpöbel reiten, dann schließt man das Forum über Nacht und am Wochenende vor den Barbaren aus der Tiefe des virtuellen Raums.

Weißer Mann, was nun? (Lesetipp)
(zeit.de, Andrea Jeska)
Die Zweifel am Engagement Prominenter für die Armen der Welt wachsen. Eine Reise mit dem Kölsch-Rocker Wolfgang Niedecken nach Uganda

Enteignet Springer!
(youtube.com, Video, 0:20 Minuten)
Spontane Aktion der Grünen Jugend Münster gegen Medien-Mogul Springer, anläßlich dessen Beteilung an der Aktion “Licht aus”.

Blogs in plain english
(youtube.com, Video, 2:58 Minuten)
A video for people who wonder why blogs are such a big deal.

Angst und Ambition

Heute fragt “Bild”:

Haben Sie einen neuen Mann, Frau Oettinger? (...) Die Antwort ist kurz und geheimnisvoll: "Kein Kommentar."

Geheimnisvoll, soso.

Hier zum Vergleich eine wirklich geheimnisvolle Antwort. Die Frage lautet ungefähr: Herr Oettinger, sind Sie von “Bild” dazu getrieben worden, in der Zeitung zu verkünden, dass Sie sich von Ihrer Frau getrennt haben? Seine Antwort steht heute in den “Stuttgarter Nachrichten” und lautet:

“Das werde ich später mal beantworten.”

Bis dahin kann man nur spekulieren, wie freiwillig der baden-württembergische Ministerpräsident gestern in “Bild” das “Liebes-Aus” erklärt hat:

Oettinger wäre nicht der erste Prominente, der berichten würde, dass die Zeitung ihn mit einer Mischung aus Drohungen und Angeboten dazu gebracht hätte, ihrem Willen nachzugeben, etwa, indem sie ihm verschiedene mögliche Formen der Berichterstattungen aufzeigt, je nach Grad der Kooperation mit “Bild”.

Die “Frankfurter Rundschau” spricht davon, dass die “Bild”-Zeitung in den vergangenen Tagen “ihre Folterwerkzeuge auspackte”:

Zuerst berichtete das Blatt in seiner Stuttgarter Regionalausgabe, Inken Oettinger habe 170 hochmögende Damen der Gesellschaft beim Adventskaffee in der Berliner Landesvertretung mit dem Hinweis auf das Fußballtraining des Sohnes einfach sitzen gelassen. Dann titelte sie in der Deutschlandausgabe “Deutschlands seltsamstes Politiker-Ehepaar”. Nun wurde Stufe drei gezündet: “Ehe kaputt”.

Auch die “Stuttgarter Nachrichten” formulieren, Oettinger habe “dem Druck der ‘Bild’-Zeitung nachgegeben” und berichten aus der Stuttgarter Regierungszentrale:

“Die haben dem Chef doch das Messer auf die Brust gesetzt”, meint einer. Was das heißen könnte? “Bild” soll gedroht haben, die Ehe-Probleme öffentlich zu machen. So viel ist klar: In der vergangenen Woche soll es ein Telefonat zwischen “Bild”-Chef Kai Diekmann und der Regierungszentrale gegeben haben.

Seit Monaten schon habe “Bild” Oettinger angeboten, “seine privaten Dinge über den Boulevard zu regeln”, was der Ministerpräsident abgelehnt habe, schreiben die “Stuttgarter Nachrichten”, und:

“In Berlin wird kolportiert, der Springer-Konzern habe für diese Woche mit der Veröffentlichung von Details aus dem Privatleben des Paares gedroht. Das aber wollten sich die Oettingers ersparen.”

In einem Leitartikel kritisieren die “Stuttgarter Nachrichten” Oettingers Art des Coming-Outs:

Politiker und Journalisten in Baden-Württemberg wissen seit langem von den Schwierigkeiten der Eheleute Oettinger – aus Respekt vor der Privatsphäre haben sie geschwiegen. Viele Redakteure, auch dieser Zeitung, haben Oettinger auf seine Ehe angesprochen – die Antwort “Kein Kommentar” wurde stets respektiert.

Auf die Frage, warum Oettinger sein Schweigen exklusiv für und in “Bild” brach, sei im Staatsministerium von einer “Zwangslage” die Rede: “Wir konnten doch nicht anders.”

