dapd, Reuters  etc.

Highway to Helium

Am Freitagabend veröffentlichte die Nachrichtenagentur Reuters folgende Meldung:

Explosion von Ballons verletzt mehr als 140 Menschen in Armenien

Jerewan, 04. Mai (Reuters) – Bei einer Explosion von Luftballons sind in der armenischen Hauptstadt Eriwan mehr 140 Menschen verletzt worden. Das berichtet die Nachrichtenagentur Interfax am Freitag unter Berufung auf das Katastrophenschutzministerium. Zwei Tage vor der Parlamentswahl explodierten lokalen Medienberichten zufolge mit Helium gefüllte Ballons während einer Wahlkampfveranstaltung auf dem Platz der Republik. Das Gas sei durch eine Zigarette entzündet worden. […]

Wir haben nicht überprüft, was die lokalen Medien berichtet haben, aber unter der Reuters-Meldung stehen die Namen von drei Mitarbeiten: einem Reporter, einer bearbeitenden Autorin und einem Redakteur — und keinem von ihnen ist aufgefallen, dass Helium nicht brennbar ist.

Das scheint auch niemand der Agentur dapd verraten zu haben, die zweieinhalb Stunden später vermeldete:

144 Armenier bei Explosion von Ballons verletzt

Eriwan (dapd). Vor der Parlamentswahl in Armenien sind bei einer Explosion von Ballons in der Hauptstadt Eriwan mindestens 144 Menschen verletzt worden. Der Unfall ereignete sich bei einer Wahlkampfveranstaltung der Republikaner, wie das Katastrophenschutzministerium am Freitag mitteilte. 104 Menschen seien mit Brandverletzungen ins Krankenhaus gebracht worden. Die Explosion sei von einem Raucher verursacht worden, der sich nahe der mit Helium gefüllten Ballons eine Zigarette angesteckt habe. […]

Die Deutsche Presseagentur dpa hatte lediglich von einer “schweren Explosion von mehreren Gasballons” geschrieben, bei AFP war es die “Explosion zahlreicher mit Gas gefüllter Ballons”.

Heute Mittag immerhin verschickte Reuters eine Korrektur der eigenen Meldung:

ARMENIEN/EXPLOSION (KORREKTUR)
KORRIGIERT-Mehr als 140 Verletzte bei Explosion in Armenien

(stellt klar, dass in den Ballons nicht Helium sondern anderes Gas war)
Eriwan, 04. Mai (Reuters) – Bei einer Explosion von Luftballons sind in der armenischen Hauptstadt Eriwan mehr als 140 Menschen verletzt worden. Das berichtet die Nachrichtenagentur Interfax am Freitag unter Berufung auf das Katastrophenschutzministerium. Zwei Tage vor der Parlamentswahl explodierten lokalen Medienberichten zufolge mit Gas gefüllte Ballons während einer Wahlkampfveranstaltung auf dem Platz der Republik. Das Gas sei durch eine Zigarette entzündet worden. […]

Dieser Korrekturversuch hat erstaunlich gut funktioniert, das Wort “Helium” jedenfalls wurde nachträglich aus den Reuters-Meldungen auf Portalen wie “Welt Online” und fr-online.de entfernt — das “Hamburger Abendblatt” spricht allerdings im Vorspann immer noch von Helium.

Das Reuters-Video von gestern, in dem die Off-Sprecherin über “zahllose weiße Ballons, gefüllt mit Helium” referiert, findet sich immer noch bei Nachrichtenportalen wie “Spiegel Online”, “Welt Online”, “Focus Online” und stern.de.

