Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
2. “Die Springer-Republik” (freitag.de, Klaus Raab)
Klaus Raab macht sich Gedanken über die heutige Bedeutung der Axel Springer AG. “Nicht Springer hat sich bewegt, sondern die anderen Medien sind dem Konzern gefolgt. Schließlich war es doch neben Bild auch der Spiegel, der Sarrazin vorab druckte, ist es heute die Zeit, die den Mund hält, wenn die Stühle von Leuten wie Karl-Theodor zu Guttenberg oder Christian Wulff schon so mächtig wackeln, dass es nur eine Frage von Tagen ist, bis sie umfallen.”
3. “Breiviks Inszenierung in den Medien” (ndr.de, Video, 7:11 Minuten)
Verschiedene deutsche Medien zeigen Bilder der ausgestreckten Faust von Anders Behring Breivik beim Prozess gegen ihn in Oslo (ab 1:30 Minuten). Anders die Redaktion des norwegischen Nachrichtenmagazins “Ny Tid”: Nachdem sie das Manifest von Breivik gelesen hatte, entschied sie sich, zukünftig weder seinen Namen zu nennen, noch Fotos von ihm zu zeigen (ab 3:30 Minuten). Siehe dazu auch “Wieso wir den Attentäter zeigen” (sueddeutsche.de, Gökalp Babayigit).
4. “‘Ist er das jetzt?'” (faz.net, Sarah Engel)
Niklaus Spoerri fotografiert Doppelgänger von Prominenten. “Ich habe mal ein Double von David Beckham getroffen. Bei ihm hatte ich manchmal das Gefühl, er lebt dieses Doppelgängerleben vollkommen. So finanziert er sein ganzes Leben dadurch und umgibt sich nur mit Menschen aus dieser Branche. Lange Zeit war er sogar mit einem Double von Victoria Beckham zusammen.”
5. “Forget That Survey. Here’s Why Journalism Is The Best Job Ever” (forbes.com, Jeff Bercovici, englisch)
Jeff Bercovici zählt Gründe auf, warum es das Beste sei, ein Journalist zu sein: “Have I convinced you that journalism is the only real career choice for curious, restless semi-narcissists like me? I hope not. There are enough of us already trying to do it.”
So sieht die Arbeit von BILDblog aus, nachdem man sie von hinten durch die Brust ins Auge geschossen hat und mit dem verbliebenen Auge drauf schaut: Die Grafik stammt aus in einem Dokument, das die journalistischen Qualitäten zweier Nachrichtenagenturen vergleichen soll.
Nachrichtenagenturen beliefern nicht nur Zeitungen und Onlinenewsportale mit ihren Meldungen aus aller Welt, sondern auch Behörden wie das Auswärtige Amt. Das hat im Januar entschieden, seine Informationen nach über 50 Jahren nicht mehr von der Deutschen Presseagentur (dpa) zu beziehen, sondern von der Agentur dapd, von der niemand weiß, was die Abkürzung bedeuten soll.
Die dpa wollte das so nicht hinnehmen und legte Beschwerde ein, inzwischen müssen sich Gerichte mit der Vergabe beschäftigen.
In einem neunseitigen Dokument mit dem Titel “Zusammenstellung Qualitätsmängel bei dapd”, das die dpa dem Gericht vorlegte, beruft sie sich bei der Dokumentation von Fehlern ihres Konkurrenten offenbar auch auf BILDblog. (Das Dokument liegt uns nicht vor.)
dapd nun gab eine Gegen-“Studie” in Auftrag, die die Agentur gestern in ihrem “Themenportal” der Öffentlichkeit zugänglich machte.
Dr. Ernst Seibold von “InMediasRes Mediendienste” erklärt darin:
Eine objektive und lückenlose Ermittlung sämtlicher Fehlermeldungen der beiden Agenturen erscheint technisch nicht möglich. Insoweit muss auf Hilfsüberlegungen zurückgegriffen werden.
