“Bild” schlachtet das Internet aus

Es wird ja immer wieder davor gewarnt, persönliche Infos im Internet zu hinterlassen. Konkret stapelt sich so eine Warnung heute an deutschen Zeitungskiosken – und sieht folgendermaßen aus:

Auch wenn “Bild” die Titelseite heute mit einem Foto der “schönen Co-Pilotin” schmückt, das sie “beim Foto-Termin mit BILD kurz nach dem Beinahe-Crash auf dem Hamburger Flughafen” zeigt, bleibt fraglich, inwieweit überhaupt ein Interesse daran besteht, ihr “trauriges Geheimnis” (während ihrer Ausbildung kam vor zwei Jahren eine Kameradin bei einem Unfall ums Leben) öffentlich zu machen. Doch beschränkte sich die dazugehörige Recherche für “Bild” quasi ausschließlich auf folgende Fundstücke:

  • zwei Privatfotos der Pilotin, die “Bild” unerlaubt aus einer Community-Website und StudiVZ kopiert hat. (“Bild” nennt als Quelle: “Lufthansa” und… “Internet”!)
  • zwei Sätze aus dem Vorwort einer Internetseite mit Beileidsbekundungen, die “Bild” mit den Worten ankündigt: “Der Tod von J. schockte M. [Namen von uns gekürzt]. Gemeinsam mit ihren Kameraden schrieb sie in einem Kondolenzbuch: (…)”
  • sowie ein gutes Dutzend Angaben, die “die schöne Pilotin” im Internet hinterließ: der Ort, aus dem sie stammt, das Jahr, in dem sie ihr Abitur gemacht hat — und unter dem Stichwort Interessen beispielsweise die vier Wörter “Cheerleading, Fitness, Freunde, Party” (siehe Screenshot). Dort findet sich auch die folgende lapidare Aussage:
    "Jetzt mal ehrlich...Airbus oder Boeing? egal, hauptsache fliegen"

In “Bild” liest sich das dann so:

M. stammt aus gutem Hause, treibt gerne Sport, war als Cheerleaderin aktiv, Freunde waren ihr immer wichtig. [Bei ihrer Ausbildung zur Pilotin] lernte sie J. kennen. (…) Sie lernten zusammen, wurden Freundinnen. Doch das Schicksal sollte sie für immer trennen… (…) M. ist noch im Dienst. Und das ist auch das Wichtigste für sie. Denn auf die Frage, welches Flugzeug sie bevorzuge, sagte [!] M. einmal: “Egal, Hauptsache fliegen…”

Um ihre Titelgeschichte zu schreiben, musste die “Bild”-Zeitung also nicht mal Paparazzi losschicken, sich an Wohnungstüren abwimmeln lassen oder jemanden unter Druck setzen. Mühelos ließen sich im Internet alle Zutaten zusammensuchen für eine Story, die letztlich niemanden was angeht.

Ach ja: Nach unseren Informationen veröffentlichte “Bild” den Artikel ohne Beteiligung und ohne Einverständnis der Pilotin.

Auch bei den Moslems hat die Wurst zwei III

Wir hatten am Montag versprochen, noch ein Statement der Religionswissenschaftlerin und FDP-Politikerin Ina Wunn nachzureichen. Wir tun es gern.

Wunn war nämlich in einem Artikel der “Bild”-Zeitung zum Fall des “kleinen Phillipp” zitiert worden (siehe Ausriss). Nach der einseitigen Darstellung der “Bild”-Zeitung, war Phillipp von seiner Schulleiterin zu einer Stunde Müllsammeln verdonnert worden, weil er Cocktail-Würstchen mit muslimischen Mitschülern geteilt hatte. Einem Artikel der “Leine-Zeitung” (eine Regionalausgabe der “HAZ”) zufolge stellte die Schulleitung den Vorfall jedoch ganz anders dar. Für die Strafe sei entscheidend gewesen, dass Phillipp sich über Mitschüler lustig gemacht habe; ein etwaiger religiöser Hintergrund habe dabei keine Rolle gespielt.

