Gestern gab der US-Meeres-Themenpark “Seaworld” bekannt, dass einer seiner Schwertwale gestorben ist. Weltweit berichteten viele Medien darüber, schließlich handelte es sich bei dem Tier um den Orca Tilikum, der eine gewisse Berühmtheit hatte. Bild.de veröffentlichte ebenfalls einen Artikel zu Tilikums Tod:
Wie das Portal in der Dachzeile schreibt, tötete Tilikum 2010 seine Trainerin Dawn Brancheau. Der Fall sorgte damals für viel Aufsehen. Tilikum packte Brancheau am Arm und zog sie unter Wasser, bis sie ertrank. 2013 erschien darüber und über weitere tödliche Vorfälle, in die Tilikum verwickelt war, ein sehenswerter Dokumentarfilm, “Blackfish”.
Aber nicht nur deswegen sei Tilikum laut Bild.de eine Berühmtheit. Es habe noch einen anderen Grund gegeben:
Dem Bild.de-Team vielleicht nicht. Manch einer könnte aber schon mal den Film “Free Willy — Ruf der Freiheit” gesehen haben, in dem der Orca Keiko die Hauptrolle schwimmt (und springt). Auch Keiko hat eine “quer herunter hängende Rückenflosse”.
Die abgeknickte Flosse auf den Rücken von Schwertwalen ist ein typisches Phänomen bei Bullen, die in Gefangenschaft leben. Ihre Rückenfinne, die bis zu zwei Meter in die Höhe ragen kann, wird nicht durch Knochen gestützt, sondern durch Kollagen aufrecht gehalten. Die veränderte Umgebung in der Gefangenschaft, die kleinen Becken und der damit verbundene Bewegungsmangel dürften dazu beitragen, dass sich die Struktur dieses Proteins verändert. Das Kollagen kann die Rückenflosse der männlichen Orcas dann nicht mehr stützen. Bei Weibchen ist die Flosse kleiner, sie klappt in der Regel nicht um.
Um das alles herauszufinden, hätte sich nur einer der Bild.de-Mitarbeiter an einen Kinobesuch in der Kindheit erinnern und anschließend zehn Minuten durch “Wikipedia” klicken müssen.
Neulich, Sie erinnern sich bestimmt, wollte die “Bild”-Zeitung eine “große Debatte um das Frauenbild von Flüchtlingen” anstoßen:
Natürlich haben viele Männer ein schiefes Frauenbild — egal ob Flüchtling, Deutscher oder wasauchimmer. Und die “Bild”-Medien arbeiten mit ihren unzähligen Brüste-Hintern-Schlüpferlos-Artikeln nicht gerade dagegen an.
Der Versuch von “Bild”, die Debatte “um das Frauenbild von Flüchtlingen” zu starten, liegt jetzt knapp einen Monat zurück. Höchste Zeit also, sich mal wieder (und ab jetzt immer mal wieder hier im BILDblog) das Frauenbild der “Bild”-Redaktionen anzuschauen.
Zum Start drei aktuelle Beispiele von Bild.de. Dieses hier stammt von heute, ein Klassiker — der Schuss auf Hintern und in den Intimbereich:
Nicht nur das Foto, auch der Einstieg in den Artikel ist ganz, ganz schrecklich:
Was sehen unsere Äuglein denn da? Eine besonders scharfe POje!
Äh, ja.
Es geht um das brasilianische Model Alessandra Ambrosio, die aktuell Urlaub in ihrem Heimatland macht. Was das alles mit einer “Kontaktlinse” zu tun hat? Keine Ahnung! Vielleicht hat auch nur der Bild.de-Photoshopper seine Kontaktlinsen verloren. Denn merkwürdig ist es ja schon, dass Ambrosio zwei linke Arme hat!
***
Am Montag berichtete Bild.de, dass TV-Moderator Stefan Mross eine neue Freundin hat. Aber natürlich schreibt das Portal nicht irgendwas wie “neue Freundin” oder “neue Frau an seiner Seite”, sondern:
Hehe, verstehen Sie? “Scharfe Puppe”, weil das eine Puppenspielerin ist, hihi. Um wen es sich dabei überhaupt handelt, erfährt man nur, wenn man “Bild plus”-Kunde ist.
