Selbstauslöser

Natürlich kann man dem Vorhaben von Google, für seinen “Streetview” ganze Straßenzüge inklusive Autos und Personen abzufotografieren, skeptisch gegenüberstehen.

Natürlich kann man als Zeitung über die datenschutzrechtlichen Bedenken berichten, die es rund um “Google Streetview” gibt, ganz so, wie es die “Neue Westfälische” getan hat.

Natürlich kann man unter ein Foto eines “Streetview”-Kamerawagens inmitten anderer Autos so eine leicht selbstgerechte* Bildunterschrift setzen, wie es die “Neue Westfälische” getan hat:

Die Kameras für die Google-Fotos sind auf Autos installiert, die die Straßen abfahren. Im Gegensatz zur Zeitung, die sie pixelt, sind Kennzeichen im "Street View" voll zu sehen.

Nur sollte man sich dann ganz sicher sein, dass die verdammten Kennzeichen auf dem Foto oberhalb dieser Bildunterschrift auch verpixelt sind:

Unverpixelte Kennzeichen bei der "Neuen Westfälischen"

*) Und falsche, denn Google verpixelt Gesichter und Autokennzeichen von sich aus.

Mit Dank an ker0zene und Peter G.

Nachtrag 24. Januar: Seit gestern hat die “Neue Westfälische” die Nummernschilder anonymisiert.

Eine Titelgeschichte aus dem Internet

Am 21. Januar stand es in der “Stuttgarter Zeitung”, in der “Frankfurter Rundschau” und im “Tagesspiegel”: Die FDP hat mit der Krankenversicherung DKV einen Gruppenvertrag abgeschlossen, der FDP-Mitgliedern Vorteile einräumt.

Solche Rabatte sind (auch für Journalisten) nicht ganz unüblich. Für die “Hamburger Morgenpost” war es heute dennoch, wenn nicht die wichtigste, so zumindest die größte Story:

Titelseite der 'Hamburger Morgenpost' vom 22.1.201

Dierk Rohwedder, Autor des “MoPo”-Artikels, verweist in seiner Darstellung der Lage einmal auf den Online-Dienst sueddeutsche.de. Doch mehr noch.

Wir sehen links Auszüge aus einem Artikel, den Thorsten Denkler gestern Mittag auf sueddeutsche.de veröffentlicht hat — und rechts den kompletten Text von Rohwedders Titelgeschichte “Billig-Tarif für FDP-Mitglieder”:

sueddeutsche.de mopo.de
  Nach dem Hotelier-Skandal schlittert die FDP in die nächste Krise: Die Liberalen kungeln immer ungenierter mit den privaten Krankenkassen. Die 72000 FDP-Mitglieder bekommen von der DKV, Europas größter privater Krankenversicherung, sogar eine Luxus-Versicherung mit Rabatt und Rundum-sorglos-Paket.
“Exklusiv für FDP-Mitglieder”, so lautet das Angebot. (…) So wirbt die Deutsche Krankenversicherung DKV, Europas größter Privatversicherer, auf der FDP-eigenen Internet-Plattform netzwerk-mit-nutzwert.de. “Exklusiv für FDP-Mitglieder”, so wirbt die DKV (3,7 Mio. Mitglieder) auf der FDP-eigenen Internetseite www.netzwerk-mit-nutzwert.de.
Hochgespült hat die Geschichte der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Bundestagsfraktion, Volker Beck. Das hatte der Grünen-Abgeordnete Vollker Beck am Vortag im Bundestag enthüllt.
Weitere Informationen? Nur für den, der sich als “FDP-Mitglied verifizieren” kann. Und das bekommen alle, die sich als “FDP-Mitglied verifizieren”
Es gibt Fünf Prozent Rabatt. Vorerkrankungen sind – anders als üblich – kein Grund, den Versicherungsschutz zu verweigern. Familienmitglieder werden mitversichert und Wartezeiten gibt es auch nicht. Fünf Prozent Rabatt, Vorerkrankungen sind kein Grund, den Versicherungsschutz zu verweigern (anders als sonst üblich), die normalen Wartezeiten gibt es nicht, Familienmitglieder werden mitversichert.
Auf den Seiten der DKV selbst wird es noch deutlicher. Das Logo der Liberalen prangt unter dem der DKV. Daneben drei glückliche Anzugträger und der Claim: “Freie Demokratische Partei und DKV – starke Partner”. “Freie Demokratische Partei und DKV – starke Partner”, so wirbt die Krankenversicherung auf ihrer eigenen Homepage ungeniert mit dem Emblem der FDP.
“Die DKV bietet insgesamt etwa 1000 Firmen und Verbänden solche Gruppenverträge an”, sagt Sybille Schneider, Sprecherin der DKV. (…) Auch der Deutsche Journalistenverband bietet über Gruppenverträge Versicherungen mit der DKV an. Tatsächlich bietet die DKV zahlreiche Gruppenverträge für Unternehmen und Berufsgruppen an, auch für die Pressebranche, Journalisten inbegriffen.
Pikant aber ist, dass ausgerechnet eine Partei, die sich ohnehin massiv für die Belange der privaten Versicherungswirtschaft einsetzt, mit Europas größtem privatem Krankenversicherer kooperiert. FDP-Gesundheitsminister Philipp Rösler sieht seine wesentliche Aufgabe darin, das Gesundheitssystem von der solidarischen Umlagefinanzierung auf private Füße zu stellen. Er hat gerade mit Christian Weber einen Chef-Lobbyisten der privaten Krankenversicherungen zum Leiter seiner Grundsatzabteilung gemacht. In diesem Fall aber ist die Sache pikant, weil die FDP sich schon seit Langem für die privaten Krankenversicherungen starkmacht, bei denen vorwiegend Besserverdienende versichert sind. Der neue FDP-Gesundheitsminister Philipp Rösler arbeitet mit aller Kraft am Umbau des Gesundheitssystems – weg von der solidarischen Umlagefinanzierung hin zur einheitlichen Kopfpauschale mit privater Zusatzversorgung. Das würde das Geschäft aller “Privaten” erheblich fördern. Unter Röslers Vorgängerin Ursula Schmidt war der Zulauf aus den gesetzlichen Krankenkassen hin zu den “Privaten” weitgehend gestoppt worden.
Eingefädelt hatte die FDP das Geschäft schon 2003. Parteichef Guido Westerwelle hatte damals seinem alljährlichen “Dreikönigsbrief” an die Mitglieder eine Broschüre beigelegt, in der FDP und DKV gemeinsam für das Angebot der DKV warben. Laut “sueddeutsche.de” soll Parteichef Guido Westerwelle selbst die Kooperation mit der DKV ausgehandelt haben.
Nina Katzemich, Sprecherin von Lobbycontrol, sagte zu sueddeutsche.de: “In der Politik entsteht bei so etwas immer der Verdacht, dass sich da ein Unternehmen eine Partei gewogen machen möchte.” Das gelte “erst recht, wenn sie in Regierungsverantwortung steht, da wird es noch etwas gefährlicher”. Nina Katzemich, Sprecherin von Lobbycontrol, findet das höchst bedenklich. Es entstünde hier der Verdacht, dass “sich da ein Unternehmen eine Partei gewogen machen möchte”. Das gelte erst recht, wenn diese Partei in der Regierungsverantwortung stehe. “Da wird es noch etwas gefährlicher.”

Fast die gleiche Version seiner “Morgenpost”-Geschichte hat Autor Rohwedder übrigens auch im “Berliner Kurier” und
“Kölner Express” platzieren können, dort allerdings nicht ganz so prominent:

Titelseite 'Express' vom 22.1.2010

Auflagenmanipulation, Pro7, Perlentaucher

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Die Auflagenlüge”
(hausblog.taz.de, Andreas Bull)
taz-Geschäftsführer Andreas Bull zur Auflagenmanipulation der Qualitätszeitungen: “(…) ausgefeilte Suchmaschinenoptimierung und Reichweiten vorgaukelnde click-monster sind derart übliche Verfahren des Selbstbetrugs geworden, dass, wer nicht daran teilnimmt, ähnlich blöd zu sein scheint, wie der Investmentbanker, der 2007 nicht mit Zertifik- und Derivaten handelte.”

2. “Im Netz der Ignoranten”
(ralfschwartz.typepad.com)
Ralf Schwartz schreibt eine Replik zum Artikel “Im Netz der Giganten” auf Spiegel Online.

