Bild  

Die Rücksicht anderer Leute

Am Sonntagabend wurde in Bergkamen im Kreis Unna ein siebenjähriger Junge tot aufgefunden.

Irgendwie Weil die Familie des Jungen am Sonntag zunächst mit Flugblättern und im Internet nach ihm gesucht hatte, hatte es Bild.de mal wieder geschafft, an ein Foto des Jungen zu kommen, verzichtete aber gestern noch auf eine Nennung seines Namens und berichtete:

Eine Obduktion ergab jetzt, dass der Kleine eines natürlichen Todes gestorben ist. Offenbar hatte der Junge eine Vorerkrankung. Aus Rücksicht auf die Angehörigen gaben die Behörden keine weiteren Einzelheiten bekannt.

Wie “Bild” selbst Rücksicht auf die Angehörigen nimmt, macht die Zeitung heute in ihrer Ruhrgebietsausgabe deutlich, wo sie dem Tod des Jungen mehr als eine Viertelseite einräumt: “Bild” zeigt erneut sein Foto, nennt seinen Vornamen und spekuliert munter über die mögliche Todesursache (“War ein Kaugummi schuld, der in seinem Hals steckte?”).

kicker.de, sid  etc.

Jeder Schütze ein Treffer (2)

Was haben Jan Rosenthal (SC Freiburg), Pawel Pogrebnjak (VfB Stuttgart), Erwin Hoffer (1. FC Kaiserslautern), Marcel Risse (Mainz 05) und Luiz Gustavo (TSG 1899 Hoffenheim) gemeinsam?

Die Antwort: Sie alle waren für kurze Zeit oder sind der 3000. Torschütze der Bundesligageschichte:

 Da ist doch tatsächlich noch das 3000. Bundesligator und es hätte nicht zählen dürfen. Nicu steht bei Kopfballverlängerung von Cissé klar im Abseits. Er geht diagonal auf das Tor zu und passt dann überlegt nach rechts. Dort ist ROSENTHAL mitgelaufen und schiebt souverän ein.

Pogrebnyak macht die 3000 voll

Hoffer 3000. Torschütze der Bundesliga

Gustavo 3000. Torschütze der BundesligaRisse erzielt das Jubiläums-Tor

Aber beginnen wir von vorn:

Noch am Freitag wurde in den Live-Tickern der App iLiga 3.0, von Bild.de und anderen Medien der Freiburger Jan Rosenthal als Schütze des 3000. Bundesligatores gefeiert. Dort hieß es:

Da ist doch tatsächlich noch das 3000. Bundesligator (…) Nicu (…) geht diagonal auf das Tor zu und passt dann überlegt nach rechts. Dort ist ROSENTHAL mitgelaufen und schiebt souverän ein.

Das ist doppelt falsch. Denn es wurde ja nicht das 3000. Bundesligator gesucht (BILDblog berichtete) sondern der 3000. Torschütze. Außerdem ist Rosenthal einer der Kandidaten, der dafür überhaupt nicht in Frage kam, weil er sein erstes Tor bereits in der Saison 2006/07, damals noch für Hannover, erzielt hat.

Von gleichem Kaliber war ein Bericht, der am Samstag zwischenzeitlich auf kicker.de zu lesen war, und den Trainer Baade freundlicherweise für die Nachwelt konserviert hat. Der Stuttgarter Pawel Pogrebnjak machte demnach nicht nur “die 3000 voll”, sondern es war auch noch “das 3000. Tor der Bundesligageschichte”. Mal vom Unfug mit dem 3000. Bundesligator ab, hat Pogrebnjak genau wie Rosenthal schon längst sein erstes Bundesligator erzielt und war deshalb von vornherein nicht mehr im Rennen.

