Spillmann, Voß, Lobo

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. Interview mit Markus Spillmann
(persoenlich.com, Adrian Schräder und Christian Lüscher)
Die “Neue Zürcher Zeitung” wird am 23. September einem Relaunch unterzogen. Chefredakteur Markus Spillmann: “Wir leben nicht mehr in den Neunziger Jahren. Die fetten Jahre sind vorbei! Diese Botschaft ist unterdessen hoffentlich überall angekommen.”

2. “PR-Schule – Journalisten als Aushängeschilder”
(ndr.de, Video, 8:22 Minuten)
Der ehemalige Intendant des SWR, Peter Voß, gibt sich auf der Homepage der Quadriga Hochschule Berlin als Botschafter der PR-Ausbildungsstätte und ist dort auch im Präsidium. Die medienkritische Sendung Zapp dazu: “Eine Verbindung, die sich eigentlich verbietet.”

3. “ZDF sagt ‘Berliner Runde’ ab”
(zeit.de)
Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier reicht das “TV-Duell” letzten Sonntag. Sie verweigern dem ZDF eine Teilnahme an einer “Berliner Runde” – worauf das ZDF die Sendung streicht. Chefredakteur Nikolaus Brender: “Die Verweigerung von Kanzlerin und Kanzlerkandidat beschädigt die demokratische Kultur.”

4. Interview mit Ai Weiwei
(sueddeutsche.de, H. Bork)
Der bekannte chinesische Künstler Ai Weiwei liegt in Deutschland im Krankenhaus. Ein chinesischer Polizist schlug ihm hart ins Gesicht, “auf den rechten Wangenknochen”. Seinen aktuellen Zustand dokumentiert er auf twitter.com/aiww: “Vor drei Jahren hatte ich einen Blog, aber der wurde ein halbes Jahr lang vom Netz genommen. Da begann ich, Twitter zu nutzen.”

5. “7 Ways to Make News Sites More Social”
(mashable.com, Vadim Lavrusik, englisch)
7 Wege, News-Websites mit mehr sozialen Funktionen auszustatten.

6. Gespräch zwischen Tiedje, Schumacher und Lobo
(n24.de, Video, 28:52 Minuten)
Hajo Schumacher und Ex-“Bild”-Chefredakteur Hans-Hermann Tiedje sprechen mit Werber Sascha Lobo über das Internet. Ein unterhaltsames Gespräch, in dem Lobo für eigentlich alles, was im Internet passiert, verantwortlich gemacht zu werden scheint.

BKA? Da könnte ja jeder bitten! (2)

Am Dienstag griff das Bundeskriminalamt zu einer harten Maßnahme, mit der es aber schon einmal erfolgreich gewesen war: Nachdem es in den Besitz von kinderpornographischen Videos gekommen war, gab das BKA ein Foto des mutmaßlichen Kinderschänders an die Medien heraus und veröffentlichte eine Fahndung nach dem Unbekannten. Dabei stufte die Behörde den Fall nicht nur als “normale” Fahndung ein, sondern bewertete den Mann als eine der “meistgesuchten Personen”.

Einen Tag darauf meldeten die Medien, die durch die Veröffentlichung der Fahndung und des Fotos fleißig an der Fahndung mitgewirkt hatten, stolz einen Erfolg: Der Mann wurde festgenommen. “Die Handschellen klickten”, titelte beispielsweise sueddeutsche.de, während “Welt Online” in der Überschrift auf eine Unschuldsvermutung praktischerweise gleich verzichtete und meldete: “Kinderschänder nach Fahndung gefasst”.

Und zudem im Text berichtete:

Am Mittwoch bat das BKA die Medien, die veröffentlichten Videos, Bilder und Stimmproben nicht weiter zu verwenden und aus allen Internetportalen zu entfernen.