Diese “Hilfsüberlegung” besteht konkret darin, BILDblog mit “einer hohen Wahrscheinlichkeit” als Quelle für die dpa-Studie ausfindig zu machen und dann einen wissenschaftlichen Ausfallschritt zu vollführen:
Zwar erfüllt der Bildblog nicht die Anforderungen an eine objektive und statistisch relevante Quelle, andererseits wurde Bildblog jedoch von dpa als Quelle ausgewählt, so dass für eine vergleichende Studie auf der gleichen Quellenbasis gearbeitet werden kann.
An anderer Stelle gelingt Seibold fast die Quadratur des Kreises:
Bildblog als Quelle heranzuziehen ist sicherlich methodisch problematisch, allerdings kann von einer überwiegenden Neutralität und Drittkontrolle des Watchblogs ausgegangen werden. Für einen rein quantitativen Vergleich zweier Publikationen kann er daher als geeignet angesehen werden, zumal dpa selbst den Bildblog als Quellenbasis gewählt hat.
Triumphierend stellt die Studie fest:
Aufgrund der Auswertung des Bildblogs ergibt sich, dass dapd 22 Fehler angelastet werden. Im gleichen Zeitraum wurden für dpa 46 Fehlermeldungen festgestellt.
Diese Zahlen werden dann in Monatszahlen zerlegt (Erkenntnis: Außer in drei Monaten hatte die dpa immer mehr Fehler als dapd) und in Relation zum Output der Nachrichtenagenturen gesetzt:
Bei einer geschätzten Anzahl von jeweils ca. 620.000 Meldungen (dapd) bzw. 600.000 Meldungen (dpa) in den vergangenen 25 Monaten ergibt dies eine Fehlerquote von 0,0035 % für dapd und 0,0076 % für dpa.
Beide Werte liegen weit unter den Toleranzgrenzen und sprechen für eine durchgehend gute Qualität der Berichterstattung.
Bevor jetzt noch die Mondphasen, die Gewichtsentwicklung unserer Autoren und der Fruchtbarkeitszyklus unserer Redaktionskatze hinzugezogen werden, hier ein paar Anmerkungen aus dem Auge des Hurricanes:
In eigener Sache
Wir haben wenig Lust, hier in die Auseinandersetzung zweier privatwirtschaftlicher Unternehmen hineingezogen zu werden. Es ist legitim, unter Berufung auf uns die Existenz von Fehlern belegen zu wollen, aber der “rein quantitative Vergleich”, den dapd anstrengt, ist grober Unfug.
Die verschwindend geringe Zahl der Fehler erlaubt den Rückschluss, dass die beiden großen deutschen Vollagenturen hohe journalistische Standards erfüllen.
… ist das komplett falsch.
Ob ein Fehler im BILDblog dokumentiert wird, hängt von vielen Faktoren ab: Zunächst einmal muss er uns oder unseren Lesern auffallen; dann muss er uns gravierend, interessant und allgemein bedeutsam genug erscheinen, um ihn aufzuschreiben. Manche Recherchen führen aus verschiedensten Gründen ins Nirgendwo und münden dann nicht in einem BILDblog-Eintrag. An Tagen, an denen sonst wenig los ist, landen eher auch mal kleine und harmlose Fehler im Blog, als an Tagen, an denen gerade wieder ein Verbrechen “das ganze Land beschäftigt” oder an denen mal wieder eine Studie über Migranten oder Hartz-IV-Empfänger völlig falsch verstanden wurde.
Aus heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen haben wir z.B. den Fall aus dem vergangenen November nicht dokumentiert, in dem dapd zwei Fotos zurückziehen musste, weil diese nicht – wie ursprünglich behauptet – die Rechtsterroristin Beate Zschäpe auf dem Weg zum Haftrichter zeigten. Aber natürlich gab es auch dpa-Fehler, die nie den Weg ins Blog gefunden haben.
Ein Kriterium bei der Auswahl dessen, was wir bloggen, ist auch die Fallhöhe eines Mediums: Nicht auszuschließen, dass wir uns häufiger achselzuckend gegen einen Eintrag entschieden haben: “Ach, ist ja nur dapd.”
