Die Art, wie “Bild” mit eigenen Fehlern umgeht, ist gewöhnungsbedürftig. Die falsche Unterstellung, Lena Meyer-Landrut habe bei einem ihrer Konzerte Playback gesungen (BILDblog berichtete), hat die Zeitung heute zum Beispiel nicht korrigiert.
Gestern berichtete “Bild” recht groß über den Ärger, der der Fahrerin des Mannschaftsbusses vom FC Bayern München droht:
Seit 22 Jahren fahre Sandra König jetzt den Bus — und dann das:
Bayerns Mannschaftsbus steckt am Samstag um 14.20 Uhr im Stau auf der Frankfurter Kennedyallee (Bundesstraße, zwei Spuren in jede Richtung). Die Polizei-Eskorte kann nicht helfen, bis zum Anpfiff sind es nur noch 70 Minuten.
Busfahrerin König fährt über zwei durchgezogene Linien und trotz möglichen Gegenverkehrs auf die Gegenfahrbahn. Die Polizei-Eskorte hängt sich ran.
Nun gibt es Ärger! Die Frankfurter Polizei hat ein Ordnungswidrigkeits-Verfahren gegen die Busfahrerin eingeleitet. Noch müssen Zeugen vernommen werden. Erst danach ist klar, was der Busfahrerin vorgeworfen wird.
Das alles stimmte so nicht, wie “Bild” heute vergleichsweise unauffällig erklärt:
In der Online-Version des gestrigen Artikels hat Bild.de unauffällig im Nachhinein aus der Fahrerin einen Fahrer gemacht.
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2. “BILD Dir Deine Meinung … über Türken!” (migration-business.de, Dario Mohtachem)
Das Online-Magazin “migration-business” untersucht die Verbindung zwischen Kriminalität und Türken in “Bild”.
3. “Das digitale Medium ist mir unendlich fremd” (planet-interview.de, Jakob Buhre)
Jakob Buhre spricht mit Hellmuth Karasek, unter anderem auch über seine Beziehung zu “Bild”: “Die ‘Bild’-Zeitung ist für mich ein Medium, das ich so ernst nehme, wie ich Stefan Raab ernst nehme. Ich würde nie eine politische Entscheidung nach ‘Bild’ treffen, aber ich lese gerne, was da drin steht.”
Seit Lena Meyer-Landrut ihre Deutschland-Tour begonnen hat, bemühen sich Journalisten, vor allem aber auch “Bild”, diese Tour als riesigen Flop zu beschreiben. “Nur 6000 Fans” waren zum Tourauftakt in die Berliner O2 World gekommen, die bis zu 17.000 Zuschauern Platz bieten könnte. Als Kylie Minogue die gleiche Halle mit 8.000 Fans ebenfalls nicht füllte, war das “Bild” allerdings keine kritische Zeile wert.
Vergangenen Dienstag hatten “nur 5500 Fans” den Weg in die Dortmunder Westfalenhalle 1 gefunden, was die Ruhrgebietsausgabe von “Bild” zu der gewagten Formulierung verleitete, es seien wie schon bei ihren vorherigen Konzerten “kaum Besucher” gekommen.
Doch nicht nur das:
Der harmlosere Fehler: Lenas Debütalbum hieß “My Cassette Player”. Der schwerwiegendere: Die Behauptung, Lena habe Playback gesungen, ist falsch, wie uns Lenas Management auf Anfrage bestätigte. “Lena singt natürlich live!”
Lena Meyer-Landrut hat “Bild” deshalb abgemahnt. Ihr Anwalt Heiko Klatt begründete diesen Schritt uns gegenüber damit, dass die in “Bild” verbreiteten Behauptungen inhaltlich nicht den Tatsachen entsprächen, da Lena “selbstverständlich” live und nicht Playback singe. Bis heute 18 Uhr hatten “Bild” und Bild.de Zeit, die Verbreitung dieser falschen Behauptungen zu unterlassen — bei Bild.de ist der Artikel inzwischen offline.
PS: Nur wenige Minuten, nachdem die Anwaltskanzlei am vergangenen Donnerstag die Abmahnung von Brainpool verschickt hatte, tauchte bei Bild.de auf der Startseite dieser Teaser auf:
Stefan Raab ist Gesellschafter bei Brainpool und Lenas Mentor. Die Überschrift des Artikels über Bushido hatte zunächst “Ich polarisiere nicht mehr, weil ich nicht mehr will” gelautet.