***
Bald ist ja wieder Dschungel-Zeit im Fernsehen. Bild.de hat gestern mal zusammengestellt, welche Frauen Brüste schon “im Busch” waren:
Im Artikel bekommen manche der Brüste freundlicherweise sogar ein Gesicht spendiert: Sophia Wollersheim zum Beispiel, Tanja Tischewitsch, Micaela Schäfer. Bei anderen Frauen muss man erstmal raten, welche “unvergessenen Dschungel-Brüste” zu wem gehören:
Total witzige Idee. Aber wehe, ein Flüchtling wird zu so einem “echten Dschungelcamp-Fan”, macht es Bild.de gleich und reduziert Frauen jetzt nur noch auf ihre Titten!
Gestern berichtete der “Express” — eine kostenlose Tageszeitung, herausgegeben von der “Washington Post” — auf seiner Titelseite über einen Protestmarsch, der einen Tag nach der geplanten Amtseinführung von Donald Trump stattfinden soll. Bei diesem Protestmarsch wird es um Frauenrechte gehen.
So sah das Cover des Blatts aus, das überall in Washington auslag:
Hm, soll das nun ein Witz des Grafikers sein? Oder ein Kommentar zur Lage der Frauenrechte? Schließlich steht das auf dem “Express”-Titel abgebildete Mars-Symbol in der Regel für das männliche Geschlecht. Für das weibliche Geschlecht gibt es das Venus-Symbol.
Das hat dann irgendwann auch die “Express”-Redaktion mitbekommen. Das Team entschuldigte sich für den Fehler bei Twitter und zeigte, wie das Cover eigentlich hätte aussehen sollen:
Es gibt ein recht versöhnliches Ende bei dieser Geschichte. Anstatt — wie sonst so oft dieser Tage — die Verantwortlichen in Facebookkommentarspaltenmanier zu beschimpfen und zu fragen, ob man ihnen ins Gehirn geschissen hätte, oder zu schreiben, dass man sie am besten an der nächsten Laterne aufhängen sollte, meinten die meisten Leute: Schwamm drüber, Fehler passieren halt mal.
1. Ein Todes-LKW im Museum: Wie die DPA sich eine Nachricht strickt (salonkolumnisten.com, Martin Niewendick)
Die Nachricht, der Lastwagen, mit dem Anis Amri den Anschlag in Berlin ausgeführt hat, könne womöglich einen Platz im Haus der Geschichte bekommen, sorgte für einigen Wirbel und wurde in den Medien oft aufgegriffen und kontrovers diskutiert. Der Schönheitsfehler: Man diskutierte über eine Forderung, die niemand gestellt hat, so Martin Niewendick. Die Nachrichtenagentur “dpa” hätte die Sache trickreich ins Rollen gebracht: “Es ist ein journalistischer Taschenspieler-Trick, einem Interviewpartner etwas in den Mund zu legen, um daraus eine Meldung zu stricken. Der Klassiker geht etwa so: „Herr Politiker, finden Sie die Äußerungen der Opposition unverschämt?“ „Ja.“ Und schon hat man die Meldung: „Politiker findet Äußerungen der Opposition unverschämt.“ Self-Made-Journalismus at its best.”
2. Wenn Facebook in Sekunden eskaliert (rp-online.de, Sebastian Dalkowski)
“RP Online”-Redakteur Sebastian Dalkowski hat für ein Interview bei Facebook nach Nordafrikanern gesucht, die Silvester in Köln waren. Dazu hat er eine Anfrage im “Nett-Werk Köln” platziert, einer Facebook-Gruppe mit fast 170.000 Mitgliedern, eine Art schwarzes Brett für alle Themen, die mit Köln zu tun haben. Innerhalb von Minuten führte die Anfrage zur Eskalation. Sein Posting wurde von den genervten Administratoren schließlich gelöscht. Im Video erzählt er vom Ablauf des Geschehens und liest aus den Hasskommentaren.
3. Mein erstes Mal (freitag.de, Bartholomäus von Laffert)
Bartholomäus von Laffert ist freier Journalist und hat das mühselige und spartanische Reporterleben kurzfristig gegen eine von der türkischen Regierung bezahlte Pressereise inklusive Luxushotel eingetauscht. In seinem Artikel berichtet er, wie es dazu kam, wie eine derartige Pressereise abläuft und was das mit ihm und den anderen Pressevertretern gemacht hat. Und er erinnert die Kollegen an den Pressekodex: “Wenn Journalisten über Pressereisen berichten, zu denen sie eingeladen wurden, machen sie diese Finanzierung kenntlich.” Wer dies nicht tue, und die Kollegen von “FAZ”, “Tagesspiegel” und “Süddeutsche” hätten es nicht getan, laufe Gefahr, seine Integrität zu verspielen und den „Lügenpresse“-Schreiern gefällig zu sein.