Gelesen hat den Text in der Redaktion allerdings anscheinend wohl niemand, denn auch jetzt noch prangt das Foto bei “Welt Online” unverpixelt in voller Breite im Fahndungsartikel, bei sueddeutsche.de auch im Artikel über die “erfolgreiche Fahndung”. Auf Bild.de kann man den (nicht mehr) Gesuchten sowohl auf einem Foto, als auch im Bewegtbild ansehen — ebenso wie übrigens immer noch einen mutmaßlichen und inzwischen gefassten Kinderschänder auf Videoaufnahmen, um deren Entfernung das BKA schon vor über einem Monat gebeten hatte.

Was allerdings noch viel gravierender ist: Der Mann ist wegen der Videos, wegen derer er nun für einen Tag zu einer der “meistgesuchten Personen” wurde, längst verurteilt worden. 1994 war er zweieinhalb Jahre in einer psychiatrischen Klinik; heute lebt er in einer Einrichtung für betreutes Wohnen — und hat sich seit seiner Verurteilung vor 15 Jahren nichts mehr zuschulden kommen. Das BKA hat inzwischen auch offiziell bestätigt, was (ausgerechnet) Bild.de schon im Laufe des Nachmittags berichtet hatte. Wenn das kein Grund ist, die Fotos des Mannes besonders schnell und gründlich aus dem eigenen Archiv zu entfernen, was dann?

Und das vermeintlich seriöse Internetangebot der “Süddeutschen Zeitung” verlinkt immer noch auf seiner Startseite den Artikel mit dem unverpixelten Foto des Mannes und der Dachzeile “erfolgreiche Fahndung”. Der Hinweis, dass es diese Fahndung des BKA nie und nimmer hätte geben dürfen und es sich vielmehr um einen gravierenden Fehler des BKA gehandelt hat, findet sich nur klein und versteckt im automatisch von Agenturen befüllten “Newsticker”.

Das BKA hingegen müsste allmählich wissen, dass seine Bitte, Fahndungsbilder wieder zu entfernen, von den Medien ignoriert werden. Was sie einmal haben, das behalten sie auch und zeigen es für immer. Das ist nicht neu.

Mit Dank an Martin S., Armin E. und JB!

Nachtrag, 17.9., 10.06 Uhr: Sueddeutsche.de berichtet inzwischen ebenfalls über die Fahndungspanne. Muss man erwähnen, dass das Foto weiterhin zu sehen ist?

Lokal-Terrorismus

Es war eine sehr überraschende neue Entwicklung im Prozess gegen die sogenannte “Sauerland-Gruppe”, von der ddp und Bild.de da gestern zu berichten wussten:

Neue Aussagen im Terror-Prozess: Sauerland-Bomber wollten den Papst in die Luft sprengen

Die Gruppe habe sich in diesem Gespräch bezüglich der angedachten Ziele gegenseitig “hochgesteigert”, berichtete S. vor Gericht. Sogar der Papst sei genannt worden.

Genau genommen war die Entwicklung sogar so überraschend, dass selbst “ARD-Terrorismusexperte” Holger Schmidt, der den Prozess von Beginn an verfolgt, davon nichts mitbekommen hatte.

Inzwischen ist sich Schmidt aber sicher, woran das gelegen hat:

Nach weiteren Diskussionen um das vermeintliche Papstattentat der Sauerlandgruppe ist eine naheliegende Lösung aufgetaucht: Daniel Schneider sprach von Pubs.

(Link von uns)

Kleine Schwächen in Detailfragen

Es würde vielleicht nicht alles, aber zumindest vieles erklären: Bild.de wird offenbar in einem Paralleluniversum mit Inhalten gefüllt. Oder zumindest in einem Paralleldeutschland.

Von gestern Abend bis heute früh rief Bild.de seine Leser auf der Startseite dazu auf, einen Appell an den Bundeskanzler zu unterschreiben:

S-Bahn-Mord: BILD fordert Orden für toten Helden. Unterschreiben Sie hier den Appell an den Bundeskanzler.

(Gemeint war übrigens der Bundespräsident.)