Und natürlich macht es auch einen Unterschied, was für Fehler sich ein Medium so erlaubt — und wie es damit umgeht.
Wenn wir hier jetzt als schon gewissermaßen als Kronzeugen im Raum stehen, wollen wir Gericht und Auswärtigem Amt gerne eine kostenlose, offiziell subjektive Expertise angedeihen lassen:
Wenn bei uns Leserhinweise eingehen, dass auf vielen verschiedenen Nachrichtenportalen der gleiche haarsträubende Fehler zu lesen ist, wetten wir gerne auf dapd als Fehlerquelle. Häufig liegen wir richtig.
Nach unserem Eindruck hat man bei dpa erkannt, dass es wichtig ist, eigene Fehler zu korrigieren. Bei dapd sind wir uns da nicht so sicher.
Dass dapd jetzt einen solchen Unsinn als “Studie” in Auftrag gibt und ihn auch noch bedeutungshubernd öffentlich verbreitet, bestätigt den Eindruck, den wir von der Agentur haben.
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
1. “Warum wir über Breivik berichten” (zeit.de, Markus Horeld)
“Zeit Online” hat das Ausmaß der Kritik zur Berichterstattung über Anders Behring Breivik überrascht. Warum trotzdem berichtet werden muss, versucht Markus Horeld zu erklären. Breivik sei “kein einsamer Irrer, auch wenn Boulevardmedien ihn gerne so darstellen”. “Anders Behring Breivik ist kein typischer Attentäter. Er tötete sich nach seiner Tat nicht selbst. Er ließ sich festnehmen, weil er noch etwas vorhatte. Alles, was seither geschieht – die Auswertung seines ‘Manifests’, seine Auftritte vor Gericht, seine Aussagen dort, seine obskure Zeugenliste – all das ist Teil seines Planes. Gerade deshalb ist es Aufgabe der Medien, über Breivik und seine gefährlichen Motive aufzuklären – so wie es Aufgabe des Rechtsstaates ist, einen fairen Prozess zu garantieren.”
2. “Die BILD Galaxy S3 Katastrophe” (netbooknews.de, Sascha)
Ein Bild.de-Artikel über ein neues Smartphone in der Analyse. Unter anderem wird behauptet, das südkoreanische Unternehmen Samsung komme aus Taiwan.
3. “Die Wahrheit hinter der Schlagzeile” (woz.ch, Carlos Hanimann und Fabian Biasio)
Carlos Hanimann und Fabian Biasio besuchen die Familie von Mentor im Kosovo, dessen Bild auf einem Titelbild der “Weltwoche” ohne sein Wissen für breite Empörung gesorgt hatte. “Die ‘Weltwoche’ verwendete Mancinis Bild als Illustration für einen Artikel über kriminelle Roma in der Schweiz. Nur: Weder der abgelichtete Mentor (der laut Autor Philipp Gut als Symbol dafür stehe, ‘dass Roma-Banden ihre Kinder für kriminelle Zwecke missbrauchen’) noch dessen Familie haben den Kosovo je verlassen.” Siehe dazu auch ein Gespräch mit Carlos Hanimann (persoenlich.com, Benedict Neff).
5. “Montagsdemonstration: Beef! = Doof!” (blog.dasmagazin.ch, Christian Seiler)
Christian Seiler liest die Zeitschrift “Beef!”: “Denn ‘Beef’ ist bei allen Qualitäten die jenseitigste Publikation seit dem ‘Playboy’, seit ‘FHM’ und anderen Idiotenzeitschriften, die immer noch glauben, Männer interessieren sich nur für Sex, Autos und Fussball. ‘Beef’ übersetzt dieses grundsätzliche Missverständnis in eine imaginierte Leidenschaft seiner Leser für Grillen, rohes Fleisch, Messer, Weinflaschen in Übergrößen und die Fähigkeit, ‘Frauen ins Bett zu kochen'”.
