Abgesehen von dem Versuch, diesem Attentat etwas Neues, Exklusives zu verleihen: Es stimmt schlicht nicht. Am 22. Juli 2011 fuhr der norwegische Rechtsterrorist Anders Breivik gezielt auf die Insel Utøya, um dort, wo ein Sommercamp mit vielen Jugendlichen stattfand, Menschen zu töten. Auf Utøya starben 32 Mädchen und Jungen unter 18 Jahren.
Vielleicht sieht Julian Reichelt Anders Breivik nicht als Terrorist, sondern als Verwirrten oder rechten Spinner. Oder er bezog sich in seiner Aussage nur auf islamistischen Terror, ohne es zu schreiben. Aber selbst dann ist seine Behauptung nicht richtig: Am 19. März 2012 fuhr Mohamed Merah, der sich selbst als “Gotteskrieger” bezeichnete, zu einer jüdischen Schule in Toulouse und tötete dort unter anderem drei Kinder.
Der Anschlag gestern nach dem Konzert von Ariana Grande in Manchester bleibt eine abscheuliche, grausame Tat, natürlich auch, wenn es nicht “der erste Anschlag in Europa” ist, “der sich gezielt gegen Kinder richtet.” Und sicher gibt es nach einem derartigen Attentat wichtigere Themen als einen falschen Tweet von Julian Reichelt. Es handelt sich bei ihm aber nun mal um diejenige Person, die beim größten deutschen Online-Nachrichtenportal die Richtung vorgibt und auch bei Deutschlands größter Tageszeitung einiges zu sagen hat. Und das macht das Vergessen von Anders Breivik und Mohamed Merah dann doch erwähnenswert.
Mit Dank an @fiiinix und Ralf H. für die Hinweise!
Im Onlinejournalismus muss es schnell gehen, und bei dem Tempo fehlt häufig die Zeit für eine saubere Recherche. In Breaking-News-Situationen, wie aktuell wegen des Anschlags in Manchester nach einem Popkonzert, muss es meistens noch schneller gehen. Und dann passieren Fehler wie dieser hier:
(Unkenntlichmachung durch uns.)
Auf der Startseite präsentierte Bild.de heute morgen eine Collage mit 25 jungen Menschen, die nach der Explosion im Foyer der Konzerthalle angeblich vermisst werden sollen. Die Quelle dafür: ein Tweet einer Privatperson.
Aus der Ferne können wir nicht sicher sagen, ob alle Jungen und Mädchen, die dort abgebildet sind, tatsächlich vermisst werden; ob sie gestern Abend bei dem Konzert von Ariana Grande waren; ob sie überhaupt in Manchester waren.
Und die Bild.de-Redaktion kann das anscheinend auch nicht. Denn bei zwei der Personen ist klar, dass sie nicht vermisst werden: das Mädchen in der obersten sowie der Junge in der mittleren Reihe.
Der Junge, der ebenfalls in der Collage auftaucht, ist ein recht bekannter Youtuber aus den USA. Unter dem Namen “TheReportOfTheWeek” veröffentlicht er regelmäßig Fast-Food-Tests. Er wird immer wieder heftig gemobbt — zum Beispiel indem Internetnutzer so tun, als gehöre er zu den vermissten Jugendlichen in Manchester. Bild.de greift sich einfach die Collage bei Twitter, in der der Junge zu sehen ist, recherchiert nicht und macht, ohne es zu wissen, beim Mobbing mit.
Der Junge hat sich inzwischen selber zu Wort gemeldet, in einem 51-sekündigen Youtube-Video. Der deutliche Titel: “I am alive”.
Auch das ist eine Folge des immer höheren Tempos im Onlinejournalismus: Menschen müssen ihren Verwandten, Freunden, Fans erklären, dass sie noch leben.
Mit Dank an Jannik S. und Peter L. für die Hinweise!
Nachtrag, 28. Mai: Obwohl offensichtlich ist, dass die Collage Personen mit dem Attentat in Manchester in Verbindung bringt, die am Tag des Anschlags nicht mal in der Stadt waren, hat es Bild.de bisher nicht geschafft, sie aus dem Artikel zu entfernen — sie ist unverändert und ohne jeglichen Hinweis online.