Und aus dem ohnehin spannungsarmen Wahlkampf innerhalb der großen Koalition wurde heute fast fünfzig Minuten lang ein parteiinterner:

Nach Bundeskanzlerin Angela Merkel (SPD) hat auch ihr SPD-Herausforderer Frank-Walter Steinmeier die Teilnahme an weiteren Fernsehdebatten vor der Bundestagswahl am 27. September abgesagt.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Nachtrag, 15:04 Uhr: “Angela Merkel (SPD)” stammte offenbar aus einer dpa-Meldung, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bei Bild.de allerdings schon von der Nachrichtenagentur korrigiert worden war.

Mit Dank an Stefan K.

Schächter, Kuba, Asse

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. Interview mit Markus Schächter
(falter.at, Ingrid Brodnig)
Auf die Frage “Gehört das Internet überhaupt noch zum Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks?” antwortet der ZDF-Intendant Markus Schächter: “Selbstverständlich. Sowohl die EU wie auch das Bundesverfassungsgericht haben eindeutig bestätigt, dass unser Programmauftrag technologieneutral ist. Das schließt den Onlinebereich ein.” Wären bei einem technologieneutralen Programmauftrag nicht auch öffentlich-rechtliche Zeitungen denkbar?

2. “Brauchen Bundesratswahlen Wahlkämpfe?”
(politreport.ch, Andreas Hugi)
Heute wird in der Schweiz einer von sieben Bundesräten (vergleichbar mit Ministern) durch das Parlament gewählt: “Ein Einfluss der Medien auf die Vergabe der Bundesratssitze wächst stetig.”

3. “Sieben Kontroversen zur Zukunft des Journalismus”
(zeit.de, Tina Klopp)
Tina Klopp stellt mehrere Finanzierungsmöglichkeiten von Journalismus im Netz gegeneinander auf.

4. “Kubanische Blogger”
(sueddeutsche.de, Julia Woehrle)
Blogger in Kuba kämpfen gegen staatliche Überwachung und mit schlechten und teuren Internetzugängen: “Die Hoffnung auf Wandel ist klein, aber es gibt sie. Einige Blogger verweisen darauf, dass private Internetanschlüsse in Kuba nicht mehr illegal seien. Auch wenn die monatlichen Kosten von circa 45 Euro – bei einem Monatslohn von knapp 12 Euro – ohne Auslandshilfe unbezahlbar sind.”

5. Interview mit Uwe Kammann
(dradio.de, Petra Ensminger)
Der Direktor des Adolf-Grimme-Instituts zum TV-Duell: “Vier Moderatoren und zwei Kandidaten, das ist viel zu viel und die vier hatten dazu noch das Problem mit sich selber. Es ist eine Art von Markt-Schaulaufen, wer ist denn der beste, der witzigste, der frechste, und das hat den Rhythmus und die Erkenntnis, die man daraus ziehen konnte, bei den Fragen und Antworten dann sehr stark gemindert.”

6. “Das Lügengrab”
(zeit.de, Roland Kirbach)
“Schon bald könnte der niedersächsische Salzstock Asse einstürzen und Atommüll aus 126.000 Fässern freisetzen. Über Jahrzehnte haben alle, die Energiewirtschaft, die Politik und die Wissenschaft, die Öffentlichkeit getäuscht.”

Das Entführungsopfer aus dem Katalog

In der neuen Ausgabe des “Spiegel” wird ziemlich anschaulich darüber berichtet, welche Form von journalistischem Elendstourismus der Entführungsfall Jaycee Dugard in den USA vor Ort ausgelöst hat. Jeder, der was zu sagen hat, wird honoriert und zitiert. Und sogar die, die nichts zu sagen haben, kommen zu Wort — wie das eben so ist bei eher dünnen Nachrichtenlagen.

Auch die “Bild”-Zeitung will ihren Lesern keineswegs die sensationellsten Sensationen im Fall Jaycee vorenthalten. Und stellt eine interessante Frage:

Schreenshot_bild.de

Bild.de begründet diesen, nunja, Verdacht damit, dass… also… naja, die Frau ist blond, könnte in etwa in Jaycees Alter sein, außerdem hatte ihr Entführer dieses Bild auf seiner Visitenkarte — und ein Geschäftspartner des Entführers sagte: Ja, das könnte Jaycee sein! Muss erst mal reichen.

