Ich trink’ Ouzo, und welche Steuererhöhung erfindest du so?

Bei komplexen Themen greifen Redaktionen gern auf knackige Beispiele zurück, das soll einem Bericht wohl was Griffiges geben. Aus den Verhandlungen zum Freihandelsabkommen TTIP entstand so etwa die breite Chlorhühnchen-Debatte, die einige viel diskussionswürdigere Aspekte aus den Schlagzeilen und Artikeln verdrängt haben dürfte.

Als am Montag in Griechenland die vom Parlament beschlossenen Mehrwertsteuererhöhungen in Kraft traten, gab es wieder ein mediales Massenherunterbrechen. Und was picken sich die Journalisten da am liebsten raus? Klar, Sirtaki, Tzatziki oder:

Im welt.de-Text kommt auch ein griechischer Kellner zu Wort:

“Unser Ouzo und Moussaka werden ab Montag leider teurer”, sagte Kostas Sarafis, ein Kellner in der Taverne “Zorbas” unterhalb der Akropolis von Athen.

Das Zitat stammt aus einer dpa-Meldung. Bloß: Entweder hat der Kellner nicht die Wahrheit gesagt, oder der Reporter hat was durcheinandergebracht. Denn für Moussaka mag die Aussage stimmen, weil die Mehrwertsteuer für Restaurantrechnungen am Montag von 13 auf 23 Prozent gestiegen ist. Für den Ouzo stimmt sie aber nicht. Alkohol unterliegt in Griechenland laut einer Liste der Europäischen Kommission (PDF, Griechenland = “EL”) schon seit Jahren der höchsten Mehrwertsteuer. Und dabei ist es egal, ob der Kunde ihn im Supermarkt, am Kiosk oder in der Taverne kauft:


Niedrigere Mehrwertsteuersätze für Alkohol (wie für alles andere auch) gab es bis Sonntagnacht lediglich auf den griechischen Inseln, nicht aber in der Athener Taverne “Zorbas”.

Nun passte den Redaktionen die dpa-Passage vom teureren Ouzo aber so gut ins Griechenland-Klischee, dass sie sie massig verbreiteten. Manche dachten sich noch flotte Überschriften und Dachzeilen aus …


(fr-online.de)


(n-tv.de)


(nordkurier.de)

… andere übernahmen einfach den dpa-Text und mit ihm das Zitat des griechischen Kellners.

Daneben gab es aber auch einige Medien, die nicht einmal die Agentur-Vorlage brauchten, um den OuzoUnsinn aufzuschreiben.

Mit Dank an Jörg B. und Michalis P.

Florida-Rolf, Selbstinszenierung, Smoothies gegen Wagner

1. „Die ‘zweite Erde‘ die schon wieder mal keine zweite Erde ist!“
(scienceblogs.de, Florian Freistetter)
Die Nasa gab gestern die Entdeckung des „first near-Earth-size“ Planeten Kepler-452b bekannt. Es handele sich dabei „um eine sogenannte Supererde und keinen erdähnlichen Planeten“, schreibt Florian Freistetter, auch wenn Webseiten wie „Focus Online“ anderes berichten. Freistetter, der seit Jahren auf scienceblog.de Fälle von angeblichen Erd-Entdeckungen dokumentiert, sagt, dass die heutigen Teleskope noch nicht so weit seien:

Wir werden die zweite Erde schon noch finden. Wenn die Erde kein Einzelfall ist und dort draußen noch andere Himmelskörper mit entsprechenden Umweltbedingungen vorhanden sind, dann werden wir sie in den nächsten 20 Jahren entdecken. Aber jetzt geht das eben noch nicht.