Eine Doppelseite ihrer “Stil”-Rubrik hat die “Welt am Sonntag” an Ostern Joachim Löw eingeräumt, dem Trainer der deutschen Fußballnationalmannschaft und offensichtlich ein toller Typ:
Montagmittag, Kaiserwetter. Mit dem Kirchturmschlag (Punkt zwölf) steht er in der Tür des Hotels “Colombi”: Jeans, hellblaues Hemd. Fester Händedruck, man will gar nicht mehr loslassen. Sein Blick ist offen, sein Lachen ansteckend. Ein Naturbursche mit Stil. Kein Wunder, dass ihn Nivea als Markenbotschafter verpflichtet hat: Ab Mai wird er zum dritten Mal in einer Kampagne für die Kosmetik-Männerlinie zu sehen sein.
Autorin Dagmar von Taube gelingt die Meisterleistung, sich gleichzeitig unterwürfigst vor Löw zu werfen und das Gespräch immer wieder auf Nivea zu lenken. Ihre Einstiegsfrage macht die Marschrichtung klar:
Welt am Sonntag: Herr Löw, Deutschland liebte Sie auf Anhieb. Das hat nicht nur mit Ihrem Erfolg zu tun, man mag Ihre Person, Ihre Erscheinung. Sie gelten als modisch, aufgeschlossen, erfrischend unkonventionell. Die Werbeangebote müssten sich stapeln auf Ihrem Schreibtisch. Warum jetzt Hautcreme?
So wie Löw antwortet, muss sich die Beiersdorf AG keine Sorgen machen, den falschen Werbeträger verpflichtet zu haben:
Jogi Löw: Es gibt immer wieder Anfragen, das meiste kommt für mich nicht infrage. Aber Nivea, damit kann ich mich identifizieren, das kenne ich von klein auf. Wir Kinder, meine drei Brüder und ich, sind praktisch mit der blauen Dose aufgewachsen – die Handcreme, die man für alles benutzt hat, die Sonnencreme im Freibad. Wir waren ja viel draußen, wir Jungs.
Und so geht das, von gelegentlichen thematischen Schlenkern abgesehen, weiter: Löw erzählt, wie lange er morgens im Bad braucht (nicht länger als eine halbe Stunde), er berichtet, wie das damals war in einem Haushalt mit fünf Männern (“Eine Vielfalt an Produkten wie heute gab’s damals für uns ja noch gar nicht. Wasser und Seife, das war’s praktisch.”) und wie es war, als er mit 17 das Elternhaus verließ (“Meine Mutter war schon besorgt damals. Sie hat übrigens auch immer Nivea benutzt.”).
Bevor das Gespräch allzu sehr vor sich hin plätschert, fragt Taube investigativ nach (“Stellen Sie im Bad Ihre Nivea-Kosmetika auf wie Ihre Spieler auf dem Grün?”) und schafft noch die abwegigsten Überleitungen (“Nivea duftet nach Maiglöckchen, Jasmin. Wie schmeckt die Luft bei Löws – nach Leder?”).
Es wäre eine weitere gelungene Werbekampagne zum hundertsten Geburtstag der Marke Nivea, doch das Interview firmiert auch bei der “Welt am Sonntag” als redaktioneller Inhalt.
Zu den vielen klugen Sätzen, die mein Lateinlehrer so vor sich hin gesagt hat, gehörte auch der Hinweis, man dürfe bei einem Wort nicht nur auf den ersten und ein paar weitere Buchstaben gucken, sondern solle sich jedes Wort genau ansehen.
Offenbar ist niemand aus der “Bild”-Redaktion in den Genuss dieses besonderen Pädagogen gekommen, denn die Ankündigung der designierten grün-roten Landesregierung in Baden-Württemberg, die Grunderwerbsteuer erhöhen zu wollen, schlug sich heute auf Seite 1 so nieder:
Grüne und SPD in Baden-Württemberg sind sich über ihren Koalitionsvertrag einig. Für eine umfassende Bildungsreform soll die Gewerbesteuer von 3,5 auf 5% erhöht werden.
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1. “Sport Bild-Watch (17)” (el-futbol.de, Sidan)
Fußball: “Sport Bild” kritisiert Bastian Schweinsteiger: “Sport Bild-Kenner wissen, wer die absoluten Lieblingsspieler der Sport Bild sind bzw. waren: Platz 1. Lahm. Klar. Auf den nächsten 238 Plätzen erstmal niemand, dann aber, immerhin: Schweinsteiger. Doch das ist Vergangenheit.”