Zu groß ist offenbar die Angst christlich-konservativer Landespolitiker mit Ambitionen in Richtung Berlin, es sich mit “Bild” zu verderben. Sicherheit gibt da wohl nur das Gefühl, von “Bild” geliebt zu werden, egal um welchen Preis.

Und der Boulevard dankt: Als “einen der mächtigen CDU-Kronprinzen” titulierte “Bild” den baden-württembergischen Ministerpräsidenten gestern prompt. Man kann das auch anders sehen: Ein mächtiger Kronprinz braucht ein starkes Rückgrat, er braucht Souveränität, er knickt auch vor “Bild” nicht ein.

Der Kommentar schließt:

Günther Oettinger […] lässt sich am Ende des “Bild”-Berichtes mit einem Satz zitieren, der angesichts der zweidrittelseitigen Aufmachung seines Ehe-aus-Bekenntnisses so absurd wie verzweifelt anmutet: “Wir haben die Bitte, dass die Öffentlichkeit unsere Privatsphäre akzeptiert.” Wir gehen davon aus, dass sein Appell nicht dieser und anderen seriösen Zeitungen gilt. Sondern der “Bild”-Zeitung, gern auch exklusiv. Seine Chancen stehen nicht schlecht. Den Preis für künftige Wohlbehandlung hat Oettinger schließlich schon bezahlt.

Ein misslungener Selbstversuch


Christian Schertz, 41, ist Medienanwalt in Berlin. In den vergangenen Jahren setzte er in “Bild” und “BamS” u.a. Gegendarstellungen für Sabine Christiansen, Oliver Pocher, Nadja Auermann, Natalie Wörner, Katja Flint, Hannelore Hoger, Nora Tschirner, Karsten Speck, Sibel Kekilli, Cosma Shiva Hagen, Dieter Wedel, Günther Jauch und Alexandra Neldel durch. Schertz lehrt u.a. Medienrecht an der Potsdamer HFF und der FU Berlin — und stellt heute in Berlin gemeinsam mit Thomas Schuler das Buch “Rufmord und Medienopfer” vor.

Von Christian Schertz

Kein Zweifel: Auf BILDblog ist es angezeigt, sich kritisch mit “Bild” auseinanderzusetzen. Nur: Kritik kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet sinngemäß: “Die Kunst der Beurteilung”. Blattkritik — zu der ich von “Bild” noch nie eingeladen wurde — heißt also auch, Positives zu erwähnen. Daher mein Selbstversuch, die heutige “Bild”-Ausgabe nach Punkten zu durchforsten, die mir positiv auffallen, gewissermaßen als dialektischer Gegenentwurf zu BILDblog.

And here are the results:

Auf der Titelseite ist Nicolas Sarkozy “Verlierer” des Tages. “Bild” prangert zu Recht an, wie der französische Staatspräsident dem libyschen Staatschef Gaddafi (“Folter, Zensur und Menschen, die einfach verschwinden!”) fünf Tage einen roten Teppich ausrollt, um ihm ein Atomkraftwerk zu verkaufen.

Auf Seite 2 deckt Hugo Müller-Vogg in seinem Kommentar die Bigotterie christdemokratischer Politiker auf, die zumindest über Jahre ausschließlich das Lebensmodell “verheiratet mit Kindern” als Ideal gefeiert und vor allem dem Volk verkauft haben, dieses Modell aber immer seltener selbst leben nach dem Motto: “Wasser predigen und Wein trinken.” Müller-Vogg gelingt das Ganze auch noch, ohne bei den beschriebenen Fällen (Wulff, Oettinger, Pofalla) die Intimsphäre zu verletzen, da er lediglich öffentlich bekannte Fakten mitteilt und hieraus seine Schlüsse zieht. Hinzutritt, dass Frau Oettinger in einem Artikel neben dem Kommentar immerhin Fragen der “Bild” zu der Trennung, wenngleich abwiegelnd, beantwortet und damit selbst den heutigen Titel “Nach Ehe-Aus: Das sagt Frau Oettinger” ohne Not befördert hat. Wahrscheinlich war es wieder ein Überrumpelungsanruf, bei dem als presserechtliche Grundregel eigentlich gilt: Wenn man weitere Berichterstattung nicht befördern will, sagt man nichts, njet, kein Kommentar. Anders offenbar im Fall Oettinger.