Die Agentur dapd, die sich selbst für ihre “hohen journalistischen Standards” feiert, hat ihre fehlerhafte Meldung bisher nicht korrigiert.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

Nachtkritik, Trolle, Kermit

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Der Erfinder des analogen Dauershitstorms”
(begleitschreiben.net, Gregor Keuschnig)
Gregor Keuschnig widmet sich dem 100. Geburtstag von Axel Springer und dem “analogen Dauer-Shitstorm BILD”: “Ich behaupte, dass BILD heute nicht mehr derart beim Publikum verfängt wie zu ihren Hochzeiten. Die Leute sind skeptischer geworden. Selbst ein BILD-Leser glaubt nicht mehr alles, was im Blatt steht. BILD funktioniert eher wie moderne Werbung: Entscheidend ist, was dann doch irgendwo haften bleibt.” Siehe dazu auch “Springer ohne Schneider” (sueddeutsche.de, jja).

2. “Fünf Jahre nachtkritik.de – eine kleine Zwischenbilanz”
(nachtkritik.de, Dirk Pilz)
Heute wird das Theaterkritikportal Nachtkritik.de fünf Jahre alt. “Ich kenne keinen Pressespiegel, der nicht die positive Kritik aus der Zeit immer vor die aus der, zum Beispiel, Lausitzer Rundschau heftet. Die Markengläubigkeit ist enorm, das Lesevermögen gering ausgebildet. Es gilt hier offenbar, was auch sonst gilt: Argumente allein überzeugen kaum. Man kann das beklagen – es ist beklagenswert! –, aber man muss zur Kenntnis nehmen, dass alle Debatten, gerade im Theaterbetrieb, macht- und oft genug filzgesteuert sind. Das schadet, auf lange Sicht, allen Beteiligten.”

3. “Liebe Medien, eine Neighborhood Watch ist keine Bürgerwehr”
(usaerklaert.wordpress.com)

4. “5 Ways to Spot a B.S. Political Story in Under 10 Seconds”
(cracked.com, David Wong, englisch)
Wie man Storys, die man nicht lesen muss, bereits in der Überschrift erkennt.

5. “Freie Fahrt für Trolle?”
(medienwoche.ch, Nick Lüthi)
Der Schweizer Presserat beschäftigt sich mit einem vom Chefredakteur der Zeitung “Südostschweiz” für das Online-Portal gesperrten Nutzer: “Eine Redaktion kann zwar frei darüber entscheiden, ob sie einzelne Leserbriefe, Einträge in Internet-Foren oder Kommentare im Internet veröffentlicht. Wenn sie aber einzelne Personen, Personengruppen oder Institutionen in einem Medium mit einer Publikationssperre belegt, kann dies gegen die Grundsätze der freien Meinungsbildung, der Meinungspluralität und der Fairness verstossen. Für eine Publikationssperre braucht es sehr gute Gründe. Solche liegen hier nicht vor. Deshalb ist die Publikationssperre nicht gerechtfertigt.” Siehe dazu auch “Die Rückkehr des Trolls” (suedostschweiz.ch, David Sieber).

6. “Kermit the Frog’s German TV Offense”
(colbertnation.com, Video, 4:50 Minuten, englisch)
Stephen Colbert findet es bemerkenswert, dass Kermit der Frosch mit einem Pro7-Auftritt Product-Placement-Verordnungen (“Verstoß gegen die Kennzeichnungspflicht”) verletzt hat.

Hauptsache Hure

Griechische Behörden haben Namen und Fotos von elf Prostituierten veröffentlicht, die HIV-positiv sein sollen und im Verdacht stehen, Freier mit dem HI-Virus infiziert zu haben.

“Bild”, die es auch schon mal legitim fand, die HIV-Infektion einer Popsängerin öffentlich zu machen, findet die Aktion in diesem Fall nicht gut und empört sich auf der Titelseite:

Widerlich! Griechen-Minister stellt HIV-Huren an den Pranger

Bei Bild.de ist der Artikel, den Paul Ronzheimer, “Pleite-Griechen”-Beauftragter von “Bild”, aus Athen geschickt hat, ein wenig länger.

Auch die Überschrift ist etwas anders:

Widerlich! Griechen-Minister stellt AIDS-Huren an den Pranger

Aids und HIV — das ist für “Bild” auch im Jahr 2012 immer noch das Gleiche.

Mit Dank auch an Peter H. und Jens D.