Um 16.54 Uhr verlieh der Sport-Informations-Dienst (sid) dann Erwin Hoffer vom 1. FC Kaiserslautern vorübergehend den Titel 3000. Torschütze der Bundesligageschichte. Die Überschrift der rund 30 Minuten später korrigierten Nachricht lässt sich etwa noch bei “Google News” und bei fußball.tv finden. Welt.de, “Frankfurter Neue Presse” und andere führen einem dpa-Bericht folgend Hoffer noch immer als Nummer 3000:

Für Neuling 1. FC Kaiserslautern wird der Betzenberg wieder zu einer Festung. Trotz eines Rückstandes trotzten die Pfälzer dem bisherigen Spitzenreiter aus Hoffenheim ein 2:2 ab. Erwin Hoffer (46./75. Minute), der als 3000. Torschütze in die Liga-Historie eingeht, drehte mit seinen beiden Toren die Partie.

Auf Hoffer ließ der sid um 17.21 Uhr den Hoffenheimer Luiz Gustavo, der bereits sieben Minuten vor Hoffer traf, folgen. Vielleicht wurde er zunächst übersehen, weil er schon seit 2007 für Hoffenheim spielt und deswegen eigentlich zu erwarten gewesen wäre, dass er bereits einige Tore auf dem Konto hatte. Die meisten Medien haben mittlerweile Gustavo als 3000. Torschützen übernommen.

Eigentlich könnte es das gewesen sein, wenn da nicht noch Marcel Risse wäre. Dieser wurde auf bundesliga.de, der offiziellen Website der Deutschen Fußball Liga (DFL), zum 3000. Torschützen erklärt:

Marcel Risse ist der 3000. Spieler, der in 47 Jahren Bundesliga ein Tor geschossen hat. Der Mainzer erzielte den Jubiläumstreffer am Samstag in der 53. Minute gegen den SV Werder Bremen zum zwischenzeitlichen 1:0.

Und auch bei der Nachberichterstattung im Pay-TV-Sender Sky wird Risse als 3000. Torschütze genannt, was Bild.de gleich zur “TV-Panne des Tages” erklärte:

Einziger Fehler: Der 3000. Torschütze ist Hoffenheims Luiz Gustavo (23)…

So einfach, wie Bild.de es sich macht, ist es – wer hätte das gedacht? – nicht.

Denn die DFL, die mit dem Statistikanbieter Opta Sport Daten AG zusammenarbeitet, hat uns bestätigt, dass ihrer Statistik zufolge nach wie vor Marcel Risse als 3000. Toschütze geführt wird. Als 2997. Schützen verzeichnen sie den Kölner Taner Yalçin, als 2998. Luiz Gustavo und als 2999. Erwin Hoffer.

Der sid wiederum, der mit dem Fußballdatendienstleister Impire AG zusammenarbeitet, beharrt gegenüber BILDblog darauf, dass ihrer Statistik zufolge Luiz Gustavo die Ehre gebührt, sich 3000. Torschütze nennen zu dürfen.

Allerdings wollen sowohl DFL als auch sid nicht ausschließen, dass die beiden Statistikanbieter in der Vergangenheit das eine oder andere unklare Tor einem anderen Spieler zugeschrieben oder als Eigentor gewertet haben als der jeweils andere. Somit gibt es jetzt tatsächlich zwei amtierende 3000. Torschützen, einen von sids und einen von DFLs Gnaden — wobei es ganz danach aussieht, als würde sich die Auffassung des sid durchsetzen.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Staatsanwälte, Sunshine, Retweets

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Amoklauf-Berichte: Und stündlich grüßt der Staatsanwalt”
(telemedicus.info, Adrian Schneider)
Der Amoklauf von Lörrach: Adrian Schneider erschreckt, “dass ausgerechnet die Staatsanwaltschaft als schnellste und zuverlässigste Quelle für die Details des Geschehens Spalier steht. Hat ein Oberstaatsanwalt in einer solchen Situation nicht Besseres zu tun, als so schnell und oft wie möglich Interviews zu geben? Sollten nicht gerade die Ermittlungsbehörden so kurz nach der Tat zurückhaltend mit Einzelheiten sein?”

