Journalisten, Blogs, Eigenwerbung

1. Faule, fette Journalisten
(blogbar.de, Don Alphonso)
Don Alphonso knöpft sich Journalisten vor, die sich “freuen, wenn es das ein oder andere Blog derbröselt”.  Die “Strukturprobleme der Blogs” würden nicht die “Strukturprobleme der Journalisten lösen”. Generell seien Journalisten “zu wenig meinungsfreudig (und) innovativ”, dafür aber risikoscheu, faul und fett.

2. Blogs und Stiftungen retten Journalismus nicht
(faz.net, Miriam Meckel)
Miriam Meckel, Professorin für Kommunikationsmanagement an der Universität St. Gallen, wirft Bloggern und Social Networks vor, nicht selber Inhalte zu erstellen. Neues sei lediglich eine “innovative Verlinkung von Altbekanntem”. Es reiche nicht aus, sich auf Bürgerjournalismus und wohlmeinde Stiftungen zu verlassen (wie Arianna Huffington vorschlägt), um Qualitätsjournalismus aufrechtzuerhalten.

3. Eigenwerbung der Privatsender nimmt zu
(taz.de, Wilfried Urbe)
Wem geht sie nicht auf die Nerven? Die Eigen-PR der TV-Sender mit ihrer “We love to entertain you” und “Mein RTL”-Rhetorik. RTL bestreitet mittlerweile eine Stunde pro Tag mit diesen Clips. Doch diese Clips seien “Schlüsselerfolgsfaktoren der Kommunikation und der Werbung”.

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Was Bilderdieben bei StudiVZ droht

Es ist längst Routine: Wenn irgendwo junge Leute sterben, gehen Journalisten ins Internet und suchen dort nach Bildern der Toten. Meist werden sie in sozialen Netzwerken fündig, wo die jungen Leute, als sie noch lebten, Fotos von sich hochgeladen haben — damit ihre Freunde diese sehen können, mutmaßlich nicht, damit diese posthum in die Öffentlichkeit gezerrt werden.

Zu den größten Sozialen Netzwerken in Deutschland gehört StudiVZ mit nach eigenen Angaben 13 Millionen angemeldeten Mitgliedern. Schon vor gut einem Jahr hatte die “taz” über die neue Praxis der Bildbeschaffung berichtet und geschrieben, dass “Bild” und StudiVZ “wie für einander gemacht” seien.

Die Pressestelle von StudiVZ ließ sich damals wie folgt zitieren:

Die journalistische Verwertung von Bildern aus StudiVZ ist nicht in unserem Interesse. Das steht auch eindeutig in unseren AGB. Wird dennoch ein Foto von einem unserer Nutzer zu diesem Zweck unautorisiert verwendet, so handelt es sich hierbei um eine Verletzung der Urheberrechte. Der Nutzer kann gegen das entsprechende Medium vorgehen.

Das ist natürlich ein bisschen schwierig, wenn der Nutzer tot ist. Und auch die Angehörigen von Tätern und Opfern haben nach einem Schicksalsschlag meist andere Prioritäten als juristisch gegen Medien vorzugehen, die widerrechtlich private Fotos veröffentlicht haben. Für die Medien von “Bild” über den “Stern” bis zu RTL scheint das Internet so praktischerweise tatsächlich das zu sein, was sie sonst gerne anklagen: ein rechtsfreier Raum.

Die Pflicht, dagegen zu kämpfen, hätten vor allem die Betreiber der Netzwerke. Man sollte annehmen, dass sie sogar ein Interesse daran hätten, schon aus Verantwortung ihren Nutzern gegenüber. Doch der Gedanke täuscht. Wie egal es StudiVZ ist, ob ihre Plattform auf Kosten der junge Leute zu einem Selbstbedienungsladen für bildhungrige Sensationsjournalisten wird, zeigt diese Chronologie des Versuchs, eine Auskunft von dem Unternehmen zu bekommen, das mehrheitlich zur Verlagsgruppe Holtzbrinck (“Zeit”, “Tagesspiegel”) gehört.

