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Ja, wie nur?

Heute vor 30 Jahren begannen die rassistisch und fremdenfeindlich motivierten Angriffe in Rostock-Lichtenhagen. Die Attacken richteten sich damals gegen die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber sowie ein Wohnheim für frühere vietnamesische DDR-Vertragsarbeiter.

Bild.de fragt heute:

Screenshot Bild.de - Rechtsextreme Ausschreitungen starteten heute vor 30 Jahren - Wie konnte es zu den Krawallen in Lichtenhagen kommen?

Die wichtigste Frage bei der Aufarbeitung der schrecklichen Ereignisse von 1992 bleibt bis heute: Wie konnte es damals überhaupt so weit kommen?

Als Antwort präsentiert der Artikel gleich mehrere Gründe beziehungsweise Schuldige:

  • die verlorene Arbeit, “Verunsicherung, Perspektivlosigkeit und auch Frust” der Menschen in Rostock-Lichtenhagen
  • die Landesregierung aus CDU und FDP
  • Rostocks Oberbürgermeister Klaus Kilimann
  • Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lothar Kupfer
  • Schlepper, die “auf LKW immer neue Ausländer nach Lichtenhagen” “karrten”
  • “die Politik”
  • die “überforderte Polizei”

Und irgendwie klingt es auch so, als hätten “die mittellosen Asylanten”, die damals in Rostock kampierten, eine Mitschuld am “Frust der Anwohner”:

Die mittellosen Asylanten schliefen unter Decken und Planen auf Wiesen und in Vorgärten. Ihre Notdurft verrichteten sie – aufgrund fehlender Toiletten – im Freien. Der Frust der Anwohner verstärkte sich. Mit ihren Problemen wurden sie alleingelassen.

Was in dem Bild.de-Artikel jedenfalls an keiner Stelle erwähnt wird: die Rolle der Medien damals, speziell die von “Bild”. Daher hier ein kleiner Ausschnitt aus der “Bild”-Berichterstattung im Jahr 1992:

Ausriss Bild-Zeitung - Der Schreckens-Asylant
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)

Die “Bild”-Redaktion schrieb damals auf der Titelseite:

Wir haben uns lange gefragt, ob wir Ihnen diese Geschichte schildern. Es geht um beispiellosen Mißbrauch des Asylrechts. Aber dieser Fall – er wurde uns von einer deutschen Behörde offziell mitgeteilt – ist kein Einzelfall, sondern ein Dokument. Es beweist, daß der Streit der Politiker um die Asylproblematik jetzt ganz schnell aufhören muß – es muß gehandelt werden. Der Mann, der im Mittelpunkt dieser Geschichte steht, heißt Henry […]. Er ist 41, stammt aus Ghana. Sein Foto zeigen wir aus naheliegenden Gründen nicht – zu aufgeheizt ist die Asyldiskussion. […] Zweimal wurde er ausgewiesen – er kam wieder. Auch jetzt lebt [Henry] wahrscheinlich wieder illegal unter uns. Der Schreckens-Asylant.

Und so ging es weiter bei “Bild”:

Ausriss Bild-Zeitung - Miet-Hai ekelt Deutsche raus - für Asylanten
Ausriss Bild-Zeitung - Die Flut steigt - wann sinkt das Boot? Fast jede Minute ein neues Asylant
Ausriss Bild-Zeitung - Motiv Sex - Falscher Asylant erschlug neun Frauen
Ausriss Bild-Zeitung - Deutsches Essen schlecht - Asylanten im Hungerstreik

Auch nach den Ereignissen in Rostock-Lichtenhagen setzte die “Bild”-Redaktion ihre Art der Berichterstattung fort:

Ausriss Bild-Zeitung - Asylanten jetzt auf Schulhöfe - Neue Welle - und bis Weihnachten kommen noch 400000
Ausriss Bild-Zeitung - Asylanten jetzt auch in Büros
Ausriss Bild-Zeitung - Neue Asylantenschwemme - Kommen zwei Millionen Russen?

Keine drei Wochen, nachdem in Rostock-Lichtenhagen das Wohnheim der Vietnamesen mit Molotowcocktails in Brand gesteckt wurde, am 8. September, brachte die “Bild”-Redaktion diese Titelstory:

Ausriss Bild-Zeitung - Wohnraum beschlagnahmt - Familie muss Asylanten aufnehmen

Zwei Tage später löste die “taz” die “Bild”-Geschichte auf:

Was wirklich geschah: Familie Stegmann, Vater, Mutter und drei erwachsene Kinder, lebten in Lemförde bei Bremen in einer Sieben-Zimmer-Wohnung für 515 Mark kalt. Wegen Eigenbedarf mußten sie ausziehen. Die Gemeinde wies ihnen vorübergehend Räume in einem Obdachlosenhaus in der Pommernstraße zu. Obdachlose haben keine Mietverträge und müssen zweimal monatlich Wohnungssuche nachweisen. Stegmanns leben von drei Einkommen und einer Arbeitslosenunterstüzung. “Wir konnten uns bisher zu keiner neuen Wohnung entschließen”, so Frau Stegmann zur taz, “da uns 1.000 bis 1.200 Mark Miete zuviel sind.”