Wir hatten bereits vermutet, dass Ina Wunn, als sie sich der “Bild”-Zeitung gegenüber äußerte, die Darstellung der Schulleitung nicht bekannt war, wollten es aber genau wissen. In ihrer Antwort-Mail schreibt Wunn nun, sie sei von “Bild” zwar korrekt wiedergegeben worden, “wenn auch leider nicht mit einem ausführlichen und differenzierten Statement”:

“Nicht ganz glücklich war ich vor allem auch, mich auf einer Seite zusammen mit insgesamt doch recht schlichten und einseitigen Leserbriefen zu finden.”

Aber um zu unserer eigentlichen Frage zu kommen: Ina Wunn war die Darstellung des Vorfalls seitens der Schulleitung nicht bekannt, als sie sich “Bild” gegenüber äußerte. Zwar habe sie vermutet, dass der Hintergrund ein etwas anderer sein könnte, als der in “Bild” dargestellte, grundsätzlich vertraue sie aber der Recherche von “Bild”. Denn, so schreibt Wunn zu unserer Überraschung:

“Bild ist die Zeitung mit den wenigsten Gegendarstellungen, weil sie für ihre sorgfältige Recherche (im Gegensatz z.B. zur HAZ) bekannt ist.”

6 vor 9

Der Mann, der Facebook übersetzt hat: Ein Gespräch mit User Sven Hagge
(jetzt.sueddeutsche.de, Sascha Chaimowicz)
Facebook gibt es seit neuestem auch auf Deutsch. Übersetzt wurde die Seite jedoch nicht vom Unternehmen selbst, sondern von den Usern. Der fleißigste deutsche Übersetzer heißt Sven Hagge. Er hat tausende von Begriffen von zu Hause aus übersetzt. Und warum? Wir haben mit ihm gesprochen.

«Journalisten sind keine Schraubenfabrikanten»
(unipublic.uzh.ch/magazin, David Werner)
Ist Qualität im Journalismus in Zukunft noch finanzierbar? Wie steht es um das Verhältnis von Medien und Medienforschung? Und warum lassen sich Journalistinnen und Journalisten so ungern kritisieren? Fragen wie diese wurden an einer Podiumsveranstaltung des Instituts für Publizistikwissenschaft und Medienforschung (IPMZ) diskutiert.

Wortfolter in der Neuzeit
(weltwoche.ch, Thomas Widmer)
Elektronische Post ist ein Ärgernis: Unbekannte deponieren dreiste Anfragen, Freunde sprengen mit ihren Ferienfotos ungefragt die Mailbox, die Rechtschreibung entgleist, und alle Welt vergreift sich im Ton. E-Mail macht aggressiv.

Zweiter 2.0-Frühling
(werbewoche.ch, Christian Lüscher)
“Im zweiten Jahr seines Bestehens wollen die Geldgeber von Youme Leistung sehen. Geändert hat sich deshalb seit März das Bezahlmodell der Moderatoren und Redaktoren, die für das Mitmachprojekt im Solde stehen. So hat Meier einen Leistungslohn, ein so genanntes ‘Shared Revenue Modell’ eingeführt. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden nicht mehr mit einem Fixlohn entlöhnt. Ihr Verdienst setzt sich neu einerseits aus einem Fixanteil zusammen, andererseits werden ihre Leistungen auf Grund der Besucherzahlen bewertet.”

Der Feuerwehrblogger
(fudder.de, Dominik Schmidt)
“Meine Währung bleibt Idealismus, denn Geld verdient man weder durchs Bloggen, noch bei der Freiwilligen Feuerwehr”, sagt Stefan Cimander. Als freiwilliger Feuerwehrmann und Fachjournalist verbindet er beide Leidenschaften als Autor eines Feuerwehr-Blogs. Angefangen hat er bei der Freiwilligen Feuerwehr Freiburg, Abteilung Tiengen, mittlerweile hat es ihn zur Freiwilligen Feuerwehr Konstanz verschlagen und auch das Blog ist mittlerweile zu einem Netzwerk für Feuerwehrleute herangewachsen.