Am 15. April rief ich bei Dirk Hensen, Leiter der Unternehmenskommunikation bei studiVZ Ltd. an. Er bat mich, die Fragen schriftlich einzureichen.

Ich fragte ihn, bezogen auf das “taz”-Zitat:

Viele Menschen, die es betrifft, sind in den jeweiligen Situationen nicht in der Lage oder haben nicht die Kraft, sich dagegen zu wehren. Ist es nicht zynisch, die Verantwortung für die Einhaltung der Regeln auf diese Menschen zu schieben?

Eine andere Frage lautete:

Nach Einschätzung von Medienrechtsexperten sind die Betreiber der sozialen Netzwerke die einzigen, die verhindern können, dass es zur Regel wird, dass Medien sich auf diesem Weg private Fotos von Unfallopfern, Verdächtigen etc. besorgen. Ist sich StudiVZ dieser Verantwortung bewusst und wird entsprechend handeln?

Am 20. April fragte ich zum ersten Mal vorsichtig nach, bis wann mit einer Antwort zu rechnen sei. Hensen erklärte mir, da sich an der Rechtslage nichts geändert habe, sei die Stellungnahme aus der “taz” immer noch aktuell. Ich fragte (erst telefonisch, dann schriftlich) nach, ob StudiVZ dann nicht wenigstens seine Nutzer deutlich darauf hinweisen sollte, dass alles, was diese hochladen, im Zweifelsfall von den Medien ausgeschlachtet werden könnte.

In den nächsten Tagen ging bei StudiVZ niemand ans Telefon, am 28. April erklärte mir Herr Hensen, man müsse das weitere Vorgehen intern noch diskutieren, wolle sich aber bis zum Nachmittag des Folgetages melden. Ich rief immer mal wieder dort an, aber entweder ging niemand ran oder Herr Hensen war in einer Besprechung.

Am 7. Mai erreichte ich ihn endlich wieder. Er erklärte mir, eine Antwort-E-Mail sei bereits fertig vorbereitet, er habe bisher nur vergessen, diese auch abzuschicken, werde das aber sofort nachholen.

Eine Stunde später war es soweit: StudiVZ hatte es geschafft und sich zu einer wohlüberlegten Antwort auf unsere Fragen durchgerungen. Sie lautet in vollständiger Länge:

Hallo Herr Heinser,

das Statement, welches Sie bereits in Ihrer Mail verwendet haben hat aus unserer Sicht nach wie vor Gültigkeit.

“Die journalistische Verwertung von Bildern aus StudiVZ ist nicht in unserem Interesse. Das steht auch eindeutig in unseren AGB. Wird dennoch ein Foto von einem unserer Nutzer zu diesem Zweck unautorisiert verwendet, so handelt es sich hierbei um eine Verletzung der Urheberrechte. Der Nutzer kann gegen das entsprechende Medium vorgehen.”

Allerdings werden wir zukünftig die Verlage per Brief auf die Urheberrechtsverletzung hinweisen.

Vermutlich muss man das schon als Fortschritt bewerten — auch wenn anzunehmen ist, dass sich die Medien durch eine solche Ermahnung eher nicht beeindrucken lassen werden. Aber vielleicht kommt der Brief ja wenigstens zeitnah an.

Bild  

Ein Leserbriefschreiber, der ankommt

Jeden Tag wählt die “Bild”-Redaktion aus den vielen Leserbriefen, die sie bekommt, ein paar aus, die sie in der Zeitung veröffentlicht. Manche hält sie für so lesenswert, dass sie sie durch Fettdruck hervorhebt und den Absender sogar im Foto zeigt.

Am Donnerstag hatte “Bild” groß auf der Titelseite eine junge Frau gezeigt, die im Bundestagsbüro von SPD-Chef Franz Müntefering als wissenschaftliche Mitarbeiterin arbeitet. Sie sei “die neue Frau” in seinem Leben, “sein neues Glück”, nachdem seine Ehefrau Ankepetra im vergangenen Jahr an Krebs gestorben war. Müntefering hatte sich vorübergehend aus der Politik zurückgezogen, um sie in den letzten Monaten ihres Lebens zu pflegen.

