Vor nicht allzu langer Zeit nannte Bild.de den ehemaligen Football-Star O.J. Simpson mal einen…
Heute weiß Bild.de das natürlich besser*:
Mit Dank an Julian P., FKTozz, Sebastian P., gambit, Mark L. und Eric H.
Nachtrag, 6.12.2008: Tatsächlich muss Simpson offenbar mindestens 9 und maximal 33 Jahren ins Gefängnis. Verschiedene Nachrichtenagenturen und Medien hatten gestern jedoch zunächst gemeldet, er sei zu 15 oder 16 Jahren Haft verurteilt worden.
“Ein Heft über die wahren Gründe der Krise” hat die Redaktion des “Süddeutsche Zeitung Magazin” gemacht, “Umdenken!” auf den Titel geschrieben und “Wirtschaft Spezial”. Tolle Texte stehen darin, mit tollen Sätzen, und vier tolle Uhrenanzeigen. Dazu kommen wir noch.
Erst einmal die Texte.
Ein Wirtschaftssystem, “das so viel Wohlstand schafft, aber nur so wenigen zugänglich macht – wird auf Dauer kaum tragen”, darf der Soziologe Richard Sennett in einem Interview sagen. Und vorschlagen, ein neues zu entwickeln, “das auf Kooperation basiert, statt die Menschen nur auszusaugen”.
Christian Nürnberger beschreibt “die Krise als Moment der Selbsterkenntnis” und einen prototypischen Michael M., der Träger eines “Virus” sei, Opfer einer “Geisteskrankheit”: “Regelmäßig fährt er mit seinem Geländewagen zu Aldi und Lidl, und noch nie hat er auch nur einen Gedanken an die Frage verschwendet, wie es eigentlich den Beschäftigten von Aldi und Lidl geht, was sie verdienen, wie sie leben, wie sie ihre Kinder erziehen.”
“Die allgemeine Dummheit, die dieses Land erfasst hat in den letzten Jahren, die hat alles verdeckt. Diese Krise verdanken wir der Ideologie des freien Marktes”, zitiert Georg Diez in seinem Stück über die Wall Street einen Ex-Anwalt, der nun Buchautor ist. Und nennt den Zustand selbst “das Ende der Vernunft”, an dem alle Schuld sind: “Von ganz unten bis ganz oben, eine Kette der Gier.”
Wahre Sätze sind das. Hier noch einer aus dem Interview: “Wer jetzt so weitermachen will wie bisher, hat nicht verstanden, dass die Nachfrage weltweit sinkt.”
Tolles Heft, dieses “Wirtschaft Spezial”. An seinem Ende findet sich die Rubrik “Stil leben”. Dort steht auf fünf Seiten wenig Text, dafür zeigt die Redaktion — passend zu den tollen Uhrenanzeigen — viele Bilder von sehr teuren Uhren. Darüber steht: “Es gibt Uhren, die sind so schön, dass sie alle anderen in den Schatten stellen. Vorausgesetzt, man trägt sie mit Haltung.”
Zum Beispiel die “Ergon von Bulgari aus 18-Karat-Gelbgold, mit braunem Alligatorband”. Die kostet schlappe 11.000 Euro; die Rolex Oyster Perpetual GMT-Master II gibt’s für 19.500 Euro (aber das erwähnt das “SZ-Magazin” nicht). Nichts für einfache Leute, nein, nein, sondern: “Für harte Hunde”.
So viel zur Moral im Angesicht der Rendite.
Der Kernsatz übrigens steht auch bei Diez. Es ist sein letzter, er soll all den Zynismus beschreiben, der sicher bald zu einer neuen Krise führen wird:
Seit einiger Zeit versteckt die “Bild”-Zeitung die Rügen, die der Presserat gegen sie ausspricht, nicht mehr möglichstunauffälligimBlatt, sondern widersprichtlieberlautstark – beweist darin aber deutlich weniger Geschick.