Hätte “Bild” sich ein wenig Zeit für Recherche genommen… ach, was reden wir denn da. Die Antwort lautet: nein. Wer diese junge Frau ist, wissen wir zwar auch nicht genau, aber dafür, woher das Foto stammt: von einer CD “Art Explosion”  (250.000 Images), einer Bilder- und Grafiksammlung, wie man sie über unzählige Agenturen bestellen kann und die in erster Linie dann dafür da ist, optische Elemente in Katalogen zu setzen. Oder auch auf Webseiten wie beispielsweise in Online-Shops:*


*) Inzwischen — warum auch immer — entfernt.

Nun könnte man sagen: Missverständnis, kann man ja nicht ahnen — und steht ja auch so ähnlich in anderen Medien … aber “Bild” weiß spätestens seit Montag, dass es sich unmöglich um Jaycee handeln kann. Am Montag nämlich meldete sich eine Leserin bei “Bild” mitsamt zwei Fotos von der CD — und bat “Bild” um eine Stellungnahme. Die kam nicht, stattdessen hat “Bild.de” die vermeintliche Jaycee jetzt auch noch in eine Bildergalerie eingebaut:

Mit Dank an Alicja!

dpa  

Lehren aus Bluewater

Die Nachrichtenagentur dpa hat Konsequenzen aus dem “Bluewater”-Debakel der vergangenen Woche gezogen. Sie war in der vergangenen Woche erstaunlich treuherzig und hartnäckig auf die Falschmeldung von einem echten oder vorgetäuschten Selbstmordanschlag in einer amerikanischen Kleinstadt hereingefallen (BILDblog berichtete: Teil 1, Teil 2).

Vor allem wurde der einfache journalistische Grundsatz missachtet: Eine Story, die zu gut ist, um wahr zu sein, ist vermutlich genau dies: nicht wahr.

Wolfgang Büchner

Der stellvertretende Chefredakteur Wolfgang Büchner, der erst vor wenigen Monaten von “Spiegel Online” zu der Agentur gewechselt ist, formulierte “sechs Lehren aus Bluewater”, die im Intranet von dpa veröffentlicht wurden und BILDblog vorliegen. Zum Teil handelt es sich um bloße Erinnerungen an klassische journalistische Grundsätze wie den, dass Richtigkeit vor Schnelligkeit geht. Büchner stellt aber auch dezidierte Regeln auf, wie mit exklusiven Informationen und zweifelhaften Quellen zu verfahren sei. Außerdem sollen die dpa-Redakteure in Zukunft ein Werkzeug an die Hand bekommen, das ihnen helfen soll, die Authentizität einer Internetseite richtig einzuschätzen.

Sechs Lehren aus Bluewater

Bei der Berichterstattung über den erfundenen Terroranschlag von Bluewater sind uns schwere Fehler unterlaufen.

Vor allem wurde der einfache journalistische Grundsatz missachtet: Eine Story, die zu gut ist, um wahr zu sein, ist vermutlich genau dies: nicht wahr. Es ist absolut unplausibel, dass die dpa als einziges Medium exklusiv von einem Terroranschlag in den USA erfährt und dort nur ein lokaler TV-Sender darüber berichtet. Je größer und unwahrscheinlicher eine Story ist, desto gründlicher müssen wir sie überprüfen.

Wir haben darüber hinaus organisatorisch nicht angemessen auf die Lage reagiert. Eine Nachricht dieser Potenz darf niemals nebenbei von einem Slot bearbeitet werden.

Daher gelten ab sofort schärfere Regeln für den Umgang mit exklusiven Informationen:

Im Wettbewerb mit der Konkurrenz geht Richtigkeit immer vor Geschwindigkeit.

Organisation: bei exklusiven Informationen, die das Potenzial haben, zur Nachricht des Tages zu werden, werden künftig sofort vom CvD/Ressortleiter mindestens zwei Mitarbeiter zur Verifizierung von Informationen und Recherche freigestellt. Diese Taskforce widmet sich dann ausschließlich der Berichterstattung über dieses Thema. Das gilt auch in dem Fall, dass der dpa ein schwerer Fehler unterlaufen ist und dieser aufbereitet und gegenüber den Kunden dokumentiert werden muss.