Axel Springer, Impfkritik, Öl

6 vor 9

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1. “Drei Leben: Axel Springer”
(youtube.com, Video, 89 Minuten)
Ein Film von Manfred Oldenburg, Jobst Knigge und Sebastian Dehnhardt teilt das Leben von Axel Springer in drei Teile auf: Verleger, Feindbild, Privatmann.

2. “Ein deutsches Prangerschema”
(vocer.org, Hans Mathias Kepplinger)
Hans Mathias Kepplinger widmet sich der Skandalisierung: “In Deutschland geht es bei der Skandalisierung von Personen meist um Geld und geldwerte Vorteile, gelegentlich auch um die NS-Zeit und den Umgang damit. (…) Besonders deutlich wird die Fixierung der Deutschen auf geldwerte Vorteile im Fall von VW: Zum Skandal wurde nicht, dass die Mitarbeiter ihre Frauen betrogen hatten, sondern dass das Unternehmen dafür bezahlt hatte. In den USA wäre es umgekehrt gewesen.”

3. “Impfen ist gut und die Erde eine Scheibe”
(scilogs.de, Boris Hänßler)
Boris Hänßler schreibt über Impfkritik.de, ein “Portal für unabhängige Impfaufklärung”. “Das Portal wird von dem Medizinjournalisten Hans Tolzin betrieben, der anhand vieler Studien und Statistiken eindrucksvoll belegt, was für ein Unsinn Impfen eigentlich ist. Oder zumindest, wie tückisch Medizinjournalismus sein kann.”

4. “Geografie und Skandal”
(pselbst.de)
Schweröl im sibirischen Fluss Angara, der nicht in den Baikalsee mündet, wie verschiedene Medien schreiben, sondern ein Abfluss daraus ist.

5. “Porn panic!”
(guardian.co.uk, Martin Robbins, englisch)
Die “Daily Mail” sorgt sich um den Pornokonsum Jugendlicher: “The problem with the Mail’s campaign is that it is built on a combination of pig-headed ignorance and breath-taking hypocrisy.”

6. “Warum man Frauen unmöglich ‘nicht mitmeinen’ kann”
(herrmeyer.ch)
“Wer von acht Mitarbeiterinnen und acht Mitarbeitern als ‘sechzehn Mitarbeitern’ spricht, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht misogyn veranlagt, sondern praktisch: Er möchte banalerweise einfach zum nächsten Satz übergehen.”

Seniorenunterhaltung, Staatsräson, Neonazis

6 vor 9

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1. “15 Thesen zum Journalismus im 21. Jahrhundert”
(blog.tagesanzeiger.ch, Constantin Seibt)
Wie alternde Schlagersänger seien Printjournalisten längst größtenteils in der Seniorenunterhaltung tätig, stellt Printjournalist Constantin Seibt fest. Der Ausweg aus der Lage sieht er im Stil. “Weil Stil ein eleganter, energischer Weg ist, die drei zentralen Probleme im heutigen Journalismus gleichzeitig anzugehen: die angeschlagene Glaubwürdigkeit, die in Routine erstarrten Redaktionsstrukturen, das alternde Publikum.”

2. “Neonazis attackieren ‘Lausitzer Rundschau'”
(tagesspiegel.de, Sandra Dassler)
Ein Redakteur der “Lausitzer Rundschau” nimmt den Verfassungsschutzbericht 2011 zum Anlass, “über die zunehmende Präsenz von rechtsextremen Gruppen in der Stadt an der Grenze zu Sachsen zu berichten”. Daraufhin wird das Redaktionsgebäude bemalt und beklebt. “In der Nacht zu Dienstag wurden dann Innereien von Tieren ans Schild der Redaktion gehängt.” Die Redaktion will sich nicht einschüchtern lassen (lr-online.de, Johannes M. Fischer). Im Gegenteil, sie ist “ermuntert, noch engagierter zu recherchieren und sich intensiv mit der Feder gegen den Rechtsextremismus zu wehren”. “Der Fall zeigt lediglich die Primitivität der Täter, deren Respektlosigkeit gegenüber fremdem Eigentum und das infantile Unvermögen, andere Meinungen zu ertragen.”