Aktuell sieht sich die “Bild”-Zeitung ja zu Unrecht für ihre drastische Berichterstattung über einen Flugzeugabsturz in Nepal gerügt. Deshalb gab die Axel Springer AG gestern eine Pressemitteilung heraus. “Bild”-Chef Kai Diekmann bezeichnet die Rüge darin als “rätselhaft”, berief sich auf frühere Entscheidungen des Presserats, schien aber gar nicht begriffen zu haben, warum “Bild” eigentlich genau gerügt wurde (wir berichteten).
Der Presserat sah sich daraufhin genötigt, heute seinerseits eine Pressemitteilung herauszugeben, in der er Diekmanns Kritik “entschieden zurück” weist:
Die Rüge für die Abbildung von verkohlten Leichen auf der Titelseite der Zeitung – insbesondere in Verbindung mit Porträtfotos von Absturzopfern im Innenteil – liegt auf einer Linie mit der bisherigen Spruchpraxis des Presserats. Dies zeigen die Entscheidungen des Selbstkontrollgremiums zu Beschwerden über die Veröffentlichung von Fotos vom Concorde-Absturz und der Tsunami-Katastrophe, in denen ebenfalls gerügt bzw. missbilligt wurde.
Damit geht der Presserat explizit auf eine Passage aus der gestrigen Springer-Pressemitteilung ein, in der Diekmann sich so zitieren ließ:
“Nach allen vom Presserat zu vergleichbaren Fällen kommunizierten Kriterien – siehe ‘Stern’ und ‘Spiegel’ zum Concorde-Absturz und Tsunami –, die BILD vorab sorgfältig bedacht hat, hätte diese Veröffentlichung ethisch für unbedenklich gehalten werden müssen.”
Wie sorgfältig “Bild” insbesondere die Begründung des Presserats etwa zur Rüge für die Concorde-Berichterstattung des “Stern” bedacht hat, wird deutlich, wenn man sich anschaut, welche Kriterien der Presserat im Jahr 2000 in seiner Entscheidung kommuniziert hat:
Unter der Überschrift “Die Tragödie – Das Leben geht weiter” zeigt [der “Stern”] die Stelle in Paris, an der am 25. Juli 2000 eine Concorde-Maschine der Air France abgestürzt ist. Das Farbfoto veranschaulicht das Grauen auf dem Trümmerfeld und die Bergungsarbeiten nach der Katastrophe. So sind auf dem doppelseitigen Bild verkohlte Leichen zu sehen. Am rechten Rand der Seite sind die Fotos zweier Ehepaare und eines Mannes eingeblockt, die sich an Bord der Unglücksmaschine befanden. (…)
Der Presserat (…) erteilt der Zeitschrift eine öffentliche Rüge. (…)
Die eingeblockten Fotos der Absturzopfer stellen einen optischen und assoziativen Zusammenhang zwischen den Abgelichteten und den anonymen Leichen her. Das verletzt zumindest die Würde der trauernden Angehörigen.
Zur Erinnerung hier nochmal die Begründung der aktuellen Rüge gegen die “Bild”-Zeitung:
Durch den assoziativen Zusammenhang zwischen den Abgelichteten im Innenteil und den anonymen Leichen auf der Vorderseite wurden die Gefühle der trauernden Angehörigen verletzt.
Was auch immer Kai Diekmann daran nicht verstanden hat – es scheint ein grundsätzliches Problem zu sein.
Was sich am 29. November im Bremer Steintorviertel zutrug, fand die “Bild”-Zeitung offenbar so wichtig, dass sie dem Ereignis am 1. Dezember in ihrem Online-Angebot gleich zwei verschiedene Artikel widmete: einen eher nachrichtlichen und, wie man denken könnte, einen boulevardesken. Doch das wäre untertrieben.
Der eine Text erschien in der Leserreporter-Rubrik. “Leser-Reporter Florian G.” hatte “von oben” beobachtet und fotografiert, wie die Polizei Frankfurter Fußballfans einkesselte. Unter der Überschrift “Hier randalieren Hooligans” heißt es:
Polizisten fesseln Männer mit Kabelbindern, Festgenommene liegen am Boden und ein Block aus Hooligans wird von der Polizei umzingelt. Kunden flüchten verängstigt in die Geschäfte. Und das mitten in Bremen!