2. “Warum der Journalismus überleben muss”
(medienheft.ch, Roman Berger)
Roman Berger stellt in einem langen, grundsätzlichen Text fest, dass sich im Newsgeschäft mit den Gratismedien die Rollen vertauscht haben: “Der Leser, der User, der sich bisher als Kunde sah, ist Ware geworden. Kunde ist derjenige, der die Werbung schaltet.”

3. Interview mit Claudia Mast
(fr-online.de, Ulrike Simon)
Für Kommunikationswissenschaftlerin Claudia Mast ist das Streben nach Exklusivität zweischneidig. Wenn eine Schein-Exklusivität produziert werde, “wenn Details, Nebensächlichkeiten oder vermeintliche Widersprüche mit dem Vergrößerungsglas betrachtet und ‘hochgezogen’ werden, kostet diese Aufgeregtheit der Berichterstattung langfristig die Reputation der Zeitungen.”

4. “Geistige Gemeingüter”
(graubrotblog.de, Björn Grau)
Björn Grau philosophiert über Retweets: “Wenn die Textrecycler nett sind, machen sie Quellenangaben beim Weiterverwenden. Und dann kann es ihnen doch gehen wie mir heute am Vormittag. Sie treffen auf automatisierte und humanoide Recycler recycleter Texte, die warum auch immer diese Nettigkeit nicht mehr bis ins x-te Glied zurück bedienen und werden auf einmal zu Autoren, die sie nicht sind und Plagiatoren, die sie nicht sein wollen.”

5. “Wenn der Sonnenschein das Hirn verbrutzelt”
(technoarm.de, Martin Böttcher)
Martin Böttcher testet zwei Tage lang Radio Sunshine Live: “Der Sender hat etwas Gekünsteltes, ‘Fakes’ an sich. Noch mal: Muss elektronische Musik so verkauft werden, als stamme sie von Gehirnamputierten für Gehirnamputierte?”

6. Warnhinweise für Journalismus
(ihrwebprofi.at, Robert Harm)
Robert Harm hat die als Aufkleber ausdruckbaren “Journalism Warning Labels” auf Deutsch übersetzt.

Ausgebildet und sensibel

Felix Disselhoff ist erschüttert:

Nach dem Amoklauf in Lörrach wettern Deutschlands User auf Twitter gegen die Sinnlosigkeit von Killerspielverboten. Ohne Rücksicht auf die Opfer der Tragödie.

“Zynisch” habe sich “das Web” “gegeben”, “Futter für Häme” habe die Biographie der Amokläuferin “geliefert”, “Häme” habe auch den CDU-Politiker Wolfgang Bosbach “getroffen”, einen “sarkastischen Unterton” glaubt Disselhoff erkannt zu haben.

In welche Kategorie sein eigener Text fällt, lässt der Autor offen:

Das Problem ist wie so oft nicht die Nachricht, sondern wie mit ihr umgegangen wird. Während ausgebildete Journalisten darin geschult sind, sensibel mit Daten von Personen umzugehen und Fakten zu recherchieren, steht hingegen bei Twitter die Meinung schnell fest. Der Pressekodex gilt nun einmal nur für die Presse. Und nicht für ein Medium, welches von vielen fälschlicherweise als die Zukunft des Journalismus betrachtet wird.

Erschienen ist Disselhoffs Text bei stern.de, dem Internetportal jener Zeitschrift, deren ausgebildete Journalisten sich nach dem Amoklauf von Winnenden im vergangenen Jahr geweigert hatten, die Herkunft der von ihnen veröffentlichten Privatfotos der Opfer zu erklären, und die derart sensibel mit Daten von Personen umgegangen waren und Fakten recherchiert hatten, dass sie das Foto eines Unbeteiligten als Porträt des Täters ausgaben.

Mit Dank an Steffen, Tino M. und Merrick.

Verhinderung ungeschehener Vorkommnisse

Auf der Titelseite der “Rheinischen Post” prangte am Samstag diese Schlagzeile:

Anschlag auf Papst vereitelt

Und auch bei der “Berliner Morgenpost” nahm ein Bericht mit ähnlicher Schlagzeile einen guten Teil der Titelseite ein:

Polizei verhindert Anschlag bei Papst-Besuch

Der “Daily Express” titelte übrigens “Muslim Plot To Kill Pope” — und korrigierte diese Schlagzeile heute in wenigen Zeilen auf Seite 9.