Talkshows: Reden ist Gold
(merkur.de, Tilmann P. Gangloff, 28.02.2008)
Wie viel Geld die Gäste bekommen, will keiner preisgeben. Zwischen den Produktionsfirmen tobt ein reger Bieterwettbewerb um Top-Promis.

Hieb- und stichdurchlässig

Nicolaus Fest ist Mitglied der “Bild”-Chefredaktion und neuerdings auch Bild.de-Kolumnist.

In seiner Kolumne “Hieb- und stichfest schreibt er heute unter der Überschrift “Schlafe ruhig, Deutscher Presserat” (und erstaunlicherweise mit dem Begriff “hurriyet” in der Adresszeile) über die Berichterstattung “der türkischen Zeitungen wie Milliyet und Sabah” über den Häuserbrand in Ludwigshafen. Die hätten nämlich – “unwidersprochenen Übersetzungen in deutschen Medien zufolge” – u.a. über “Spuren von Neonazis” am Tatort spekuliert. Fest schreibt:

Vor allem aber wundert angesichts derart massiver Verletzungen aller journalistischer Grundregeln das Schweigen des Deutschen Presserats. (…) laut Beschwerdeordnung kann der Presserat auch aus eigenem Antrieb und unabhängig vom Vorliegen einer Beschwerde tätig werden.

Warum dann jetzt diese auffällige Ruhe?

Wenn es um angebliche Schleichwerbung geht oder um den Persönlichkeitsschutz krimineller islamistischer Ex-Kommandanten wie Khaled al-Masri, ist dem Presserat die öffentliche Selbstdarstellung ein hohes Anliegen. Aber in einem Fall an der Grenze zur Volksverhetzung, wo durch vorsätzlich falsche Berichterstattung Türken und Deutschen gegeneinander aufgebracht wurden, kommt – gar nichts.

Schlafe ruhig, Deutscher Presserat.

Holla, möchte man Fest da zurufen. Oder lieber: Moment mal!

Denn abgesehen davon, dass wir den Eindruck haben, es handele sich beim Presserat ohnehin um eine vergleichsweise verschlafene Instanz; mal abgesehen davon auch, dass Fest sich mit den Hinweisen auf “angebliche Schleichwerbung” und “Khaled al-Masri” zweifellos auf Presseratsrügen gegen “Bild” beziehen dürfte; und ganz abgesehen davon, dass sich “Bild” als meistgerügte Zeitung vermutlich vor Rügen kaum noch retten könnte, wenn der Presserat sich tatsächlich aus eigenem Antrieb alle journalistischen Fehlleistungen der “Bild”-Zeitung vorknöpfte – abgesehen davon also, haben wir einfach mal beim Presserat nachgefragt.

Und Presserats-Geschäftsführer Lutz Tillmanns sagt uns…

  • … erstens: Der Presserat werde “fast nie” von sich aus tätig, weil es innerhalb des Presserats (als zur Hälfte von den Verlegern getragenem Organ der freiwilligen Selbstkontrolle) “schwer kommunizierbar” sei, wenn man von sich aus “Beschwerden generieren” würde — und “das weiß auch Herr Fest”.
  • … zweitens: Zur Ludwigshafen-Berichterstattung türkischer Zeitungen “liegt bereits eine Eingabe vor”, mit der sich der Presserat befassen werde.
  • … und drittens: Es stehe der “Bild”-Zeitung ebenso wie Nicolaus Fest “selbstverständlich” frei, eine Beschwerde an den Presserat zu schreiben.