Gemeindedirektor Petering hat die Unterbringung der beiden polnischen Asylsuchenden in einem Zimmer der Pommernstraße verfügt. Im Zuge der Unterbringung von Obdachlosen und Flüchtlingen ein völlig üblicher Vorgang. […] Stegmanns bewohnen drei Räume. Allen Bewohnern steht mehr Platz zur Verfügung, als die vom Gesetz knapp bemessene Quadratmeterzahl. Bild weiß das! Zieht es aber vor, unberechtigte Ängste zu schüren und damit die alltägliche Hetze gegen Ausländer fortzusetzen. Dieses Blatt könnte der Fidibus am nächsten Molotowcocktail gegen ein Asylbewerberheim sein.

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Offener Klau

In “Bild am Sonntag” ist gestern unter anderem diese Seite erschienen:

Ausriss Bild am Sonntag - Zu sehen ist die komplette Seite 6 der Bild am Sonntag von gestern - Überschrift des Aufmachers - 7800 Euro netto sind eher wenig für einen Bürgermeister

Rechts ein bisschen was zum rbb, die Wahlumfrage “Sonntagstrend” sowie eine Aussage des Bundesbank-Präsidenten zur Inflation. Den größten Teil der “BamS”-Seite macht aber eine Geschichte über einen Bürgermeister einer ostdeutschen Kreisstadt aus, der anonym von seinem Verdienst im Amt erzählt.

Auf der Website der “Leipziger Volkszeitung” (“LVZ”) ist am Freitag dieser Artikel erschienen (nur mit Abo lesbar):

Sreenshot der Leipziger Volkszeitung - Kassensturz - Bürgermeister verdient 10.000 Euro im Monat - und findet das zu wenig für den Job

Darin erzählt ein Bürgermeister einer ostdeutschen Kreisstadt anonym von seinem Verdienst im Amt. “LVZ”-Reporter Josa Mania-Schlegel hat für seinen Beitrag die journalistische Form des Protokolls gewählt: Man spricht mit einer Person und gießt das daraus entstandene Interview in einen Fließtext in der Ich-Form. Es entsteht also eine lange zusammenhängende Aussage des Protagonisten. Meist folgt dann noch eine Autorisierung durch die Person, mit der man gesprochen hat. Es ist einiges an Arbeit, ein journalistisches Protokoll zu schreiben.

“Bild am Sonntag” hat das Protokoll, das zuvor online bei der “LVZ” erschienen ist, einfach zu einem “offenen Brief” des Kommunalpolitikers umgewidmet und sich daran bedient. Und das nicht nur punktuell mit ein paar Zitatfetzen, die die Redaktion in einem eigenen Fließtext eingebettet hat; der “BamS”-Artikel besteht zu über 80 Prozent aus dem “LVZ”-Protokoll. Dutzende Zeilen hat die Redaktion wortwörtlich übernommen. Bei den von uns gelb eingefärbten Stellen handelt es sich um die Aussage des Bürgermeisters, die ursprünglich bei der “LVZ” erschienen ist:

Ausriss Bild am Sonntag - Zu sehen ist erneut die komplette Seite 6 der Bild am Sonntag von gestern dieses Mal mit Markeirung der von der LVZ übernommenen Stellen

Das “BamS”-Team hat lediglich eine kurze Einleitung verfasst (darin auch ein Verweis auf die “Leipziger Volkszeitung”), zwei knappe Anmerkungen eingefügt und das Protokoll an manchen Stellen etwas gekürzt. Das war’s. “LVZ”-Chefredakteurin Hannah Suppa sieht im Vorgehen der “BamS”-Redaktion einen “Klau unserer Protokoll-Form”:

Sreenshot eines Tweets von Hannah Suppa - So kriegt man Seiten in der Bild am Sonntag auch voll: Einfach mal den Text von Josa Mania-Schlegel von der Leipziger Volkszeitung wörtlich kopieren und so tun als sei der Klau unserer Protokoll-Form ein Zitat. Aber freut uns, dass der Text anscheinend gefallen hat.

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rbb honoriert Nichtstun, ARD ohne Vertrauen, Bürgermeister attackiert

1. Freigestellter Manager kostet den RBB über 700.000 Euro
(dwdl.de, Alexander Krei)
Beim rbb will einfach keine Ruhe einkehren. Nach den zahlreichen Vorwürfen gegen Ex-Intendantin Patricia Schlesinger und andere Personen aus der Leitungsetage, stellt sich nun heraus, dass der ehemalige Chef von rbb Media noch bis zum Renteneintritt und anscheinend ohne Gegenleistung Gelder kassiert. 300.000 Euro habe er bislang schon fürs Nichtstun bekommen, von noch ausstehenden 400.000 Euro ist die Rede. Alexander Krei erklärt, was es mit den ominösen Zahlungen auf sich hat, und berichtet von einer Fragen aufwerfenden Liebesbeziehung.

2. ARD ohne Vertrauen in RBB-Führung
(taz.de)
Die restliche ARD entzieht der rbb-Geschäftsleitung ihr Vertrauen. “Wir, die Intendantinnen und Intendanten der ARD, haben kein Vertrauen mehr, dass der geschäftsführenden Leitung des Senders die Aufarbeitung der diversen Vorfälle zügig genug gelingt”, so ARD-Chef Tom Buhrow am Samstag. Damit wachse der Druck auf das rbb-Führungsteam rund um den geschäftsführenden Intendanten Hagen Brandstäter, die Ämter niederzulegen. Die Vorsitzende des rbb-Rundfunkrats, Friederike von Kirchbach, ist bereits zurückgetreten.