2. „Ich will nicht immer alles als Risiko sehen”
(horizont.net, Roland Pimpl)
Soziale Netzwerke wie Facebook, aber auch Google, Apple oder Online-Kioske wie „Blendle“ besetzten weiter klassische Verlagsaufgaben. Stefan Plöchinger, Digital-Chef der „Süddeutschen Zeitung”, sieht in der Zusammenarbeit mit den neuen Vertrieblern journalistischer Inhalte „größere Chancen“. Doch die relevanteste Frage bleibt für ihn, „wie der Journalismus (…) – unabhängig, investigativ, tief und kenntnisreich – den digitalen Medienbruch überleben kann“.

3. „Warum unsere Gesellschaft die Armen verachtet“
(sebastian-doerfler.de, Sebastian, Audio, 58:29 Minuten)
„Florida-Rolf“, „Fetti“ oder „Assi“ – in einem „BR”-Radiofeature gehen Sebastian Dörfler und Julia Fritzsche der Frage nach, woher die Bilder vom „faulen Arbeitslosen” und „faulen Griechen” kommen. „Es ist eine kleine Ideologiekritik zum laufenden Sozialstaatsabbau geworden, mit allerhand Beispielen aus Funk, Fernsehen und Politik“, schreibt Dörfler in seinem Blog.

4. „Datenschutz? Ist mir doch egal!“
(eaid-berlin.de, Peter Schaar)
Peter Schaar, ehemaliger Bundesbeauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit, mahnt: „Die meisten datengetriebenen Geschäftsmodelle gleichen einem venezianischen Spiegel, der nur einseitig durchsichtig ist.“ Mit Blick auf die Nachlässigkeit beim Datenschutz sei zu befürchten, „dass wir unsere Ignoranz teuer bezahlen müssen.“

5. „Es ist in Ordnung, dass wir uns online selbst inszenieren“
(blog.neon.de, Angela Gruber)
„Auch mit einem Beme-Video wollen Nutzer Aufmerksamkeit und Zuspruch von anderen“, schreibt Angela Gruber. Die neue Video-App sei im Kern eine weitere Möglichkeit der Selbstdarstellung. Und das Internet brauche egozentrische User, die den Anspruch hätten, ihre online geteilten Inhalte zu inszenieren.

6. „Mit Smoothies gegen Franz Josef Wagner“
(meedia.de)
„Bild“-Kolumnist Franz Josef Wagner meint zu wissen, warum „wir“ jedes Jahr „um 200 000 Menschen ärmer“ werden. Schuld seien Smoothie-trinkende Frauen. „Meedia“ sammelt Reaktionen dazu aus dem Netz. Siehe auch: „11 Beweise, dass berufstätige Frauen Deutschland ruinieren“ (buzzfeed.com, Juliane Leopold).

“Focus Online” ruft 27 Millionen Ikea-Kommoden zurück

In den vergangenen eineinhalb Jahren sind zwei Kinder in den USA von umfallenden Ikea-Kommoden der Serie „Malm“ getötet worden.

So weit ist der Artikel, den “Focus Online” heute früh veröffentlicht hat, korrekt.

Nun wird Ikea aktiv und ruft 27 Millionen Exemplare der Kommode zurück.

Das ist dann allerdings Quatsch. Und “Focus Online” schreibt sogar selbst, warum:

Genauer gesagt erhalten “Malm”-Kunden ein kostenloses Kit zum Anschrauben der Kommode an ihre Wand.

Noch “genauer gesagt” ist die Rückruf-Aktion überhaupt keine Rückruf-Aktion. Sondern eine Kampagne, mit der die amerikanische Behörde für Produktsicherheit (CPSC) und Ikea vor umkippenden Möbeln im Allgemeinen warnen wollen.

So schreiben es auch die meisten Medien:



Nur “Focus Online” behauptet seit über zehn Stunden, Ikea rufe die 27 Millionen Möbelstücke zurück:

Als Quelle gibt das Portal den US-Sender CNBC an. Dort steht auch tatsächlich:

In einem Update unter dem Artikel heißt es allerdings:

Update: This article has been updated to reflect that the recall does not require owners to return the furniture to the stores.