Hinweis in eigener Sache: “Bild” und die Axel Springer AG haben sich ja wiederholt beim Presserat darüber empört, dass BILDblog Beschwerden gegen “Bild” eingereicht hat. Am 12. März will das Plenum des Presserats darüber beraten. Mehr dazu hier.

Lange Nase, kleine Ohr’n

Diverse Medien und Nachrichtenagenturen aus verschiedenen Ländern berichten, dass die UBS-Bank eine Prognose zum Ausgang der Fußball-EM 2008 erstellt hat, nach der Tschechien Italien im Endspiel im Elfmeterschießen besiegen wird. Also werde Tschechien Europameister.

Bild.de hingegen berichtet, dass die UBS-Bank eine Prognose zum Ausgang der Fußball-EM 2008 erstellt hat, nach der Italien Tschechien im Endspiel im Elfmeterschießen besiegen wird. Also werde Italien Europameister – und drehe “uns”, so Bild.de, “wieder eine Lange Nase”.

Mit Dank an Alexander W. für den sachdienlichen Hinweis.

Nachtrag, 20.30 Uhr (mit Dank an Florian R.): In der offiziellen Pressemitteilungsmail der UBS lautet die Überschrift übrigens:

"UBS Wealth Management Research prognostiziert: Tschechien wird Europameister"

Wider die gnadenlose Selbstbeherrschung II

Als “Bild”-Kolumnist Peter Heinlein kürzlich schrieb, die britische Presse sei bzgl. der Geheimhaltung von Prinz Harrys Einsatz in Afghanistan bei einer “Presseverhinderungsabsprache und gnadenlosen Selbstzensur erwischt worden”, war das offenbar nicht nur zynisch (weil die Geheimhaltung, wie berichtet, vor allem dem Schutz vor Anschlägen diente), sondern auch ahnungslos und irreführend.

Denn die “Bild”-Zeitung selbst, als deren Autor sich Heinlein empört, spielt eine seltsame Rolle bei der Enthüllung von Prinz Harrys Aufenthaltsort.

BILDblog dokumentiert:

“Ist Prinz Harry im Krieg?

Wo steckt Prinz Harry (23)? Seit Wochen ist er verschwunden. Keine öffentlichen Auftritte, keine peinlichen Party-Ausfälle. Nun geht das Gerücht: Er ist im Krieg!

Ein Insider des britischen Königshauses sagte dem Magazin ‘Frau im Spiegel’: ‘Es ist durchaus denkbar, dass er im Irak oder in Afghanistan im Einsatz ist.’

Eine offizielle Stellungnahme gibt es dazu aber nicht. Oder: Es darf sie nicht geben. Wenn es um einen geheimen Einsatz des Prinzen geht, dann herrscht strikte Nachrichtensperre, heißt es aus Militärkreisen.”
(Quelle: Bild.de vom 26.2.2008)

Bereits einen Tag vor der “weltexklusiven” Enthüllung durch den Drudge Report nämlich stand bei Bild.de eine kleine Meldung (siehe Kasten) unter der Überschrift:

“Ist Prinz Harry im Krieg?”

Die “Harry im Krieg?”-Meldung fand – ähnlich wie bereits Wochen zuvor eine ähnliche Meldung des australischen Frauenmagazins “New Idea” – keinen Widerhall: weder hierzulande, noch anderswo. Jedenfalls nicht, bis sich der Drudge Report der Sache annahm und (wie u.a. die “New York Times” berichtet) zuerst unter ausdrücklicher Berufung auf “New Idea” und “Bild” aus den Afghanistan-Spekulationen eine Tatsache machte – um dann allerdings in einer überarbeiteten Fassung “New Idea” und “Bild” wegzulassen und die Geschichte als “world exclusive” auszugeben.

Und als wäre das alles nicht seltsam genug, sind die Ursprungsmeldungen bei “New Idea” (Screenshot hier) und Bild.de inzwischen nicht mehr verfügbar. Eine Anfrage bei “Bild”, warum und auf wessen Veranlassung Bild.de den eigenen Artikel gelöscht hat, wurde uns bislang noch nicht beantwortet.