2. “Du bist bewaffnet bis über beide Backen” (tagesspiegel.de, Markus Ehrenberg)
Die eigentlichen Vorbilder von Fußball-Kommentator Wolff-Christoph Fuss sind “die guten Rhetoriker”: “Ehrlich, häufig wird schlechtes Deutsch verwendet. Auch wenn ich manchmal vielleicht etwas flapsig herüberkomme, das alles passiert idealerweise in hundertprozent korrektem Deutsch.”
3. “Eintritt frei” (juliane-wiedemeier.de)
Juliane Wiedemeier fragt sich, warum PR-Berater Klaus Kocks im Deutschen Journalisten-Verband DJV Mitglied ist.
5. “The People misleads on William’s ‘stag do'” (tabloid-watch.blogspot.com, englisch)
Die britische Sonntagszeitung “The People” füllt seine Titelseite mit einem Bild von Prinz William aus dem Jahr 2002. “The implication, of course, is that these are pictures from Prince William’s stag do, in advance of his wedding on Friday.”
6. “Star für einen Tag – Wie aus Frauen Blick-Girls werden” (videoportal.sf.tv, Video, 26:17 Minuten, teilweise Dialekt)
Die Sendung “Reporter” begleitet zwei Frauen, die sich für die Titelseite von “Blick” bis auf die Unterwäsche ausziehen. Die Auswahl der Fotos ist dabei Chefsache, wie ab 16:30 Minuten zu sehen ist. “Blick”-Chefredakteur Ralph Grosse-Bley (Ex-“Bild”): “Wo kommt die Frau her? Aus dem Emmental. Hausfrau und Mutter. Okay. Ich finde das Höschen ein wenig gewöhnungsbedürftig. Ich würde es versuchen mit dem Querformat, also Ganzkörper. Ich find das ganz gut mit den Stiefeln. Gefällt mir ganz gut. (…)”
Bei einem angeblichen “Drogen-Skandal im Polizeipräsidium” waren zwei “Bild”-Redakteure derart in ihrem Element und dazu auch noch so urteilsschnell, dass man sich fragt, warum überhaupt noch ermittelt wird.
Bereits die Überschrift lässt eigentlich keinen Zweifel daran, dass die Schuldigen bereits überführt sind:
“Bild” spart nicht an Superlativen, Ausrufezeichen und Vorwürfen:
Es ist DER absolute Sicherheits-Gau, ein Polizei-Skandal unfassbaren Ausmaßes! Im Mainzer Polizeipräsidium sollen Ermittler Drogen und Geld aus der Asservatenkammer geklaut haben! Um sich zu bereichern – und den Stoff zu konsumieren!
Doch die Situation stellt sich dann doch deutlich anders dar, wie die “Rhein-Zeitung” heute schreibt:
Wenn bei der Polizei 1200 Euro und ein Tütchen mit Aufputschmitteln verschwinden, ist das sicherlich eine ernste Sache.
Fünf Kamerateams und ein Dutzend Zeitungs- und Rundfunkreporter strömen deshalb noch lange nicht ins Präsidium. Dafür muss schon der Boulevard mit einem “Drogen-Skandal” titeln, gewürzt mit Details tief im Schambereich der Betroffenen. Das füllt die eiligst anberaumte Pressekonferenz, bei der der Leitende Oberstaatsanwalt Klaus-Peter Mieth versichert: Der Artikel in der “Bild”-Zeitung sei “relativ wenig zutreffend”.
Dabei schien “Bild” doch so genau Bescheid zu wissen. Oder zumindest irgendwelche “Informationen” aufgespürt zu haben, inklusive der “Details tief im Schambereich”:
Nach BILD-Informationen sollen die Polizisten Heroin, Kokain, Amphetamin, Hasch und Geld geklaut haben! Unglaublich: Die Polizistin soll Heroin selbst konsumiert haben, es sich in die Schamlippen gespritzt haben – um Einstichspuren an den Armvenen zu vermeiden.
Bei der Pressekonferenz stellen Oberstaatsanwalt und Polizeipräsident klar:
Drogen sind außer den 116 Gramm Amphetamin auch nicht verschwunden. Kein Heroin, kein Kokain, wie “Bild” behauptet hat.
Und das Spiel geht so weiter. “Bild” behauptete:
Die drei Beamten wurden nach Polizeiangaben an einen anderen Arbeitsplatz versetzt. Die Polizistin wurde in die Psychiatrie der Rheinhessen-Klinik eingewiesen.
Oberstaatsanwalt und Polizeipräsident sagen laut “Rhein-Zeitung”:
Zwar werde ermittelt, aber gegen unbekannt.