Aber davon wollen die Leute bei “Focus Online” nichts wissen. Auch auf der Startseite schreiben sie:

Und bei Facebook legen sie und ihre Clickbait-Kumpels von der “Huffington Post” noch eine Schippe Panik drauf:



(Markierung von uns.)

Und es wirkt:


Die Pressestelle von Ikea hat uns heute Abend auf Anfrage bestätigt, dass die Behauptung von “Focus Online” falsch ist. In einem Statement heißt es:

IKEA hat aktuell in den USA die Secure it! Kampagne veröffentlicht, die auf die Gefahr von umkippenden Möbeln im Allgemeinen hinweist, wenn diese nicht an der Wand befestigt sind. Bei der Kampagne handelt es sich nicht um einen Produktrückruf. IKEA möchte mit dieser Kampagne in Zusammenarbeit mit der Consumer Product Safety Commission (CPSC) auf dieses Gefahrenpotential hinweisen und so Unfälle verhindern.

Und das Traurigste ist: “Focus Online” weiß das schon seit Stunden. Ikea teilte uns mit, man habe “bereits heute morgen bei focus.de darum gebeten, dass die [Falschmeldung] korrigiert wird”. Der Artikel ist noch immer online.

Mit Dank an Bastian B.

Siehe auch: Ikea warnt vor umkippenden Möbeln (test.de)

Nachtrag, 21.40 Uhr: Jetzt hat “Focus Online” den Artikel doch noch (unauffällig) geändert. Die Überschrift lautet nun: “Wegen kippender Möbel: Ikea bietet Kunden Sicherheitskits an”. Einen Hinweis auf den eigenen Fehler gibt es (schon aus Traditionsgründen) natürlich nicht.* Dafür aber einen neuen Artikel zum Thema. Auf der Startseite schreibt „Focus Online“:

*Nachtrag, 1.10 Uhr: Inzwischen findet man am Ende des Artikels doch einen Hinweis:

Hinweis: In einer früheren Version dieses Artikels war von einer Rückrufaktion die Rede. Dies ist nicht richtig. Ikea warnt in den USA davor, dass das Möbelstück kippen kann und liefert die Befestigungen nach.

Steuertipps, queerer Blätterwald, Til Schweiger

1. „Geheime Straftäter“
(3sat.de, Video, 6:51 Minuten)
Der Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen hat wegen „des Verdachts des Verrates von Staatsgeheimnissen“ Strafanzeige gegen netzpolitik.org Unbekannt gestellt, netzpolitik.org hatte im letzten Jahr unter anderem zwei Haushaltspläne des Verfassungsschutzes veröffentlicht. „Kulturzeit“ spricht mit den Netzaktivisten Markus Beckedahl und Anke Domscheit-Berg.

2. „Das Internet, das wir bewahren müssen“
(zeit.de, Hossein Derakhshan)
Für Dinge, die er in seinem Blog schrieb, musste Irans „Blogfather” Hossein Derakhshan sechs Jahren in ein Teheraner Gefängnis. „Im Jahr 2008, als ich verhaftet wurde, waren Blogs pures Gold und Blogger waren Rockstars“, schreibt Derakhshan. Er äußert Bedauern darüber, dass der Einfluss von Blogs beschnitten und durch Soziale Medien ersetzt worden sei.

3. „Zwischen Leichtigkeit und Seichtigkeit“
(freitag.de, Luisa Hommerich) 
Mit „Straight“ gibt es ein neues Magazin auf dem Printmarkt. Die porträtierten Paare hätten das gleiche Geschlecht, ansonsten dekliniere die erste „Straight“-Ausgabe bekannte Frauenmagazin-Schemata durch, schreibt Luisa Hommerich. Ein „Lifestyle-Sprachrohr lesbischer Bürgerinnen” brauche es trotzdem: „Straight macht den queeren Blätterwald bunter – und Lesben womöglich ein Stück sichtbarer.“

4. „Buchhaltung steuern – praktische Tipps für freiberufliche Fachjournalisten“
(fachjournalist.de, Birgit Groschwitz-Fiebig)
Wie steht es um Verpflegungspauschalen, Abschreibungen, Umsatzsteuer und Urheberrecht? Volkswirtin Birgit Groschwitz-Fiebig gibt Steuertipps für Freie.