3. “Keine Verkäuferin, nicht verletzt”
(skensegeng.wordpress.com, 18. April 2012)
Eine Frau aus Klagenfurt findet sich mit ihrem Facebook-Foto in der Zeitung wieder: “Sie war mit Name und Bild in der Tageszeitung ‘Österreich’ abgebildet – als Opfer eines brutalen Raubüberfalles, mit dem sie niemals etwas zu tun hatte.”

4. “Armee dementiert Chaos bei Armeewaffen”
(nzz.ch, Markus Häfliger)
Der Chef der Schweizer Armee, André Blattmann, wirft der “Sonntagszeitung” Manipulation von Zitaten vor. Zu Unrecht, fand Markus Häfliger heraus. “Auf Anfrage stellte die ‘Sonntagszeitung’ der NZZ ihren Mailwechsel zur Verfügung, den sie am letzten Freitag und Samstag mit dem zitierten Armeesprecher geführt hatte. Diese Mails zeigen, dass der Blattmanns Armeesprecher die Zitate wörtlich und schriftlich exakt so autorisiert hatte, wie sie in der ‘Sonntagszeitung’ wiedergegeben wurden.”

5. “Springer? 1,70 Euro pro Zeile! Äh … Anteilsschein!”
(freischreiber.de)
Freischreiber, ein Berufsverband freier Journalisten, macht auf den Unterschied zwischen Zeilengeld und Unternehmensgewinn im Axel-Springer-Verlag aufmerksam.

6. “Die Top Ten! – Belletristik”
(ardmediathek.de, Video, 9:20 Minuten)
Literaturkritiker Denis Scheck sieht in den Reaktionen auf das Gedicht “Was gesagt werden muss” von Günter Grass einen “typisch deutschen Ausgrenzungsdiskurs”: “Statt für die Freiheit des Wortes Partei zu nehmen, hat die deutsche Literaturkritik auf Staatsräson gepocht. Statt Abweichler in Schutz zu nehmen, hat man sich im Reihenschluß geübt. Statt ästhetische Maßstäbe anzulegen, hat man sie zugunsten eines politischen Verdikts über Bord geworfen (…)”

Bundeszentrale für politisches Halbwissen

Neulich haben wir in einem Artikel darauf hingewiesen, dass im Wahl-O-Mat für die kommenden Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen fälschlicherweise vom Solidaritätszuschlag statt vom Solidarpakt die Rede ist. Darauf reagierte die dafür verantwortliche “Bundeszentrale für politische Bildung” so:

Auf ihrer Facebookseite äußert sich die Bundeszentrale noch ausführlicher:

Die Thesen des Wahl-O-Mat entstehen in einer Redaktionssitzung (…). Wir haben mit der Redaktion gesprochen, die uns die Sache so erläutert hat:

“In der Tat bezieht sich die These nicht auf den Solidaritätszuschlag als Instrument. Da aber die Ergänzungsabgabe “Solidaritätszuschlag” auch eingeführt worden ist, um den “Aufbau Ost” zu finanzieren, steht er in der öffentlichen Debatte immer wieder stellvertretend für die besondere Unterstützung der ostdeutschen Bundesländer. Damit wird aber möglicherweise die Unterscheidung zwischen dem eigentlichen “Solidaritätszuschlag” und dem “Solidaritätspakt” (sic!) verdeckt, eine Unschärfe, die freilich auch in der politischen Diskussion zu finden ist (…). Wir sind uns über die Schwäche der These bewusst, haben lange darüber diskutiert, ob wir sie trotzdem aufnehmen sollten. Trotz ihrer Unschärfe spricht die These eine grundlegende Fragestellung an, die in den vergangenen Monaten insbesondere mit Verweis auf die Lage der Städte im Ruhrgebiet Schlagzeilen gemacht hat. Deswegen war es wichtig, das Thema mit einer These abzudecken. Die Parteien haben verstanden, welche Kontroverse angesprochen wird, und verweisen in ihren Begründungen auf den Solidarpakt.”