Denn tatsächlich passiert ist gar nichts: Es wurden lediglich sechs Männer verhaftet und dann wieder freigelassen, wie die Metropolitan Police in London gestern Sonntag vermeldete:

Sechs Männer, die aufgrund des Terrorism Act 2000 am Freitag, 17. September, festgenommen wurden, wurden am späten Samstagabend (18. September) und heute früh (Sonntag, 19. September) alle ohne Anklage freigelassen.

(Übersetzung und Link von uns.)

Es kann also weder von einem Anschlag, noch ernsthaft von der Verhinderung oder Vereitelung eines Anschlags gesprochen werden. Es brachte die “Berliner Morgenpost” allerdings dazu, sich heute (indirekt) über die eigene Berichterstattung zu beklagen:

Die sechs Straßenkehrer, deren Festnahme am Freitag fast ein Viertel der Berichterstattung über diese historische Reise erobert hatte, waren da schon wieder auf freiem Fuß und in den Straßen Londons unterwegs. Die überempfindlichen Antennen und Scanner von Scotland Yard hatten bei ihnen offenbar etwas zu fein reagiert.

Aber natürlich! Unschuldig Verhaftete “erobern” mit ihrer Festnahme die Berichterstattung und zwingen die Journalisten der “Berliner Morgenpost” sozusagen dazu, ihnen Platz auf der Titelseite einzuräumen! Vielleicht werden sie wenigstens dafür bestraft.

Ottfried Fischer, Hans Paul, Mel Gibson

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Hat ‘Bild’ Ottfried Fischer genötigt?”
(sueddeutsche.de, Nicolas Richter)
Die Staatsanwaltschaft München erhebt Anklage gegen einen ehemaligen “Bild”-Mitarbeiter, der Ottfried Fischer genötigt haben soll: “Der damalige Bild-Mann soll – laut Anklage – Mitte Oktober 2009 die PR-Agentin Fischers kontaktiert und von dem kompromittierenden Film erzählt haben. Fischer habe sich daraufhin bereit erklärt, Bild das Exklusiv-Interview zu gewähren, das im Oktober erschien.” Der Axel-Springer-Verlag dementiert: “Herr Fischer wurde zu keinem Zeitpunkt erpresst, an diversen Artikeln mitzuwirken.”

2. “Halt die Fresse Freifrau”
(motor.de/motorblog, Tim Renner)
Tim Renner hält nicht viel vom von “Bild” auf der Titelseite (“Besorgte Minister-Gattin schlägt Alarm”) thematisierten Buch “Schaut nicht weg” von Stephanie Freifrau von und zu Guttenberg.

3. “Peter Hahne ist gegen Kinderpornographie und lästige Details”
(faz-community.faz.net, Stefan Niggemeier)
Stefan Niggemeier kommentiert das Gespräch (zdf.de, Video, 26:59 Minuten) zwischen Peter Hahne und Stephanie zu Guttenberg zum Thema Kindesmissbrauch: “Hahne hat in der Sendung systematisch fast jede Gelegenheit gemieden, die Zuschauer aufzuklären, klüger zu machen. Er hat sie nur in ihren Gefühlen bestärkt.”

4. “Und alle noch einmal: Wempf!”
(medienspiegel.ch, Martin Hitz)
Die “Neue Zürcher Zeitung” wiederholt einen Tippfehler, den sie 2004 gemacht hat. “Steht das denn so im Korrekturprogramm?”

5. “Wie ein Paparazzo Promis jagt”
(mainpost.de, Gisela Rauch)
Ein Porträt von Hans Paul, der von sich sagt, “einer von drei ernst zu nehmenden Paparazzos in Deutschland” zu sein. “Paul sagt, People-Zeitschriften wie die deutsche ‘Gala’, die amerikanische ‘inTouch’ und Boulevardzeitungen wie der englische ‘Mirror’ würden sich um private Bilder der schwangeren Kerr reißen. Am besten mit Babybauch drauf.”

