China, Hartmeier, Klingelschmitt

1. Interview mit Walter van Rossum

(heise.de/tp, Reinhard Jellen)

Der freie Autor Walter van Rossum übt massive Kritik an Politik und Medien in Deutschland. Er stellt einen “95 Prozent des Spektrums” abdeckenden “Konformismus mit der parlamentarischen Mitte” fest. Bei der Berichterstattung über die Ereignisse in Lhasa im März 2008 entsetzte ihn “die fast lückenlose Gleichschaltung”: “Da hat man so getan, als hätten barbarische chinesische Kommunisten friedlich demonstrierende Mönche niederkartätscht. Das war flächendeckend krasse Fehlinformation.”

2. “Chinas Führung setzt auf PR-Aktionen”

(derstandard.at)

Der chinesische Journalist Shi Ming glaubt, dass sich China vermehrt um die Lenkung der allgemeinen Meinung kümmern wird: “Es gibt nicht mehr den einen Mainstream. Die Lenkung der Meinungen ist also eine weitaus wichtigere Seite.” Die Zahl der Netzpolizisten wird auf 50.000 geschätzt.

3. Interview mit Christoph Berger

(interview-blog.de, Klaus-Martin Meyer)

Ein Gespräch mit dem Käufer von basicthinking.de: “Robert hat Basic Thinking natürlich sehr geprägt, aber unsere aktuellen Zugriffszahlen zeigen auch, dass es möglich ist, die Zahlen von damals sogar noch zu steigern.”

4. “Ist Klinsmann ein Opfer der Medien?”

(fnweb.de)

Josef Hackforth, Inhaber des Lehrstuhls an der TU München, fragt anlässlich eines Vortrags, ob der Journalismus beliebig geworden sei und ob Journalisten nicht auch bestraft werden müssten, wenn sie Fehler machen, durch die andere zu Schaden kommen: “Ärzte und Juristen werden belangt, wenn sie Fehler machen, Journalisten nicht”.

5. Interview mit Peter Hartmeier

(persoenlich.com, Christian Lüscher)

Der abtretende Chefredaktor des Tages-Anzeigers geht mit unzufriedenen Lesern um wie ein Hotelier: “Ich schickte Leuten, die sich durch unsere Zeitung verletzt fühlten, einen von Hand geschriebenen Brief und einen Blumenstrauss – selbst dann wenn wir im Recht waren.”

6. “Generation 50 plus links”

(taz.de, Klaus-Peter Klingelschmitt)

Klaus-Peter Klingelschmitt schafft das Kunststück der perfekten Anti-Internetaktivisten-Kolumne. Wer auch immer in Zukunft noch so eine schreiben will – hier ist alles drin und bis ins Detail ausgeführt: “Was wirklich zählt, ist das REALE Leben. Wir Älteren wissen das längst. Stellen wir uns doch einmal vor, die ganze Chat- und Bloggerei würde umgehend abgeschafft. Die Welt würde NICHTS vermissen.”

Bild  

Ohne Klinsmann wird das Unmögliche möglich

Vor zwei Tagen war die Welt echt noch eine schlechtere. Zumindest, wenn man Anhänger des FC Bayern München war. Bild.de ließ wissen, dass der Meistertitel in der Bundesliga “so gut wie weg” sei, die Kollegen der “Bild am Sonntag” gingen noch weiter:

Titel weg!

Was so ein Trainerwechsel aber dann doch alles ausmacht. Inzwischen, die Zeiten haben sich ja geändert (“Klinsi weg!”), traut Bild.de selbstverständlich Bayern wieder den Titel zu und startet eine entsprechende Umfrage:

“Klinsi ist weg! Holen die Bayern mit Heynckes jetzt doch noch die Schale?”

Selbst Oliver Kahn ist jetzt, wie “Bild” schreibt, endlich wieder frohen Mutes, wenn er an die Zukunft seines Ex-Vereins denkt.