Andererseits ist es umso erstaunlicher, dass die Bild.de-Meldung nicht nur dem Drudge Report als Quelle gedient haben soll, sondern “Bild” auch bei der Rekonstruktion der heiklen Enthüllung in vielen Medien und Agenturmeldungen überhaupt eine Rolle spielt. Denn eigentlich verbreitete Bild.de doch eh’ nur eine exklusive Vorab-Meldung der Illustrierten “Frau im Spiegel” weiter.

Aber so ist das wohl, Herr Heinlein: Ihre “Bild” ignoriert erst die Nachrichtensperre, entscheidet sich im Nachhinein zur gnadenlosen Selbstzensur und steht am Schluss weder zum einen noch zum andern.
 
Nachtrag, 14.28 Uhr: Inzwischen hat ein “Bild”-Sprecher auf unsere Frage, warum die “Harry im Krieg?”-Meldung auf Bild.de gelöscht wurde, geantwortet, er könne “dazu keine Auskunft geben”. Was im Blatt oder auf Bild.de erscheine, seien Entscheidungen der Chefredaktion – und diese Entscheidungen kommentiere man grundsätzlich nicht.

6 vor 9

Geld verdienen mit Studien im Web 2.0
(blogdessennamenmansichnichtmerkenkann.wordpress.com, ugugu)
“Nein Danke, von Blogüberwachern kaufe ich keine Studien, und schon gar nicht zu diesen Preisen!”

Wie ich mal wieder die taz las
(umblaetterer.de, Marcuccio)
Als ich einem Kumpel vor ein paar Jahren erzählte, dass ich genauso gern wie die FAZ eigentlich nur noch die taz läse, runzelte er die Stirn. Komischerweise machen die Leute das öfter, wenn ich das erzähle. Weil ich die taz nur reziprok so häufig wie die FAZ zur Hand habe, kaufte ich mir am letzten Sonntag mal wieder eine Ausgabe. Vier Beobachtungen und ein Fazit auf Basis der Wochenend-Ausgabe vom 1./2. März.

Das ist aber kischig: Ein paar Punkte zu Journalistenpreisen
(blog.dummy-magazin.de, Oliver Gehrs)
“Für den Preis für das ‘Lead-Magazin des Jahres’, mit dem das innovativste Magazin des Jahres 2007 geehrt wird, ist in diesem Jahr der Stern nominiert. Kein Scherz. Und in der Kategorie ‘Newcomer des Jahres’ war Vanity Fair ein heißer Anwärter – das ist das Magazin, dessen Verlag neulich den Chefredakteur auswechselte. Morgen abend wissen wir mehr.”

Ab ins Archiv
(medienspiegel.ch, Andrea Masüger)
“Das gegenseitige Querbeet-Abschreiben ist in den letzten Jahren enorm vereinfacht worden. Früher musste man in mühsamer Kleinarbeit Handarchive anlegen und Zeitungsausschnitte nach irgend einer Logik ordnen. Da Journalisten in den seltensten Fällen systematische Schaffer sind, herrschte in solchen Archiven innert kürzester Zeit das grösste Chaos bis hin zur Unbrauchbarkeit.”

“Die Fett-Hysterie ist übertrieben”
(zoomer.de, Bas Kast, Video)
Die Fett-Hysterie geht um. Bas Kast will wissen, ob diese begründet ist. Sein Ergebnis: Kein Grund zur Panik; denn wer ein wenig Speck auf den Hüften hat, hat mehr vom Leben.

Sind Blogger gefährlich?
(sueddeutsche.de, Bernd Graff)
“Wirklich ekelhaft an all diesen Berichten ist also die Berichterstattung selbst.”