4. “Wir müssen furchtbare Dinge aushalten” (zeit.de, Bastian Brauns)
Dominik Höch ist Fachanwalt für Medien- und Persönlichkeitsrecht und beschäftigt sich speziell mit der Haftung für Äußerungen im Internet. “Zeit Online” hat mit ihm über Fake-News, Hetze im Netz, Facebook und Löschfristen gesprochen, innerhalb derer eine falsche Nachricht gelöscht werden müsse. Höch findet pauschale und starre Fristen schwierig: “Zu ergründen, was wahr und was falsch ist, ist Teil des gesellschaftlichen Diskurses. Es braucht ja nur eine vermeintlich falsche und deshalb gelöschte Nachricht, die im Nachhinein doch stimmt. Das würden AfD und zweifelhafte Medien wie Russia Today genüsslich ausweiden. Das kann es nicht sein.”
5. Der Hochglanz-Verleger von Kilchberg (tagesanzeiger.ch, Stefania Telesca & Thomas Knellwolf)
Der Schweizer “Tagesanzeiger” berichtet über einen kuriosen Fall: Ausgerechnet ein Herausgeber von Luxusmagazinen soll seit Jahren Journalisten, Druckereien, Fotografen und andere Dienstleister um ihre Bezahlung geprellt haben.
6. Here’s 520 Hours of Trump Interviews So You Can Fact-Check the President (motherboard.vice.com, Jordan Pearson)
Donald Trump hat sich in den letzten Jahrzehnten auf die vielfältigsten Weisen geäußert. Wer sich dafür interessiert, was der Mann so alles von sich gegeben hat: Das “Internet Archive” präsentiert ein noch wachsendes Archiv mit seinen Fernsehinterviews und TV-Auftritten der letzten acht Jahre. Doch Achtung: Wer sich alles anschauen will, sollte jedoch genügend Zeit (um exakt zu sein: 520 Stunden) mitbringen.
Clickbait ist nervig. Clickbait auf Kosten von Kindern ist grässlich. Clickbait auf Kosten von Kindern, denen vielleicht etwas zustoßen könnte, wobei man als Leser erst erfährt, ob dem Kind nun was passiert ist oder nicht, wenn man auf den Artikel oder das Video klickt — das ist dann Bild.de:
Soviel schon mal jetzt: Es ging gut. Nix passiert. Der Junge ist wieder bei seiner Mutter.
Die Geschichte geht in Kurzform so: Ein Vierjähriger lief an der Leitplanke einer Autobahn in China entlang. Dabei wurde er, in seiner auffälligen orangenen Jacke, von einer Überwachungskamera gefilmt. Die Polizei kam, nahm den Jungen mit, suchte seine Familie und fand sie schließlich. Viel mehr Infos liefert Bild.de dann auch nicht in dem 50-Sekunden-Video.
Dass gar nichts passiert ist, hätte die Redaktion natürlich auch direkt in der Teaseroptik auf der Startseite schreiben können. Aber dann hätten die Leute ja nicht wie blöd geklickt.
Das Video ist schon ein paar Tage alt, es stammt von Mitte Dezember. Vorgestern haben die Mitarbeiter von Bild.de dann die nächsten Aufnahmen einer chinesischen Überwachungskamera entdeckt, in denen es wieder um ein kleines Kind geht und mit denen man wieder wunderbar Klicks generieren kann:
Auch hier die wichtigste Info vorweg: Ja, das Kind wurde zwar von einem Lkw überrollt, ihm ist aber nichts Schlimmes passiert.
Die Szene, in der der Lkw über den Jungen auf dem Dreirad fährt, präsentierte Bild.de auf der Startseite in GIF-Dauerschleife. Das dazugehörige Video zeigt das Unglück aus zwei verschiedenen Perspektiven. Die Redaktion säuselt noch schnell, dass “mehrere Schutzengel am Werk” gewesen sein müssen. Dann ist der 42-Sekunden-Clip auch schon wieder rum.
Klicks abgegriffen, Job erledigt, weiter zum nächsten Unglück.
“In Europa wird jetzt wieder Deutsch gesprochen” “Es muss wieder Deutsch in der Kabine gesprochen werden”, fordert der Präsident des FC Bayern München, Uli Hoeneß, aktuell in “Sport Bild”. Damit sich bei den Fußballern des Rekordmeisters keine Grüppchen bilden, sollten die Spieler eine gemeinsame Sprache sprechen, so Hoeneß’ Gedankengang in etwa.