Inzwischen steht fest, dass auch eine dritte Person, die in der Zusammenstellung zu sehen ist, nie vermisst wurde. Der junge Mann in der mittleren Reihe ganz rechts …
1. Zehn Sekunden für eine Entscheidung (zeit.de, Eike Kühl)
Nach welchen Kriterien Facebook Inhalte löscht, ist oft unklar. Doch nun wurden dem britischen “Guardian” mehr als 100 interne Dokumente zugespielt, die Auskunft über die Kriterien geben, nach denen Facebookmitarbeiter gemeldete Inhalte löschen sollen. Die Regeln sind komplex und auch die personelle Ausstattung klingt dünn: 7.500 Mitarbeiter sollen sich um die Inhalte von mittlerweile fast zwei Milliarden Nutzern kümmern. Der Job sei psychisch belastend. Außerdem würden die häufig über externe Dienstleister angestellten Menschen oft unter prekären Bedingungen arbeiten.
2. Bilder, Bilder, Bilder – wie Medien mit den Identitären umgehen sollten (blog.zeit.de, David Begrich)
David Begrich macht darauf aufmerksam, dass es den “Identitären” bei ihren politischen Aktionen in erster Linie um die Bilder ihrer Aktionen und erst in zweiter um die Aktion selbst geht. Er rät den Medien, das Spiel nicht mitzuspielen: “Die Berichterstattung sollte die geplante, wiewohl indirekte, unbeabsichtigte Mitwirkung an der strategischen Bildkommunikation der Identitären verweigern. Sie muss entweder auf Bilder verzichten oder solche Bilder suchen, die die heroische Inszenierung der Identitären dekonstruiert. Es geht also um beides: die Identitären als rechtsextreme Kadergruppe zu entlarven und ihren Bildern die ikonische Wiedergabe zu verweigern.”
3. Spiegel Werk-Daily: Das digitale Missverständnis (blog-cj.de, Christian Jakubetz)
Christian Jakubetz hat sich nochmal mit “Spiegel Daily” beschäftigt. Er fragt sich, warum man sieben Euro für eine Webseitenversion eines Newsletters zahlen soll, der nur werktags zu einer bestimmten Uhrzeit erscheine. Was zu dem fatalen Ergebnis führe, dass bei “Spiegel Daily” am Montag bis zu 72 Stunden alte Nachrichten zu sehen seien. Wenn das Angebot so bleiben sollte, wie es derzeit ist, sieht Jakubetz schwarz für die Zukunft: “Dann wird „Spiegel Daily“ grandios scheitern und das nicht mal unverdient. Ich habe selten ein weniger durchdachtes und lustloser gemachtes Projekt gesehen wie dieses.”
4. Lange Freiheitsstrafen für Chefs von Nachrichtenmagazin (spiegel.de)
Ein türkisches Gericht hat zwei Chefs des Nachrichtenmagazins “Nokta” zu 22 Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Die Veröffentlichung eines Erdogan-kritischen Titelblatts im Jahr 2015 wird ihnen als Aufruf zu einem bewaffneten Aufstand gegen die Regierung ausgelegt.
5. Von Pressefreiheit und „Pressefreiheit“ (www.message-online.com, Ariane Butzke)
Auf der Jahreskonferenz des International Press Institutes (IPI) in Hamburg kamen etwa 300 Redakteure, Reporter und Verleger aus aller Welt zusammen. Es ging vor allem um die massiven Einschränkungen der Pressefreiheit in allen Teilen der Welt. Besonders betroffen seien Redaktionen in Afrika und Asien, aber auch in Europa und den USA würden Journalisten zunehmend eingeschüchtert, schikaniert und zensiert.