Auch bei den Moslems hat die Wurst zwei II

Es ist doch merkwürdig. Gestern noch berichtete “Bild” groß in ihrer Hannover-Ausgabe, dass diverse Experten “empört” seien ob der Tatsache, dass eine Schulleiterin einen Neunjährigen Schüler zu einer Stunde Müllsammeln verdonnert hatte (wir berichteten).

Und heute heißt es in “Bild”-Hannover plötzlich:

"Strafe für Würstchen-Geschenk an Moslem-Mitschüler: Warum hilft keiner dem kleinen Philipp?"
Von Politikern und Experten kommt keine Hilfe für Philipp.

Die Zitate in “Bild”

Honey Dehimi: “Man sollte abwarten, bis der Fall geklärt ist, um sich eine abschließende Meinung zu bilden.”
Landesschulbehörde: “Wir gehen der Sache nach. In Zusammenarbeit mit dem zuständigen Kultusministerium überlegen wir, wie wir reagieren werden.”
Maria Böhmer: “Der Fall zeigt, wir stehen vor einer neuen Situation, auf die die Schulen besser vorbereitet werden müssen.”
Heister-Neumanns Sprecherin: “Unsere Recherchen sind noch nicht abgeschlossen, deshalb äußern wir uns nicht dazu.”

“Bild” hat versucht, noch mal von der Landesschulbehörde eine Stellungnahme zu bekommen, von der Landesbeauftragten für Integration Honey Deihimi, von der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung Maria Böhmer und sogar vom Niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff. Wulff “äußert sich zu dem Vorfall nicht”, stellt die “Bild”-Zeitung enttäuscht fest. Ähnlich konsterniert reagiert sie auf die Äußerungen der anderen Befragten:

Nichts sagen will zum jetzigen Zeitpunkt eben so Honey Dehimi: (…). Auch bei der Landesschulbehörde gibt man sich wortkarg. (…) Wenig hilfreich ist auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Dr. Maria Böhmer (57): (…)

"Ministerin schaltet sich ein!"Und heute ist “Bild” sogar von Schulministerin Elisabeth Heister-Neumann enttäuscht. Dabei gehörte die doch gestern noch quasi zu den empörten Experten und “Bild” hatte groß vermeldet “Ministerin schaltet sich ein!” (siehe Ausriss) Heute dagegen:

Elisabeth Heister-Neumann (52, CDU) schweigt.

Man könnte also sagen, die “Politiker und Experten” tun heute genau das, was alle von Anfang an hätten tun sollen: Sie bilden sich kein Urteil über etwas, dessen Hintergründe sie nicht, oder nur aus oder von der “Bild”-Zeitung kennen.

Dennoch steht der “kleine Philipp” nicht ganz alleine da. Unterstützung findet er vor allem auf islamfeindlichen Internetseiten wie beispielsweise “politically incorrect”. Außerdem meldet sich die rechtspopulistische Bürgerbewegung Pro Hannover zu Wort. Unter Bezugnahme auf die “Bild”-Zeitung fordert sie in einer Pressemitteilung “Gerechtigkeit für den kleinen Philipp”.

Übrigens: Das Foto des “kleinen Philipp”, das “Bild” heute wieder abdruckt und das ihn beim vermeintlichen Müllsammeln mit Eimer und Grillzange (!) auf dem Schulgelände zeigt, wurde nach unseren Informationen ohne Genehmigung der Schulleitung gemacht – ebenso das von “Bild” abfotografierte Foto der Schulleiterin, das immerhin verpixelt ist.

Mit bestem Dank für die kollegiale Unterstützung an die “Leine-Zeitung”.

Von Räubern und Räuberpistolen

“Der Bund der Steuerzahler lügt.” Auf diesen einfachen Satz bringt Florian Pronold, der stellvertretende finanzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, die Berechnungen, aus denen “Bild” heute eine großen Skandal-Aufmacher gestrickt hat.