Weiterhin fällt auf, dass die heutige “Bild” im Wesentlichen auch sonst ohne massive Eingriffe in die Privatsphäre auskommt. Lediglich ein “Abschuss” von Britney Spears, der sie beim Stehlen eines Feuerzeuges im Wert von 99 Cent an einer Tankstelle zeigt, lässt sich finden. Indes dürfte auch dieses Foto rechtlich nach der medialen Inszenierung von Frau Spears sogar zulässig sein.

Noch zu diesem Thema: Tatsächlich, ich kann es gar nicht glauben, ich finde kein Leser-Reporter-Foto! Jedenfalls in der Printausgabe. Mehrfach blättere ich die Zeitung durch. Ich finde keins.* Da wurde über Monate “das Phänomen Leser-Reporter” in den Feuilletons der überregionalen Tagespresse und den Medienmagazinen in Funk und Fernsehen diskutiert und angeprangert. Auch ich selbst war hieran beteiligt (“Massenweiser Aufruf zum Rechtsbruch”). Und dann stellt man fest, dass die “Bild”-Zeitung in ihrer Printausgabe jedenfalls eine tägliche Rubrik “Leser-Reporter” offensichtlich aufgegeben hat. Völlig unbemerkt. Nach dem Abklingen der Diskussion.

Vielleicht muss “Bild” ja auch die Privatsphäre von Menschen nicht mehr verletzen, da seit geraumer Zeit Prominente jeglicher Couleur zumeist unaufgefordert, jedenfalls ohne Not, sich zu dem aktuellen Zustand ihres Liebes- und Privatleben äußern. Während in der Vergangenheit viele Celebrities gut daran getan haben, ihre Privatsphäre zu schützen, häuft sich die Anzahl derjenigen, die mit O-Tönen wie: “Ja, es stimmt. Wir sind ein Paar.”; “Ja, es stimmt. Wir haben uns getrennt.” oder gleich in der Kombi “Ja, es stimmt. Ich habe mich getrennt und bin jetzt zusammen mit…” in die Öffentlichkeit gehen. BUNTE-Republik Deutschland.

Dennoch ist der Selbstversuch misslungen: Was die “Bild”-Zeitung heute auf Seite 2 mit dem offensichtlich traumatisierten Folter-Opfer Al-Masri macht (“Brandstifter und Schläger vor Gericht”) ist unfassbar, unentschuldbar, ein Nachtreten in Richtung Presserat und Betroffenen. Das Leben ist nicht fair.

*) Nachtrag zum misslungenen Selbstversuch, 16.47 Uhr: Jetzt habe ich sie doch gefunden, Leser-Reporter-Fotos auf Seite 12, insgesamt 5 Fotos von Frauen mit Rückentatoos. Dabei handelt es sich aber im Wortsinne nicht um Leser-Reporter-Fotos, sondern um Leser-Fotos — offensichtlich mit Einwilligung der Abgebildeten. In den Anfängen der Leser-Reporter-Fotos waren es noch vielfach Abschüsse von Prominenten ohne deren Zustimmung. Das erklärt auch, warum die Rubrik Leser-Reporter nicht mehr offensichtlich ins Auge fiel.

 
BILDblogger für einen Tag ist morgen Klaus Vater.

Kurz korrigiert (446)

Es ist nicht ganz einfach mit dem Zählen. Gerade im Dezember sind viele angehalten, kleine Papptürchen in der richtigen Reihenfolge zu öffnen. Da kann man bei komplexeren Sachverhalten schon mal den Überblick verlieren.

So wie der Mann, der gestern Abend noch schnell den News-Ticker bei Bild.de mit der Zweitliga-Spiel SC Freiburg gegen Borussia Mönchengladbach (1:3) füllen musste:
"Die Tore für die Gäste erzielten Rob Friend (6.) und Sascha Rösler (58./76.). Freiburg kam durch ein Eigentor von Patrick Paauwe (64.) zum zwischenzeitlichen Ausgleich."
Zählen wir noch einmal nach:
0:1 in der 6. Minute
0:2 in der 58.
1:2 in der 64.

Ausgleich?! Das gesuchte Wort war wohl eher “Anschluss”.

Im ausführlichen Spielbericht ging man deshalb wohl lieber auf Nummer sicher und formulierte das alles etwas unverfänglicher:

Da schien bereits alles gelaufen. Doch Paauwe nickte einen Matmour-Freistoß unglücklich ins eigene Netz (64.). Plötzlich war wieder Leben in der Bude.

Mit Dank an Daniel N. für den Hinweis.

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