Die Leser-Meinung, die “Bild” dazu auswählte und besonders hervorhob, liest sich so:

Das ist nicht nur erstaunlich gehässig, was das Privatleben des SPD-Vorsitzenden angeht. Die Formulierung am Schluss ist auch politisch verräterisch. So gesehen ist es keine Überraschung, was man herausfindet, wenn man ein bisschen recherchiert, wer Reinhart Jahnke ist. Er war im “Bündnis RECHTS” in Mecklenburg-Vorpommern aktiv, wurde 2005 Bundestagskandidat der NPD in Lübeck und sprach im selben Jahr bei einer von dem militanten Hamburger Neonazi Christian Worch organisierten Kundgebung in der Stadt. Nach internen Querelen verließ er den NPD-Kreisverband 2006.

Inzwischen scheint er einen größeren Teil seiner Zeit mit dem Schreiben von Leserbriefen und Kommentaren zu verbringen, und in der “Bild”-Zeitung hat er einen dankbaren Abnehmer gefunden. Die Häme über Müntefering und das System der “BRD” war der vierte Leserbrief von ihm, den “Bild” in weniger als drei Monaten veröffentlichte.

Mit Dank an Reinhard K.!

Obama, Guttenberg, Steinbrück

1. Obama unterhält die US-Journalisten
(thecaucus.blogs.nytimes.com, Ashley Parker)
Mit Spannung wurde der erste Auftritt Barack Obamas beim alljährlichen White House Correspondents Dinner erwartet. Und neben einer humorvollen Rede und einigen Seitenhieben auf die Presse, verprach er den anwesenden Journalisten Unterstützung in der Wirtschaftskrise.

2. Medienliebling zu Guttenberg
(cicero.de, Michael Spreng)
Michael Spreng, der exzellent bloggende ehemalige Bild-Chef und Stoiber-Wahlkampfmanager, analysiert den rasanten Aufstieg des neuen deutschen Wirtschaftsministers zu Guttenberg zum Liebling der Medien.

3.Schweizer Zeitung zeigt Steinbrück als Nazi
(welt.de, Video 1:52 Minuten)
Die Redaktion der WELT hat den Nazi-Skandal um Peer Steinbrück aufgegriffen und schlägt im Video kreativere Formen des Steinbrück-Bashings vor. Alkoholismus, Humorlosigkeit, Spiessigkeit und schlechte Bärte der Deutschen seien viel geeignetere Angriffspunkte.

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3sat  

Colin Powell und die Atombombe

Vorab: Natürlich weiß die Menschheit inzwischen, dass der Irak-Krieg 2003 auch deswegen zustande kam, weil die USA mit (formulieren wir es mal vorsichtig) nicht ganz richtigen Tatsachenbehauptungen der Welt glauben machen wollten, der Irak sei im Besitz ganz fürchterlicher Dinge (oder aber zumindest ganz kurz davor, sie zu besitzen).

3sat geht da allerdings noch ein Stück weiter: In einem Beitrag der Sendung “Kulturzeit”, der die These aufstellt, eine Weltregierung könne womöglich die Probleme des Planeten lösen, heißt es über den Auftritt des damaligen US-Außenministers Colin Powell vor der UNO:

Schamlos behauptete er, der Irak besitze abschussbereite Atomwaffen.

Damit soll die These des Beitrags untermauert werden, dass Organisationen wie die UNO “hemmungslos hinters Licht geführt” werden, um Kriege anzetteln zu können (nachzulesen u.a. auch bei 3sat.de).

Was 3sat ihm da unterstellt, hat Powell bei seiner Rede vor der UNO am 5. Februar 2003 aber dann doch nicht getan. Powell sprach lediglich davon, dass der damalige Diktator entschlossen sei, sich Atomwaffen zu besorgen und dass er bei der Entwicklung solcher Waffen anscheinend verhältnismäßig weit fortgeschritten sei. Vom Besitz “abschussbereiter Atomwaffen” war in Powells ganzer Rede vor der UNO nicht die Rede.

Mit Dank an Henryk G.