Randale beim Werder-Spiel gegen Frankfurt.
Es ging schon früh morgens los. Mit mehreren Bussen kamen die Chaoten in Bremen an. (…)
Plötzlich flogen Fäuste, brüllten Hooligans ihre Parolen. Die Stimmung wurde immer aggressiver. (…)
In den Taschen der Frankfurter Gewalt-Fans fanden die Beamten Sturmhauben, Abschussgeräte und Feuerwerkskörper. (…)
In dem anderen, eher nachrichtlichen Text, der auf der Eintracht-Frankfurt-Seite im Bundesliga-Ressort erschienen ist, steht indes quasi das Gegenteil:
238 Eintracht-Fans wurden vor dem Spiel bei Werder in Gewahrsam genommen, obwohl diesmal nichts vorgefallen war. (…)
Eintrachts ehemaliger Fan-Beauftragter Andreas Hornung empört: “Wir wurden wie Gangster behandelt. Wenn etwas vorgefallen wäre, dann wäre die Sache ja in Ordnung gewesen. So nicht.”
Und welche Version der Geschichte stimmt nun?
Nicht mal die Polizei selbst, die wegen ihres Vorgehens von Eintracht-Fans starkkritisiertwird, spricht von gewalttätigen Ausschreitungen, wie “Bild” sie nahelegt. In einer Pressemitteilung heißt es:
Für die dort formierten Einsatzkräfte war deutlich eine aggressive Stimmung aus dem Aufzug spürbar. (…) Es war offenkundig, dass man es darauf anlegte, Bremer Fans zu finden und sich mit diesen körperlich auseinander zusetzen. (…) Nachdem zunächst ein äußerst lauter Böller an der Sielwallkreuzung zur Explosion gebracht worden war, ging die Gruppierung in breiter Front über die Fahrbahn durch das Steintorviertel. (…) Darüber hinaus hätte es ohne Zweifel beim Aufeinandertreffen mit Bremer Fans eine körperliche Auseinandersetzung gegeben. (…) Im Steintor ließen sie nach den Ingewahrsamnahmen u.a. diverse Böller, Sturmhauben, Mundschutze, Abschussgeräte für Signalmunition inkl. Kartuschen und weitere Pyrotechnik (Selbstlaborate) zurück. (…)
Es bleibt festzustellen, dass es nach dem konsequenten Einschreiten der Polizei für ein Fußballspiel dieser Größenordnung in der Stadt absolut ruhig blieb.
So gesehen meint “Bild”-Chef Kai Diekmann, wenn er sagt, Leserreporter-Einsendungen würden sorgfältig überprüft und nachrecherchiert, offenbar etwas anderes, als das, was man landläufig darunter versteht.
Mit Dank an Mario G. für den sachdienlichen Hinweis.
1. “Hauptproblem Einfallslosigkeit” (freitag.de, Klaus Raab)
Klaus Raab glaubt nicht, dass die Wirtschaftskrise verantwortlich ist für die Medienkrise: “Das Hauptproblem der Branche ist nicht die drohende Anzeigenflaute, sondern die Einfallslosigkeit. In Zeiten, in denen man mit neuen Ideen Geld verdienen und nebenbei auch noch publizistisch gewinnen könnte, entwerten Unternehmen ihre Publikationen, indem sie diese austauschbar machen. Erstaunlich viele Verlagsobere ruhen sich darauf aus, dass die Wirtschaftskrise sie angeblich zu Kürzungen zwingt. Statt aber die Produkte zu verbessern, die sie verkaufen wollen, tragen die Verlagschefs dazu bei, deren Substanz zu zerstören. Die Krise ist für sie eine Möglichkeit, Fehlentscheidungen zu treffen – und damit davonzukommen.”