Ortskompetenz: Der ortsansässige Korrespondent wird immer hinzugezogen – unabhängig von der Uhrzeit.

Recherche: Bei zweifelhafter Quellenlage ist die Berichterstattung über einen zusätzlichen “Ring der Überprüfung” abzusichern. Nicht nur die lokale Behörde, sondern mindestens eine übergeordnete Stelle muss die Information bestätigen können (z.B. in den USA die Heimatschutzbehörde oder der jeweilige Bundesstaat). Bei Auslandsthemen sind unbedingt die großen nationalen Medien zu beobachten. Bestehen Zweifel an der Identität eines Anrufers oder an der Richtigkeit einer Telefonnummer, lohnt parallel der Weg über die Auskunft.

Internetquellen: Jeder Mitarbeiter soll in die Lage versetzt werden, die Echtheit von Domains kompetent zu überprüfen. Die dpa-infocom entwickelt ein neues, einfach zu bedienendes Überprüfungs-Tool, mit dem jeder Mitarbeiter einen ersten Plausibilitätscheck vornehmen kann.

Transparenz: Tauchen Zweifel an der Korrektheit gesendeter Meldungen auf, sind unsere Kunden von Anfang an per Achtungshinweis zu informieren. Auch wenn vielleicht noch viele Fragen ungeklärt sind – die Bezieher des dpa-Dienstes werden so früh wie möglich in einem Achtungshinweis informiert. Dieser kann nach folgendem Strickmuster formuliert sein: “Es gibt berechtigte Hinweise, dass … Bitte verwenden Sie die Meldung 0000 deshalb vorerst nicht. Die dpa prüft … und wird Sie informieren, sobald es neue Erkenntnisse gibt.” (…)

Wolfgang Büchner
11.09.2009

TV-Duelle, Kamera-Kriege, Krisen-Thesen

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “TV-Duell: Eine journalistische Katastrophe “
(blog.zeit.de, Jörg Lau)
Jörg Lau ist mit den Moderatoren des TV-Duells zwischen Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier nicht zufrieden: “Statt die Kontrahenten zu den Inhalten zu befragen, wurde sofort auf die Metaebene ausgewichen: Sind Sie nicht ein altes Ehepaar? Wann wird der Wahlkampf endlich unterhaltend? (Als ginge es darum!) Wollen Sie nicht in Wahrheit eine zweite Große Koalition gründen? (Als wäre das nicht dem Wähler vorbehalten.)”

2. “Haben Sie doch Interesse!”
(faz.net, Jürgen Kaube)
Jürgen Kaube bemerkt: “Maybrit Illner und Frank Plasberg unterbrachen die Kandidaten mitunter nachgerade, als hätten die Moderatoren sich nicht nur die Fragen, sondern auch gleich noch die richtigen Reaktionen notiert und stellten nun unwirsch fest, dass das Personal falsch antworte.”

3. “Der TV-Journalismus hat verloren”
(carta.info, Robin Meyer-Lucht)
Und auch Robin Meyer-Lucht sieht den Journalismus als Verlierer des Abends: “Das ‘Duell’ war nicht die Feier einer Fernsehkultur, wie es sich die Veranstalter erhofft hatten. Es war der Bankrott eines TV-Journalismus, der sich in den letzten Jahren zum dominanten Paradigma der Bewegtbild-Politikvermittlung hochgedient hat.”

4. “Der Krieg der Kameras”
(blogs.sueddeutsche.de/schaltzentrale, Johannes Boie)
Johannes Boie kritisiert die Veröffentlichung eines nicht-anonymisierten Videos (das kurzzeitig auch bei ihm zu sehen war, wie er in den Kommentaren zugibt): “Auf den Videos, die vor allem von Datenschutzaktivisten verbreitet werden, ist zum Beispiel keine Person anonymisiert. So sehr man den Polizisten beim Anblick der Schläge auch eine harte Bestrafung wünscht, hätte es nicht gereicht, den Ermittlungsbehörden die Gesichter des Polizisten zu zeigen?”