3. Thüringer Bürgermeister attackiert Journalist heftig
(morgenpost.de, Marius Koity & Elmar Otto & Christian Unger)
Ein Reporter der zur Funke Mediengruppe gehörenden “Ostthüringer Zeitung” ist beim öffentlichen Empfang auf einem Stadtfest vom dortigen Bürgermeister an der Arbeit gehindert und körperlich attackiert worden. Dem Journalisten sei aufgefallen, dass die Stadt auch einen bekannten Reichsbürger eingeladen hatte. Anscheinend störte sich der Bürgermeister, der in der Vergangenheit Corona als “Lüge” der Regierung bezeichnet habe und unlängst nur knapp der Abwahl entgangen sei, an entsprechenden Nachfragen und ging zum Angriff über.

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4. Fact Checking bei Investigativ-Recherchen: Ein Guide
(netzwerkrecherche.org, Nils Hanson)
Das Netzwerk Recherche veröffentlicht einen übersetzten Beitrag des preisgekrönten schwedischen Investigativreporters Nils Hanson zum Thema Faktencheck bei Investigativ-Recherchen. Hanson nennt zunächst drei unumgänglichen Checkpoints und verrät dann seine zehn Tipps zum Faktencheck. Sein Fazit: “Investigativ-Beiträge Zeile für Zeile zu redigieren, ist mühsam, aber es lohnt sich. Denn du wirst vermutlich nicht mitten in der Nacht schweißgebadet aufwachen, weil du fürchtest, falsch berichtet zu haben. Stattdessen kannst du ruhig schlafen in dem Wissen, alles getan zu haben, um das Risiko eines Fehlers zu minimieren.”

5. Worin liegt der Reiz des Podcasts für einen Textverliebten, Nils Minkmar?
(turi2.de)
Beim Medienportal “turi2” finden derzeit die Podcast-Wochen statt mit vielen Beiträgen rund um das boomende Medium. Aktuell erklärt der Journalist und Podcaster Nils Minkmar, worin für ihn der Reiz des Formats liegt: “Podcasten macht nur Spaß, wenn man es in guter Gesellschaft tut, mit der man auch mal anderer Meinung sein kann. Und ohne allzu enge Vorgaben, jede Vorsicht oder Vorgabe verdirbt die Sache. Denn Podcasten ist eine Ausübung unserer Freiheit. Und die gibt es nicht ohne Risiko.”

6. Wie wir betrogen wurden (-45.000€)
(youtube.com, Simplicissimus, Video: 9:41 Minuten)
Die Macher des ehemals zum öffentlich-rechtlichen “Funk”-Kosmos gehörenden Youtube-Kanals “Simplicissimus” berichten, wie Betrüger ihre Mail-Kommunikation abgefangen, dessen Ausdrucksweise imitiert und sich rund 45.000 Euro erschwindelt haben. Ein spannender Betrugsfall, der zeigt, wie angreifbar elektronischer Schriftverkehr ist.

KW 33/22: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. Ist der rbb noch zu retten?
(uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 37:45 Minuten)
Holger Klein unterhält sich im “Übermedien”-Podcast mit Medienkritiker Stefan Niggemeier über die Causa Schlesinger: “Was ist seit dem Rücktritt der rbb-Intendantin passiert? Wie sehr rückt jetzt die ganze Geschäftsführung ins Visier? Hat man in der Leitung immer noch nicht erkannt, wie groß das Problem ist? Wie geht der rbb mit den Vorwürfen um? Und welche Konsequenzen müssen aus dem Debakel gezogen werden?”

2. Recherchen gegen den eigenen Sender – Journalismus in der ARD-Krise
(ardaudiothek.de, Bettina Schmieding, Audio: 35:46 Minuten)
Auch beim Deutschlandfunk geht es um die entlassene rbb-Intendantin Patricia Schlesinger: Welche Antworten muss der öffentlich-rechtliche Journalismus auf diese Krise finden? Und wie ist das, gegen das eigene Haus zu recherchieren? Jo Goll vom rbb-Rechercheteam, Jochen Becker vom NDR-Medienmagazin “Zapp” sowe Brigitte Baetz und Bettina Schmieding aus der Deutschlandfunk-Medienredaktion diskutieren darüber.

3. Annette Dittert, Auslandskorrespondentin und Leiterin ARD-Studio London
(medienmacherin.podigee.io, Freddie Schürheck, Audio: 33:20 Minuten)
“Wie ist es, als Auslandskorrespondentin 24/7 erreichbar sein zu müssen? Warum ist London für Journalist*innen spannender als New York? Und warum schläft Annette Dittert im Winter mit Handschuhen und Mütze im Bett?” Diese und weitere Fragen bespricht Freddie Schürheck mit Auslandskorrespondentin Annette Dittert, die das ARD-Studio in London leitet.

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4. Der Spiegel mit Stefan Ottlitz und Torben Sieb
(youtube.com, Alexander Graf, Video: 1:16:45 Stunden)
“Was treibt die Entwicklung beim Spiegel? Wie funktioniert das Geschäftsmodell? Wie soll man umgehen mit false balance? Wie bewährt sich das Spiegel+ Modell?” Alexander Graf spricht darüber mit Stefan Ottlitz, Geschäftsführer, und Torben Sieb, Vertriebsleiter des “Spiegel”-Verlags.