2. “Wirtschaftskrise spielt keine entscheidende Rolle” (tagesschau.de, Niels Nagel)
“Medienexperte” Horst Röper sieht das gleich: “Es sieht so aus, als ob die großen deutschen Verlage die Wirtschaftskrise zu einem guten Stück für ihre Zwecke instrumentalisieren.” Und: “Es handelt sich hierbei um strukturelle Probleme von Tageszeitungen.”
3. “‘DIE ZEIT’ und Deutschland in der Alpenschule Schweiz” (swissinfo.ch, Gaby Ochsenbein)
“Am 4. Dezember ist DIE ZEIT erstmals mit einer eigenen Schweiz-Ausgabe erschienen. Zum Auftakt publiziert die Hamburger Wochenzeitung ein Dossier zum Thema ‘Was die Deutschen von den Schweizern lernen können’ – in 12 Lektionen.”
Die “Bild”-Zeitung hatte am 9. Oktober dieses Jahres über einen Flugzeugabsturz in Nepal berichtet, bei dem 18 Passagiere starben. “Bild” zeigte auf der Titelseite unter der Schlagzeile “12 Deutsche im Flugzeug verbrannt!” ein Foto, auf dem “die verkohlten Leichen” geborgen wurden. Zudem druckte “Bild” im Innenteil der Ausgabe mehrere unverfremdete Fotos von insgesamt sechs der zwölf deutschen Opfer.
Für diese Berichterstattung wurde “Bild” nun vom Presserat gerügt.
“Bild”-Chef Kai Diekmann indes ist mit der Rüge nicht einverstanden. In einer Pressemitteilung der Axel Springer AG wird er mit den Worten zitiert:
“Der Presserat misst mit zweierlei Maß und problematisiert mit dieser Entscheidung jede Fotoveröffentlichung, sofern sie Opfer auch nur aus der Ferne zeigt. Nach allen vom Presserat zu vergleichbaren Fällen kommunizierten Kriterien – siehe ‘Stern’ und ‘Spiegel’ zum Concorde-Absturz und Tsunami –, die BILD vorab sorgfältig bedacht hat, hätte diese Veröffentlichung ethisch für unbedenklich gehalten werden müssen. Mit einer solch rätselhaften Entscheidung verunsichert der Presserat die Redaktionen. Vollständigkeit gehört auch zur Wahrheitspflicht der Berichterstattung.”
(Außer Diekmann kommt in der Springer[!]-Pressemitteilung auch DeutschlandRadio-Intendant Ernst Elitz zu Wort, weil er am Tag der Veröffentlichung bei “Bild” zufällig die öffentliche Blattkritik abhielt und die Berichterstattung schon damals als “eine akzeptable Lösung” bezeichnet hatte. In einem ausführlichen Statement äußert er sich jetzt – siehe auch hier – abermals in Diekmanns Sinne.)
Diekmanns Argumentation ist im Prinzip nachvollziehbar, hat aber einen Haken: Sie hat nur am Rande mit der “rätselhaften” Rüge des Presserats zu tun. Das Titelseiten-Foto spielt darin zwar eine Rolle, gerügt wurde jedoch die “Gesamtberichterstattung”, die laut Presserat unangemessen sensationell bzw. respektlos gegenüber dem Leid der Opfer und den Gefühlen von Angehörigen sei und zudem das Privatleben und die Intimsphäre der Betroffenen verletze (Pressekodex Ziffer 11 bzw. Richtlinie 11.3 und Ziffer 8):
Öffentlich gerügt wurde die BILD-Zeitung aufgrund der Berichterstattung zum Absturz eines Flugzeuges im Himalaya, bei dem auch zwölf deutsche Touristen starben. Die Zeitung hatte auf der ersten Seite großformatig ein Foto der Unglücksstelle abgebildet, auf dem verkohlte Leichen zu sehen waren. Im Innenteil wurden zudem Fotos einiger Passagiere veröffentlicht. Dadurch wurde ein Teil der Opfer identifizierbar. Durch den assoziativen Zusammenhang zwischen den Abgelichteten im Innenteil und den anonymen Leichen auf der Vorderseite wurden die Gefühle der trauernden Angehörigen verletzt. (Hervorhebung von uns.)