5. 5 Krisen-Thesen
(dirkvongehlen.de)
Dirk von Gehlen liefert fünf ausführliche Thesen zur Zeitungskrise: “1. Der Leser wird zum Nutzer, 2. Zeitungen sind viel mehr als bloße Mittler zwischen Anzeigenkunden und Lesern, 3. Erfolgreiche Zeitungen verkaufen nicht nur Nachrichten, 4. Es geht um Zugang, nicht um Content” und “5. Der aktive Rezipient wird zum (zahlenden) Mitglied.”

6. “Eleven Things I’d Do If I Ran a News Organization”
(mediactive.com, Dan Gillmor)
Und Dan Gillmor zählt 11 Dinge auf, die er tun würde, wenn er ein Nachrichtenunternehmen führen würde.

Bild  

Entwarnung: al-Masri doch durchgeknallt

Man darf den Presserat mit seinem drolligen Arsenal munitionsloser Waffen nicht unterschätzen. Bei einem sensiblen Medium wie der “Bild”-Zeitung kann eine Rüge von diesem Gremium nachhaltige Verletzungen hinterlassen.

Diese Sache mit Khaled al-Masri zum Beispiel, die nagt immer noch an “Bild”. Der Presserat erklärte vor zwei Jahren, “Bild” hätte “in ehrverletzender Art und Weise” über den Mann berichtet — dabei haben die feinen “Bild”-Redakteure Ulrike Brendlin und Hans-Jörg Vehlewald das CIA-Folteropfer doch nur verächtlich gemacht, seine Qualen heruntergespielt, seine juristischen und publizistischen Schritte als “Terror” bezeichnet, ihn “irre” und einen “durchgeknallten Schläger” genannt und einen Artikel verfasst, den Hans Leyendecker von der “Süddeutschen Zeitung” mit den Worten “niederträchtig und verworfen” beschrieb.

Die Rüge hat “Bild” nachhaltig verstört. Schon dass der Pressekodex überhaupt auch für einen “ehrenwerten Staatsbürger” gilt, wie “Bild” al-Masri ironisch nannte! “Irre! Presserat rügt BILD wegen dieses Brandstifters”, titelte das Blatt und vergaß vor lauter Fassungslosigkeit zu erwähnen, warum es eigentlich gerügt wurde, so dass es der Presserat in einer eigenen Presseerklärung extra noch einmal erklären musste: Die Zeitung habe “über einen Kranken, der möglicherweise durch die Entführung traumatisiert wurde, unter Missachtung dessen gesundheitlicher Situation in ehrverletzender Art und Weise berichtet”.

Bis heute will “Bild” nicht verstehen, dass ihr niemand grundsätzlich das Recht abgesprochen hat, über Khaled al-Masri und seine Ausfälle zu berichten. Die Zeitung erweckt den falschen Eindruck, man wolle sie daran hindern, die Wahrheit zu schreiben. Als der Mann nun den Neu-Ulmer Oberbürgermeister angriff und verletzte, tat sie deshalb so, als würde das ihre verbalen Ausfälle gegenüber al-Masri in irgendeiner Weise nachträglich rechtfertigen, und schrieb am Samstag:

PS: Wieder einmal nutzt “Bild” die Leserbriefspalte dazu, die eigene Meinung und die Vorurteile der Leser zu verstärken. Im Dienst der schlechten Sache diesmal wieder — Birgit S. aus Aschersleben:

Zu: El Masri verprügelt Bürgermeister / Ich kann nicht begreifen, warum dieser Mensch überhaupt noch auf freiem Fuß ist. 2007 wurde er auf Bewährung verurteilt wegen Beleidigung, Hausfriedensbruch und Brandstiftung, zuvor hatte er einen Dekra-Prüfer krankenhausreif geschlagen. Nun ist er wieder ausgerastet. Aber das ist ja normal in diesem Staat. Unsere Justiz ist zu feige, ausländische Kriminelle zu verurteilen. / Birgit S. , Aschersleben (Sachsen-Anhalt)

Dazu wäre zweierlei zu sagen: Al-Masri ist seit 15 Jahren deutscher Staatsbürger. Und Frau S. eine alte Bekannte.