“Bild”-Briefonkel Franz Josef Wagner schreibt in der heutigen Ausgabe an Uli Hoeneß — einerseits um ihm zum Geburtstag zu gratulieren, andererseits um ihm wegen seiner Deutsch-in-der-Kabine-Idee zu widersprechen:
Lieber Uli Hoeneß,
herzlichen Glückwunsch zu Ihrem 65. Geburtstag heute. Leider muss ich mit einem Distelstrauch gratulieren. Sie wollen, dass wieder Deutsch in der Kabine gesprochen wird.
Deutsch? Worüber sollen die Weltklasse-Fußballer in der Kabine auf Deutsch miteinander reden? Über die Evolution, wie das Universum entstand, wer Newton war, Goethe, Schiller?
Fußballer sprechen Fußball-Sprache. Feigling. Dreckshund. Tattoos sind wichtig, Frisuren.
Deutsch ist nicht wichtig. Tore sind wichtig.
Herzlichst
F. J. Wagner
“Deutsch ist nicht wichtig”? Mensch, Wagner, denken Sie an Ihre Stammleser!
Aber noch was ganz anderes: Goethe? Schiller? Deutsch in der Bayern-Kabine? War da nicht mal was?
Am 24. Juni 2013 schrieb Franz Josef Wagner an Pep Guardiola, der damals frisch zum FC Bayern München gekommen war:
Lieber Pep Guardiola,
¿Ya habla alemán? Sprechen Sie schon Deutsch? Es ist die Frage der Fragen. Heute Mittag werden wir es hören, wenn Sie sich als neuer Bayern-Trainer vorstellen.
Deutsch sprechen ist mehr als sich Rühreier zu bestellen. Oder ein Bier. Sie müssen Schweinsteiger erklären, dass er nicht Fußball spielt, sondern Kunst macht. Sie gelten als der Philosoph des Fußballs. Sie haben in vier Jahren vierzehn Titel geholt, zweimal die Champions League gewonnen.
Was ist das alles, wenn Sie nur ein gebrochenes Ausländer-Deutsch reden?
Wie können Sie Schweinsteiger, Müller, Kroos, Neuer, Lahm, Götze erreichen?
Um in das Herz eines Menschen zu kommen, musst Du die Sprache seiner Mutter verstehen. Auch die Mutter Boatengs, der bei Bayern spielt. Zu der Sprache der Deutschen gehören die Schwarzwaldtannen, die Ufer der Ostsee, das Kräuseln der Wellen am Tegernsee und Goethe und Schiller gehören auch noch dazu.
Lieber Pep Guardiola, Sie können gar nicht all die Erwartungen erfüllen.
Es sei denn, Sie können über das Wasser laufen. Es sei denn, Sie sind ein Heiliger, der Jesus des Fußballs.
1. Russische Propaganda für deutsche Zuschauer (correctiv.org, Camilla Kohrs)
Camilla Kohrs von “Correctiv” hat mehrere Monate über die Medien der Neuen Rechten recherchiert und eine lesenswerte achtteilige Artikelserie vorgelegt. Im aktuellen und letzten Teil der Serie geht es um den russischen Auslandssender “RT deutsch”. Das Besondere bei der Plattform: “RT Deutsch” biete europakritischen Politikern von ganz links und ganz rechts eine Bühne – Hauptsache die Interviewten seien Merkel- und europakritisch.
2. Bedrohter Politiker outet Sparkassen-Mitarbeiter als AfD-Fan (waz.de, Lars Wienand)
Darf man eine Mail veröffentlichen, samt Foto und Namen des Absenders, auch wenn diese besonders kritisch war und man vielleicht schon durch andere unschöne Nachrichten vorsensibilisiert war? Das ist die Frage, die sich im Falle des Politikers Christopher Lauer (ehemals Piratenpartei, jetzt SPD) stellt, der genau dies bei einem Kritiker getan hat. Dieser hatte für einen Leserbrief an Lauer, wahrscheinlich versehentlich, eine Mailadresse seines Arbeitgebers, einer Kreissparkasse, verwendet. Daraufhin hatte Lauer die Mail öffentlich gemacht. Ein Vorgehen, bei dem es zumindest Zweifel an der Rechtmäßigkeit gibt, so ein hinzugezogener Rechtsanwalt.