Ernsthaft? Weil Politiker es oft falsch sagen und weil der Solidaritätszuschlag irgendwann einmal für den Aufbau Ost eingeführt worden ist, kann einfach alles, was mit dem Aufbau Ost zu tun hat, Solidaritätszuschlag genannt werden?

Und die bpb legt sogar noch nach:

Und noch als kleine Ergänzung hierzu: Die genauen Erläuterungen von Solidarpakt (http://www.bpb.de/suche/?suchwort=Solidarpakt&suchen=Suchen) und Solidaritätszuschlag (http://www.bpb.de/suche/?suchwort=Solidarit%C3%A4tszuschlag&suchen=Suchen) findet man selbstverständlich bei der bpb!

Dumm nur, dass die “genaue Erläuterung” des Solidaritätszuschlags auf bpb.de auch einen dicken Fehler enthält:

Um die ungleichen Lebensverhältnisse in den neuen und alten Bundesländern nach der Wiedervereinigung anzugleichen (…), wurde vom 1. 1. 1995 an ein Zuschlag zur Lohn-, Einkommen- und Körperschaftsteuer von allen Steuerzahlern erhoben. Von der zu zahlenden Steuer wurden zuerst 7,5 % zusätzlich einbehalten, seit 1. 1. 1998 beträgt der “Soli” 5,5 %. Dieser Zuschlagssatz ist nicht befristet und wurde den neuen Bundesländern im Solidarpakt II bis 2019 zugesagt. Das Aufkommen (2008 rund 11 Mrd. Euro) steht dem Bund zu.

Noch einmal (seufz!): Solidaritätszuschlag und Solidarpakt sind zwei völlig verschiedene Paar Stiefel. Bis 2019 wurden den ostdeutschen Bundesländern im Solidarpakt II Hilfen im Zuge des Länderfinanzausgleiches zugesichert. Kein Cent davon stammt direkt aus den Einnahmen durch den Solidaritätszuschlag, denn “das Aufkommen steht” ja eben “dem Bund zu”. Zwar hat die “Bundeszentrale für politische Bildung” diese Fehlinformation aus der 4. Auflage des Duden Wirtschaft von A bis Z: Grundlagenwissen für Schule und Studium, Beruf und Alltag, aber der wird wiederum als Lizenzausgabe von der “Bundeszentrale für politische Bildung” verlegt.

Ein weiterer Kommentator auf der Facebookseite von bpb fasst die ganze Misere sehr treffend zusammen:

Was ich nach wie vor nicht verstehe: Wenn die Redaktion das Problem lang und breit diskutiert hat und sich darüber bewusst war, dass es eigentlich um die Mittel aus dem Solidarpakt geht und nicht um den Solidaritätszuschlag: Warum konnte man dann nicht einfach auch “Mittel aus dem Solidarpakt” statt “Solidaritätszuschlag” schreiben? Dann wäre es korrekt und v.a. auch weniger verwirrend, angesichts der Tatsache, dass die Parteien dann auf einmal vom “Solidarpakt” sprechen und nicht vom “Solidaritätszuschlag”. Dass diese “Unschärfe” (man könnte auch sagen: dieser Fehler) auch in der politischen Diskussion zu finden ist, kann doch nicht wirklich ein ernst gemeintes Argument dafür sein, dass die BpB diesen Fehler dann einfach übernimmt und ihm damit durch ihre eigene Glaubwürdigkeit noch weitere Autorität verleiht. Die BpB ist doch eigentlich genau dafür da, die Bürger auf solche falschen Unschärfen aufmerksam zu machen. Genau das nennt man ja politische Bildung. Jedenfalls steht als Aufgabenbeschreibung auf der BpB-Homepage u.a. auch: “Die Aufgabe der Bundeszentrale für politischen Bildung/bpb ist es, Verständnis für politische Sachverhalte zu fördern.” Und dieser Förderung wäre sicherlich mehr gedient, wenn man die oben diskutierte These anders (=korrekt) formuliert hätte.