So sieht es aus, wenn eine Granate in der syrischen Rebellenhochburg Homs explodiert:
Und so, wenn die Taliban Anschläge in der Innenstadt von Kabul verüben:
Der erste Ausschnitt stammt aus der 20-Uhr-“Tagesschau” vom Sonntag, der zweite aus dem “Heute Journal” vom selben Tag — und nur eine von beiden Verortungen kann stimmen.
Die Redaktion von ARD aktuell erklärte uns auf Anfrage, sie habe die Bilder “noch einmal verifiziert” und bleibe danach bei ihrer Darstellung, dass die Aufnahmen aus Homs stammen.
Die Redaktion des “Heute Journals”, die wir ebenfalls kontaktiert hatten, hat uns nicht geantwortet. Aber nach unserer Anfrage sieht die Stelle des Beitrags über die Anschläge in Kabul, an der die Explosion zu sehen war, in der ZDF-Mediathek jetzt so aus:
PS: Um 19 Uhr hatte das ZDF in seiner “heute”-Sendung die Explosionsbilder noch korrekt als Aufnahmen aus Homs ausgewiesen:
Mit Dank an Stefan P.
Nachtrag, 18. April: Die Redaktion des “Heute Journal” schreibt uns, dass sie den Beitrag in der Mediathek nach einer Reihe von Zuschauerhinweisen geändert habe. Unsere E-Mail, obwohl richtig adressiert, habe die Redaktion nie erreicht.
Den Fehler erklärt der zuständige Redakteur so:
Diese 7 Sekunden lange Einstellung zeigte Aufnahmen aus dem syrischen Homs. Ursache der bedauerlichen Verwechslung war eine falsche Zuordnung der Bilder in unserer Bildschnittdatenbank.
Leider ist uns das durchgegangen, obwohl in unseren Sendungen für praktisch jedes Wort und Bild ein Sechsaugen-Prinzip gilt. Ich kann nur um Verständnis dafür bitten, dass so etwas bei mehreren tausend Film- und Wortbeiträgen im Jahr zwar äußerst selten vorkommt, aber nie ganz auszuschließen ist.
12. September 490 v. Chr.: Die Griechen haben gerade die Perser geschlagen, als sich Pheidippides auf den Weg vom Schlachtfeld bei Marathon nach Athen macht. Er läuft fast 40 Kilometer, erreicht die Stadt mit letzter Kraft und verstirbt mit den Worten “Freut Euch, der Sieg ist unser” auf den Lippen.
So berichten es die Geschichtsschreiber Plutarch und Lukian — und so hat es sich vermutlich nie zugetragen.
15. April 2012 n. Chr.: Die TV-Moderatorin Michelle Hunziker nimmt am Mailänder Marathonlauf teil.
Die Geschichtsschreiber von stylebook.de (“Powered by Bild.de”) berichten einen Tag später:
Wie hält Michelle Hunziker (35) ihren Traumkörper in Form? Die TV-Moderatorin verbrachte den Sonntag nicht faul auf der Couch, sondern startete beim Marathon in Mailand. Doch sie bestritt die 42 Kilometer nicht allein: Schützenhilfe bekam sie von ihrem Bruder Harold.
Fieser Regen und grauer Himmel – kein besonders tolles Wetter, um sich die Laufschuhe unter die Füße zu schnallen und 42 (!) Kilometer zurückzulegen. Beim Mailänder Marathon am vergangenen Sonntag taten das trotzdem 13 000 Lauf-Fans. Mittendrin: Michelle Hunziker, die diesen Kraftakt mit Traumlaune absolvierte.
In einer Bildunterschrift wird Frau Hunziker als “Erschöpft aber glücklich – Michelle Hunziker nach 42 Kilometern im Ziel” beschrieben und einer der Redakteure hat sogar eine persönliche Grußbotschaft an die “liebe Michelle”:
Nun …
“42” ist zwar die Antwort auf die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest, aber nicht die auf die Frage, wie viele Kilometer Michelle Hunziker beim Mailand Marathon gelaufen ist. (Und das hat jetzt nichts damit zu tun, dass so eine Marathonstrecke 42,195 Kilometer lang ist.)