5. Michel Abdollahi – “Ich wusste bis vor einigen Jahren nicht, dass ich nicht weiß bin.”
(aufsteigerinnen.podigee.io, Tijen Onaran, Audio: 32:54 Minuten)
Michel Abdollahi wurde einem größeren Publikum bekannt, als er für den Dokumentarfilm “Im Nazidorf” für einen Monat in das nordwestmecklenburgische Jamel zog und in “eine Welt zwischen Volkszorn und Freundlichkeit” eintauchte. Im Podcast “Aufsteiger*innen” erzählt er von seinem Werdegang, von seinen ersten Schritten auf die Bühnen und in die Studios und er verrät, was seine Eltern von seiner beruflichen Entwicklung halten.

6. Überall Krimi – Der True Crime-Boom in den Medien
(sr-mediathek.de, Isabel Sonnabend & Michael Meyer, Audio: 18:13 Minuten)
Bei “Medien – Cross und Quer” sprechen Isabel Sonnabend und Michael Meyer mit der Fernsehkritikerin Jenni Zylka über den anhaltenden True-Crime-Boom: “Woher kommt dieser Hype, was macht eigentlich einen guten Krimi und True-Crime-Podcast aus, und wie entwickelt er sich?”

Balken für den Verdächtigen, Pixel für das Kind, nichts für das Opfer

In Hamburg läuft seit Donnerstag ein Prozess gegen einen Mann, der im Februar dieses Jahres seine damalige Lebensgefährtin erstochen haben soll. Ob der Tatverdächtige überhaupt voll schuldfähig ist, ist wegen einer möglichen posttraumatischen Belastungsstörung bislang nicht sicher.

Bild.de und die Hamburg-Ausgabe der “Bild”-Zeitung berichten heute größer über den Prozessauftakt. Während im Text mehrere “soll”s noch die Unschuldsvermutung garantieren, gibt es auf der Bild.de-Startseite schon einen Schuldspruch:

Screenshot Bild.de - Mutter (25) seiner Tochter mit acht Stichen getötet! - Plötzlich rammte M. (35) ihr das Messer in den Hals

Sowohl online als auch in der gedruckten Zeitung zeigen die “Bild”-Medien das Gesicht des Opfers ohne irgendeine Verpixelung. Der Tatverdächtige hat einen Augenbalken verpasst bekommen. Beim Kind der beiden wurde das Gesicht von “Bild” verpixelt. Alle weiteren Unkenntlichmachungen im Screenshot oben stammen von uns.

Als Quelle des Fotos, das Bild.de auch schon im Februar verwendet hat (auch damals mit Augenbalken für den Verdächtigen, Verpixelung für das Kind, nichts für das Opfer), gibt die Redaktion “Foto: Repro:” sowie den Namen des “Bild”-Reporters an. Das ist in solchen Fällen häufig ein Hinweis darauf, dass der jeweilige Fotograf ein von Trauernden in der Öffentlichkeit aufgestelltes Bild abfotografiert hat. In einem ähnlichen Fall, nachdem “Bild” Fotos von Opfern des Germanwings-Unglücks auf einem Marktplatz abfotografiert und veröffentlicht hatte, erkannte der Deutsche Presserat darin einen Verstoß gegen den Pressekodex: Die “Bild”-Redaktion erhielt eine Rüge, weil das Aufstellen der Fotos, auch wenn es an einem öffentlichen Ort passierte, “nicht für die Medienöffentlichkeit und ohne Zustimmung der Abgebildeten oder Angehörigen” geschah.

Herz für Verfassungsfeinde?, Janich, Pressefreiheit nur für Gedrucktes?

1. CDU-Generalsekretär fordert Untersuchungsausschuss zur RBB-Affäre
(tagesspiegel.de, Kurt Sagatz & Hannes Heine & Alexander Fröhlich & Benjamin Lassiwe)
Wenn es nach dem Willen des CDU-Generalsekretärs Mario Czaja geht, könnte es bald schon im Berliner Abgeordnetenhaus einen Untersuchungsausschuss zu den Vorgängen beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) geben. “Offenbar lebte die RBB-Spitze in einem fragwürdigen System, einer gefährlichen Geschäftskultur. Das sollte ein Untersuchungsausschuss aufklären”, so Czajas Begründung. Derweil sei im Intranet des RBB eine von Chefredakteur David Biesinger und der Compliance-Beauftragten Anke Naujock-Simon unterzeichnete Drohung an Whistleblower erschienen, keine internen Daten an Journalisten und Journalistinnen herauszugeben – auch nicht an solche, die für den RBB tätig seien, berichtet der “Tagesspiegel”.