Papst, Archive, Boris Becker

1. Der Papst und die jordanische Pressefreiheit
(www.andremarty.com, André Marty)
Der Papst besucht Jordanien als erste Station seiner Pilgerreise durch den Nahen Osten. Doch nur wenige Journalisten werden frei darüber berichten. Die überwältigende Mehrheit der jordanischen Journalisten “übt sich in Selbstzensur”.

2. Zeitungen veröffentlichen hunderte Jahre alte Artikel online
(nzz.ch, Heribert Seifert)
Heribert Seifert hat sich durch die Online-Archive verschiedenster Zeitungen geklickt und ist fasziniert. So berichtet die “TIMES” über die französische Revolution nur auf den hinteren Seiten. Wichtiger schienen damals Kleinanzeigen und Hofnachrichten zu sein.

3. Boris Becker gründet eigenes Web-TV-Portal
(www.sueddeutsche.de, Christopher Keil)
Boris Becker vermarktet Fotos und Videos künftig über ein eigenes Portal. Bild-Zeitung und RTL helfen dabei. Sogar ein Blog möchte der ehemalige Tennispieler schreiben und dort “persönlich Auskunft geben”. Bleibt abzuwarten, ob er tatsächlich selber bloggen wird.

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Tagesschau, UBS, Zeitungsgründung

1. Gratwanderung bei der Tagesschau
(blog.tagesschau.de, Dr. Kai Gniffke)
Dr. Kai Gniffke, Chefredakteur von ARD-aktuell, berichtet von der Schwierigkeit abzuwägen, “wie viel man den Zuschauern (…) einerseits zumuten kann, und andererseits zeigen muss. Beispiel für diese “Gratwanderung” sei ein Beitrag in der Tagesschau von 20 Uhr, in der ein schwer verbranntes Kind gezeigt wurde.

2. Die UBS und “die magische Kraft der drei Buchstaben”
(medienspiegel.ch, Fred David)
Fred David berichtet über eine “Schweigespirale” in den Schweizer Medien, die insbesondere im aktuellen Umgang mit der UBS zu erkennen sei. Die wirtschaftliche Abhängigkeit von der UBS führe zu einem vorauseilendem Gehorsam gegenüber einem der grössten Anzeigenkunden.

3. Zeitungsgründung trotz Krise
(taz.de, Daniel Bouhs)
Mitten in der Zeitungskrise startet in Portugal eine neue politische Tageszeitung namens “I”. Daniel Bouhs findet besonders bemerkenswert, dass dort eine Einteilung in gewohnte Ressorts nicht mehr stattfindet. Die Nachrichten würden zu “Meldungshäppchen”, der Fokus liege auf Meinungen und Dossiers.

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Vernichtung Israels kurzfristig verschoben

Die Meldung, die der Nahost-Korrespondent des deutschen Nachrichtensenders n-tv aufgetan hatte, war ein ziemlicher Knaller. Der Iran habe angekündigt, Israel in den nächsten Tagen anzugreifen und zu vernichten, berichtete Ulrich W. Sahm am Sonntag:

Sahm scheint der einzige Journalist gewesen zu sein, der von der unmittelbar bevorstehenden Vernichtung Israels erfahren hatte, aber es fanden sich zahlreiche Menschen, die ihm glaubten und glauben wollten. Seine Meldung wurde von der rassistischen Islam-Hass-Seite “Politically Incorrect” sowie dem bekannten “Spiegel”-Autor Henryk M. Broder und seinem publizistischen Netzwerk “Die Achse des Guten”* schnell verbreitet.

Sie stimmt bloß nicht.

Gesagt hatte der iranische Generalstabschef Oberbefehlshaber Atallah Salihi nach Angaben des “Middle East Media Research Institute”:

“In Wahrheit fehlt Israel der Mut, uns anzugreifen. Wenn wir von Israel angegriffen werden, glaube ich nicht, dass wir mehr als elf Tage brauchen, um Israel zu vernichten.”

Salihi spricht ausdrücklich nicht von einem eigenen Angriff, sondern der Reaktion auf einen Angriff auf den Iran.