6. “Mel Gibson Paps the Paps”
(kara.allthingsd.com, Video, 2:12 Minuten, englisch)
Mel Gibson filmt zurück: “What’s the matter, got nothing better to do?”

Wulff, Fry, Schawinski

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. Profi- und Laienjournalismus
(bundespraesident.de, Christian Wulff)
Der deutsche Bundespräsident spricht zur Eröffnung der neuen dpa-Zentralredaktion in Berlin: “Wer überprüft, verliert Zeit, aber die Häufung von Fehlern und Dementis untergräbt Vertrauen und macht den Profijournalismus dem Laienjournalismus dann doch zu ähnlich. Damit gefährdet man die eigene Existenz.” Auch als Video (youtube.com, 11:08 Minuten).

2. “Hated By The Daily Mail”
(stephenfry.com, englisch)
Stephen Fry liest, was über ihn in der “Daily Mail” geschrieben wird. Und schreibt einen längeren Text dazu. “Because I have a theological turn of mind, the people I feel most sorry for, and always have, are those who work for the paper. I have never met a Mail journalist whose first words weren’t an apology.”

3. Interview mit Roger Schawinski
(zeit.de, Elena Pelzer)
Für Roger Schawinski bedeutet Qualität in der Unterhaltung, “dass man Menschen nicht herabwürdigt, dass man keine Jurymitglieder einsetzt, mit dem Auftrag, die Kandidaten zu beleidigen. Dazu gehört auch, dass man Realität nicht vortäuscht oder Abläufe im Sinne der Scripted Reality vorarrangiert.”

4. “Mathias Döpfner und das Geschwätz von der ‘Gratiskultur’ im Internet”
(andreasvongunten.com)
Andreas Von Gunten kann keine Gratiskultur im Internet entdecken. “Mir kommt es vor, als hätten gewisse Medienhäuser (nicht alle) bereits kapituliert vor der Herausforderung sich anzupassen, mit dem Wandel zu gehen und diesen für sich zu nutzen. Die letzte Möglichkeit besteht für diese Unternehmen offenbar nur noch darin, durch politischen Druck zu versuchen, das Rad zurück zu drehen und das offene Netz wieder zum verschwinden zu bringen.”

5. “Egyptian newspaper under fire over altered photo”
(bbc.co.uk, englisch)
Die staatliche ägyptische Zeitung “Al-Ahram” setzt Hosni Mubarak auf einem Foto an die Spitze verschiedener Staatschefs.

6. “De:publica 2010”
(137b.org, Marcel-André Casasola Merkle)
Ein sich depublizierender Beitrag. (Dazu auch ein Interview mit den Machern von depub.org.)

Bild.de  etc.

Loveparade: Rüge und Missbilligungen

Es waren viele Beschwerden, die zur Berichterstattung über die Loveparade-Katastrophe beim Deutschen Presserat eingingen, sehr viele Beschwerden: 241 insgesamt, die zu 13 Sammelbeschwerden zusammengefasst wurden.

Die “Maßnahmen” des Presserates:

Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:

  • einen Hinweis
  • eine Missbilligung
  • eine Rüge.

Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.

Eine “öffentliche Rüge”, die härteste Sanktion, die dem Presserat zur Verfügung steht, hat sich Bild.de eingehandelt: In einem Artikel beschrieb ein Arzt die Todesumstände einer jungen Frau, die dazu auf einem ungepixelten Foto zu sehen war. Der Presserat sah darin Verstöße gegen die Ziffern 8 und 11 des Pressekodex.

Der Artikel, über dem nicht weniger als 18 Autoren-Namen prangten, war eine Übernahme aus der gedruckten “Bild”-Zeitung, aber weil sich niemand gesondert über die Printausgabe beschwerte, wurde nur Bild.de wegen der “unangemessen sensationellen Darstellung” gerügt.