3. 25 Beschwerden beim Presserat (taz.de)
Nach dem Terroranschlag von Berlin gingen beim Deutschen Presserat 25 Beschwerden über die Berichterstattung ein. Hauptsächlich ging es dabei um die unverpixelte Darstellung des getöteten Lkw-Fahrers und Bilder der Leiche des mutmaßlichen Attentäters. Insgesamt seien es deutlich weniger Beschwerden als nach den Terroranschlägen in Paris im November 2015.
4. Software überlistet: US-Bibliothekare erfinden Kunden, um Bücher zu bewahren (heise.de, Martin Holland)
In einer Bücherei in Florida sortiert eine Bibliothekssoftware vollautomatisch all die Bücher aus, die länger nicht mehr ausgeliehen wurden. Um dies zu verhindern, erfanden Bibliothekare den fiktiven Kunden “Chuck Finley” und ließen ihn in einem Zeitraum von neun Monaten 2.361 Bücher ausleihen. Um finanzielle Vorteile ging es dabei ausdrücklich nicht, trotzdem ist der dafür verantwortliche Mitarbeiter beurlaubt worden.
5. Zum Tod von Peter Tamm: Im Blutmeer (konkret-magazin.de, Kay Sokolowsky)
Der Journalist, Manager und Verleger Peter Tamm (lange Jahre Vorstandsvorsitzender des Axel Springer Verlages) ist Ende des Jahres im Alter von 88 Jahren verstorben. Ihm zu Gedenken hat “konkret” einen älteren, aber dennoch zeitlosen Artikel aus dem Archiv gekramt. Darin geht es um das, was der sich selbst angeblich “Admiral” nennende Mann, der Welt hinterlässt: ein Marine-Museum. Kay Sokolowsky hat sich das Ganze seinerzeit angeschaut: “Gelegentlich empfindet man beim Rundgang fast Mitleid für den »Admiral«: Welch ungeheure Leere muss ausfüllen, wer so megaloman Nippes auf Nippes häuft? Was ist schiefgelaufen in einem Leben, das dermaßen von Fetischen beherrscht wird?”
6. Krimi, Krimi, Krimi – und das Publikum ist begeistert (tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Joachim Huber vom “Tagesspiegel” hat über das Fernsehprogramm der ersten Tage des Jahrs geschaut und hat jetzt schon genug von all den Krimis und der seichten Unterhaltung: “Breaking-News-Momente – woher, warum, von wem, wieso? Da wird es viel Ahnungslosigkeit, viel Schulterzucken geben im weiten Rund der TV-Maniacs, auf jeden Fall einen Überschuss an Überraschung, dass die Fiktion des Fernsehens und die Faktizität der Nachrichten so sehr auseinanderfallen. Und weil so was von so was kommt, ist die Massivität der Krimiunterhaltung ein Fehler. 2017 muss ein Jahr der Information sein.”
Manchmal schaffen es die Mitarbeiter von “Bild” und Bild.de, selbst uns noch mit ihrer Scheinheiligkeit zu überraschen. Neulich zum Beispiel, kurz vor Weihnachten, erschien bei Bild.de dieser Artikel:
Gute Frage!
Und wie steht es im Allgemeinen um die Rechte unserer Bilder im Netz? BILD hat mit einem Anwalt für Medienrecht gesprochen und Fragen zum Recht am eigenen Bild, vor allem im Internet, geklärt.
Also, “wie steht es im Allgemeinen um die Rechte unserer Bilder im Netz”, Bild.de?
BILD: Dürfen Dritte ohne meine Zustimmung ein Foto von mir aus dem Netz (eigene Website, Facebook) nehmen und es für ihre Zwecke (Werbung) verwenden?
Karsten Gulden: “Nein, da muss eine Zustimmung vorliegen. Oder die Zustimmung muss im Nachhinein eingeholt werden.”
Sieh mal einer an.
Und was ist, wenn das dann doch mal jemand ohne vorherige oder spätere Zustimmung macht, zum Beispiel ein sensationsgeiler Boulevardjournalist?
Wie verhalte ich mich, wenn Fotos von mir für fremde Zwecke missbraucht werden?
Gulden: “Der klassische Weg ist es, denjenigen abzumahnen, ihn zur Unterlassung aufzufordern. Dabei können auch Kosten für die Verwendung des Bildes und die entstandenen Anwaltskosten angeführt werden. Ich rate dazu, einen Anwalt zu nehmen (Kosten ca. 500 Euro), es kann aber jeder selbst eine solche Abmahnung verfassen.”