3. “Geschmackloser ‘Fringe’-Trailer mit Bußgeld belegt”
(dwdl.de, Jochen Voß)
Die Kommission für Jugendmedienschutz der Landesmedienanstalten KJM ahndet die als Nachrichtensondersendung getarnten Werbetrailer für die Serie “Fringe” von Pro7 mit einem Bußgeld, dass sich “im Bereich um die 3.500 Euro” bewegen dürfte. Gegen Jugendschutzbestimmungen verstossen auch “Deutschland sucht den Superstar” und andere Sendungen.

4. “Musikjournalismus: Distanz? Recherche? Pah!”
(zeit.de, Jan Kühnemund)
Jan Kühnemund glaubt, der Rezensionsteil der meisten Musikzeitschriften sei “weniger Ausdruck von Meinungsbildung als vielmehr die Ausstellung der Redakteure Eitelkeit und Dokument des Ringens um Relevanz. Gut zu lesen ist das nie.”

5. “25 wunderbare deutsche Blogs abseits des Mainstreams”
(yuccatree.de, Jürgen Vielmeier)
“Wo widmen sich Autoren mit viel Hingabe ihrem Alltag oder einem speziellen Thema und werden doch viel zu selten gelesen? Wir stellen für den Anfang 25 Blogs vor – und hätten gerne noch viel mehr Vorschläge von euch!”

6. “Ihr Feiglinge!”
(zeit.de, Hilal Sezgin)
Hilal Sezgin wirft dem der breiten Öffentlichkeit eher unbekannten Dienst Perlentaucher.de vor, ein Meinungsmonopol zu betreiben, “das selbstreferenziell und gegen Kritik von außen so gut wie immun ist”. Zum Vorwurf der “feigen Anonymität” nehmen die Perlentaucher in ihrem Blog kurz Stellung.

Angebot und Nachfrage

Atlético Madrid hat angeblich Interesse am Brasilianer Rafinha, zur Zeit in Diensten des FC Schalke 04. Das berichtete gestern die spanische Sportzeitung “El Mundo Deportivo”.

Dem konnte Bild.de gestern Nachmittag etwas hinzufügen:

Magath bestätigt Angebot: Atletico Madrid jagt Rafinha!

Schon im August wollte der derzeitige Tabellenelfte der Primera Division den Rechtsverteidiger ausleihen. Wird’s diesmal ernster? Trainer Felix Magath: “Ja, ein Klub hat wegen Rafinha angefragt…”

Magath bestätigt Angebot – Atletico will Rafinha!

Was man auf den ersten Blick kaum sieht: Dieser kleine Strich zwischen “Magath bestätigt Angebot” und “Atletico will Rafinha!” markiert die Grenze zwischen sicherer Faktenlage und dünnem Eis.

Laut Sportinformationsdienst (sid) war Magaths Ausspruch nämlich noch etwas länger:

“Ich habe eine Anfrage für den Spieler Rafinha vorliegen, aber von einem Interesse von Atletico Madrid höre ich zum ersten Mal. Das ist nicht der Verein, der bei mir angeklopft hat”, sagte Schalke-Trainer Felix Magath am Mittwoch zu diesem Gerücht.

So lange Magath nicht verrät, welcher Verein angefragt hat, kann also munter weiter spekuliert werden: Die “Westdeutsche Allgemeine Zeitung” munkelt recht unpräzise von einem “größeren ausländischen Klub”, die Sportwebsite Spox.com will erfahren haben, dass der VfL Wolfsburg an Rafinha interessiert ist — was wiederum bei Bild.de in Frage gestellt wird.

Mit Dank an Bastian.

Markwort, SZ-Magazin, Wagner

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Wie sich der Focus-Chef inszeniert”
(ndr.de, Video, 5:30 Uhr)
Helmut Markwort, Herr über die “Focus-Welt” (“bunt, besteht aus Tabellen und anderen Schnipseln”), will dem neuen Chefredakteur Wolfram Weimer vor seinem Abgang noch eine Überarbeitung des Hefts aufzwingen, so dass dieser über Jahre hinweg blockiert wird, eine eigene Neugestaltung vorzunehmen.

2. “Neues Futter für den Provokanten-Stadl”
(heise.de/tp, Rudolf Stumberger)
Rudolf Stumberger liest die Titelgeschichte “Schloss mit lustig” des SZ-Magazins und findet keine Fakten und keinen realen Gehalt. “Wir sehen zwar noch die äußere Hülle eines journalistischen Textes vor uns, aber es fehlt quasi das schlagende Herz. Derartigen Artikeln mangelt es an einem wesentlichen Moment, es fehlt die Anbindung an das grundlegende Lebensprinzip des Journalismus, eine kritische Ernsthaftigkeit. Sie wurde in Deutschland vor ungefähr zehn Jahren eingetauscht gegen eine benommen machende Beliebigkeit.”