Wenn man in der Ergebnisdatenbank des Milano City Marathon nachsieht, gibt es in der Kategorie “Maratona” keine Teilnehmerin namens Hunziker — wohl aber in der Kategorie “Relay Marathon: F4”, einer Staffel.
Tatsächlich ist Michelle Hunziker in 57:11 Minuten 9,095 km (“Distanza”) gelaufen:
Auf manche Geschichtsschreiber ist halt auch heute noch kein Verlass.
Mit Dank an Stephan L., Clemens W., Jan und Markus D.
Nachtrag, 16.20 Uhr: stylebook.de hat sich für den Fehler entschuldigt:
Wie wir durch einen freundlichen Hinweis erfahren haben, ist Michelle Hunziker nicht den gesamten Marathon gelaufen, sondern nur die Teilstrecke von 9,095 Kilometer in der Staffel. Sorry für den Fehler!
Korrigiert wurde der Artikel dahingehend, dass der gezeichnete Redakteur nun nur noch “Tolle Leistung, liebe Michelle!” ausruft, während im Vorspann und in der Bildunterschrift immer noch der Eindruck erweckt wird, Michelle Hunziker habe 42 Kilometer zurückgelegt.
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2. “Wie Medien Breiviks Spiel mitspielen” (deranderefellner.wordpress.com)
Sebastian Fellner kommentiert die Berichterstattung über den Prozess gegen Anders Behring Breivik: “Bitte verschont mich mit Breivik. Ich will keine Fotos mehr sehen von diesem selbstverliebten Wahnsinnigen, wie er zufrieden lächelt ob der Aufmerksamkeit, die er bekommt. Ich will nicht lesen, dass er ‘gerührt’ ist, weil sein Video vor Gericht gezeigt wird. Gebt mir Bescheid, wenn es ein Urteil gibt. Bringt meinetwegen eine Meldung, wenn ein Zeuge oder eine Zeugin etwas bisher Unbekanntes aussagt. Aber füttert Breivik nicht mit der Aufmerksamkeit, die er sich wünscht.” Siehe dazu auch “Die Medien sollten Breiviks Spiel nicht mitmachen” (tagesschau.de, Albrecht Breitschuh).
5. “Griechenlands Medienhäuser fürchten den Kollaps” (zeit.de, Ferry Batzoglou)
Viele griechische Medienhäuser haben sich in den 1990er-Jahren hoch verschuldet. “In Zeiten des Booms haben viele Medienhäuser ihre Glaubwürdigkeit im Volk verspielt. Es grassierten Vetternwirtschaft und Hofjournalismus. Die Devise lautete zu oft: Mitregieren statt kontrollieren.”
In der Redaktion der “Bild am Sonntag” dürften die Sektkorken geknallt haben, als bei der Auswertung von Beate Zschäpes halbverschmortem Rechner herauskam, dass von dort wohl unter anderem auch Pornoseiten der verstorbenen Erotikdarstellerin Sexy Cora angesurft wurden.
Sex, Tod und Nazis — und das alles auf einmal! Mehr kann sich eine Boulevardzeitung nun wirklich nicht in einer Story wünschen. Sogar ein Nacktfoto von Cora hat “Bild am Sonntag” für diesen halbseitigen Artikel aus dem Archiv gekramt (in unserem Ausriss nicht enthalten):
Und in einem Folgeartikel derselben Autoren auf Bild.de lautet die Überschrift so:
Dabei müssten genau diese Frage “Bild” und Bild.de doch eigentlich am besten beantworten können (BILDblog berichtete).