5. „Warum wundert sich Til Schweiger über seine Fans?“
(siegstyle.de, Alf Frommer)
Nachdem Schauspieler Til Schweiger am vergangenen Samstag bei Facebook einen Aufruf zur Hilfe für Flüchtlinge des „Hamburger Abendblatts“ geteilt hatte, hagelte es von einigen seiner Fans üble Kommentare. Blogger Alf Frommer fragt, warum sich „der derzeitige Gott des Mainstreams“ darüber wundert.

6. „Die Premium-Community von stern.de“
(stefan-niggemeier.de)

Mörder auf der Titelseite

Die Mitarbeiter von “Bild” und Bild.de können sich einfach nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass auch Täter — und sei ihr Verbrechen noch so abscheulich — Rechte haben. Zum Beispiel Menschenrechte, aber auch Persönlichkeitsrechte. Oder das Recht, nach der Verbüßung ihrer Strafe wieder vollwertiges Mitglied der Gesellschaft zu werden. Damit das klappt, müssen ihnen die Gesellschaft und die Medien natürlich erstmal die Chance dazu geben.

Am vergangenen Freitag haben “Bild” und Bild.de ein Paradebeispiel geliefert, wie das zu verhindern ist:


(Alle Unkenntlichmachungen von uns.)

Wenn eine Redaktion von einem solchen Vorfall in einer Justizvollzugsanstalt hört, mag sie sich dazu entscheiden, darüber zu berichten. Und dass “Bild” das in einer boulevardesk-knalligen Aufmachung tut — geschenkt. Problematisch ist der Umfang der identifizierenden Berichterstattung: auf der Titelseite mit unverpixelten Fotos, Vornamen, abgekürzten Nachnamen und Kurzabriss der Taten; im Innenteil großflächig noch einmal Fotos der “zwei besonders brutalen Killer”, dazu ausführlichere Schilderungen ihrer Verbrechen, ein Foto aus der JVA und Archivfotos der damaligen Tatorte:

Die Taten liegen inzwischen zehn beziehungsweise 14 Jahre zurück. Ihre erneute Ausbreitung durch die “Bild”-Medien ist in diesem Fall besonders gravierend, weil der eine Häftling (der Zusammengeschlagene) in einem Jahr entlassen werden könnte. Das weiß auch Autor Peter Rossberg, er schreibt es schließlich selbst. Beim anderen Insassen ist die zehnjährige Haftstrafe auch bald rum, allerdings gab es aufgrund weiterer Vorfälle in der Haft weitere Verurteilungen.

Damit sei die Veröffentlichung von “Bild” und Bild.de rechtswidrig, sagt der Medienrechtsprofessor Udo Branahl auf Anfrage:

Bei Straftaten, die so lange zurückliegen, dass potenziell eine Entlassung bervorsteht, genießen die Täter einen Resozialisierungsschutz. Über die Prügelei mag man berichten können, aber nicht flächendeckend über die Taten von damals.

Das sieht auch das Bundesverfassungsgericht so. Und das nicht erst seit Neuestem, sondern schon seit 1973:

Die für die soziale Existenz des Täters lebenswichtige Chance, sich in die freie Gesellschaft wieder einzugliedern, und das Interesse der Gemeinschaft an seiner Resozialisierung gehen grundsätzlich dem Interesse an einer weiteren Erörterung der Tat vor.

Für den Fall, dass ein Medium — warum auch immer — doch unbedingt über eine länger zurückliegende Tat berichten will, hat der Deutsche Presserat im Pressekodex festgehalten, was dabei zu vermeiden ist:

Wenn erneut über ein zurückliegendes Strafverfahren berichtet wird, sollen im Interesse der Resozialisierung in der Regel Namensnennung und Fotoveröffentlichung des Täters unterbleiben. Das Resozialisierungsinteresse wiegt umso schwerer, je länger eine Verurteilung zurückliegt.