3. “Das Medienbeben – Die Katastrophe von Haiti, das Fernsehen und die Opfer”
(haz.de, Imre Grimm)
Wie die Medien mit dem Erdbeben in Haiti umgehen: “‘Die grausamen Fotos der Katastrophe’, schreibt der Onlinedienst ‘Bild.de’ über eine Fotogalerie. Nach dem Bild eines nackten Mannes, den ein Lynchmob durch die Straßen zieht, poppt Werbung auf: ‘Wir schicken Deutschland in den Urlaub! 35 Prozent für Frühbucher.'”

4. “Ein Film, eine Meinung­­”
(woz.ch, Silvia Süess)
Ein Text zum aktuellen Zustand der Filmkritik. “Die Texte in den Zeitungen werden kürzer – Filmtipps bestehen oft nur noch aus ein paar Sätzen und Sternchen. Gleichzeitig werden die Presseunterlagen immer dicker: Nicht selten umfasst ein von den Filmverleihern verfasstes Pressedossier fünfzehn Seiten oder mehr, Produktionsnotizen des Produzenten oder Interviews mit der Regisseurin oder mit der Hauptdarstellerin sind darin abgedruckt.”

5. “Post an Wagner (44)”
(off-the-record.de, Spießer Alfons, Video, 1:24 Minuten)
Spießer Alfons fragt “Bild”-Chef Kai Diekmann, wann endlich “Bild”-Kolumnist Franz Josef Wagner die versprochene Weihnachtsgeldspende für Kinder in Afrika zahlt. Diekmann: “Ich werde dafür sorgen, dass Franz Josef zahlt.”

6. “German Publishers Go After Google; Apparently Very Confused About How The Internet Works”
(techdirt.com, Mike Masnick, englisch)
Mike Masnick sucht nach den Gründen der Kartellklage der deutschen Verlegerverbände gegen Google und findet eine selbstverschuldete Inkompetenz. “Yet the publishers he represents had all of the advantages in the world. They were local. Google was not. They had been around for many more years than Google. They had brand recognition and loyalty that Google did not. Fuhrmann is basically admitting what a colossal failure the companies he represents have been. They failed to capitalize on a huge opportunity. And now, when Google sends them traffic, they are still failing to use that traffic wisely. And then they blame Google for it? Wow.”

Weniger bleibt mehr

Barack Obama ist auf dem absteigenden Ast. Kein Zweifel — denn man kann es schließlich überall lesen. Und so kam man auch heute Morgen kaum an den Schlagzeilen über den neusten, schwer herben Rückschlag für den US-Präsidenten vorbei:

Bei Focus.de:
Obama erleidet schweren Rückschlag. Es läuft nicht gut für Barack Obama. Bei den Nachwahlen haben die Demokraten eine Hochburg und damit ihre Mehrheit im Senat verloren. Damit können die Republikaner große Projekte blockieren – auch die Gesundheitsreform.

Bei Bild.de:
 Schwerer Rückschlag  US-Präsident Obama verliert Mehrheit im Senat

Und bei Express.de:
Herber Rückschlag Obama verliert Mehrheit im Senat

Kenner der US-Politik reiben sich verwundert sie Augen: Gestern hatte Obama noch eine satte Mehrheit: zehn Stimmen mehr als die Häfte der Senatoren. Wie konnte der Präsident – oder besser: seine Partei – diesen Vorsprung quasi über Nacht verlieren, wo am Dienstag doch nur die Nachwahl eines einzigen Abgeordneten anstand?

Die Auflösung ist einfach: Natürlich meinten die deutschen Medien nicht etwa, dass Obama die Mehrheit verloren habe, sondern nur eine Mehrheit — nämlich die qualifizierte Mehrheit von 60 Prozent der Senatssitze. Die erlaubt es einer Partei, so genannte Filibuster zu unterbrechen, bei denen ein Abgeordneter des politischen Gegners durch lange Debattenbeiträge eine Abstimmung zu verhindern versucht.

