Es gibt gute Neuigkeiten. Auf der Startseite empfing Bild.de seine Leser am Donnerstagabend mit folgender Nachricht.
Und weiter:
Im Text heißt es:
Deutschland ist zur wettbewerbsfähigsten Volkswirtschaft in der Eurozone aufgestiegen. Die Deutschen jagten den Finnen den Spitzenplatz unter den Euroländern ab.
Also: Deutschland ist Spitzenreiter nicht nur in Europa, sondern auch in der “Eurozone” und ist dazu noch Spitze im “Euroland” — das wiederum aus vielen Euroländern besteht. Alles klar? Überhaupt: Alles, was mit “Euro” beginnt muss doch irgendwie das Gleiche sein, oder?
Nicht wirklich: Ein Blick in die Tabellen des World Economic Forum zeigt die Lage etwas klarer:
Deutschland steht zwar an erster Stelle der Länder der “Eurozone” — also der Länder, in denen man mit dem Euro bezahlt. In Europa gibt es jedoch noch einige Länder, die sich der Gemeinschaftswährung nicht angeschlossen haben. Da zwei von denen laut World Economic Forum noch wettbewerbsfähiger sind als Deutschland, liegen wir in Europa allenfalls an dritter Stelle.
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
1. Interview mit Kai Diekmann (jetzt.sueddeutsche.de, Hans Leyendecker und Marc Felix Serrao)
“Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann gibt einen aus seiner Sicht “grossen Fehler” von “Bild” zu: “Auf einem Demo-Foto von Jürgen Trittin fälschlich Schlagstock und Bolzenschneider erkannt zu haben, das war schon ziemlich bescheuert.” Geschehen ist das im Januar 2001, Diekmann erwähnt das Beispiel gerne immer wieder (BILDblog berichtete).
3. “Journalisten erfüllen Erwartungen nicht” (akademie-fuer-publizistik.de, Kristin Marquart)
Eine Umfrage unter 1001 Deutschen ergibt, dass 62 Prozent von ihnen Journalisten für manipulativ halten. “Fast die Hälfte der Befragten (44 Prozent) ist zudem der Meinung, dass die Medien sich zu sehr mit Nebensächlichkeiten beschäftigen – und nicht die Themen und Probleme aufgreifen, die die Menschen in Deutschland wirklich bewegen.”
4. “Mathias Döpfner über das Netz” (taz.de, Günter Bartsch)
Günter Bartsch notiert, dass Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender des Axel-Springer-Verlags, allen Ernstes behauptet, “die Pressefreiheit werde durch das Internet selbst bedroht, sozusagen durch eine schlechte Angewohnheit des Internets: die ‘Gratis-Kultur'”.
Fast wären zwei Flugzeuge über London zusammengestoßen. Passiert ist das zwar vor mehr als einem Jahr, aber die dramatischen Details des Falls lassen heute immer noch erschauern und so berichtet Bild.de heute exklusive Fakten:
In der Tat: Knapper geht es nicht. Richtig beeindruckend wird diese phänomenale Pilotenleistung, wenn man weiß, dass die Geschwindigkeit der Boeing zu diesem Zeitpunkt zirka 100 Meter pro Sekunde betrug, während der deutsche Business-Jet aus der Gegenrichtung kam. So hatte der Pilot nicht Mal eine Viertelsekunde Zeit, um die Gefahr zu erkennen und das Ausweichmanöver zu fliegen, das die 248 Menschen an Bord rettete.
Warum berichtet Bild.de exklusiv über die fantastische Leistung? Am mangelnden Interesse der Medien liegt es nicht, denn sowohl Reuters, als auch Sky News und die “Daily Mail” haben von dem Vorfall berichtet, unterschlagen aber das heldenhafte Flugmanöver des türkischen Piloten.
Aufklärung bietet die Air Accidents Investigation Branch, die Bild.de praktischerweise verlinkt. Deren Bericht liest sich ein wenig anders als die Bild.de-Meldung:
D-ITAN […] passierte TC-JJA in fast exakt entgegengesetzter Richtung ungefähr 0,5 nautische Meilen entfernt und 30 bis 60 Meter darunter […]
(Übersetzung von uns)
Eine halbe nautische Meile, also mehr als 900 Meter, trennten die beiden Flugzeuge. Ein ernster Vorfall für die britischen Behörden, für die Bild.de aber offenbar nicht dramatisch genug. Statt eines wagemutigen Ausweichmanövers weiß die britische Luftaufsicht übrigens nur von Funksprüchen zwischen Cockpit und Tower zu berichten, die einen potenziellen Zusammenstoß verhinderten.