2. “Welt”: Ein Herz für Verfassungsfeinde?
(volksverpetzer.de, Annika Brockschmidt)
Die “Welt” veröffentlichte unlängst ein Interview mit einem Abgeordneten des argentinischen Parlaments, der auch als künftiger Präsidentschaftskandidat gehandelt wird – dem rechtslibertären Javier Milei. Die Zeitung habe es Milei ermöglicht, seine menschenfeindlichen Äußerungen ohne Kontext wiederzugeben, kritisiert Annika Brockschmidt. “Welt”-Chef Ulf Poschardt und die Redakteurin Anna Schneider schienen sogar ganz begeistert von den Ansichten des “Anarcho-Kapitalisten”, der häufig mit Donald Trump und Jair Bolsonaro verglichen wird. Brockschmidt hat aufgeschrieben, warum sie das Vorgehen der “Welt” für gefährlich hält.

3. FragDenStaat ist jetzt offiziell Presse
(fragdenstaat.de, Arne Semsrott & Aiko Kempen & Hannah Vos)
Die Pressefreiheit gilt nun auch für “FragDenStaat”. Allerdings nicht wegen der journalistischen Arbeit der Transparenzinitiative, sondern weil die Macherinnen und Macher zum Beleg ihrer Presseeigenschaft einige ihrer Recherchen ausgedruckt und zu einem Druckerzeugnis gebündelt haben. So hat jedenfalls das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg entschieden.

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4. Liebling, ich habe den Konzern geschrumpft: Rabe muss liefern
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
Bei RTL gab es am Mittwoch einen Personalwechsel an höchster Stelle: Der bisherige Co-CEO Stephan Schäfer geht, Thomas Rabe übernimmt. Keine leichte Aufgabe, wie Thomas Lückerath findet: “Thomas Rabe übernimmt RTL Deutschland nicht aus einer Position der Stärke. Viel mehr ist es der Versuch aufzuräumen, was er angerichtet hat.” Aber auch andere TV-Sender würden gerade schwierige Zeiten erleben, so Lückerath: “ARD, Seven.One und RTL Deutschland stehen aus unterschiedlichsten Gründen vor unterschiedlichen Herausforderungen. Und was ist eigentlich mit dem ZDF? Aus Mainz hört man in diesen Wochen nicht viel, was einerseits daran liegen könnte, dass man dem Wettbewerb inzwischen so weit enteilt ist, dass das laute Lachen vom Lerchenberg über den großen Abstand zum Rest des Feldes verhallt. Oder aber die Mainzelmännchen checken gerade noch einmal ganz genau alle Verträge und Quittungen im Haus.”

5. Frank Plasberg gibt seine Talkshow auf
(faz.net)
Nach fast 22 Jahren und knapp 750 Sendungen gibt Frank Plasberg seinen Moderationsjob bei “hart aber fair” an Louis Klamroth ab. Dieser sei laut WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn “ein kluger und sensibler Beobachter unserer Gesellschaft”. “hart aber fair” werde “sich ändern und doch dem wichtigsten Grundsatz treu bleiben: dass in der Sendung Politik auf Wirklichkeit trifft und sich dabei erklären und bewähren muss.”

6. Das ist Oliver Janich
(deutschlandfunk.de, Pia Behme & Annika Schneider)
Der Politikwissenschaftler und Verschwörungs-Experte Josef Holnburger kommentiert im Deutschlandfunk die Festnahme des Verschwörungsideologen Oliver Janich auf den Philippinen. Die genauen Hintergründe seien noch unklar. Außerdem stehe nicht fest, ob Janich tatsächlich nach Deutschland überstellt werde. In der Verschwörungs- und Unterstützerszene herrsche jedoch große Betroffenheit: “Die reichweitenstärkste Sprachnachricht, in der verkündet wurde, dass Oliver Janich verhaftet wurde, wurde mehr als 400.000-mal aufgerufen”, so Holnburger.

16 Anwälte, Schröders Büro ist eine Behörde, Janich festgenommen

1. 16 Anwälte vertreten RBB in Causa Schlesinger
(t-online.de)
In der Auseinandersetzung mit seiner ehemaligen Intendantin Patricia Schlesinger bringt der rbb offenbar sage und schreibe 16 Anwälte in Stellung. Beim “Tagesspiegel” fragt Kurt Sagatz ungläubig: “Mehr als eine Million Euro allein für Anwaltshonorare?” Unterdessen hat die rbb-Geschäftsleitung ihre Gehälter und Bonuszahlungen offengelegt, die Bezüge der abberufenen Intendantin Schlesinger jedoch nicht publik gemacht. Bei “DWDL” berichtet Thomas Lückerath von einer weiteren Auswirkung des Schlesinger-Skandals: “ARD Media sagt exklusives Werbekunden-Dinner ab”. Für das Medienmagazin “Zapp” ist Caroline Schmidt nach Berlin gereist und hat sich bei rbb-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern erkundigt, wie sie mit dem zwangsläufig entstandenen Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsverlust umgehen. Außerdem gibt es von “Zapp” eine halbstündige Sondersendung: Der Fall Schlesinger und die Folgen: “Wie konnte es dazu kommen, dass fragwürdige Beraterverträge, dienstlich abgerechnete Abendessen in der Privatwohnung und eine luxuriöse Büro-Ausstattung offenbar weder im RBB selbst noch in den Aufsichtsgremien auffielen?” (ndr.de, Kathrin Drehkopf, Video)

2. Schrö­ders Büro ist eine eigene Behörde
(lto.de)
Das Bundeskanzleramt muss dem Journalisten Arne Semsrott (“FragDenStaat”) keine Auskunft darüber erteilen, welche Gesprächstermine das Büro von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder in den Jahren 2019 bis 2022 vereinbart hat. Das entschied das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg. Schröders Büro sei eine “eigenständige Behörde”.