“Bild” und Bild.de haben es mit der Veröffentlichung vom vergangenen Freitag geschafft, nicht einmal diesen Mindeststandard einzuhalten.

FIFA, Insel-Märchen, Robo-Reporter

1. „Das Märchen von der Buffett-Insel“ 
(capital.de, Christian Kirchner)
Am Wochenende machte eine Falschmeldung die Runde: Der Milliardär Warren Buffett soll eine griechische Insel für 15 Millionen Euro erworben haben. Der angebliche Kauf löste internationale Empörung aus. Diese Meldung wurde unter anderem von Bild.de, „Spiegel Online“ (Klarstellung) und manager-magazin.de (Klarstellung) verbreitet. Christian Kirchner mahnt deshalb:

Der Fall zeigt aber, dass eine verbale Abrüstung Not tut, weil derartige Meldungen wie der Kauf einer Insel durch einen US-Großinvestor Ressentiments schüren und entscheidend zur Meinungsbildung in Sachen Griechenlandkrise beitragen. Das erfordert entsprechende Vorsicht (…).

2. „Die Schreib-Maschinen“
(brandeins.de, Lars Jensen)
Lars Jensen besucht die Agentur „Associated Press“ und die Erfinder des Schreibroboters „Wordsmith“. Beide Unternehmen zeigen sich zufrieden mit der Arbeit, die die „Robo-Reporter” leisten, auch wenn Autor Lars Jensen anmerkt, die Meldungen läsen sich, „als hätte sie ein leicht gelangweilter Redakteur geschrieben“. Angst müssten Journalisten aber keine haben, sagt Robbie Allen, Gründer von „Wordsmith“, denn: „Eine Filmkritik oder einen Kommentar zu Obamacare kann kein Algorithmus schreiben.“

3. „Wir müssen lernen, den Shitstorm zu lesen”
(meedia.de, Christoph Driessen)
„In einem kollektiven Empörungssturm können sich große gesellschaftliche Fragen zeigen”, sagt der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen im Interview. Er schlägt vor, einen Shitstorm als gesellschaftliche Komponente und nicht als Kampfbegriff zu betrachten. Es ließen sich daraus gar Wertkonzepte aufzeigen.

4. „That FIFA Movie Really Was As Much Of A Bomb As You Heard“
(fivethirtyeight.com, David Goldenberg, englisch)
David Goldenberg entlarvt den 27 Millionen Dollar teuren FIFA-Film „United Passions” als großen Flop in den USA. Bis in die deutschen Kinos schaffte es der Streifen nicht. Hauptdarsteller Tim Roth, der den FIFA-Boss Joseph Blatter spielt, schäme sich heute für den Film.

5. „Warum machst du es dir so schwer?“
(girlsguidetoblogging.de, Sandra)
Sandra Konrad gibt drei Tipps, die den Einstieg ins Blogger-Dasein erleichtern und sich zum Teil auch Journalisten zu Herzen nehmen können: „Du wirst es nie allen recht machen können. Das ist einfach so. Punkt! Das Gute daran: Du musst es auch nicht.“

6. „Was ich sehe, wenn ich versehentlich auf der Startseite vom FOCUS lande“
(torbenfriedrich.de)

WikiLeaks, Blogfabrik, peinliche Stille

1. „To All of Edit at Gawker Media“
(nick.kinja.com, Nick Denton, englisch)
Nick Denton, der Gründer von „Gawker Media“, löschte einen umstrittenen Artikel über das Privatleben des Chief-Financial-Officer von Condé Nast, dem dort nachgesagt wurde, einen Escort-Service genutzt zu haben. Daraufhin verließen der Chefredakteur und Online-Chef von „Gawker” das Unternehmen. Auf seinem Blog hinterlässt Denton ein Memo an die Gawker-Redaktuere und -Autoren:

This is the company I built. I was ashamed to have my name and Gawker’s associated with a story on the private life of a closeted gay man who some felt had done nothing to warrant the attention.