Zumindest ist die Berichterstattung grob irreführend — und soll es offenkundig auch sein. Der zentrale Trick (neben einer plumpen optischen Täuschung) ist der, dass “Bild” mit den aufgeteilten Euros und Formulierungen wie “Millionen Arbeitnehmer werden Monat für Monat beim Blick auf den Lohnzettel blass” den Eindruck erweckt, hier gehe es um die Differenz von Brutto- zu Netto-Lohn. “Bild” und der Steuerzahlerverein nehmen als Ausgangspunkt aber eine Zahl, die gar nicht auf den Lohnzetteln auftaucht: die Beträge, die ein Arbeitgeber insgesamt für einen Arbeitnehmer zahlen muss, also der Brutto-Lohn plus die Sozialbeiträge, die der Arbeitgeber abführen muss.

Den Netto-Lohn hat “Bild” dafür künstlich verkleinert und von dem Geld, das der Arbeitnehmer ausgezahlt bekommt, noch Verbrauchssteuern abgezogen (z.B. für 300 Zigaretten im Monat, Lebensmittel, Sprit, Kinobesuche).

Mit anderen Worten: “Bild” hantiert mit “Brutto”-Angaben, die mehr sind, als man landläufig unter “Brutto” versteht, und mit “Netto”-Werten, die kleiner sind, als man üblicherweise als “Netto” bezeichnet. Kein Wunder, dass die Differenz so riesig ausfällt.

Damit hört das Tricksen aber offenbar nicht auf: Laut Pronold haben “Bild” und der Steuerzahlerverein in ihrer Modellrechnung (Durchschnittsfamilie, 1 Kind) vergessen, das Kindergeld zu berücksichtigen. Rechne man es mit, sei die Steuerlast für die Familie dramatisch niedriger als von “Bild” angegeben.

Ganz und gar ignoriert die Rechnung natürlich, dass das Geld, um das der Staat “uns” “beraubt”, wie SPD-Mann Pronold fomuliert, “nicht im Hinterhof des Finanzministers verbrannt” wird, sondern für Leistungen u.a. bei Krankheit, Arbeitslosigkeit und im Alter oder für Schulen, Universitäten und den Straßenbau aufgewandt wird.

Sicherheitshalber verlässt sich “Bild”-Wirtschaftschef Oliver Santen für seinen heutigen Kommentar aber nicht auf diesen Unsinn, den seine Kollegen Dirk Hoeren und Jan W. Schäfer zusammengetragen haben, sondern fügt ihm eigenen Unsinn hinzu. Er behauptet:

Steuer-Gier immer größer

Jetzt haben wir es erneut schwarz auf weiß: Steuern und Abgaben fressen uns auf!

Ob Soli, Öko-, Mehrwert- und bald Abgeltungsteuer — die Gier des Staates wird immer größer. (…)

Deshalb wird es höchste Zeit, dass die Politik Abgaben und Steuern senkt.

Dafür, dass die “Steuer-Gier” des Staates “immer größer” wird, gibt Santen keinen Beleg. Eine Möglichkeit, diese “Gier” zu messen, wäre die Staatsquote: das Verhältnis der Staatsausgaben zur gesamten Wirtschaftsleistung. Sie hat sich nach Angaben des Finanzministeriums in den vergangenen Jahren fast konsequent nach unten entwickelt. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) hat Mitte 2007 sogar eine Schätzung veröffentlicht, wonach die Staatsquote 2008 mit 42,9 Prozent das niedrigste Niveau seit über 30 Jahren erreichen soll.

Alternativ lässt sich die “Gier” des Staates mithilfe der Gesamtbelastung mit Steuern und Sozialabgaben beziffern. Die Quote ist nach einer Untersuchung der OECD in Deutschland geringer als in allen großen europäischen Volkswirtschaften. Die Deutschen zahlen danach zwar überdurchschnittlich hohe Sozialabgaben, aber sehr geringe Steuern. Und die Gesamtbelastung typischer Arbeitnehmerhaushalte ist nach einer OECD-Studie [pdf] zwischen 2000 und 2005 in Deutschland zurück gegangen.