Aber nicht alles, was in den Tagen nach dem Unglück in Zeitungen und online erschienen ist, war in den Augen des Presserats “unangemessen sensationell”: In einer großen Fotostrecke von Bild.de, über die sich allein 179 Menschen beschwert hatten, sah der Presserat nur in einem Fall eine “unangemessen sensationelle Darstellung”. Die Darstellung abgedeckter Leichen falle nicht automatisch darunter, stellten die Ausschussmitglieder klar.

Manfred Protze, Vorsitzender des Beschwerdeausschuss 1, ließ dazu verlautbaren:

Dass viele Menschen diese Fotos unerträglich finden, darf nicht darüber hinweg täuschen, dass ein solches Ereignis von hohem öffentlichen Interesse ist. Dabei dürfen Journalisten auch Situationen zeigen, die die furchtbare Realität dokumentieren.

Eine Grenze sei erst erreicht, wenn “Menschen zu bloßen Objekten herabgewürdigt” würden.

Die Opfer von der Loveparade: Wer büßt für ihren Tod?

Verschiedene Zeitungen und Online-Portale hatten die Opfer mit Fotos vorgestellt und teilweise den abgekürzten Namen, das Alter, den Wohnort und weitere Details wie Hobbies und Beruf veröffentlicht (willkürliches Beispiel: s.o.). Damit verstießen sie gegen Ziffer 8 des Pressekodex, die die Privatsphäre der Opfer schützen soll.

Für ungepixelte Fotos der Opfer mit Vornamen und abgekürztem Nachnamen gab es in drei Fällen “Hinweise”, in vier weiteren Fällen, in denen weitere Details aus dem privaten Umfeld veröffentlicht wurden, “Missbilligungen”.

Ausdrücklich betonte der Presserat, dass die Veröffentlichung von Fotos ohne Einwilligung der Hinterbliebenen “grundsätzlich unzulässig” sei. Die Frage, ob die Bilder aus sozialen Netzwerken wie Facebook entnommen wurden, klärte der Ausschuss diesmal nicht. Die Zeitungen hatten darüber auch keine Informationen abgegeben. Gleichzeitig kündigte der Presserat aber an, sich “zeitnah” mit der Thematik zu befassen, da er es “als bedenklich einstuft, wenn Journalisten hier für ihre Beiträge recherchieren und sich der dort gespeicherten Fotos bedienen.”

sid  

Out of time

Gestern haben wir über den Sportinformationsdienst (sid) geschrieben, weil der eine neun Jahre alte Information für brandneu hielt.

Kurz darauf war der sid mal seiner Zeit voraus und berichtete bereits gestern Abend um 22.45 Uhr, wie der Dortmunder Nuri Sahin am heutigen Abend drauf (gewesen) sein wird:

Sahin strotzte nur so vor Selbstbewusstsein, als er am Donnerstagabend zu seinem vierten Europacup-Einsatz auflief (…)

Mit Dank an symsy.

Jeder Schütze ein Treffer

Wer bin ich? Wo komme ich her? Wo gehe ich hin? Das sind Fragen, die uns alle bewegen. Etwas profaner ist da schon die Frage, die sich “RP Online” am vergangenen Freitag stellte:

Wer schießt das 3000. Tor? Düsseldorf (RPO). Seit Beginn der Bundesliga am 24. August 1963 sind 2997 Tore gefallen. Der bis heute letzte erfolgreiche Schütze heißt Mario Götze von Borussia Dortmund. Wer erzielt den 3000. Treffer? Ein Hoffenheimer oder Schalkes neues Sturmdo?

3.000 Tore sollen also in den letzten 47 Jahren Bundesliga gefallen sein. Klingt erst mal nach viel, ist es aber nicht. Allein in der letzten Saison wurden 866 Tore erzielt und in der davor 894. Tatsächlich sind in der Geschichte der Bundesliga bereits über 44.000 Tore gefallen. Selbst den Lesern kam das spanisch vor:

Kommentare

Dass an der Sache irgendwas faul ist, hat dann auch “RP-Online” im Laufe des Tages bemerkt und sich einer höchst unsportlichen Methode der Fehlerkorrektur bedient: der sang- und klanglosen Löschung. Auf dem Portal “News Aktuell” kann man den Artikel allerdings immer noch lesen.