6. Wenn Werbung uns und sich selbst belügt und einer ganzen Branche Absolution erteilt. (kaffeeundkapital.de, Martin Oetting)
Martin Oetting war Gast bei einer Konferenz von Kreativen, auf der u.a. ein Kurzfilm gezeigt wurde, der in anrührender Weise zeigt, wie eine Handvoll Griechen auf dem Höhepunkt des Flüchtlingsandrangs ihr Möglichstes taten, um Menschenleben zu retten. Es war ein Werbefilm einer Whiskymarke… Oetting hat in einem Artikel seine Störgefühle in Worte gefasst und appelliert an die Werber: “Hört auf, Euch in Kundenmeetings und bei der Entwicklung quasipolitischer Image-Kampagnen Dinge vorzumachen. Geht stattdessen hin und helft den Organisationen und Menschen, die wirklich Dinge bewegen auf der Welt. Wenn man für sie starke durchschlagende Kampagnen macht, dann verschwindet auch die Doppelbödigkeit. Alles andere ist dagegen Etikettenschwindel. Ein Etikettenschwindel, der leicht dazu führen kann, die Dinge schlechter zu machen, als sie eh schon sind. Wie wir bei der „Ode to Lesvos“ gesehen haben — anstatt Menschen zum Helfen anzuregen, wiegt er uns in dem warmen Irrtum, dass die Dinge ja schon von guten Menschen fern von hier geregelt werden.”
Die deutsche Triathletin Julia Viellehner hatte am vergangenen Montag einen schweren Unfall: Im Trainingslager in Italien fuhr ein LKW sie an, als sie auf dem Fahrrad saß. Viellehner musste ins Krankenhaus und wurde ins künstliche Koma versetzt.
“Bild am Sonntag” berichtete gestern über den Unfall:
Bereits am Samstagabend brachte auch Bild.de einen Artikel:
(Unkenntlichmachung durch uns.)
In ihren Texten zitieren die “Bild”-Medien unter anderem einen Post auf Julia Viellehners Facebook-Seite, den ihr Freund Tom Stecher am Samstagmorgen verfasst hatte:
Ihr Lebensgefährte schrieb gestern bei Facebook: “Leider gibt es derzeit keine Änderung in ihrem Zustand. Sie hat bei dem Unfall viele und schwere Verletzungen erlitten. Eine Prognose über den weiteren Verlauf kann zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht abgegeben werden. Geht alles gut, steht sie auch irgendwann wieder an der Startlinie!”
Auch in Italien gibt es einen Schutz der Privatsphäre. Dies trifft auch besonders auf Krankendaten zu. Informationen über Julias Verletzungen oder durchgeführte Behandlungen sind rein spekulativ!
Diesen Absatz zitieren die Autoren von Bild.de und “Bild am Sonntag” nicht. Sie müssen ihn aber gesehen haben — schließlich beziehen sie sich auf den Text, in dem er steht. Eindruck hat die Aussage Stechers bei ihnen aber offenbar nicht gemacht. Die “Bild”-Medien verbreiten Spekulationen “über Julias Verletzungen oder durchgeführten Behandlungen”: Sie zitieren die italienische Zeitung “Corriere Romagna”, die behauptete, dass schwere Eingriffe an den Beinen von Julia Viellehner nötig gewesen sein sollen (auf weitere Details verzichten wir bewusst, weil wir uns nicht auch noch an den Spekulationen beteiligen wollen).
Vor wenigen Stunden verkündete Tom Stecher in einem weiteren Facebook-Beitrag, dass Julia Viellehner an ihren Verletzungen gestorben ist. Er schreibt dort auch:
Entgegen Berichten der Boulevardpressen wurde sie von dem LKW angefahren und ich sah sie neben dem LKW zu Fall kommen. Woher die Berichte vom Wochenende über verletzte Beine und die medizinischen Eingriffe stammen ist unklar.
Bild.de hat zu Julia Viellehners Tod gerade einen weiteren Beitrag veröffentlicht. Dort wird nun auch Tom Stechers Kritik an den Spekulationen der Boulevardmedien thematisiert. Allerdings bezieht Bild.de sie nur auf das italienische Blatt. Dass sowohl “Bild am Sonntag” als auch Bild.de diese Spekulationen übernommen haben — davon steht in dem Artikel kein Wort.