“Bayern wird jetzt locker Meister”, zitiert Bild.de (exklusiv) den ehemaligen Bayern-Torwart — und suggeriert damit, Kahn führe dies irgendwie auch auf die Entlassung Klinsmanns zurück. Was aber ziemlicher Unsinn ist, weil Kahn noch nie etwas anderes geglaubt hat; auch nicht, als Klinsmann noch Trainer war. Noch einen Tag vor der Entlassung zeigte sich Kahn gegenüber “Sport 1” sicher:

“Bayern wird Meister, wenn Wolfsburg nicht gewinnt.”

Und auch, als die Bayern-Krise im Februar so richtig losging, war Kahn überzeugt, dass am Ende die Bayern vorne stehen würden. Mit dem “Klinsi-Aus” hat die Meinung des “Torwart-Titans” also nichts zu tun.

Der Frust beim gelegentlich als stur geltenden Klinsmann ob der letzten Monate muss übrigens groß gewesen sein. Klinsmann sei, so schreibt die “Süddeutsche Zeitung” heute auf ihrer Seite 3, im Laufe seiner Trainerzeit sogar auf ziemlich hohen Etagen von “Bild” vorstellig geworden, um um eine etwas weniger hämische Berichterstattung zu bitten.

Mit Dank an Jan D.

Buschheuer, Internetradio, Spiegel

1. “Das alte System ist kaputt”

(taz.de, Steffen Grimberg)

Alan Rusbridger, Chefredakteur des englischen Guardian, sieht die Zeitungskrise nüchtern: “Wir müssen uns darauf einrichten, künftig Journalismus mit weniger Leuten zu machen, und demütiger werden.” Seinen Berufskollegen sagt er: “Journalisten müssen über die Entwicklung des Journalismus nachdenken, nicht über Businesspläne. Schon gar nicht dann, wenn wie jetzt niemand weiß, wie unsere Geschäftsmodelle künftig aussehen werden.” Ein Gespräch mit Rusbridger, das Jakob Augstein und Philip Grassmann geführt haben, gibt es hier (vimeo.com, 7:50 Minuten).

2. “Hausmitteilung zu verkaufen”

(bildblog.de, Stefan Niggemeier)

Neue Werbeformen beim Spiegel. Das Nachrichtenmagazin verkauft seine das Heft einführende “Hausmitteilung” als Werbung.

3. “Leser wählen, wir schreiben”

(focus.de, Martin Kunz)

Leser können die Inhalte des Focus-Sonderhefts “Grüner Leben” bestimmen. Nach der Wahl des Themenschwerpunkts können die Leser Themen in Form von Berichten, Reports oder Reportagen auswählen. Leider holt man sich dabei fast den Klicktod, kurz, die Usability ist grauenhaft – vielleicht hält sich auch deshalb die Teilnahme der Leser in Grenzen.

4. Interview mit Else Buschheuer

(spiegel.de, Tobias Becker)

Autorin Else Buschheuer glaubt, dass sich “Twittern zum Bloggen wie Methadon zum Heroin” verhält. “Jeden Tag klicken meine Leser meine Internet-Seite an und lesen über meine Einsamkeit, mein Scheitern, meine kleinen Freuden. Schreibe ich zwei Tage nicht, krakeelen sie. Aber sie kaufen meine Bücher nicht, ich habe sie total verzogen.”

5. “Die radiophone Revolution”

(dradio.de, Georg Gruber)

“Das klassische Küchenradio könnte schon bald ausgedient haben, denn die Anzahl der Sender, die man mit einem derartigen Gerät empfangen kann, ist äußerst begrenzt. Anders im Internet: Hier gibt es mittlerweile Tausende von Radiostationen, die ihre Programme streamen.”