Der Rat bei Bild.de: Liebe Leute, mahnt diese Fotodiebe ab!
Zum Beispiel die von Bild.de. Aktuell könnte das für zwei Familien besonders interessant sein, wenn sie derzeit nicht ganz andere Sorgen hätten. Angehörige von ihnen wurden in der Silvesternacht bei einem Anschlag in einer Diskothek in Istanbul erschossen. Bild.de berichtete am Montag darüber (auf einen Link verzichten wir bewusst) und nutzte für den Artikel ein Foto der zwei Männer:
(Diese und alle weiteren Unkenntlichmachungen durch uns.)
Als Quelle gibt die Redaktion “Foto: privat” an, was in etwa so viel heißen dürfte wie “In irgendeinem Sozialen Netzwerk per rechter Maustaste besorgt”.
Auch bei Facebook …
… und bei Twitter schickte die Redaktion das Foto an Millionen Follower:
Gestern zog dann “Bild” nach und veröffentlichte das Foto ebenfalls:
Neben den Namen (mit abgekürztem Nachnamen) der zwei Männer, ihren Berufen und Hobbys schreibt der Autor in dem dazugehörigen Artikel:
Die Familien der Männer seien “am Boden zerstört”, so ein Bekannter zu BILD.
Trotz dieses Wissens drucken die Leute von “Bild” das Foto, ohne Rücksicht auf die trauernden Familien, ohne Anstand. Ob sie das Foto überhaupt “für ihre Zwecke verwenden” dürfen, interessiert sie rein gar nicht.
Mit Dank an Elmer, Dirk, Christoph S., Markus S. und @ichbinsfabian für die Hinweise!
1. Sächsische Großzügigkeit (taz.de, Daniel Bax)
Die “Sächsische Zeitung” hat am Silvesterwochenende eine Karikatur veröffentlicht, die Muslime und Schwarze als rassistische Klischees darstellt. Einigermaßen verstört fragt man sich, wie dieses unsägliche Werk von einer Tageszeitung abgedruckt werden konnte und so wenig Widerspruch erntet. Daniel Bax von der “taz” vermutet: “Dass diese Karikatur in der Sächsischen Zeitung kaum Aufsehen erregt hat, mag einem spezifisch sächsischen Humor geschuldet sein. Oder der Tatsache, dass sich die öffentliche Debatte so weit nach rechts verschoben hat, dass viele für solcherart diffamierenden Bilder unempfindlich geworden sind.”
2. Einen Gang herunter schalten (djv.de, Hendrik Zörner)
Hendrik Zörner vom “Deutschen Journalisten Verband” wünscht sich anlässlich der hitzigen Nafri-Debatte von den Medien mehr Hintergrund und Einordnung: “Wie wäre es mal mit einem Erklärstück über die skurrilsten Begriffe aus Polizeiberichten? Zu den “Gefährdern” und “Nafris” würden sich dann “Schamverletzer” und “Hilope” gesellen, zu deutsch: “Exhibitionisten” und “hilflose Personen”. Statt dessen den Hype weiter anzufeuern, entspricht nicht dem Informationsauftrag der Medien. Also, liebe Kollegen: Bitte mal einen Gang herunter schalten.”
3. Es geht um alles (tagesspiegel.de, Thomas Gehringer)
Der “Spiegel” feiert derzeit seinen siebzigsten Geburtstag, doch nach Feiern ist nicht jedem zumute. Wie bei anderen Medien sinkt die Druckauflage und im Haus herrscht Unruhe: 149 von über 1100 Stellen werden gestrichen.
Einen weiteren lesenswerten Beitrag über die Umbaumaßnahmen beim Spiegel gibt es in der “taz”: In Sturmgeschütz der Demokratie? schreiben Anne Fromm und Daniel Bouhs u.a. über die Versuche des Blatts, den Bereich “Investigative Recherche” zu stärken.
Und auch René Zeyer sorgt sich in der “Medienwoche” um das Nachrichtenmagazin und ruft den Mitarbeitern zu: “Spielt wieder mehr den alten Rock’n’Roll des Journalismus: hinschauen, hingehen, recherchieren, beschreiben. Die Welt widerspiegeln, nicht die eigene Befindlichkeit.”