Die “Bild”-Zeitung. Wenn man die ganzen Fehlinformationen und Manipulationen abzieht, bleiben gerade mal 48 Prozent übrig (siehe Grafik).

Mit Dank an Heiko S., Adrian C., Steffen B. und die anderen!

Bei “Bild” hakt’s noch

Es ist ja nichts dagegen zu sagen, dass “Bild” sich angesichts eines Beinahe-Absturzes auf dem Hamburger Flughafen Fuhlsbüttel heute noch einmal damit beschäftigt: “BILD hakt nach – Wie gefährlich ist Fuhlsbüttel bei Sturm?” Und dass die “Bild”-Zeitung versucht, ihren Lesern anhand einer Grafik zu erklären, wie der Landeanflug vonstatten ging, ist grundsätzlich lobenswert.

Dummerweise ist die Grafik (siehe Ausriss) jedoch falsch.

Zwar stimmt es, dass das Flugzeug auf der Bahn 33 gelandet wurde, wie “Bild” im Text schreibt. In der Grafik verwechselt “Bild” jedoch die 33 mit der 15 (dieselbe Bahn, allerdings in entgegengesetzter Richtung).

Aber wer sich ein bisschen mit dem Fliegen auskennt*, dürfte sich ohnehin schon gewundert haben. Laut Grafik hätte die Crew nämlich nach dem ersten, fehlgeschlagenen Landeanflug versucht, die Maschine mit seitlichem Rückenwind zu landen. Das wäre jedoch überaus ungünstig gewesen. Ab einer bestimmten Stärke wird Rückenwind nämlich “zum Sicherheitsrisiko”.

Wir haben die Grafik mal flugs um die echte Route ergänzt:

*) Wer sich ein bisschen mehr mit dem Fliegen auskennt, kann auch an der Ausrichtung erkennen, dass die auf der “Bild”-Grafik als “Landebahn 33” bezeichnete Landebahn gar nicht die 33 sein kann. Die 33 steht nämlich für die Flugrichtung 330 Grad, also Nordwest und nicht Südost (im Uhrzeigersinn von Norden ausgehend gemessen), wie auf der “Bild”-Grafik. Und wer sich richtig gut auskennt, der wüsste sogar, dass, anders als “Bild” schreibt, nicht der auf der Bahn 23 vorhandene “Landekurssender” den Piloten veranlasst haben dürfte, statt der 33 zunächst die 23 zu wählen. Einen Landekurssender hat die 33 nämlich auch. Die 23 verfügt jedoch über ein sogenanntes ILS (wovon der Landekurssender nur ein Teil ist). Informationen über alle Landebahnen und ihre Ausstattung gibt es hier.

Mit Dank an Lars H., Carsten W., Michael R. und Peter K. für den Hinweis.

Nachtrag, 5.3.2008: Na also, “Bild” bessert heute zumindest in der Bundesausgabe noch einmal nach und zeigt eine korrekte Grafik des Landeanflugs.

Auch sonst unterscheidet sich die Berichterstattung über den “Fast-Absturz von LH 044” zum Teil gravierend von der gestrigen. Während “Bild” den Piloten Oliver A. gestern noch als Helden feierte (“So rettete der Pilot 137 Menschen”), heißt es heute, da inzwischen bekannt ist, dass die junge Co-Pilotin geflogen ist: “Warum durfte sie im Sturm das Flugzeug steuern?” (ähnlich online). Als Reaktion auf die ursprüngliche Berichterstattung hatten “Bild”-Leser gefordert: “Gebt dem Helden-Piloten das Bundesverdienstkreuz”. Heute schreibt “Bild”: “Nach BILD-Informationen habe es Lufthansa-intern jedoch heftige Kritik an der Entscheidung des Piloten gegeben, den Anflug durch die Co-Pilotin durchführen zu lassen.”

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