Nicht ganz unwiderlich auch, wie “Bild” Meinelts Zitate manipuliert, um beim Leser maximale Empörung zu erreichen.
“Bild” schreibt:
Und was meint Meinelt zu dem Vorwurf vieler Politiker, dass Klar bis heute keine Reue gezeigt hätte? “Was stellen sich eigentlich die Leute unter Reue vor? (…) Soll er in der Presse einen Kniefall machen?”
Die Auslassungszeichen sind interessant. Das ganze Zitat lautet nämlich so:
“Was stellen sich eigentlich die Leute unter Reue vor? Ich kenne die Briefe von Christian Klar, ich kenne das Gnadengesuch an den damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau, ich kenne seine Briefe an Horst Köhler und den ganzen Schriftverkehr. Er hat in allen Briefen geschrieben, dass er bedauert. Soll er in der Presse einen Kniefall machen?
Das ist nicht die einzige Manipulation. “Bild” schreibt:
Und dann klingt sogar ein bisschen Mitleid für den neuen Mitarbeiter durch: “Wir haben lange mit ihm darüber gesprochen, dass natürlich Fragen zu seiner Vergangenheit von den Kollegen kommen werden. Das können Sie sich ja vorstellen, was so jemand von einem einfachen Bühnentechniker gefragt wird. Die Arbeit in der Technik, das ist richtiges Milieu. Das ist schon ein bisschen derb und ein sehr raues Klima.”
Einem einfachen Bühnentechniker – ist das nicht genau die Abteilung, in der Klar dann arbeiten wird? Und was ist Klar dann bitte? Ihr da unten, ich – der gerade freigelassene RAF-Terrorist – hier oben? So ein Schmierenstück hat es noch nie im BE gegeben. Hoffentlich wird’s bald abgesetzt…
“Bild” hat sich Meinelts Sätze aus verschiedenen Stellen des Interviews zusammengeklaubt, um diesen Eindruck zu konstruieren. In der “Zitty” heißt es:
Christian Klar wurde Anfang 2007 stark kritisiert, weil er ein kapitalismuskritisches Grußwort an die Rosa-Luxemburg-Konferenz der Zeitung “Junge Welt” geschrieben hatte. Haben Sie mit ihm darüber gesprochen?
Er hat gesagt, dass er bereut, was durch die Presse gegangen ist. Er weiß auch, dass wir im BE politische Aktivität nicht dulden werden. Das ist von vorneherein klar. Wir haben lange mit ihm darüber gesprochen, dass natürlich Fragen zu seiner Vergangenheit von den Kollegen kommen werden. Das können Sie sich ja vorstellen, was so jemand von einem einfachen Bühnentechniker gefragt wird. Wenn man Klar als Menschen kennenlernt, merkt man: Die Angst vieler ist unbegründet. Von diesem Menschen geht keine Gefahr aus.
(…) Wie bereiten Sie Klar auf das Ensemble vor?
Die Arbeit in der Technik, das ist richtiges Milieu. Die werden ihn fragen: Hast du denn überhaupt was gelernt? Kannst du nach 26 Jahren überhaupt etwas? Das ist schon ein bisschen derb und ein sehr raues Klima. Er muss mit allen Sachen umgehen lernen, er kommt ja in Kontakt mit den Kollegen von der Bühnentechnik, den Beleuchtern, der Requisite und den Schauspielern.
Es ist schwer, aus diesen Antworten zu schließen, dass das BE meint, Christian Klar stünde in irgendeiner Form über den einfachen Bühnenarbeitern. Dazu muss man die Sätze schon kunstvoll neu montieren und Teile ganz weglassen. Sogar ohne Auslassungzeichen.