Klingt kompliziert? Ist auch so. Was also der Verlust eines Sitzes im US-Senat bedeutet, erklärt uns der Express deshalb sogar fett gedruckt — ohne mit gesetzgeberischen Details zu langweilen:

Damit verfügt Obama ein Jahr nach seiner Amtsübernahme in der kleineren Kongresskammer nicht mehr über die nötige 60-Stimmen-Mehrheit zur Durchsetzung wichtiger Gesetzesvorhaben.

So ähnlich scheint es auch der Redakteur von Stern.de gesehen zu haben, der die Lage heute Morgen noch etwas prägnanter zusammenfasste:

Massachusetts republikanisch: Demokraten verlieren Senat

Inzwischen wurde die Überschrift geändert und bekam einen “-orenposten” angehängt.

Gewiss: Ein etwas harsches Urteil für eine Senatsmehrheit, die zum Beispiel weit oberhalb der Mehrheit der schwarz-gelben Koalition im Deutschen Bundestag liegt. Aber wenn Obama nun keine wichtigen Gesetze mehr durchbringen kann, ist das Fazit sicher gerechtfertigt. Außerdem klingt es so viel besser als die komplizierten Fakten.

Allerdings war Barack Obama im vergangenen Jahr der erste Präsident seit Jimmy Carter, der über diese super majority verfügte. Und dass weder Ronald Reagan, noch George Bush, Bill Clinton oder George W. Bush je ein wichtiges Gesetz durchgebracht hätten, ist eine Interpretation, die wohl nur wenige Menschen teilen würden.

Mit Dank auch an TM.

Nachtrag, 21. Januar: Focus.de hat inzwischen den Beitrag berichtigt und den Fehler richtig gestellt.

Feuilletons, Google-Wahn, Pressekonzentration

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Das Behagen an der Unkultur”
(perlentaucher.de, Thierry Chervel)
Perlentaucher.de-Mitgründer Thierry Chervel äussert in einem langen Beitrag Kritik an den Feuilletons deutscher Zeitungen: “Die Feuilletons sind zu Schutz- und Ausweichräumen eines immer mehr zum Pfäffischen tendierenden juste milieu geworden, das sich von den eigenen Traditionen der Kritik und des Witzes längst abgeschnitten hat. Klassisch liberale, aufklärerische Positionen lassen sich in praktisch keinem einzigen Feuilleton der Republik mehr artikulieren.”

2. “Thierry Chervel sieht rot”
(blogs.taz.de/reptilienfonds, Heiko Werning)
Ganz anders sieht das taz-Blogger Heiko Werning. Eine “wutschnaubende Suada” sei Chervels langer Text, ihm sei “vor lauter Um-sich-beißen offenbar einiges durcheinander geraten”. – “Das ist halt das Problem, wenn man, wie Thierry Chervel, ein Leben nur im feuilletonistischen Elfenbeinturm denkt und verbringt und von der dinglichen, Naturgesetzen gehorchenden, echten Welt da draußen noch nie etwas mitbekommen hat.”

3. “Angst vor Google – Gedanken zu einer Debatte”
(blog.kooptech.de, Thomas Wanhoff)
Thomas Wanhoff analysiert den “Zeit”-Artikel “Im Google-Wahn” und findet es beeindruckend, “dass jemand nach Demokratie ruft, um ein Unternehmen zu bekämpfen”. Er kommt zum Schluss: “Susanne Gaschke gehört zu den Journalisten, die trotz akademischem Hintergrund das Internet nicht verstanden haben.”

4. “Die ‘Kuss-Falle’ der Agenturchef-Tochter”
(meedia.de, Stefan Winterbauer)
Stefan Winterbauer schreibt über ein unscharfes Paparazzi-Foto in der Zeitschrift “Frau aktuell”, das den Handballer Silvio Heinevetter in inniger Umarmung mit einer Unbekannten zeigt. “Was für ein gigantischer Zufall, dass die Dame auf den Exklusiv-Bildern der Frau aktuell ausgerechnet die Tochter eines Verkäufers von Promi-Geschichten an Yellow-Blätter ist, der früher mit der Chefredakteurin eben jener Zeitschrift zusammengearbeitet hat.”

5. “Ein Meinungsbeitrag zur Pressekonzentration”
(nzz.ch, Hugo Triner)
Verleger Hugo Triner beobachtet eine stark fortgeschrittene Pressekonzentration in der Schweiz: “Die Erfahrung zeigt, dass Machtballungen früher oder später zu politischem und/oder ökonomischem Missbrauch führen. Die Abhängigkeit der Inserenten, Politiker, Leser, Journalisten und Mitarbeiter von den Entscheiden einiger weniger Konzernzentralen ist gross.”