6. “Was man aus ‘6 vor 9’ lernen kann”

(upload-magazin.de, Jan Tißler)

Die Aktion zur Rettung von “6 vor 9” war erfolgreich; in nur drei Tagen wurden 2000 Euro gesammelt. Vielen Dank, das ist grossartig! Jan Tißler schreibt in einem Beitrag, was man seines Erachtens aus der Rubrik lernen kann.

Hausmitteilung zu verkaufen

Nichts ist unmöglich.
(Werbeslogan)

Prinzipiell gibt es für Medien natürlich zwei Möglichkeiten, auf schlechte Zeiten zu reagieren. Entweder können sie besonders auf die Einhaltung von Qualitätsstandards achten, um ihren Wert zu betonen. Oder sie können mitnehmen, was geht.

Für welchen Weg sich das deutsche Nachrichtenmagazin “Der Spiegel” entschieden hat, konnten seine Leser heute gleich beim Aufschlagen der ersten Seite erahnen — jedenfalls sobald sie gemerkt hatten, dass das, was aussieht wie die “Hausmitteilung”, die traditionell den Auftakt des Heftes bildet, nur eine “Hausmitteilungs”-Attrappe ist. Tatsächlich handelt es sich um eine Anzeige von Toyota. Die echte “Hausmitteilung” steht erst auf der nächsten Seite:

Typographie und Gestaltung der Anzeige sind nicht identisch mit dem redaktionellen Original, ihm aber zum Verwechseln ähnlich:

In bunten Illustrierten sind solche Versuche, den Leser zu täuschen, längst Alltag. Beim “Spiegel” waren sie es bislang nicht. Der Pressekodex sagt übrigens:

Bezahlte Veröffentlichungen müssen so gestaltet sein, dass sie als Werbung für den Leser erkennbar sind. Die Abgrenzung vom redaktionellen Teil kann durch Kennzeichnung und/oder Gestaltung erfolgen.

Auf das kennzeichnende Wort “Anzeige” hat der “Spiegel” dennoch lieber verzichtet.

Bild  

Kreuz-Zug ohne Happy End

Der Volksentscheid “Pro Reli”, der in Berlin Religion als Wahlpflichtfach und Alternative zum gemeinsamen Ethik-Unterricht einführen wollte, ist gescheitert — aber an mangelndem Engagement der “Bild”-Zeitung kann es nicht gelegen haben. Konsequent führte sie ihre wundersame Werbestrategie der vorangegangenen Tage fort — diesmal ergänzt um einen ebenso schlichten wie unmissverständlichen Hinweis unter dem “Bild”-Logo auf Seite 1:

Nun ist das für “Bild” nicht die erste Niederlage. Vor fast genau einem Jahr scheiterte der von “Bild” mit ähnlich zweifelhafter Propaganda unterstützte Volksentscheid, Berlin-Tempelhof als Flughafen zu erhalten. Entsprechend routiniert löst die “Bild”-Zeitung heute die Aufgabe, aus der eigenen Niederlage eine für sie positive Schlagzeile zu machen (siehe Ausrisse rechts).

Und wie schon vor einem Jahr gelingt es “Bild” nicht richtig gut, ein fairer Verlierer zu sein. Unter der Überschrift “So hat Berlin gewählt” dokumentiert die Zeitung das Ergebnis der “großen BILD-Umfrage in den Wahllokalen der Stadt” — von 13 Befragten haben erstaunlicherweise nur zwei gegen “Pro Reli” gestimmt.

In einem weiteren Artikel behauptet “Bild”:

Auch der zweite berlinweite Volksentscheid ist an der hohen Hürde der Mindestzahl der erforderlichen Ja-Stimmen gescheitert.

Das stimmt bestenfalls halb: Es haben nämlich mehr Menschen gegen “Pro Reli” gestimmt als dafür. Mit dem gestrigen Wahlergebnis wäre “Pro Reli” gescheitert, ganz egal wie hoch das Quorum (die erforderliche Zahl der Ja-Stimmen) gewesen wäre.