2. „Die Liminski-Connection”
(taz.de, Ambros Waibel)
Ambros Waibel empört die Publikation „Familienbunt“ des Familienbundes der Katholiken im Bistum Augsburg. Sie soll „homophobe Positionen” vertreten, beispielsweise in ihren „10 Thesen gegen die Homoehe“. Das „reaktionär-katholische Potenzial“ werde nach Waibel vom Bayerischen Staatsministerium gefördert.

3. „’We Are Drowning in Material’“
(spiegel.de, Michael Sontheimer, englisch)
WikiLeaks-Gründer Julian Assange spricht im Interview mit Michael Sontheimer unter anderem über die Masse an Dokumenten, die die Enthüllungsplattform noch immer erreicht.

4. „Der Coworking Space Blogfabrik bastelt am Verlagsmodell der Zukunft“
(wired.de, Elisabeth Rank)
Das Projekt „Blogfabrik“ beherbergt 30 Freelancer aus der Berliner Kreativszene unter seinem Dach und gliedert sich in Coworking Space, Magazin und Agentur. Neu am Modell ist, dass die Miete nicht per Überweisung bezahlt wird, sondern mit Beiträgen für das „Blogfabrik“-Magazin „Daily Bread“. Große Youtuber, die momentan die größten Online-Reichweiten hätten, gäbe es dort zwar nicht, „trotzdem ist die Blogfabrik ein neues Modell für eine sich verändernde Arbeitswelt”, schreibt Elisabeth Rank.

5. „Ad tech is killing the online experience“
(theguardian.com, Felix Salmon, englisch)
Der Wirtschaftsjournalist Felix Salmon prophezeit, dass durch die Werbeflut auf mobilen News-Webseiten Leser langfristig auf „Apple News” oder „Facebook Apps” umsteigen könnten. „But it won’t be Facebook and Apple who killed the news brands. It’ll be ad tech”, resümiert Salmon.

6. „Peinliche Stille am Familientisch, als Bernd Lucke schon wieder eine neue Partei nach Hause bringt“
(der-postillon.com)

Fotojournalismus, Karte der Schande, Hitlergruß

1. „Fotojournalismus: Zwischen Fakten und Empörung“
(rolandtichy.de, Heike Rost)
Heike Rost zeigt anhand von bekannten Beispielen der letzten Jahre, wie eindrücklich Fotojournalismus wirken kann: schockieren, Gefühle von Abscheu bis Tränen hervorrufen. „Es ist ein Ausschnitt der Realität, nicht die Realität. Aber sie [die Bilder] werden zum wirkmächtigen Symbol“, deshalb sei es wichtig, die Geschichte dahinter zu erzählen.

2. „Zornige junge Männer“
(nzz.ch, Urs Hafner)
Was für Typen waren die ersten Redakteure der „Neuen Zürcher Zeitung”? Urs Hafner macht eine Zeitreise zu seinen Vorgängern ins 18. Jahrhundert.

3. „Zukunft des Journalismus: Was Leser wollen und was sie sollen“
(derstandard.at, Michael Freund)
Der Sammelband „Die Idee des Mediums“ führt Reden deutscher Journalisten wie Hans Leyendecker und Cordt Schnibben zur Zunkunft ihrer Branche zusammen. Eine schlüssige Antwort darauf, wie diese aussehen mag, gebe das Buch nicht; es stecke aber „zumindest das Feld ab”, rezensiert Michael Freund.

4. „Bang Bang“
(taz.de, Cigdem Akyol)
In der Türkei wurde eine 28-jährige Frau festgenommen, die ihren „offenbar übergriffigen Ehemann“ erschossen haben soll. Im Netz bekomme sie unter dem Hashtag #cilemdogan Zustimmung, schreibt die „taz“-Autorin Cigdem Akyol. Bereits im Februar habe es einen Aufschrei in der Türkei und im Netz gegeben, als eine Studentin von einem Minibus-Fahrer ermordet wurde.