3. Keine “Staungeschichten”: Anbieter von Wissenschaftsinformationen im Check-up
(fachjournalist.de, Gunter Becker)
Für den “Fachjournalist” hat Gunter Becker zwei Wissenschafts-Informationsdienste für Medienschaffende unter die Lupe genommen: das Science Media Center sowie den Informationsdienst Wissenschaft. Was bieten sie? Wie kann man damit arbeiten? Und wie gelangt man an einen Zugang?

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4. “Totales Desaster” für die gesamte Buchbranche
(buchmarkt.de, Gerhard Beckmann)
Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels sollte sich unbedingt gegen die Aufnahme von Amazon entscheiden, findet Gerhard Beckmann. Dem Unternehmen müsse vielmehr entschlossen entgegengetreten werden: “Heute bedarf es in der Bundesrepublik eines entschiedenen, konsequenten Vorgehens der Verlage und des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels gegen Amazon, gegen ein sich selbst als ‘Technologie’-Konzern adelndes US-Handelsunternehmen: zum Schutz von Autoren und Lesern, von Büchern, Bildung, Kultur und Unterhaltung, gegen Amazons skrupellosem Missbrauch von Gesetzen, Regeln, historisch gewachsenen und sinnvollen Usancen unseres Buchmarkts.”

5. Saudi-Araberin für Twitter-Botschaften zu 34 Jahren Haft verurteilt
(tagesspiegel.de)
In Saudi-Arabien sei eine Frau zu 34 Jahren Haft verurteilt worden, weil sie sich auf Twitter für Frauenrechte eingesetzt habe. Die Mutter zweier Kinder mit lediglich 2.600 Followern, habe “denjenigen Hilfe geleistet, die versuchen, die öffentliche Ordnung zu stören und falsche und böswillige Informationen zu verbreiten”, so der Vorwurf. Wie die Nachrichtenagentur AFP mitteilt, studiere die Saudi-Araberin Zahnmedizin in England und sei überraschend während eines Urlaubs in ihrem Heimatland festgenommen worden.

6. Oliver Janich auf den Philippinen festgenommen
(spiegel.de)
Wie der “Spiegel” berichtet, ist der szenebekannte Verschwörungsradikale Oliver Janich auf den Philippinen verhaftet worden. Die dortigen Behörden würden wegen des Verdachts einer Straftat gegen Janich vorgehen. Außerdem liege seit April ein deutscher Haftbefehl wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten sowie Beleidigung gegen ihn vor. Janich gilt als einer der radikalsten deutschen Verschwörungsideologen.

rbb-Dickicht, Reichelt und der Milliardär, Keine privilegierte Quelle

1. rbb-Spitze verschweigt wahre Höhe von Top-Gehältern
(rbb24.de, René Althammer & Jo Goll & Daniel Laufer & Oliver Noffke & Gabi Probst)
So unerfreulich die Vorgänge um die ehemalige rbb-Intendantin Patricia Schlesinger sind, so erfreulich sind die Anstrengungen des rbb-Rechercheteams sowie anderer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Senders, für Aufklärung zu sorgen – auch wenn dies, wie im Fall der Bonuszahlungen, zu weiteren schlechten Nachrichten führt. Über die Geheim-Boni hat zuerst “Business Insider” berichtet (“RBB zahlte Ex-Intendantin Schlesinger und ihren vier Direktoren mehr als 200.000 Euro an ‘Zielprämien’ pro Jahr”). Zuvor hatte der rbb-Interimsintendant offenbar noch bestritten, dass es derartige Boni gegeben hat. Der “Tagesspiegel” berichtet ausführlicher von der Beratung des Hauptausschusses des Brandenburger Landtags, bei der Vertreter und Vertreterinnen des öffentlich-rechtlichen Senders befragt wurden. Bei “DWDL” kommentiert Uwe Mantel die Sondersitzung: “Doch abseits der konkreten Aufarbeitung von möglichem Fehlverhalten von Schlesinger, Wolf oder weiteren führenden RBB-Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern muss es mit Blick auf die Zukunft nun dringend auch darum gehen, wirklich wirksame Kontrollmechanismen und -gremien zu etablieren. Dass das mit einem solchen ehrenamtlich zusammengesetzten Gremium nicht möglich ist, scheint nach der heutigen Diskussion offensichtlich.”
Und dann noch ein Gucktipp für heute Abend: In einer Sondersendung wird das NDR-Medienmagazin “Zapp” über den Fall Schlesinger, die schmerzhafte Aufarbeitung und Forderungen der Belegschaft, die gesamte Geschäftsleitung auszutauschen, berichten (NDR, heute Abend, 23:15 bis 23:35 Uhr, anschließend in der Mediathek).

2. Neue Hinweise auf Reichelt-Kooperation mit Milliardär
(t-online.de, Jonas Mueller-Töwe & Lars Wienand)
Ex-“Bild”-Chef Julian Reichelt könnte für sein neues, rechtspopulistisches Medienprojekt nach Informationen von t-online.de einen finanzstarken Förderer im Rücken haben: “Seit Monaten mehren sich Indizien für eine Kooperation mit dem konservativen Milliardär Frank Gotthardt, der nicht nur Hauptgesellschafter der Kölner Haie ist – sondern mit seinem Regionalsender TV Mittelrhein und WWTV auch im regionalen Fernsehgeschäft tätig.” Nun gebe es neue Hinweise für die Verbandelung mit dem Milliardär.