Die Sexy-Cora-Obsession von Bild.de ist so extrem, dass wir sie sogar in mehrere Phasen einteilen mussten:
Die Big-Brother-Ära:
Wie viel Nacktheit verträgt “Big Brother”? – Sexy Cora wird zum menschlichen Busenhalter (14.1.2010)
Jetzt wird es noch nackter! – Porno-Klaus zieht zu sexy Cora ins “Big Brother”-Haus (18.1.2010)
Callboy Klaus’ erste Nacht im “Big Brother”-Haus – Porno-Klaus befummelt sexy Cora (19.1.2010)
“Big Brother” – Cora und Micaela im sexy Dusch-Duett (21.1.2010)
“Big Brother”: Porno-Klaus, pass auf! Hier kuschelt deine sexy Cora mit Tobias fremd (21.1.2010)
“Big Brother”, Tag 12 – Tränen-Abschied von sexy Cora (23.1.2010)
“Big Brother” – Lüftet sexy Cora das Geheimnis um ihren überstürzten Auszug? (25.1.2010)
Erotikdarstellerin zog wieder ins Big-Brother-Haus ein – Jetzt kann sexy Cora wieder mit Tobias kuscheln (26.1.2010)
Eine Frau und drei Männer – Sexy Cora: Dusch-Orgie im “Big Brother”-Haus (27.1.2010)
Sexy Party im “Big Brother”-Haus – Cora und Kristina strippen für die Fans (28.1.2010)
Tränen im “Big Brother”-Haus – Sexy Cora in der Sinnkrise (3.2.2010)
Verliebt im “Big Brother”-Haus – Sexy Cora und Tobias kommen sich immer näher (4.2.2010)
Tobias will ausziehen! Ist sexy Cora bald wieder “Big Brother”-Single? (6.2.2010)
Versprechen gebrochen – “Big Brother”-Cora duscht wieder nackt (17.2.2010)
Im “Big Brother”-Container – Cora schockt Tobias mit Slip-Geständnis! (19.2.2010)
“Big Brother”: sexy Cora geht baden – So sexy räkelt sich Badenixe Cora in der Wanne (22.2.2010)
Big Brother 10 – Sexy Coras heiße Wannen-Show (23.2.2010)
“Big Brother” ohne Erotikdarstellerin? Sexy Cora denkt an Auszug (24.2.2010)
Ihre Millionenauflage macht “Bild” stark. Aber sie hat nur soviel Macht, wie Politiker ihr einräumen.
Das ist das Fazit einer Dokumentation, die die ARD über die “Bild”-Zeitung gedreht hat. Die Autoren Christiane Meier und Autor Sascha Adamek haben unter anderem mit Politikern wie Claudia Roth und Gregor Gysi gesprochen, die sich erfolgreich gegen Lügen der “Bild”-Zeitung gewehrt haben; mit dem Lobbyisten Hans-Olaf Henkel, einem ehemaligen “Bild”-Freund, den das Blatt, nachdem er in Ungnade gefallen war, publizistisch vernichten wollte; mit Bela Anda, dem ehemaligen “Bild”-Redakteur und Regierungssprecher unter Gerhard Schröder; mit Edmund Stoiber, der “Bild” als “eine Art direkte Demokratie” bezeichnet, und mit Lukas Heinser, dem Chef des “renommierten, kritischen BILDblogs im Internet“.
Es ist eine unaufgeregte, unspektakuläre, aber erhellende Dokumentation geworden — über die Art wie “Bild” Politik und Politiker macht.
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
1. “Erfurt, Winnenden und die Verantwortung der Medien” (thueringer-allgemeine.de, Hanno Müller)
An einer Podiumsdiskussion diskutieren Christiane Alt, Eric T. Langer, Uwe Kaufmann, Claudia Fischer und Frank Nipkau über die Berichterstattung zu den Amokläufen in Erfurt und Winnenden.
2. “In die Luft gegriffen – Die Berichterstattung über die Brüste von Kate Winslet” (doppelpod.com, Sven Hänke)
“Die chinesischen Sittenwächter hatten befürchtet, die Zuschauer könnten im Kinosaal in die Luft greifen, um die Brüste von Winslet berühren zu wollen”, schreibt zum Beispiel Welt.de. “Dummerweise ist diese Begründung reiner Humbug und geht auf einen 5-Tage alten Blogeintrag zurück, der diese satirisch gemeinte Begründung offensichtlich seinerseits aus dem chinesischen Internet übernommen hat.”