Allein im vergangenen Jahr hat “Bild” elf Leserbriefe von ihr veröffentlicht, Schwerpunkte: schlechtes Fernsehen, fiese Politiker und böse Ausländer.

Leser schreiben in “Bild”: Birgit S. (kleine Auswahl):

Zu: Islam-Terroristen verhöhnen deutsches Gericht
Ich weiß gar nicht, warum der Prozess zwei Jahre dauern soll. Leute, die viele Menschen in den Tod reißen wollen, gehören für immer weggesperrt.
(24.4.2009)

Zu: Gülsüm (†20) vom eigenen Bruder totgeknüppelt
Schon wieder wurde ein junges Mädchen so grausam ermordet, nur weil es die Lebensweise, die in Deutschland üblich ist, annehmen wollte. Wann begreifen diese Leute endlich, dass sie in Deutschland leben? Diese Verbrecher müssten in der Türkei ihre Strafe absitzen.
(4.4.2009)

Zu: Morsals Ehrenmörder hinter Panzerglas
Wann begreifen denn die Leute endlich, dass sie in Deutschland leben und sich hier an die Gepflogenheiten zu halten haben! Wieder muss über einen Ehrenmord verhandelt werden. Ein paar Tränen und es gibt Bewährung, obwohl ein Menschenleben geopfert wurde, nur weil die Schwester sich hier anpassen wollte.
(18.12.2008)

Zu: U-Bahn-Schläger mit Stinkefinger in den Knast
Endlich mal ein gerechtes Urteil. Ich hatte schon den Glauben an die Justiz verloren. Nur eines muss noch kommen: dass diese Herren ausgewiesen werden. (10.7.2008)

Zu: Deutsche Geisel wurde ermordet
Nun ist es raus. Aber wusste das nicht schon jeder, wollte daran aber nicht glauben? Hoffentlich werden die Angehörigen entschädigt für so ein grausames Verbrechen. Man geht in ein Land, um Geld zu verdienen oder zu helfen – und was ist der Dank? Man wird von solchen Leuten erschossen. Da gibt’s nur eines: Raus aus Afghanistan!
(4.8.2007)

Zu: Deutscher Junge (17) in Türken-Knast
Ich bete zu Gott, dass der Junge so schnell wie möglich wieder rauskommt.
(26.6.2007)

ddp  

Nachruf mit Fehler

Es ist kein Geheimnis, dass Nachrufe auf bedeutende Persönlichkeiten oft schon lange im Voraus geschrieben werden, damit sie erstens möglichst schnell vorliegen und zweitens keine Flüchtigkeitsfehler mehr beinhalten.

Einigermaßen tragisch ist daher, was dem Deutschen Depeschendienst (ddp) jetzt passiert ist, als der seinen Mitbegründer Martin E. Süskind würdigen wollte, der am Samstag nach schwerer Krankheit verstorben ist:

Zwei Jahre später wechselte er zur "Süddeutschen Zeitung" und war ab 1975 einige Jahre als Redenschreiber für den damaligen Bundeskanzler Willy Brandt tätig.

1975 war Brandt schon nicht mehr Bundeskanzler.

Die ddp-Meldung findet sich zur Zeit bei “Spiegel Online”, “RP Online” und – milde umfrisiert, aber an der entscheidenden Stelle unverändert – beim Mediendienst Meedia.

Der ddp-Konkurrent dpa hat die Geschichte ironischerweise richtig in Erinnerung:

Süskind war ab 1975 auch Redenschreiber des damaligen SPD- Vorsitzenden und Ex-Bundeskanzler Willy Brandt (SPD).

Mit Dank an Andreas H.

Nachtrag, 20:40 Uhr: “RP Online” und Meedia haben ihre Formulierungen inzwischen geändert. Meedia weist auf diese Änderung sogar in den Kommentaren hin.

2. Nachtrag, 22:20 Uhr: Auch “Spiegel Online” hat den Fehler jetzt transparent korrigiert.

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