Das “Zitty”-Interview, auf dem der “Bild”-Artikel beruht, trägt übrigens die Überschrift “Christian Klar im Berliner Ensemble: “Der hat sich hier anzupassen. Fertig.” Das ist auch ein Zitat von Dirk Meinelt.
1. “Euphoriker sterben jung” (zeit.de, Harald Martenstein)
Auch Harald Martenstein wird überrascht von der Medienkrise und erfährt bei der morgendlichen Zeitungslektüre, dass er seinen Job los ist. Aber es ist ja nur einer von vielen Jobs, denn er ist “breit aufgestellt”. Dass junge Journalisten sozusagen nur noch Zeitverträge erhalten, hält er für die vielleicht “menschenfreundlichere Variante” als das alte System der Festanstellung: “Der Unternehmer muss nicht darüber nachdenken, wen er kündigt und wen er behält. Es ergibt sich irgendwie automatisch. Der Gekündigte muss sich nicht sagen, dass er den Job verliert, weil er schlecht gearbeitet hat. Es gibt keine Schurken und keine Versager. Es gibt nur die Logik des Systems. Zeitvertrag, kurz im Betrieb, und du bist draußen.”
2. Interview mit Matthias Zuber und Thomas Franke (bildjournalisten.djv-online.de, “Redaktion”)
Heute kommt die Kleinkamera “Vado” von Creative auf den Markt, eine Gemeinschaftsaktion der Boulevardzeitung Bild und des Lebensmittelhändlers “Lidl”. In einem langen Interview äussern sich zwei freie Journalisten über den Unterschied zwischen dieser Billigkamera und professionellem Equipment. Matthias Zuber: “Lustiges Teil, wird wohl bald noch mehr davon geben, aber, um ein halbwegs professionelles Produkt zu erstellen absolut ungenügend. Im Homevideo- und Experimentalfilmbereich hat das Teil sicher einen Sinn und kann inspirierend wirken.”
3. “Autojournalismus” (bildblog.de, lupo)
“Der Autohersteller Audi ist begeistert von seinen neuen LED-Scheinwerfern und ihren Möglichkeiten. ‘Spiegel Online’ auch.”
Bio-Lehrer Karlo Sauer von der Geschwister-Scholl-Hauptschule in Radevormwald bei Köln hatte eine gute Idee. Er lud zum Welt-Aids-Tag eine Expertin zur Aufklärung seiner Schüler ein, denn:
“Viele wissen einfach nicht richtig über Aids und HIV Bescheid.”
Deutschlandweit sind rund 86.000 Menschen mit dem HI-Virus infiziert, 27.000 Menschen starben letztes Jahr durch eine Infektion, besagt eine Studie des Robert-Koch-Instituts.
Das erscheint schon bei einer grob überschlägigen Rechnung unwahrscheinlich. In Wahrheit schätzt das Robert-Koch-Institut die Zahl der Menschen, die im vergangenen Jahr an den Folgen einer HIV-Infektion gestorben sind, auf ungefähr 650. Insgesamt, also seit Entdeckung des Virus vor rund 25 Jahren, sind es ungefähr 27.000 Tote. Auch mit den 86.000 liegt der “General-Anzeiger” falsch. Das ist die geschätzte Gesamtzahl all jener, die sich im Verlauf der Epidemie in Deutschland angesteckt haben — inklusive der bereits gestorbenen. In Deutschland leben laut Robert-Koch-Institut aktuell rund 63.500 Menschen mit HIV oder Aids.
Auch ein weiterer Aufklärungsversuch des “Remscheider General-Anzeigers” gestern ging schief. In einem Artikel der Jugendbeilage “X-Ray” hieß es:
2119 Menschen in Deutschland sind an HIV erkrankt. In Nordrhein-Westfalen sind es 519 (…)
Diese Zahlen sind nun viel zu niedrig — egal ob die Autorin nun HIV-Infektionen oder Aids-Erkrankungen meinte. Die Zahl der Aids-Kranken schätzt das RKI auf 10.500 bundesweit und 1700 in Nordrhein-Westfalen. Diesen Fehler korrigierte “X-Ray” heute.