“Bild”-Kolumnist Hugo Müller-Vogg gilt als genauer Kenner der politischen Szene. Er weiß, wie Politiker ihre Krankheiten tarnen, verriet der Öffentlichkeit, wie die Kanzlerin ihre SMS unterzeichnet, und greift besonders gerne Oskar Lafontaine an.
Anscheinend will Müller-Vogg Lafontaine jetzt auch aus der Geschichtsschreibung löschen. Immerhin schrieb er gestern in seiner Kolumne “Berlin intern”:
Sie konnten sich nicht ausstehen: Gerhard Schröder und der 1995 von ihm gestürzte SPD-Vorsitzende Rudolf Scharping.
Andererseits könnte es natürlich auch sein, dass Müller-Vogg schlichtweg nicht wusste, dass Scharping beim berühmt gewordenen Mannheimer Parteitag 1995 nicht von Schröder gestürzt wurde, sondern von Lafontaine.
Für “Bild” war es Angela Merkels “mutigster Auftritt”: Die Kanzlerin verlieh den “M100 Medienpreis”, der “Verdienste um den Schutz der freien Meinungsäußerung” würdigt, an den dänischen Karikaturisten Kurt Westergaard. Die Zeitung würdigt Merkels “großes Bekenntnis zur Freiheit der Presse und der Meinungen” und dokumentiert ihre “wichtige Rede” und zieht in einem Kommentar Parallelen zum Fall Sarrazin.
Nur: Merkel sagte ausdrücklich, das Thema Sarrazin sei “gerade kein Thema der Gefährdung der Meinungsfreiheit”. Sie hat sogar noch Dinge über “Bild” und die Axel Springer AG gesagt, auf deren Wiedergabe “Bild” lieber verzichtete.
Nur fast. Es handelt sich das Making-Of der neuen Werbekampagne des Schuhhändlers, das aber wie redaktioneller Inhalt auf abendblatt.de steht, schön eingebunden in die Meldung, dass Cindy Crawford für Deichmann wirbt. (Falls Sie sich fragen, ob das überhaupt eine Nachricht ist: Anscheinend schon — und nicht zum ersten Mal.)
Eingeordnet wird das nicht unter “Werbung” und auch nicht unter “Berichterstattung über Werbung”. Sondern so:
So richtig angebracht ist das Making-Of-Video eigentlich nur an einem Ort: Im “trendblog” auf deichmann.com.
Kriminalfälle in Mittelamerika werden üblicherweise nicht von deutschen Online-Medien aufgeklärt. Bild.de versucht es aber trotzdem mal:
Nun ist nicht auszuschließen, dass tatsächlich ein Bandenmitglied aus Guatemala im Nachbarland Honduras an einem Massenmord beteiligt ist. Es wäre aber ein sensationeller Zufall, denn das Foto stammt aus einer Serie, die vor drei Jahren in einem Gefängnis entstanden ist. Der Mann war damals übrigens schon 23.
Mit anderen Worten: Was Bild.de da zeigt, ist kein Fahndungs- sondern ein Symbolfoto.
Dafür, dass es um die Integration von Ausländern in Deutschland so miserabel stehen soll, ist es der “Bild”-Zeitung erstaunlich schwer gefallen, drastische Beispiele dafür zu finden. Eine Auswahl der “schlimmsten Fälle verfehlter Integrationspolitik” präsentierte das Blatt gestern und prangert zum Beispiel, im Gleichschritt mit dem rechtsextremen Ring Nationaler Frauen, den wöchentlichen Frauenbadetag in einem Münchner Hallenbad an.