4. Big Data: Gefahren für Journalisten (ndr.de, Melanie Stein)
Auf dem Hackerkongress “33c3” in Hamburg hat der Informatiker David Kriesel ein tolles Data-Science-Projekt vorgestellt: Seit zwei Jahren hat er alle Artikel von “Spiegel Online” gespeichert und die Metadaten von ca. 100.000 Artikel ausgewertet. Herausgekommen ist ein informativer und höchst unterhaltsamer Vortrag. Die NDR-Sendung “ZAPP” hat mit Kriesel, aber auch mit einem Verantwortlichen von “Spiegel Online” gesprochen.
5. Auf Donald Trump folgt der Terminator (sueddeutsche.de, Kathrin Werner)
Über viele Jahre und 14 Staffeln mit 185 Folgen war Donald Trump der Mittelpunkt der amerikanischen Fernseh-Reality-Show “The Apprentice”. An seine Stelle als prominenter Moderator tritt nun Arnold Schwarzenegger, Trump bleibt jedoch geschäftsführender Produzent. Ein klarer Interessenskonflikt, wie Kathrin Werner in der “SZ” findet.
6. Facebook zensiert Bild von Neptun-Statue (haz.de)
Das Wahrzeichen der Stadt Bologna ist der historische Neptunbrunnen im Zentrum. Eine italienische Schriftstellerin hat ein Bild der 3,35 m hohen Statue der nackten Neptunfigur auf Facebook gepostet, das kurz danach wegen „sexuell expliziten“ Inhalts gelöscht wurde. Nach Protesten wurde das Bild nun wieder freigegeben.
Bei “Bild” und Bild.de haben sie offenbar endgültig das Interesse an sachlichen Debatten verloren:
Die Grünen-Vorsitzende Simone Peter hatte den Polizeieinsatz in der Silvesternacht in Köln stark kritisiert. Sie sagte der “Rheinischen Post”, dass das Polizei-Großaufgebot zwar Übergriffe deutlich begrenzt habe, allerdings …
“Allerdings stellt sich die Frage nach der Verhältnis- und Rechtmäßigkeit, wenn insgesamt knapp 1000 Personen allein aufgrund ihres Aussehens überprüft und teilweise festgesetzt wurden.”
Und:
“Völlig inakzeptabel ist der Gebrauch von herabwürdigenden Gruppenbezeichnungen wie ‘Nafris’ für Nordafrikaner durch staatliche Organe wie die Polizei.”
Für die “Bild”-Medien sind diese Aussagen “irre”. Anstatt sich ernsthaft inhaltlich mit ihnen auseinanderzusetzen, wird die Redaktion beleidigend: Simone Peter sei der Superlativ von “dumm” und — in Anlehnung an die kritisierte Abkürzung “Nafris”, die die Polizei für “Nordafrikanische Intensivtäter” nutzen soll — eine “GRÜn-Fundamentalistisch-Realitätsfremde Intensivschwätzerin”, eine “GRÜFRI”.
Wohlgemerkt: Es handelt sich hierbei nicht um einen Kommentar, sondern um einen Bericht. Den dazugehörigen Kommentar hat “Bild”-Chefin Tanit Koch geschrieben, die immerhin ohne Beleidigungen auskommst, Peters Reaktion aber “schäbig” nennt. “Bild”-Briefeschreiber Franz Josef Wagner nennt Simone Peter eine “Tugend-Tante”.
Pöbeln statt argumentieren, beleidigen statt debattieren, bei einem Thema, bei dem eine vernünftige Debatte wichtig sein dürfte. Denn Simone Peter ist mit ihrer Meinung nicht völlig allein. “Bild” schreibt selbst, dass die Kölner Polizei “den öffentlichen Gebrauch des Behörden-Begriffs ‘Nafri'” inzwischen bedauere, und dass sich das Bundesinnenministerium davon ebenfalls distanziert habe. Außerdem kommt der Grünen-Politiker Omid Nouripour zu Wort, der seiner Parteikollegin zwar widerspricht, den Begriff “Nafri” allerdings auch “sehr hässlich” findet. Hätten die “Bild”-Medien ein Interesse an einer ordentlichen Diskussion zum Polizeieinsatz in Köln, hätten sie zum Beispiel erwähnen können, dass Journalisten vor Ort durchaus Situationen beobachtet haben, in denen die Beamten vor allem aufgrund der Hautfarbe entschieden hätten, wer kontrolliert wird und wer nicht. Christoph Herwartz schreibt darüber bei n-tv.de, Sebastian Weiermann beim “Neuen Deutschland”. Sie hätten erwähnen können, dass manche in den kollektiven Zuschreibungen — “jeder, der in etwa so aussieht wie ein Täter des vergangenen Jahres, ist in diesem Jahr ein potentieller Täter” — einen Widerspruch zum Geist eines Rechtsstaats sehen. Christian Bangel hat dazu einen Kommentar bei “Zeit Online” geschrieben. Sie hätten die Grautöne, die es bei diesem Thema gibt, beschreiben, den wichtigen Austausch von Argumenten vorantreiben können.