3. “ARD und ZDF – die letzten oppositionellen Massenmedien?” (heise.de/tp, Alexander Dill)
Alexander Dill weist auf Recherchen der Öffentlich-Rechtlichen hin und vermutet die mediale Opposition dort. “Die Printmedien sind boulevardesk geworden. (…) Redakteure möchten bei den Lesern, Inserenten und Eigentümern nicht anecken.”
4. “Der berühmteste Unbekannte der Welt” (spiegel.de, Frank Patalong)
Frank Patalong schreibt über Greg Packer, der den Medien seit Jahren zu allen möglichen Themen erfolgreich als Mann von der Straße dient. “Packer sagt immer das, was passt, und Reporter schreiben mit. (…) Er ist der wohl mit weitem Abstand meistzitierte ganz normale Bürger der Welt. Er tut alles dafür, damit das so bleibt.”
5. “Zum ersten, zum zweiten und zum …” (medienspiegel.ch, Martin Hitz)
Gaskraftwerke sollen Atomkraftwerke ersetzen, soweit waren sich Schweizer Sonntagszeitungen gestern einig. Doch wie viele?
6. “Ich heb dann mal ur” (spreeblick.com, Johnny Häusler)
“Urheberrechtsabschaffungspiraten und Medien-Panik-Journalisten gleichermaßen: Macht eure Hausaufgaben, lernt von der anderen Seite, hört ihr zu und nehmt die Argumente an den richtigen Stellen ernst, damit wir hier mal langsam vorwärts kommen.” Siehe dazu auch “Det fiel ma uff: Was ich zur Urheberrechtsdebatte zu sagen habe” (britcoms.de, Oliver).
Frage: 374 Studentinnen und Studenten (im Folgenden: “Studenten”) besuchen im Wintersemester die Mathematik-Vorlesung für Lehramtsstudenten an der Universität zu Köln. 305 von ihnen treten zur Abschlussklausur an, doch nur 22 bestehen diese. An der Nachklausur nehmen 242 Studenten teil, von denen 79 bestehen. 6 weitere Studenten melden sich krank und dürfen eine weitere Nachklausur schreiben. Wie hoch ist die Durchfallquote der Vorlesung?
Boah, okay, das ist fies. Zählen die 69 Studenten, die zur Prüfung zugelassen waren, aber gar nicht erschienen sind, mit? Ich sag mal nein. Wer nicht antritt, kann ja weder bestehen noch durchfallen.
Ach, verdammt, da sind ja noch die Krankmeldungen. Da weiß ich gar nicht, wie viele von denen bestehen. Bei meiner Rechnung ja null. Und wenn alle sechs bestehen …
Antwort: Die Durchfallquote liegt zwischen 64,9 und 66,9 %.
Oh, Mist. Oder hätte ich die 79 Leute aus der Nachklausur in Relation zu den 242 setzen müssen, die dazu überhaupt nur erschienen sind? Ach nee, die anderen sind ja auf jeden Fall durchgefallen. Oder? Verdammt, warum hab ich mich nur für Mathe als Nebenfach entschieden?
Was Studenten an den Rande des Nervenzusammenbruchs bringen kann, ist für “Spiegel Online” kein Problem: Die Hochschulredakteure dort setzen einfach die 22 Studenten, die im ersten Anlauf bestanden haben, ins Verhältnis zu den 374 Studenten, die für die Klausur zugelassen waren, und kommen so auf eine noch viel beeindruckendere Zahl:
“Spiegel Online” schließt sich damit der Lesart von “Kölner Stadtanzeiger”, “WAZ” und WDR 5 an, die in den letzten Wochen und Monaten über den Fall berichtet hatten.
Das Seminar für Mathematik und ihre Didaktik der Uni Köln hatte sich schon vor Erscheinen des “Spiegel Online”-Artikels in einer ausführlichen Stellungnahme (PDF) zu den Vorwürfen der Studenten geäußert.