Eine Antwort von der Bundeszentrale hat er allerdings keine mehr bekommen.

Das ist ja die Höhe!

Der heutige 30. April ist ein besonderer Tag für New York City: Das “One World Trade Center”, das die beiden Zwillingstürme ersetzt, die am 11. September 2001 zerstört wurden, soll die Marke von 381 Metern erreichen — und damit das Empire State Building als höchstes Gebäude der Stadt ablösen.

Bild.de erklärt dazu:

Doch der “Freedom-Tower” auf der größen [sic!] Baustelle Manhattans hat noch viel mehr vor: In den nächsten Jahren soll er das höchste Gebäude der USA werden, dann sogar das höchste der Welt.

Äääääääh … nein!

Das Gebäude soll, in Anspielung an das Jahr der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, 1776 Fuß hoch werden, das entspricht 541,32 Metern. Der Burj Khalifa in Dubai ist mit 828 Metern dann doch noch mal um 1,8 Kölner Dome höher. Daran ändern auch die unterschiedlichen Zählweisen von Gebäudehöhen wenig.

Die Wikipedia hält allerdings zwei Alternativformulierungen für Bild.de bereit:

Das 541,3 Meter hohe Gebäude wird bei seiner Fertigstellung das höchste Gebäude in New York und den Vereinigten Staaten sein, sowie eines der höchsten der Welt. […]

Das One World Trade Center wird den Taipei 101 in Taipeh (508 Meter; offiziell bis 2010 das höchste Gebäude der Erde) nach seiner Vollendung als höchstes nur für Bürozwecke genutztes Gebäude der Welt übertreffen.

Mit Dank an Anonym.

Nachtrag, 16.15 Uhr: Bild.de hat den Satz auf “In den nächsten Jahren soll er das höchste Gebäude der USA werden” zusammengekürzt.

Hupen im Stadtverkehr

Kaum wird es draußen endlich wärmer, passieren solche Geschichten:

Nackte Frau auf Motorrad: Sie bekam ein Knöllchen für oben ohne Helm. Fahren oben ohne ist keine Ordnungswidrigkeit. Fahren ganz oben ohne schon. Auch in Rumänien herrscht Helmpflicht auf dem Motorrad. Und daher erhielt diese leichtsinnige Frau von der Polizei in Constanta in Südost-Rumänien ein saftiges Knöllchen. Sofort bezahlen konnte sie die Strafe vermutlich nicht. Fassen Sie mal einer nackten Frau in die Tasche . . .

Laut Fotocredit hat “Bild am Sonntag” diese Geschichte von “Central European News”, einer in Wien ansässigen Möchtegern-Nachrichtenagentur, die sich auf den Verkauf von Trash-Nachrichten aus dem zentraleuropäischen Raum nach Großbritannien spezialisiert hat.

Und in Großbritannien lief die Geschichte von der nackten Motorradfahrerin aus Rumänien letzte Woche schon ganz gut.

Der “Daily Mirror” hatte gar ein paar zusätzliche Insiderinformationen:

“Der Beamte war ein Verkehrspolizist und der einzige Verstoß, den sie begangen hat, war, keinen Helm zu tragen”, erklärte ein Zeuge heute den rumänischen Medien.

“Also gab er ihr eine Verwarnung und einen Strafzettel und wies sie und ihren Begleiter an, fortzufahren”, hieß es weiter.

(Übersetzung von uns.)

Alles an dieser Geschichte ist zweifelhaft: Die Fotos sind mitnichten von letzter Woche, sondern stehen mindestens seit dem 31. Oktober 2007 online — hochgeladen von einem Fotografen, der sich auf das Ablichten von nackten Frauen in der Öffentlichkeit spezialisiert zu haben scheint.

Außerdem ist es unwahrscheinlich, dass die Bilder tatsächlich im rumänischen Constanta entstanden sind: Straßen- und Nummernschilder sind eindeutig aus Tschechien.