Ringier, Kerner, 20 Minuten

1. Michael Ringier glaubt an Andrew Keen

(persoenlich.com, cl)

Web 0.0 bei Ringier schrieben wir am 16. September 2007. Daran hat sich noch nichts geändert, denn der “nach eigenen Aussagen web-affine Verleger” Michael Ringier glaubt, wie alle, die sich vom Internet bedroht fühlen, an die Aussagen des Web-2.0-Kritikers Andrew Keen (der selbst übrigens fleissig bloggt und twittert). Ringier hält einen Grossteil der Inhalte im Internet für “primitiv und äffisch”, der Kleinreport notierte sich die Ausdrücke “Gewäsch von Dumpfbeuteln”, “Schwachsinn” und “Schrott”.

2. “10 Thesen zum Modernisierungsversagen der Medieneliten”

(carta.info, Robin Meyer-Lucht)

“Die Debatte um Internet und Urheberrecht zeigt vor allem eines: den Unwillen weiter Teile des Führungspersonals hierzulande, sich auf die neue Wissensökonomie des Internets einzulassen. Statt zu gestalten wird gezetert.”

3. “Ich bin da weitgehend meinungsfrei”

(faz.net, Stefan Niggemeier)

Stefan Niggemeier analysiert die ZDF-Jahre von Johannes B. Kerner und stellt nach seinem Abgang zu Sat.1 eine Aufbruchsstimmung fest: “Plötzlich scheint alles möglich: dass das ZDF am späten Abend etwas für sein öffentlich-rechtliches Profil tut, dass Sat.1 ein richtiger Fernsehsender wird, dass Harald Schmidt wieder gut ist.”

4. Interview mit Marco Boselli

(diepresse.com, Isabella Wallnöfer)

Marco Boselli, Chefredakteur der Gratiszeitung 20 Minuten, nennt die Gründe für den erstaunlichen Erfolg des Blatts: “Weil wir ein sehr gutes Produkt machen, nicht nur von Agenturen abschreiben, sondern eigene Geschichten recherchieren. Es ist eine andere Form von Journalismus: schnell und unterhaltsam. Gedrucktes Internet.”

5. “Der Tod der ‘Grauen'”

(zeit.de, Josef Joffe)

Josef Joffe trauert schon mal vorsorglich: “Was sollen wir denn lesen, wenn die ‘New York Times’ stirbt?”

6. Eis essen in Shanghai

(chinablog.ch, Lu Hai Ru)

Lukas Hadorn testet chinesisches Eis am Stiel und macht davon schöne Fotos. Leider haben gleich mehrere Testobjekte den hierzulande eher unbekannten Geschmack “Bohnen”: “Ein intensiver Tee-Geschmack macht sich in meinem Mund breit, seifig, penetrant.”

Klinsi will einfach nicht fliegen (2)

Nachtrag, 11.40 Uhr (obwohl am Anfang stehend): Mittlerweile ist Klinsi geflogen.

Also, nur für den Fall, dass Sie gerade etwas irritiert sein sollten: Jürgen Klinsmann ist unverändert Trainer bei Bayern München. Diese (banale) Feststellung nur für den Fall, dass Sie sich an einer Umfrage beteiligen wollen, die “Bild.de” gerade durchführt:

Wer könnte Klinsi als Trainer beerben?

Dabei ist die Frage der Nachfolge eines Trainers, der noch nicht einmal entlassen worden ist, schon brisant; so brisant sogar, dass man des Lesers Rat durchaus gebrauchen kann. Schließlich hatte man erst unlängst ein paar Kandidaten durchgenudelt, von Matthias Sammer bis hin zu irgendwelchen Italienern, über die sich angeblich Luca Toni sehr freuen soll.