Neben Einlassungen zur Zahl der bestandenen Klausuren (“Damit werden am Ende der Veranstaltung 101 bis 107 diesen Modul bestanden haben”) gibt es einen ziemlich langen Teil zur Presseresonanz:
Die Skandalisierung eines solchen Ereignisses nimmt für uns eine neue Qualität an, wie sie uns bislang nur von englischen Kollegen berichtet wurde. […]
Unerträglich ist es für uns jedoch zu lesen, wenn Studierende, Journalisten, Leserbriefschreiber, Blogger und andere – meist ohne Kenntnis der Hintergründe – denken, den Grund für den Ausgang der Klausur in der Person der Dozentin ausgemacht zu haben. Sie schädigen den Ruf einer ausgewiesenen Dozentin. Seit dem Bekanntwerden des Klausurergebnisses wurde die Dozentin in der Öffentlichkeit persönlich angegriffen. […] Eine Teilnehmerin der Vorlesung schrieb am 29.02.2012 in einem Leserbrief: “Wie kann es sein, dass eine Professorin lehrt, die anscheinend keinerlei Interesse an den Studenten beziehungsweise ihren Zielen hat?”. Von ihr hat die Dozentin sieben E-Mails mit Mathematikfragen erhalten, die sie alle nachweisbar freundlich und sachlich beantwortet hat. Sie hat auch einige unfreundliche und sogar grob beleidigende E-Mails von Studierenden erhalten. Diese hat sie noch am selben Tag oder in einem Fall am folgenden Tag ausführlich beantwortet. Dies alles kann belegt werden. Diese Studierenden haben sich bis heute nicht von ihrer Aussage in der Zeitung distanziert, noch dafür entschuldigt.
Auch von Journalisten wurde ihr unterstellt, Dinge gesagt zu haben wie “Ihr habt nicht mal das Niveau einer fünften Klasse.” (Stadt-Anzeiger) oder dass sie die Studierenden für ‘zu blöd’ halte und ihnen ‘ein beschränktes Denken’ (WAZ) unterstelle. Diese angeblichen Zitate passen nicht zu ihrem nachweisbar großen Engagement. Wenn sie dieser Haltung wäre, würde sie nicht bis 21 Uhr freiwillig und unbezahlt Tutorien anbieten, um die aus der Schule mitgebrachten Defizite zu bearbeiten. Dass es diese Defizite gibt, hat sie allerdings sehr wohl angesprochen. Studierende, die behaupten, die Hilfe der Dozentin nicht in Anspruch genommen zu haben, weil sie sich eingeschüchtert fühlten, haben auch die Sprechstunden der Mitarbeiter und Hilfskräfte nicht besucht. Selbst in seriösen Medien (WDR 5, Deutschlandfunk) finden sich falsche oder aus dem Zusammenhang gerissene Zitate. Der dortige Verweis auf den kulturellen Hintergrund der Dozentin (‘Was sie hier verlange entspräche dem Niveau der neunten Klasse in ihrer Heimat Rumänien, meinte sie gegenüber den Studierenden in ihrer Vorlesung.’) stimmt in Anbetracht der ausgiebigen Erfahrungen der Dozentin an deutschen Universitäten und ihrer perfekten Beherrschung der deutschen Sprache nachdenklich.
Die Dozentin dieser Vorlesung hat sich weit über das von ihr geforderte Maß eingesetzt. […] Die E-mail Korrespondenz mit den Studierenden ist nachweisbar freundlich und auf die Sache bezogen – selbst dann noch, wenn sie mit frustrierten, polemischen Äußerungen von Studierenden konfrontiert wurde. […]
Die vielen Beschimpfungen der Dozentin durch Menschen, die sie gar nicht kennen, können wir uns vor allem nur durch das negative emotionale Potential erklären, dass Mathematikunterricht in Deutschland bei vielen Menschen in ihrer Kindheit erzeugt haben muss. Aber genau hier können wir nur mit mathematisch kompetenten Lehrerinnen und Lehrern Abhilfe schaffen.