Aber wenn die Aufklärung der Menschen über HIV und Aids von der Sorgfalt und dem Verständnis von Journalisten abhängt, wird es ein mühsamer Weg.
Der “Spiegel” erlaubt sich in seiner aktuellen Ausgabe eine perfide Form der Geschichtsklitterung.
In der elfseitigen Titelgeschichte zur Wirtschaftskrise (“Angela Mutlos”) versucht das Magazin u.a., Parallelen zwischen der untätigen Regierungspolitik unter Angela Merkel und der Politik des Reichskanzlers Heinrich Brüning in der Weimarer Republik während der Weltwirtschaftskrise zu ziehen. Der Vergleich gipfelt darin, dass Brüning damals von sich aus zurückgetreten sei und damit die Machtergreifung Hitlers ermöglicht habe.
Mit anderen Worten: Das alles kann passieren, wenn man in der gegenwärtigen Lage nicht die Auffassung des “Spiegel” vertritt und ein dickes Konjunkturprogramm auflegt. Die Passage (S.31) lautet:
Da wird zunächst der Eindruck erweckt, als habe Brüning überhaupt finanzielle Möglichkeiten gehabt, mit einem üppigen Konjunkturprogramm der Krise entgegen zu steuern. Aber:
Faktisch war Deutschland damals pleite, es hatte ein deutliches Haushaltsdefizit, nur minimale Devisenreserven, hohe Auslandsschulden und musste obendrein Reparationen nach dem Young-Plan zahlen.
Kredite aus dem Ausland waren kaum mehr zu bekommen.
Gegen eine Kreditausweitung per Notenpresse sprachen die traumatischen Erfahrungen der Hyperinflation von 1923.
Kurzum: Die Forschung ist sich inzwischen einig darüber, dass Brüning aus wirtschafts- und finanzpolitischen Gründen keinen Spielraum für eine aktive Konjunktur- und Arbeitsmarktpolitik sah. Darüber hinaus wollte er die wirtschaftlichen Schwierigkeiten Deutschlands aber auch dazu nutzen, die Alliierten zu einem kompletten Verzicht auf die Reparationszahlungen zu bewegen. Und nicht zuletzt ging die Lohnsenkung mit einer staatlich verordneten Preissenkung einher, um den Binnenmarkt nicht gänzlich lahmzulegen und die Exportchancen zu steigern.
Das alles ignoriert der “Spiegel” geflissentlich. Und am Schluss lapidar zu schreiben, dass Brüning (quasi in der Erkenntnis seiner wirtschaftspolitischen Erfolglosigkeit) zurückgetreten sei, ist natürlich ein Witz.
Zu Brünings Entlassung:
“Brünings Entlassung brachte die Befürworter einer autoritären Krisenlösung ihrem Ziel ein gutes Stück näher. Wäre es Hindenburg darum gegangen, von Weimar soviel wie möglich zu bewahren, hätte er an seinem vom Reichstag tolerierten Kanzler festhalten müssen.”
(Aus: Heinrich August Winklers Standardwerk “Weimar. 1918-1933”, S. 476.)
Im Reichstag hatte er wenige Wochen vor seinem Sturz noch den bekannten Satz geprägt, er stehe “hundert Meter vor dem Ziel”. Wenige Wochen nach seiner Ablösung erreichte Deutschland dann auch, dass die Reparationen bis auf eine Restsumme von drei Milliarden Goldmark gestrichen wurden. Die Gründe für Brünings Sturz sehen Historiker indes darin, dass seine Agrarpolitik die Interessen der ostelbischen Großgrundbesitzer gefährdete und er sein Kabinett nicht weit genug nach rechts ausrichten wollte (siehe auch Kasten).
Das alles passt offenbar nicht in die Argumentation des “Spiegel”. Aber der will gerade ohnehin nur agitieren, wie Finanzminister Peer Steinbrück ein paar Seiten später während eines Interviews bemerkt.