5. „The Royal family could not possibly have known the true wickedness of Hitler“
(telegraph.co.uk, Tim Stanley, englisch)
Tim Stanley, Historiker und Journalist, widmet sich der „The Sun“-Veröffentlichung eines Videos Films aus den 1930ern, das die heutige Queen als kleines Mädchen beim Hitlergruß zeigt. „We should not judge“, schreibt Stanley, denn historische Ereignisse müsse man immer im Kontext betrachten. Die Folgen der Machtergreifung habe man damals nicht absehen können. Dazu auch: „Die peinliche Vergangenheit der britischen Königsfamilie“ (berliner-zeitung.de, Sebastian Borger).

6. „Karte der Schande: Straftaten gegen Flüchtlinge und ihre Unterkünfte“
(trueten.de, Thomas Trueten)

Bratkartoffel-Aerobic und blaue Blutkörperchen


Scheint sich um Vertreter des Hochadels zu handeln.
Danke an Florian S.

***


Toll, wie Oberbürgermeister Rebhan der Redaktion unter die Arme greift!
Danke an Melanie B.

***


Danke an Anett F.

Medien spielen mit Schäubles Rücktritt

Heute große Aufregung in den Politikredaktionen:


(Bild.de)

(rp-online.de)

(t-online.de)

(manager-magazin.de)

(„Focus Online“)

(„Huffington Post“)

Grund ist ein Interview mit Finanzminister Wolfgang Schäuble im aktuellen „Spiegel“, in dem steht:

SPIEGEL: Die Koalition hätte ein Problem, wenn die Kanzlerin und ihr wichtigster Minister in einer so großen Frage wie der Griechenlandhilfe unterschiedlicher Auffassung sind.

Schäuble: Es gehört zur Demokratie, dass man auch einmal unterschiedliche Meinungen hat. Und dann ringt man gemeinsam um Lösungen. Dabei hat jeder seine Rolle. Angela Merkel ist die Bundeskanzlerin, ich bin der Finanzminister. Politiker haben ihre Verantwortung aus ihren Ämtern. Zwingen kann sie niemand. Wenn das jemand versuchen würde, könnte ich zum Bundespräsidenten gehen und um meine Entlassung bitten.

Der letzte Satz ist es, der den Medien die Idee von Schäubles Rücktrittswünschen in den Kopf gesetzt hat.

Allerdings funktioniert das nur, wenn man ignoriert, wie das Gespräch weitergeht:

Vermutlich haben die oben zitierten Medien aber nicht das ganze Gespräch im „Spiegel“ gelesen (online bisher nur auf Englisch verfügbar), sondern den Artikel auf „Spiegel Online“ oder die fast wortgleiche “Spiegel”-Vorabmeldung. Denn auch dort gibt’s lediglich die halbe Wahrheit.

Das Portal bewirbt das Interview der Print-Kollegen heute so:

Im Streit mit Kanzlerin Angela Merkel über die Griechenlandrettung ist Finanzminister Wolfgang Schäuble im äußersten Fall zum Rücktritt bereit. “Politiker haben ihre Verantwortung aus ihren Ämtern”, sagte er dem SPIEGEL. Niemand könne sie zwingen, gegen ihre Überzeugungen zu handeln. “Wenn das jemand versuchen würde, könnte ich zum Bundespräsidenten gehen und um meine Entlassung bitten”, sagte Schäuble. (Lesen Sie hier das ganze Gespräch im neuen SPIEGEL.)

(Link im Original.)

Die entscheidende Stelle – dass Schäuble eben nicht über Rücktritt nachdenkt — erwähnt „Spiegel Online“ nicht.

Andere Medien tun das zwar, wollten aber trotzdem unbedingt irgendwie den Rücktritt ins Spiel bringen:

(tagesspiegel.de)

(stern.de)

(welt.de)

(faz.net)

Mit Dank an Konrad A.!

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