Stattdessen beschimpfen die “Bild”-Medien eine Politikerin für eine geäußerte Meinung, die ihnen nicht passt. Natürlich darf man Simone Peters Kritik blöd finden und sie wiederum kritisieren. Mit Inhalten, eigenen Standpunkten, an der Sache orientiert. Das macht “Bild” aber nicht. Mit ihrer Titelzeile in der heutigen Ausgabe trägt die Redaktion stattdessen dazu bei, dass eine Beleidigungskultur salonfähig wird, vor der viele nach der Präsidentschaftswahl in den USA im vergangenen Jahr gewarnt haben.
Kurz nach Weihnachten hatten die Mitarbeiter von Bild.de und ihr Chef Julian Reichelt übrigens noch eine Überraschung parat:
Eine Redaktionssitzung bei Bild.de, ein Entschluss und — schwups — nie wieder Shitstorms.
Was das Portal eigentlich sagen will: Man werde in Zukunft für hitzige Debatten im Internet nicht mehr so schnell das Wort “Shitstorm” verwenden.
“Wir haben alle in den letzten Jahren etwas zu oft und auch zu dankbar über Shitstorms berichtet”, sagt Julian Reichelt, Chefredakteur von BILD Digital. Häufig sind es einige wenige anonyme Twitter-Accounts, die hinter vermeintlichen Trends oder Shitstorms stecken.
Für 2017 versprechen wir Ihnen, liebe Leser, einen entspannteren Umgang mit Shitstorms. Denn: Im Zeitalter von Twitter, Facebook und Instagram ist es selbstverständlich, dass die Leute ihre Meinung sagen und natürlich nicht immer einer Meinung sind. Eine Handvoll Tweets bedeuten aber keinen Shitstorm.
Dass “Bild” und Bild.de in diesem Jahr nicht mehr so schnell von “Shitstorms” sprechen wollen, schließt aber natürlich nicht aus, dass sie selber welche anzetteln oder befeuern. Nur drei Beispiele der inzwischen fast 1800 Kommentare bei Facebook zum “DUMM, DÜMMER, GRÜFRI”-Artikel von “Bild”:
Vllt sollte mal so ein mob über die rutschen
Geht doch ganz einfach. Die Frau an einer Laterne fesseln und begrapschen lassen. Wird ein Klassiker in der Pornoabteilung.
Soll sie sich nächstes Jahr alleine dort hin stellen. Ohne Polizei und ohne andere normale Menschen. Mal gucken wieviel von dieser Frau übrig bleibt.
Nachtrag, 17:32 Uhr: Bild.de hat sich weiter auf die Grünen im Allgemeinen und Simone Peter im Speziellen eingeschossen:
In einem Kommentar (“Erst Veggie, jetzt Nafri”) schreibt Nikolaus Blome, dass die Partei Deutschland blockiere. Simone Peter vergleicht er mit Erich Honecker:
Wie sagte Erich Honecker einst? “Vorwärts immer, rückwärts nimmer”. Er lebte in einer Blase, in der eigene Fehler per Definition ausgeschlossen waren. Es konnte nicht sein, was nicht sein durfte.
Nicht viel anders ticken jene Grünen auch, die Simone Peter vertritt.
In einem zweiten Artikel (“Wie tickt die GRÜFRI-Grüne?”) fragt Bild.de, ob Peter dem Druck Stand halten werde, der durch die Reaktionen auf ihre Kritik am Polizeieinsatz entstanden ist.
Interessant ist in diesem Zusammenhang übrigens auch, wie “Bild” das Zitat von Simone Peter aus der “Rheinischen Post” umstellt und aus einer Frage eine Aussage macht. Die “Rheinische Post” zitiert Peter so:
“Allerdings stellt sich die Frage nach der Verhältnis- und Rechtmäßigkeit, wenn insgesamt knapp 1000 Personen allein aufgrund ihres Aussehens überprüft und teilweise festgesetzt wurden.”
“Bild” macht daraus:
“Wenn insgesamt knapp 1000 Personen alleine aufgrund ihres Aussehens überprüft und teilweise festgesetzt” würden, sei das nicht verhältnismäßig.