6. “Was twittern einer Lokalzeitung bringt”
(netzfeuilleton.de, SheephunteR)
Christian Lindner, Chefredakteur der “Rhein-Zeitung” aus Koblenz, spricht über die Twitter-Strategie seines Blatts und erzählt, dass er “mehrere Themenhinweise am Tag” über Twitter erhalte, keineswegs nur triviale Geschichten: “Auch der ein oder andere Tipp aus großen regionalen Unternehmen und der Hinweis auf ein politisches Skandälchen auf Landesebene soll schon dabei gewesen sein. Whistleblowing via Twitter.”

Bild  

Posthum gealtert II

Bloggen für BILDAls vergangene Woche die frühere TV-Moderatorin Petra Schürmann starb, verkündeten die meisten Medien übereinstimmend, dass sie 74 Jahre alt geworden war. “Bild” und Bild.de jedoch gaben das Alter der Verstorbenen konsequent mit 76 an, was wir sehr merkwürdig fanden und deshalb aufschrieben.

Die Münchener “tz” berichtete am vergangenen Freitag, einen Tag nach Schürmanns Tod, in ihrer Online-Ausgabe:

Ein Geheimnis, das Petra Schürmann wohl ins Grab mitnehmen wollte, ist wohl gelüftet: das um ihr Alter. Die Behörden nennen als ihr Geburtsdatum den 15. September 1933. Demnach wurde Schürmann 76 und nicht 74 Jahre alt.

Am Samstagmorgen wurde in Schürmanns Wikipedia-Eintrag ihr Geburtsdatum korrigiert, aber Klarheit herrschte immer noch nicht, wie dpa wenige Stunden später tickerte:

Seit dem Wochenende geben mehrere Zeitungen das Sterbealter Schürmanns nicht mehr mit 74, sondern mit 76 Jahre an. “Die Behörden nennen als ihr Geburtsdatum den 15. September 1933”, schreibt die Münchner “tz”. Letzte Klarheit darüber soll es spätestens am Dienstag geben. Wie Bestatter Schmid der dpa sagte, werde das genaue Geburtsdatum auf den dann verteilten Sterbebildchen schwarz auf weiß gedruckt stehen. “In den Todesanzeigen werden Sie darüber nichts finden”, sagte er.

Und so geschah es dann auch am Dienstag:

Erst auf den unter den Gläubigen verteilten Sterbebildchen wurde indessen das Geheimnis um das wahre Alter der bisher einzigen deutschen “Miss World” gelüftet. Petra Schürmann war zwei Jahre älter als bislang angegeben. Sie wurde 76 und nicht 74 Jahre alt.

Petra Schürmanns beste Freundin Uschi von Bayern, die bis zuletzt an ihrer Seite war, hatte am Montag in der Münchner “Abendzeitung” verraten, dass diese 1933 geboren worden war:

Sie ist mit 76 gestorben, hat sich bewusst nie jünger gemacht. Allerdings, als eine Zeitschrift sie mal um zwei Jahre verjüngte, hat sie das nicht dementiert.

Damit hat sie allerdings mindestens so viele Fragen aufgeworfen wie beantwortet: Seit wann Petra Schürmann unter falschem Alter geführt wurde, lässt sich nur schwer eingrenzen. Bei ihrer Wahl zur Miss World 1956 wurde sie noch als 23-Jährige gehandelt, aber die deutschen Zeitungen gingen seit mindestens 1996 davon aus, dass sie 1935 geboren sei.

Uns bleibt somit nur, vor “Bild” den Hut zu ziehen: In diesem Fall hatte die Zeitung einfach mal Recht.

Mit Dank an die vielen, vielen Hinweisgeber!

Springer provoziert Schmerzensgeld

Das Landgericht Berlin hat die Axel Springer AG dazu verurteilt, dem Berliner Anwalt Johannes Eisenberg ein Schmerzensgeld von 20.000 Euro zu zahlen. Das bestätigte ein Gerichtssprecher gegenüber BILDblog. Es geht um diverse Veröffentlichungen in der “Bild”-Zeitung und in dem Blog kai-diekmann.de, das Springer für den “Bild”-Chefredakteur betreibt.