Inzwischen scheint das auch jemand Ulrich Sahm erklärt zu haben. Klammheimlich, ohne jeden Hinweis, hat n-tv.de den Artikel grundlegend geändert. Die Überschrift ist zwar weiterhin: “‘Zerstörung in elf Tagen’ — Iran bedroht Israel”. Die Nachricht lautet aber nur noch:

Der Iran hat erstmals angegeben, in welchem Zeitraum es [sic] die Zerstörung Israels im Falle eines bewaffneten Konfliktes für möglich hält. (…)

Nach Angaben eines n-tv-Sprechers ist Sahms Meldung nur online und nicht im Fernsehen gelaufen.

Mit Dank an Arne Hoffmann.

*) Sahm ist übrigens Gastautor bei der “Achse des Guten”.

Nachtrag, 19.00 Uhr. Per Mail wirft Sahm uns vor, Salihis Zitat “gekürzt und verfälscht” zu haben. Der iranische General habe ausdrücklich gesagt, dass nicht nur Israel, sondern die “Existenz Israels” ausgelöscht werden sollte. Sahm fragt: “Hat es einen Grund, dass Sie das Wort ‘Existenz’ wegzensiert haben?”

Die Antwort lautet: Nein.

Guardian, BNO News, Markwort

1. Zu Besuch beim “Guardian”
(blog.handelsblatt.de/indiskretion, Thomas Knüwer)
Thomas Knüwer besucht den “Guardian” in London und ist angetan: “So werden Medienhäuser der Zukunft aussehen”. Vor allem die Audio- und Video-Infrastruktur des “Guardian” sei aussergewöhnlich gut ausgebaut.

2. Wie ein Niederländer etablierte Nachrichtenagenturen aufmischen will
(axel-springer-akademie.de, Thomas Wanhoff)
Michael van Poppel kennt wohl kaum jemand, sein Twitter-Dienst @breakingnews wird hingegen von 330.000 Abonennten gelesen. Und der gelernte Journalist plant Grosses: BNO News soll profitabel und zu einem vollwertigen Nachrichtendienst ausgebaut werden.

3. Uli Hoeness, Helmut Markwort und die Internet-Situation
(probek.net, Kai Lorentz)
Bayern-Manager Uli Hoeness spricht im “Sonntags-Stammtisch” des Bayrischen Rundfunks über die Gefahren des Internets und hätte wohl besser geschwiegen. Und Focus-Chef Helmut Markwort hält so ziemlich alle, die im Internet publizieren (und nicht für klassische Medien schreiben) für “Narren die an Klowände schreiben”.

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AP  etc.

Im Rausch der schlechten Zahlen

Wie Politiker Köder auslegen und Medien anbeißen. Ein Schauspiel in drei Akten.

I. Akt.

Sabine Bätzing, die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, hat ein Problem: Ihr Drogen- und Suchtbericht 2009 [pdf] enthält fast nur gute Nachrichten. Die Zahl der Jugendlichen, die mindestens einmal pro Woche Alkohol trinken, sei zurückgegangen. Und die Zahl der Jugendlichen, die im letzten Monat mindestens einmal mehr als vier Gläser mit Alkohol hintereinander getrunken haben, auch.

Nur gute Nachrichten sind aber nicht so gut, um in die Medien zu kommen und sich im Wahlkampf zu profilieren, und so betonte Bätzing in ihrer Pressemitteilung gestern einen negativen Aspekt:

2007 wurden 23.165 Kinder und Jugendliche zwischen 10 und 20 Jahren aufgrund einer Alkoholvergiftung stationär im Krankenhaus behandelt. Das ist die höchste Zahl seit der Ersterhebung im Jahr 2000 und entspricht einer Zunahme um 143 %.

Das ist allerdings, genau genommen, keine schlechte Neuigkeit, sondern gar keine. Diese Zahlen hatte Bätzing schon Ende Januar bekannt gegeben. Bätzing hat sie einfach noch einmal veröffentlicht und mit Vorwürfen gegen den Koalitionspartner verbunden.

II. Akt.

Wir erinnern uns: Es trinken weniger Jugendliche Alkohol, es betrinken sich weniger Jugendliche. Und was schreiben die Nachrichtenagenturen?