All solche Details sind – mal wieder – egal, solange es nur um Brüste geht. Das größere Rätsel ist, warum sich Medien ernsthaft auf Central European News als Quelle verlassen:

Mit Dank an Pascal S. und Alexander K.

Günter Wallraff, Friede Springer, DDVG

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Das waren freundliche Herren”
(zeit.de, Evelyn Finger und Annabel Wahba)
Evelyn Finger und Annabel Wahba befragen Günter Wallraff, der zuletzt für das “Zeit Magazin” undercover unterwegs war, kritisch zu seiner Vergangenheit: “Es wird jetzt so getan, als hätte ich zwischen 1968 und 1971 ein nie verjährendes Kapitalverbrechen begangen. Die Akten werden immer wieder aufgewärmt, mit dem Ziel, meine Arbeit zu diskreditieren und mich menschlich als Drecksau erscheinen zu lassen.”

2. “Ich wollte es dem Herrn Kirch beweisen”
(welt.de, Andrea Seibel)
Ein ausführliches Interview mit Friede Springer, der Witwe von Axel Springer: “Einmal meinte ich, ich sei ein Produkt von ihm, das ist missverständlich, es klingt, als hätte ich keinen eigenen Willen. Heute sage ich: Er hat mich ausgebildet, ich bin dank ihm gewachsen.”

3. “Wir stehen zur FR”
(fr-online.de, Joachim Frank)
Barbara Hendricks, Generaltreuhänderin der SPD-Medienholding DDVG, die mit 40 Prozent an der “Frankfurter Rundschau” beteiligt ist, feiert ihren 60. Geburtstag: “Alle Welt erachtet den Einfluss privater Verleger auf ihre Zeitungen für völlig normal, hielte es aber gleichsam für Teufelswerk, wenn eine demokratisch verfasste Partei dies täte.”

4. “Die Fehler der anderen – von Hightech und Huren”
(wissenschaftkommuniziert.wordpress.com, Reiner Korbmann)
Wurde der MP3-Player in München entwickelt, wie in der “Süddeutschen Zeitung” zu lesen ist? “Weder wurde der MP3-Player hier entwickelt, noch der Softwarestandard MP3. MP3 stammt – immerhin fast richtig – aus einem Fraunhofer-Institut, aber dem Institut für Integrierte Schaltungen in Erlangen.”

5. “Spannungen zwischen Piraten und Journalisten”
(welt.de)
Journalisten am Bundesparteitag der Piratenpartei in Neumünster: “Für Empörung sorgte ein TV-Team, das als Requisit für seine Sendung ein Spielzeug-Piratenschiffchen mitgebracht hatte, auf dem unter anderem rechtsextreme Losungen angebracht waren.”

6. “Das Testament des Axel Cäsar Springer”
(spiegel.de, Michael Jürgs)
Was Axel Springer an seinem 100. Geburtstag gesagt hätte, wenn er noch leben würde. Siehe dazu auch “Die Rückkehr des Axel Caesar Springer” (taz.de, Arno Frank).

Bild  

Schon wieder falscher DSDS-Sieger gewählt

Gestern endete (quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit) die neunte Staffel der RTL-Castingsoap “Deutschland sucht den Superstar” mit einem Sieg von Luca Hänni. Was insofern überraschend ist, als erstens RTL unter der Woche im Internet schon versehentlich den “Sieg” von Gegenkandidat Daniele Negroni “verkündet” und zweitens “Bild” gestern getitelt hatte:

Wetten, dass Daniele gewinnt?

Andererseits ist das mit “Bild” auch gar nicht überraschend, sondern offenbar Teil einer neuen Tradition.

Anders als im letzten Jahr hatte sich “Bild” diesmal immerhin alle Türen offen gehalten:

DSDS-Finale - Die große Bild-Prognose* Wetten, dass Daniele heute seine Mama reich macht? * ... falls wir uns irren, gilt das für Lucas Mutter

Mit Dank an Steffen S.

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