Aber eine Frage bleibt. Nein, nicht die, wer denn jetzt das 3.000. Tor schießt, sondern diese: Wie kommt “RP Online” auf so einen Unfug?

Auch wenn am Anfang des Artikels “(RPO)” steht, ist es sehr wahrscheinlich, dass hier eine Meldung des Bundesliga-Portals von t-online.de weiterverarbeitet wurde. Dort heißt es jedoch “Wer wird der 3000. Torschütze?” und das macht den ganzen Unterschied: Wenn jeder Torschütze nur einmal gezählt wird, also auch ein Gerd Müller mit 365 Toren, dann dürfen wir uns tatsächlich schon bald auf den 3.000. Torschützen freuen. Der “RP Online”-Redakteur, der den t-online.de-Artikel als Vorbild genommen hat, hat das leider nicht verstanden – genausowenig übrigens wie derjenige, der die Bildergalerie für t-online.de mit weiteren Jubiläumsschützen erstellt hat.

Jetzt aber doch noch: Hat sich am vergangenen Wochenende jemand als 3.000. Torschütze in die Annalen der Geschichte eintragen können?

Nein. Wir haben bei der DFL nachgefragt und uns sagen lassen, dass ihrer Statistik zufolge der Kölner Taner Yalçin am Sonntag gegen den FC St. Pauli (1:0) als 2997. Torschütze getroffen hat.

Mit Dank an Frank B.

Nachtrag, 17. September: Unser Leser Fabian K. hat uns darauf aufmerksam gemacht, dass ein kurzer (und korrekter) Artikel des ‘kicker’ vom 9. September den Berichten von t-online.de und “RP Online” zugrunde lag.

Wirklich unfassbar ist allerdings das, was unser Leser Marcus beim Sportwettanbieter bwin.com entdeckt hat. Dort konnte man heute tatsächlich darauf wetten, welcher Spieler das 3000. Bundesligator erzielt – auf ein Tor also, das bereits vor Jahrzehnten gefallen ist. “Cisse, Gekas, Altintop – sie alle können Geschichte schreiben” heißt es da. Dabei hatten die drei noch nicht einmal die Chance der 3000. Torschütze zu werden, da sie alle schon einmal getroffen haben. Wenn das mal kein juristisches Nachspiel hat…

Nachtrag, 18. September: Und es geht munter weiter. Arne B. und Sebastian M. weisen uns darauf hin, dass in den Live-Tickern der App iLiga 3.0 und von Bild.de Maximilian Nicu als Schütze des 3000. Bundesligatores gefeiert wurde:

Da ist doch tatsächlich noch das 3000. Bundesligator und es hätte nicht zählen dürfen. Nicu steht bei Kopfballverlängerung von Cissé klar im Abseits. Er geht diagonal auf das Tor zu und passt dann überlegt nach rechts. Dort ist ROSENTHAL mitgelaufen und schiebt souverän ein.

Nein. Es war nicht das 3000. Bundesligator und Nicu kann auch nicht der 3000. Torschütze der Liga sein, da er in der vergangenen Saison bereits drei Treffer erzielte. Mal sehen, wer noch alles in die Geschichte eingeht.

Nachtrag/Korrektur, 19. September: Diesmal habe ich mich selbst anstecken lassen: Das Freiburger Tor am Freitag hat natürlich nicht Nicu, der nur die Vorlage gab, erzielt, sondern Jan Rosenthal. Dennoch wurde erst am Samstag Luiz Gustavo von TSG 1899 Hoffenheim mit seinem Treffer zum 1:0 gegen Kaiserslautern zum 3000. Torschützen erklärt. Damit sollte das Thema jetzt endgültig erledigt sein – zumindest bis in gut zehn Jahren der 4000. Torschütze gesucht wird.

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