3. Die Polizei ist keine privilegierte Quelle
(netzpolitik.org, Markus Reuter)
Nach Ansicht von netzpolitik.org-Redakteur Markus Reuter übernehmen zu viele Redaktionen unkritisch, was die Polizei verlautbart: “Trotz zahlreicher Vorfälle von Desinformation in den letzten Jahren schreiben immer noch viele Journalist:innen treu-doof ab, was die Polizei auf Twitter, in Pressemitteilungen oder über ihre Sprecher:innen verbreitet. Dabei ist nicht erst seit dem vergangenen Wochenende Vorsicht angesagt.” Reuter nennt zahlreiche negative Beispiele und fordert: “Weil die Polizei diese Regeln immer wieder verletzt, muss die Presse sie endlich wie eine ganz normale Quelle behandeln.” Bislang gilt die Polizei als sogenannte priviligierte Quelle.

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4. Assanges Anwältinnen verklagen CIA
(tagesschau.de)
Zwei Anwältinnen des Wikileaks-Gründers Julian Assange gehen zivilrechtlich gegen den US-Geheimdienst CIA und dessen früheren Direktor Mike Pompeo vor. Sie seien während ihrer Besuche bei Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London bespitzelt worden, was nicht erlaubt sei: “Die Verfassung der Vereinigten Staaten schützt amerikanische Staatsbürger vor Übergriffen der US-Regierung, auch wenn diese Aktivitäten in einer ausländischen Botschaft in einem fremden Land stattfinden”, so ein Anwalt, der die beiden Frauen vertritt.

5. Die Ballade von Maria und Hubert
(sueddeutsche.de)
Christian Mayer hat Mitleid mit der “Bunten” aus dem Hause Burda: “Was könnte die Bunte alles erst über eine Trennung wie die von Hubert Burda und Maria Furtwängler schreiben! Man kann sich gut vorstellen, wie enttäuscht die diensthabenden Gefühlsanalysten im Verlag auf die Nachricht des Monats reagieren – was für ein opulentes Festmahl steht da gratis bereit, doch die Promiversteher sind in einer wirklich heiklen Lage, weil Burda schließlich der Besitzer der Zeitschrift ist.”

6. Erfreuliche Entwicklungen, dynamisch und zeitgemäß, unterstützt vom Verwaltungsrat
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Medienjournalist Stefan Niggemeier analysiert das öffentlich-rechtliche Verlautbarungssystem, das gelegentlich darin besteht, allerlei pathetische und wichtig klingende Floskeln zu einer Pressemitteilung zusammenzuwürfeln: “Ein paar Mal im Jahr bekomme ich Post vom Verwaltungsrat des NDR. Die E-Mail kommt über den Verteiler der Unternehmenskommunikation des Senders und enthält fast immer ein wörtliches Zitat der gerade amtierenden Vorsitzenden, das so bürokratisch, nichtssagend und unverwüstlich positiv klingt, als wäre es aus einem alten ‘Neuen Deutschland’ gefallen.”

Eine Fotoauswahl zum Protestieren

Das Meinungsforschungsinstitut INSA hat vor wenigen Tagen eine Umfrage zu den Folgen der Preissteigerungen bei den Heiz- und Energiekosten durchgeführt. Die Auftraggeberin: die Redaktion der “Bild am Sonntag”. Dort konnte man vor zwei Tagen, genauso wie bei Bild.de, die Ergebnisse nachlesen:

Und auch 65 Prozent der Menschen in Deutschland rechnen mit Massenprotesten und Unruhen im Herbst und Winter (INSA, 1001 Befragte am Freitag).

Ein Grund: 51 Prozent haben Angst, dass sie im Winter ihre Rechnung nicht mehr bezahlen können. 56 Prozent geben an, dass sich ihre wirtschaftliche Situation in diesem Jahr verschlechtert hat.

Die Bebilderung des Artikels ist online und in der gedruckten “BamS” identisch – und bemerkenswert:

Screenshot Bild.de - Wegen Energiekrise - Deutsche befürchten Massenproteste und Unruhen

Auf dem Foto zu sehen sind Klima-Aktivistinnen und -Aktivisten. In der dazugehörigen Bildunterschrift steht:

Protest gegen Flüssiggas in Wilhelmshaven: Die Aktivisten besetzten die Baustelle, zeigten Transparente mit Slogans wie “Sauberes Gas ist eine Lüge”

Auch im Artikel geht es erstmal nur und ausführlich um Klima-Proteste. Erst spät (und auch nur dieses eine Mal) werden mögliche Demonstrationen von “unzufriedenen Bürgern” erwähnt:

Deutschland drohen ungemütliche Wochen und Monate! Bereits an diesem Wochenende schlugen Klima-Aktivisten zu:

► In Wilhelmshaven besetzten am Freitag mehrere Hundert Anhänger der Gruppe “Ende Gelände” die Baustelle für das geplante Terminal, worüber Deutschland ab Winter mit dem dringend benötigten Flüssiggas versorgt werden soll.