Vier Beamte seien im Fokus, aber eben nur deshalb, weil gerade sie Zugang zu der Asservatenkammer des Präsidiums haben. Suspendiert ist keiner, er habe die drei hauptamtlichen Mitarbeiter der Asservatenkammer “aus Fürsorgegründen” in andere “Verwendungen” innerhalb der Kriminaldirektion geschickt. (…)
Es wurde auch keine Beamtin in die Nervenklinik “eingewiesen”. Vielmehr habe die stationäre Behandlung der Frau schon begonnen, bevor Geld und Drogen überhaupt vermisst wurden.
“Bild”:
Alle 3 erwartet ein Strafverfahren, der Ausschluss aus dem Polizeidienst sowie der Verlust der Beamtenpension.
Dabei ist nach derzeitigem Stand noch nicht einmal sicher, ob überhaupt Drogen verschwunden sind. Der Oberstaatsanwalt gegenüber “Spiegel Online”:
Zum verschwundenen Amphetamin sagte Mieth, er gehe nicht zwingend von einem Diebstahl aus. “Es ist aus meiner Sicht nicht ausgeschlossen, dass das Material tatsächlich zu uns gelangt ist.” Im täglichen Dienst geschehe es immer wieder, dass Asservate bei ihrem Weg in andere Behörden falsch zugeordnet würden.
Egal, zu welchem Ergebnis die Ermittlungen führen, einen Skandal gibt es tatsächlich schon jetzt: die reißerische und vorverurteilende Berichterstattung von “Bild”.
Wenn “Bild” so überhaupt keine Argumente hat, fragt die Zeitung gerne mal, ob es denn sonst keine Probleme gäbe.
Barbara Steffens, die Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter in NRW, bekam diese Frage gestern gleich mehrfach um die Ohren gehauen:
Die Ministerin hatte eine neue Regelung der Badminton World Federation kritisiert, die vorsieht, dass Frauen ab dem Grand-Prix-Level nur noch Röcke und Kleider tragen dürfen. In ihrer Pressemitteilung schrieb Steffens:
Ob in Shorts oder in Röcken, die Leistung muss stimmen, nicht die Kürze des Rockes! Von oben herab etwas zu dirigieren und die Sportlerinnen für eigene Zwecke zu instrumentalisieren darf einfach nicht sein! Umso erfreulicher ist es, dass der Deutsche Badminton-Verband diese Regeln bisher nicht aufgegriffen hat, hier können Frauen noch in dem Dress spielen, in dem sie möchten.
Steffens ist also gegen die Vorschrift, dass die Sportlerinnen knappe Kleidung tragen müssen, nicht gegen die Kleidung an sich. Aber schon der Gedanke, dass die Spielerinnen keine “sexy Badminton-Röcke” mehr tragen könnten, muss “Bild” schwer getroffen haben — denn wenn sich die männlichen Redakteure eines nicht nehmen lassen wollen, dann ja wohl SexismusbeimSport.
Nahezu folgerichtig, dass “Bild” die Ministerin deshalb als Spielverderberin der männlichen Zuschauer an den Pranger stellt:
Kurze Röcken und knappe Bikinis auf sportlich trainierten Körpern – was vor allem die männlichen Zuschauer von Sportarten wie Beach-Volleyball erfreut, bringt NRW-Emanzipationsministerin Barbara Steffens (49, Grüne) aus der Fassung.
Interessanterweise ist es ausgerechnet der “erfreuende” Dresscode im Beach-Volleyball, den Barbara Steffens als “Extrembeispiel” bezeichnet hatte:
Die offizielle Kleidervorschrift für Frauen beim Beachvolleyball ist, dass die Bikini-Höschen an der Seite nur sieben cm breit sein dürfen. Ich bezweifele, dass diese Regelung nur aus sportlichem Gedanken im Sinne der Bewegungsfreiheit getroffen wurde.
“Bild” hat derweil schon ganz andere Gedanken:
Als Regierungsmitglied könne Steffens übrigens jederzeit ein Gesetz zur “Kleiderordnung in Frauensportarten” auf den Weg bringen – oder am besten gleich für alle Frauen eine solche Ordnung entwerfen.
Natürlich könnte Steffens ein solches Gesetz “auf den Weg bringen”: Dafür müsste sie einen Referentenentwurf über eine Kleiderordnung im Frauensport entwickeln lassen, diesen ins Kabinett einbringen und beispielsweise einen Fachausschuss darüber beraten lassen — ihr stünde also ein langer Weg bis ins Plenum bevor. Wie ein Gesetzentwurf zu einer Kleiderordnung aussähe, den die “Bild”-Redakteure entwickelt haben, dürfte klar sein.