Gekommen ist bisher keiner von denen, so dass Bild.de jetzt die zweite Kandidatenrunde aufmacht, mit dem Manko, dass der eine oder andere etwas, nunja, unerfahren als Trainer ist. Beispielsweise kommen die von Bild.de genannten Nachfolgekandidaten Paul Breitner und Mehmet Scholl auf zusammen genau null Spiele als Trainer (sieht man von Scholls Tätigkeit als Trainer der U-13 des FC Bayern ab). Und auch Stefan Effenberg und Oliver Kahn, von Bild.de ins Gespräch  gebracht, haben bisher noch nie irgendwo eine Mannschaft gecoacht. (Damit die Sammlung dann doch noch wenigstens halbwegs ernstzunehmen ist, fügt Bild.de außerdem hinzu: Ottmar Hitzfeld und Arsène Wenger, die sich immer gut machen, sowie den unvermeidlichen “Bild”-Darling Lothar Matthäus, der aktuell Trainer in Israel ist und angeblich sogar schon beim Lokalrivalen 1860 im Gespräch war).

Über Oliver Kahn schreibt übrigens heute auch die “Abendzeitung”, die von einem “Not-Konzept mit Scholl” wissen will, was sich aber ziemlich schnell als einfach mal dahinspekuliert erweist. Allerdings bleibt der AZ nicht sehr viel anderes übrig, als sich an der Scholl-Variante festzuklammern, weil die anderen beiden Kandidaten, die auch von “Bild” diskutiert werden, das eine oder andere Manko haben:

Paul Breitner: Zu sehr soll sich der Vorstandsberater ins Spiel gebracht haben – und Manager Uli Hoeneß einem Trainer Breitner skeptisch gegenüber stehen.

Oliver Kahn: Hat ein Traineramt immer ausgeschlossen, will Manager werden.

Dass Kahn gar nicht Trainer werden will (und das eigentlich auch gar kein Geheimnis ist), macht die Geschichte mit den Kandidaten natürlich ziemlich schwierig. Aber irgendwie muss man diesen Klinsmann ja loswerden können, auch ganz ohne Nachfolger. Das DSF ließ die Frage nach dem Nachfolger deswegen außen vor, zeigte sich am Sonntag in einem Beitrag für den “Doppelpass” ziemlich sicher: Es gehe nur noch um “die 3 W’s: Wann wird er rausgeworfen, wer wird ihn rauswerfen und wie wird man es ihm sagen”.

Was übrigens weder “Bild”, noch DSF, noch “Abendzeitung” einer weiteren Erwähnung wert fanden: Tabellenführer Wolfsburg verlor am Sonntag in Cottbus 2:0, der Abstand zwischen Bayern und Wolfsburg ist unverändert. Bei Bild.de heißt es dennoch unbeirrt: “Der Titel ist so gut wie weg.”

Mit Dank an Stefan H.

Nachtrag, Montag 10 Uhr: Der Einwand einiger unserer Leser, das DSF habe ja die Niederlage Wolfsburgs gar nicht erwähnen können, weil der “Doppelpass”  schon am Morgen gesendet wird, ist natürlich korrekt.

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Das Bekehrungs-Wunder von “Pro Reli”

Und warum müssen die Berliner morgen beim Volksentscheid “Pro Reli” noch einmal unbedingt für die Einführung eines Wahlpflichtfachs Religion stimmen (und alle Nicht-Berliner die Daumen drücken)? “Bild” weiß es:

Eine Entscheidung mit Symbolcharakter — weit über die Stadtgrenzen Berlins hinaus. Denn es geht auch darum, ob die Kinder (42% der 6- bis 15-jährigen mit Migrationshintergrund) in den Schulen der deutschen Hauptstadt noch etwas über die Wurzeln der westlichen Kultur, die Worte der Bibel, die Lehre des Christentums erfahren.

Ach was. Und die vielen muslimischen Schüler erführen all das also im regulären islamischen Religionsunterricht, den sie im Falle eines Erfolgs von “Pro Reli” bekämen?