► Gestern legten etwa 400 Klima-Aktivisten den Hamburger Hafen lahm, besetzten die einzige Bahnstrecke zum Containerterminal.

Ist das nur der Anfang für einen “heißen Herbst”, in dem Klima-Aktivisten gegen Gas-Importe und die reaktivierten Kohlekraftwerke sowie unzufriedene Bürger gegen die Explosion der Energiekosten demonstrieren?

Direkt im Anschluss leitet der Text zur INSA-Umfrage über:

Vor “Volksaufständen” hatte Außenministerin Annalena Baerbock (41, Grüne) gewarnt. Und auch 65 Prozent der Menschen in Deutschland rechnen mit Massenprotesten und Unruhen im Herbst und Winter (INSA, 1001 Befragte am Freitag).

Wir haben bei INSA nachgefragt, wie die genauen Formulierungen der Umfrage lauteten, auf der der Artikel von Bild.de und “BamS” basiert. Die Antwort:

1. Erwarten Sie aufgrund der aktuellen Preissteigerungen Massenproteste bzw. soziale Unruhen in Deutschland im kommenden Herbst und Winter?
2. Hat sich Ihre persönliche wirtschaftliche Situation in diesem Jahr (eher) verbessert, (eher) verschlechtert oder ist sie in etwa gleich geblieben?
3. Haben Sie persönlich Angst, dass Sie im Winter Ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können?

In der Befragung ging es an keiner Stelle um Klima-Proteste, sondern um die Folgen “der aktuellen Preissteigerungen”. Oder anders gesagt: Die Klima-Aktivisten, die die “Bild”-Medien zeigen und über die sie schreiben, haben nichts mit den befürchteten “Massenprotesten und Unruhen” zu tun. Nur “Bild am Sonntag” und Bild.de stellen diese Verknüpfung her.

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Kurz korrigiert (538)

In ihrer Berichterstattung über das Attentat auf den Autor Salman Rushdie versucht die “Bild”-Redaktion, ihrer Leserschaft auch zu erklären, was eine Fatwa ist. In der gedruckten “Bild” erschien gestern extra ein Infokasten zum Thema:

Ausriss Bild-Zeitung - Fatwas auch gegen Frauen

Bei Bild.de ist dieselbe Erklärung im Artikel eingebaut. Im Print wie online steht unter anderem:

“Fatwas” sind zwingende Rechtsverordnungen, die in islamischen Ländern wie Gesetze gelten.

Der Journalist Yassin Musharbash bezeichnet diese Aussage bei Twitter als “eindeutig zu grobkörnig”, und wir würden ergänzen: Sie ist in ihrer versuchten Allgemeingültigkeit schlicht falsch.

Die Konrad-Adenauer-Stiftung etwa schreibt zu Fatwas:

Eine fatwa ist ein Rechtsgutachten eines islamischen Rechtsgelehrten, das in Bezug auf ein bestimmtes Problem ein nicht bindendes Gutachten auf Grundlage der Quellen der Scharia darstellt.

Und auch die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt in ihrem “Kleinen Islam-Lexikon”:

Fatwa, arabisch für Rechtsgutachten, in dem der Mufti ein bestimmtes Problem unter Berücksichtigung des islamischen Rechts beantwortet. Das Gewicht eines derartigen Gutachtens beruht grundsätzlich auf der persönlichen Autorität seines Ausstellers. Die vertretene Rechtsauffassung ist deshalb im Unterschied zu einem Gerichtsurteil nur für denjenigen bindend, der diese Autorität anerkennt.

Im sunnitischen Islam ist es beispielsweise möglich, dass jemand eine Fatwa einholt und, sollte er damit nicht zufrieden sein, den nächsten Mufti konsultiert. Die Unterscheidung zwischen der Bedeutung von Fatwas im sunnitischem beziehungsweise im schiitischem Islam fehlt bei “Bild” gänzlich. Sie ist auch keine Marginalie. Es gibt mehrere Länder, in denen der sunnitische Islam Staatsreligion ist; außerdem gehören die in Deutschland lebenden Muslime mehrheitlich dem sunnitischen Islam an.

Es gibt Fatwas zum Thema Beten, Fatwas zum Fasten, Fatwas zum Rauchen, Fatwas zu ganz alltäglichen Fragestellungen, aber eben auch Tötungsaufrufe wie im Fall von Salman Rushdie. Dazu schreibt die Bundeszentrale für politische Bildung:

Der Tötungsaufruf gegen den Schriftsteller Salman Rushdie wurde vom damaligen Ayatollah Khomeini in Form einer Fatwa erlassen. Die große Beachtung, die dieser Aufruf fand, rührte daher, dass Khomeini zu Lebzeiten eine hohe Stellung im schiitischen Islam einnahm.

Das kommt durch die Autorität Khomeinis im Iran sicherlich schon an eine gesetzesähnliche Bedeutung heran. Aber das gilt eben nicht, wie “Bild” es darstellt, für alle Fatwas überall. So kann es verschiedene Fatwas zur selben Frage geben, die sich inhaltlich widersprechen. Wären diese dann “zwingende Rechtsverordnungen, die in islamischen Ländern wie Gesetze gelten”, wäre das bei der praktischen Umsetzung ausgesprochen schwierig.

Gesehen bei @abususu.

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