AP meldet:

Der Alkoholkonsum unter Jugendlichen hat dramatisch zugenommen. (…) Vergangenes Jahr kamen mehr als 23.000 Kinder und Jugendliche mit Vollrausch und teils bewusstlos ins Krankenhaus.

Nein. Der Alkoholkonsum ist zurückgegangen. Und die Zahl der Krankenhauseinweisungen stammt aus 2007.

dpa:

Das Koma-Trinken von Jugendlichen in Deutschland wird immer exzessiver. Mehr als 23.000 Kinder seien im Jahr 2007 “zum Teil bewusstlos in die Notaufnahmen eingeliefert worden”, sagte die Bundesdrogenbeauftragte Sabine Bätzing (SPD) am Montag bei der Vorstellung des neuen Drogenberichts in Berlin. Das waren so viele wie nie zuvor.

Immerhin: dpa hat erkannt, dass die Zahl aus dem Jahr 2007 stammt.

AFP:

Exzessives Trinken unter Jugendlichen hat im vergangenen Jahr abgenommen, bleibt aber weit verbreitet. Laut dem am Montag in Berlin vorgelegten Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung sank der Anteil der Jugendlichen, die sich einmal im Monat in den Rausch trinken, 2008 um fünf Punkte auf gut 20 Prozent. Bei jedem Zwölften sei die getrunkene Menge reinen Alkohols allerdings riskant oder regelrecht gefährlich. (…)

Auch die bereits früher veröffentlichte Zahl der Jugendlichen mit Alkoholvergiftung illustriere das Ausmaß des Problems, erklärte die Drogenbeauftragte der Bundesregierung Sabine Bätzing (SPD). 2007 waren mehr als 23.000 junge Leute im Alter zwischen zehn und 20 Jahren wegen einer Alkoholvergiftung stationär im Krankenhaus behandelt worden — anderthalb Mal mehr als noch 2000.

AFP weist sogar darauf hin, dass diese Zahl schon “früher” veröffentlich wurde. Vorbildlich.

Aber welche der drei Varianten ist die attraktivste für die Medien?

III. Akt.

“Bild” titelt auf Seite 1:

Die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” beginnt ihren Artikel mit dem höchst irreführenden Satz:

Immer mehr Minderjährige in Deutschland haben ein Alkoholproblem.

Die vermeintlich seriöse “Tagesschau” formuliert:

Immer mehr Kids geben sich die Kante bis zum Krankenhaus.

(Und Sabine Bätzing behauptet danach vor der Kamera, die entsprechenden Zahlen seien aus dem vergangenen Jahr.)

Peter Kloeppel sagt am Anfang von “RTL aktuell”:

Im vergangenen Jahr haben sich schon mehr als 23.000 Teenager ins Krankenhaus getrunken. Besonders gefährdet sind inzwischen junge Mädchen.

Das mit den Mädchen stimmt — ist aber auch eine Erkenntnis, die vier Monate alt ist.

Online-Angebote wie heute.de melden:

Ernüchternde Bilanz: Trotz Aufklärungsbemühungen gehört Koma-Saufen bei immer mehr Jugendlichen in Deutschland zum Alltag. Über 23.000 Zehn- bis Zwanzigjährige wurden 2007 teils bewusstlos betrunken ins Krankenhaus gebracht – so viele wie nie zuvor.

…und merken nicht, dass sie genau das schon im Januar gemeldet haben.

Die “Welt” titelt heute:

Komasaufen bei Jugendlichen so verbreitet wie nie

Grundlage dafür sind die selben Zahlen, die die “Welt” schon vor vier Monaten titeln ließen:

Mehr Jugendliche mit Alkoholvergiftungen als je zuvor

Keine Frage: Die Zahl jugendlichen Komasäufer ist erschreckend hoch, und es spricht einiges dafür, dass sie auch im vergangenen Jahr zugenommen hat. Noch schneller steigt allerdings die gefühlte Zahl der jugendlichen Komasäufer — mit jedem Mal, das die Medien dieselben Zahlen als “mehr denn je” und “soviel wie nie” verkaufen.

Mit großem Dank an Klaus!

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