“Bild” stellt sich auch auf die Seite eines Arztes aus dem hessischen Wächtersbach, der es “satt hatte”, dass verschleierte Patientinnen sich geweigert hätten, ihre Kopftücher zur Untersuchung abzunehmen. Der Mann hatte in einem Aushang unter anderem bekannt gegeben: “Kinderreiche islamistische [sic!] Familien mit mehr als 5 leiblichen Kindern werden in dieser Arztpraxis nicht behandelt!” Der Arzt hat sich inzwischen dafür entschuldigt, dass er mit seinen Formulierungen über das Ziel hinausgeschossen sei und Menschen verletzt habe.
Das untauglichste Beispiel für misslungene Integration aber ist gleich das erste, das “Bild” nennt:
Frauen nicht anschauen!
Im Klinikum Stuttgart kursiert eine “Handlungsanweisung internationale Patienten” für das Pflegepersonal. Darin heißt es: “Anmerkung zur islamischen Kultur: Frauen nicht anschauen, nicht die Hand geben!”
Die Handlungsanweisung gibt es tatsächlich; der entsprechende Absatz lautet vollständig:
Eine Anmerkung zur islamischen Kultur: Frauen nicht anschauen, nicht die Hand geben und ganz wichtig – bitte nicht in ein Zimmer reinplatzen ohne auf das Herein nach dem Klopfen zu warten!!! – Patientin könnte beten oder sich gerade umziehen!
Wie der Begriff “internationale Patienten” schon nahelegt, geht es dabei aber um Menschen, die nicht in Deutschland leben. Die Handlungsanweisung betrifft ausschließlich “Patienten, die zum Zweck der medizinischen Behandlung aus dem Ausland einreisen”, also zum Beispiel die Angehörigen eines Scheichs, die das Klinikum für eine spezielle Operation wählen und dafür selbst zahlen.
Noch einmal: Die Empfehlung für den Umgang mit muslimischen Patientinnen, die “Bild” als Beispiel schlechter Integration in Deutschland anprangert, gilt für Menschen, die anreisen, sich behandeln lassen, wieder abreisen.
Aber es stimmt schon: Ausländer, die gar nicht in Deutschland leben, sind bei uns wirklich empörend schlecht integriert.
Um irgendetwas über die frisch gebackene Grand-Prix-Siegerin Lena Meyer-Landrut schreiben zu können, haben sich “Bild” und Bild.de, die von der jungen Sängerin konsequent gemieden werden, Anfang Juni an einer Exegese ihres CD-Booklets versucht.
Dabei kam es zu einigen Ungenauigkeiten und nur wenige Tage später mussten Zeitung und Internetseite eine Gegendarstellung bringen, in der Stefan Raab feststellte, “die Brainpool TV GmbH nicht 1994 mitbegründet” zu haben (BILDblog berichtete).
Deutlich länger brauchte eine andere Gegendarstellung zum selben Artikel. Sie wurde erst letzte Woche, mit fast dreimonatiger Verspätung veröffentlicht:
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
1. “Magazine machen Leute” (klatschkritik.blog.de, Antje Tiefenthal)
“Fearne Cotton. Rebecca Gayheart. Brittany Snow. Adrienne Bailon. Amy Smart. January Jones. Lauter junge Damen, die diese Woche in den Magazinen Intouch und Life & Style (Nr.36/2010) auftauchen. Kennen Sie nicht? Ich auch nicht.”
2. “Bodos Tierleben” (zeit.de, Stefan Willeke)
Unterwegs in Kanada mit Bodo Hombach, dem Geschäftsführer der Mediengruppe “Westdeutsche Allgemeine Zeitung”: “Hombachs Leben ist wie ein Reißverschluss. Mal zog ihn die Politik nach oben, mal die Wirtschaft, anschließend die Politik und so weiter.”
4. “Volontariat: Wenn der Ausgebildete eine Ausbildung sucht…” (griess.wordpress.com, Andreas Grieß)
Andreas Grieß hält Abgänger von Journalistenschulen für voll ausgebildet und kann nicht verstehen, warum sie “auf die Schiene ‘Volo’ gedrängt werden”: “Solche Leute brauchen kein Volontariat, sondern eine Festanstellung. Dass man das Volontariat damit erklärt, Leute in ein Unternehmen einarbeiten zu wollen, geht an der Sache vorbei. Dann müsste ja jeder, der z.B. die Zeitung wechselt, wieder als Volontär anfangen. Nein, dafür gibt es die Probezeit.”