 
Nachtrag (mit Dank an Sebastian H.): Die Aufklärung der Berliner Schüler über das Christentum und die Wurzeln der westlichen Kultur hängt übrigens nicht von der Einführung eines Wahlpflichtfachs Religion ab, wie sie “Pro Reli” und “Bild” fordern. Das “Verständnis einzelner Religionen” und die “angemessene Kenntnis der Weltreligionen” stehen auf dem Lehrplan des Fachs Ethik (PDF), in dem nach dem jetzigen Schulgesetz noch alle Schüler der Klassen 7 bis 10, unabhängig von ihrer Religion, gemeinsam unterrichtet werden.

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So ein Volksentscheid muss ja keine Wahl sein

Am Sonntag dürfen die Berliner über einen Gesetzesentwurf abstimmen, den die Initiative “Pro Reli” vorgelegt hat. Sie kämpft dafür, aus dem Fach Religion, dessen Belegung in Berlin traditionell freiwillig ist, ein Wahlpflichtfach zu machen.

Die Materie ist ein bisschen kompliziert (PDF), aber die “Bild”-Zeitung hat es gestern geschafft, sie für ihre Leser auf eine einigermaßen verständliche Formel herunterzubrechen:

Und für diejenigen “Bild”-Leser, denen das zu dezent und unentschieden war und die sich heute immer noch fragen, was sie denn wohl wählen sollen, gibt es heute noch einmal eine Art Wahlservice:

Im Kern geht es bei dem Volksentscheid um die Frage, ob die Schüler in Zukunft wählen dürfen und müssen zwischen dem Fach Ethik und dem Religionsunterricht, wie es “Pro Reli” fordert. Bislang werden die Schüler gemeinsam in Ethik unterrichtet; der nach Konfessionen und Glaubensrichtungen getrennte Religionsunterricht ist freiwillig und findet oft nur in unattraktiven Randstunden statt.

“Bild” und die anderen Zeitungen des Springer-Verlages hatten bereits das Volksbegehren, das zu dem Volksentscheid am kommenden Sonntag führte, massiv unterstützt. Laut “Bild” geht es “um mehr als nur um das Schulfach Religion”, nämlich um die Freiheit. Wer für “Pro Reli” stimme, stimme “für die Freiheit”.

Wie schon beim Volksentscheid über die Zukunft des Flughafens Tempelhof geht “Bild” nicht das Risiko ein, die Argumente der Gegner auch nur zu erwähnen. Kritiker von “Pro Reli” kommen fast nicht zu Wort. “Bild” berichtet: “Prominente unterstützen ‘Pro Reli'” — nennt aber keinen Prominenten, der die Gegenkampagne “Pro Ethik” unterstützt. Die Meldung, dass Desirée Nick “Pro Reli” ihre Unterstützung entzogen hat und ihr einen “Kreuzzug” und Bauernfängerei vorwirft, steht selbstverständlich nicht in “Bild”.

Allerdings berichtete “Bild” am Dienstag, dass der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit am vergangenen Wochenende bei einem Kongress der “taz” den Fernsehmoderator Günther Jauch für die Art, wie er für “Pro Reli” wirbt, kritisiert hatte. Was Wowereit bei der Gelegenheit noch gesagt hatte, stand nicht in “Bild”:

“Dass nun eine konservative Verlagsgruppe auf den rot-roten Senat einschlägt, ist ja nachvollziehbar. Die Frage ist immer: Wo ist Journalismus noch als Journalismus erkennbar? Ich sag mal, was in Tempelhof gelaufen ist, mit einer monatelangen Schlagzeilenkampagne in allen drei Blättern. Ich glaube, das hat es in dieser Stadt, so lange ich mich politisch erinnern kann, noch nie gegeben. Bei Pro Reli fing das ja auch so an Anfang des Jahres, jetzt ist es ein bisschen abgestoppt, nun warten wir mal ab, man soll den Tag nicht vor dem Abend loben, wie das noch die nächste Woche ausgehen wird.”

Antworten sehen Sie oben.

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