1. Fake News mit Fake Journals: Gender-Studies-Hoax als Verlagsversagen (netzpolitik.org, Leonhard Dobusch)
Leonhard Dobusch berichtet auf “Netzpolitik.org” über Fake News im Wissenschaftsbetrieb. Schon seit längerem gäbe es eine wachsende Zahl an unseriösen Open-Access-Zeitschriften, die sich zwar als begutachtet („peer-reviewed“) bezeichnen, tatsächlich aber gegen Bezahlung einer Publikationsgebühr quasi jeden eingereichten Beitrag publizieren würden. Zuletzt hatte ein Artikel für Furore gesorgt, der beweisen sollte, dass Gender Studies unseriös seien. Dazu hatten Peter Boghossian und James Lindsay unter dem Titel „The conceptual penis as a social construct“ allerhand Unsinn zusammengeschrieben und erfolgreich im Journal “Cogent Social Sciences” zur Veröffentlichung eingereicht. Leonhard Dobusch dazu: “Mit ihrem Versuch, Gender Studies als Disziplin bloßzustellen, haben Boghossian und Lindsay tatsächlich skandalöses Verhalten offengelegt. Der Skandal liegt jedoch nicht im Bereich der Gender Studies, sondern im Bereich eines der größten wissenschaftlichen Verlagshäuser. Aus reinem Profitstreben heraus werden hier offensichtlich Kooperationen mit dubiosen Pseudo-Open-Access-Verlagen eingegangen, die sich wiederum mit einem vermeintlich seriösen Verlagsnamen schmücken können.”
2. Probleme der «Weltwoche» häufen sich (nzzas.nzz.ch, Francesco Benini)
Die Schweizer “Weltwoche” hat nicht nur ein Auflagenproblem (in nur einem Jahr ist die Zahl der Leser um 22 Prozent geschrumpft). Für zusätzliche Unruhe sorgt auch die Doppelrolle ihres Chefredakteurs Roger Köppel, der eine politische Karriere gestartet hat und für die “SVP” im Schweizer Nationalrat sitzt. Dies schade dem Blatt; es werde seit seiner Wahl als “reines SVP-Organ” wahrgenommen.
3. DW-Korrespondent Niragira sofort freilassen (reporter-ohne-grenzen.de)
Der Deutsche-Welle-Korrespondent Antediteste Niragira ist in einem Flüchtlingslager an der Grenze zu Burundi verhaftet worden, wo er über die katastrophalen Lebensbedingungen der Menschen berichten wollte. “Reporter ohne Grenzen” fordert seine sofortige Freilassung: “Antediteste Niragira muss sofort freigelassen werden und sicher nach Burundi zurückkehren können. Journalisten, die über Missstände berichten, dürfen nicht wie Verbrecher oder Spione behandelt werden.”
4. «Wir wollen mehr Wertschätzung für den Journalismus» (medienwoche.ch)
Es war ein sensationeller Crowdfunding-Erfolg für unabhängigen Journalismus: Binnen kürzester Zeit hat das zehnköpfige Zürcher Start-up-Projekt R (“Republik”) über 11 000 Mitglieder gewonnen und mehr als 2,8 Millionen Franken eingesammelt. Im Interview sprechen die Macher darüber, wie sie das Projekt ohne Werbung finanzieren, wie viel Mitspracherecht Geldgeber haben und welche Rolle die Community spielt.
5. Tageszeitung “Sözcü” erscheint mit leeren Seiten (spiegel.de)
Aus Protest gegen die Verfolgung durch den türkischen Staat, hat die regierungskritische Zeitung “Sözcü” mit einer “Spezialausgabe zur Pressefreiheit” mit unbedruckten Seiten reagiert.