Kai Diekmann und die von ihm geleitete Zeitung führen seit einiger Zeit eine Art Rachefeldzug gegen Eisenberg, der im Namen prominenter und nicht-prominenter Mandanten in vielen Fällen erfolgreich gegen falsche oder unzulässige “Bild”-Berichte vorgegangen ist. Eisenberg vertrat auch die Tageszeitung “taz”, als Diekmann sie wegen einer Satire über eine (erfundene) missglückte Penisverlängerung auf Unterlassung und Schmerzensgeld verklagte. Vor Jahren hat Eisenberg der “Bild”-Zeitung bereits erfolgreich untersagen lassen, Fotos von ihm zu veröffentlichen.

Diekmann und “Bild” haben dennoch (oder gerade deshalb) immer wieder in besonders provozierender Weise über Eisenberg berichtet. “Bild” stellte ihn zum Beispiel als “Alien” dar, Diekmann veröffentlichte unter kaidiekmann.de Anwaltsschreiben Eisenbergs und machte sich über die Tippfehler darin lustig. Obwohl Gerichte die Veröffentlichungen immer wieder untersagten, ließ Springer nicht von dem verhassten gegnerischen Anwalt ab.

Nach Angaben von Eisenbergs Kanzlei begründete der Vorsitzende der Pressekammer in der heutigen Gerichtsverhandlung die Verhängung des Schmerzensgeldes damit, dass der Springer-Verlag auch nach den Verbotsverfügungen nicht damit aufgehört habe, Eisenbergs Persönlichkeitsrechte nachhaltig weiter zu verletzen.

Eisenbergs Kompagnon Stefan König interpretiert die Entscheidung so:

Das Urteil macht nachhaltig deutlich, dass auch ein mächtiger Medienkonzern die Persönlichkeitsrechte eines Gegners zu respektieren hat, der mutig und konsequent immer wieder gegen dessen Rechtsverletzungen vorgeht.

Springer kann gegen das Urteil in Berufung gehen.

Trigami, Deutsche Welle, Sloterdijk

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Wie viel Werbung steckt in einem Tag Pro7?”
(hauseundlars.de)
Hause und Lars messen, wie viel Werbung der Sender Pro7 während 24 Stunden sendet: “Am 16.01.2010 von 00:00:00 Uhr bis 23:59:59 Uhr wurden bei Pro7 Deutschland exakt 03h 40m und 06s Werbung oder Programmhinweise ausgestrahlt. Das laufende Programm wurde 52 mal unterbrochen.”

2. Trigami und die iPhone-App der “Süddeutschen Zeitung”
(upload-magazin.de/blog, Jan Tißler)
Jan Tißler bloggt über die Zusammenarbeit der “Süddeutschen Zeitung” mit Trigami. Daraufhin kündigt der Marketing-Verantwortliche Peter Bilz-Wohlgemuth in einem Kommentar die Beendigung der Zusammenarbeit mit Trigami “mit sofortiger Wirkung” an. Trigami selbst schreibt: “Wir als Trigami haben grossen Mist gebaut! Punkt.”

3. “Blogger der 100 Tage”
(heise.de/tp, Markus Kompa)
Markus Kompa schreibt ausführlich über die Blogaktivitäten von “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann und stattet der “Bild”-Redaktion einen Besuch ab, wobei er “versehentlich seine ihm gerade geschenkte Diekmann-Tasse stehen” lässt.

4. “Ein Haufen Goldbären”
(taz.de, Marvin Oppong)
“Auffällig oft finden Produkte der Haribo GmbH & Co. KG (Bonn) Erwähnung im Programm der Deutschen Welle (ebenfalls Bonn). Purer Zufall oder Bönnscher Klüngel?”

5. Interview mit Jeff Jarvis
(focus.de, Leif Kramp und Stephan Weichert)
Jeff Jarvis zur Zukunft der Lokalzeitung: “Ich denke, eine lokale Zeitung muss sich radikal verändern und sich voll und ganz auf Lokalberichterstattung im besten Sinn konzentrieren. Es gibt keinen Grund, warum sie auch den Rest der Welt beackern müssten.”

6. Interview mit Peter Sloterdijk
(interviewsfuehren.wordpress.com, Video, 7:35 Minuten)
Christian Thiele spricht mit Philosophieprofessor Peter Sloterdijk über Interviews.

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