6. Revolution bei VG Wort: Urheber bekommen, was ihnen zusteht (uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Nachdem einige Versammlungen der VG-Wort letztes Jahr sehr chaotisch und konfrontativ verlaufen waren, hat man nun eine Einigung erzielt, nach der in Zukunft die Einnahmen aus gesetzlichen Vergütungsansprüchen rechtskonform an die Urheber ausgeschüttet werden, ohne die Verleger vollständig auszuschließen. Der jetzt beschlossene Verteilungsplan soll jedoch nach dem Willen vieler Beteiligter nicht lange gelten, so Stefan Niggemeier. Im Hintergrund werde bereits daran gearbeitet, die Gesetzeslage so zu ändern, dass die alte Situation wieder hergestellt wird, die eine pauschale Beteiligung der Verlage ermöglicht.
1. Neue Ansichten (sueddeutsche.de, Wolfgang Janisch)
Nach langem Hin und Her haben sich die Verhandlungspartner auf einen Gesetzentwurf zum Thema Kameras im Gerichtssaal geeinigt. Aufnahmen historisch bedeutsamer Prozesse will man erlauben, jedoch nur Tonaufnahmen gestatten. Ob es in Zukunft ein Justizfernsehen geben wird, hängt unter anderem mit den Kosten zusammen. Beim BGH veranschlagt man das Schaffen einer Infrastruktur auf eine halbe Million Euro.
2. Was die Autoren über die Gründung der VG Wort wissen sollten (wolfgangmichal.de)
Wolfgang Michal schreibt über die Entstehung der “Verwertungsgesellschaft Wort” (VG Wort). Bereits Jahre vor der Gründung gab es schon einmal den Versuch, eine Verwertungsgesellschaft der Autoren zu gründen: die „Gesellschaft zur Verwertung literarischer Urheberrechte“, abgekürzt GELU. Und er blickt auf eine Zeit, die gerne ausgeklammert wird: die Dreißiger Jahre.
3. Die Kartelle bestimmen deinen Todestag (faz.net, Matthias Rüb)
Der 50-jährige Javier Valdez galt als einer der bekanntesten investigativen Reporter Mexikos. Er gehörte zu den Gründern von „Rio Doce“, der wichtigsten Informationsquelle über die organisierte Kriminalität in der Region und schrieb für verschiedene mexikanische Tageszeitungen. Nun wurde Valdez vor dem Bürogebäude des Wochenmagazins “Rio Doce” erschossen, am helllichten Tag und auf offener Straße. Mit ihm hat die Mafia eine Symbolfigur ausgeschaltet.
4. Facebook: Pingpong zwischen FPÖ und oe24.at (derstandard.at)
Eine Medienagentur hat über 7.000 Facebook-Postings österreichischer Medien analysiert, sie mit der Printberichterstattung verglichen und Themen und Parteien zugeordnet. Viele der Postings fallen durch “stark negative, emotionale Wortwahl” und “beängstigende Inhalte” auf. Interessant ist auch die selektive Beschäftigung mit Parteien: Während die FPÖ in Print im März auf einen Anteil von zehn Prozent der Erwähnungen gekommen sei, hätte die Zuordnung bei den Facebook-Postings bei 21 Prozent gelegen. Bei der Webseite “oe24.at” war der Wert noch höher: Hier konnten 38 Prozent der politischen Berichte auf Facebook der FPÖ zugeordnet werden.
5. Was ihre Fälle unterscheidet – und was sie verbindet (deutschlandfunk.de, Michael Borgers)
Am 30. April wurde in der Türkei die deutsche Journalistin Mesale Tolu wegen angeblicher “Terrorpropaganda” inhaftiert. In den sozialen Netzwerken machte die Inhaftierung schnell die Runde, doch die Medien griffen die Thematik erst zwei Wochen später auf. Der Beitrag zeigt die Parallelen, aber auch die Unterschiede zum Fall Deniz Yücel.
6. Mit freundlicher Unterstützung von Nespresso (nzz.ch, Rainer Stadler)
Im Schweizer “Tages-Anzeiger” erschien ein doppelseitiger Beitrag über Recycling. Das Ganze sollte wie Journalismus aussehen, war in Wahrheit jedoch (oben gekennzeichnete) Werbung für die Kaffeekapseln aus dem Haus Nespresso. Rainer Stadler schreibt in seiner Medienkritik: “Die deutliche Hervorhebung von gesponserten Beiträgen bedeutet nicht, dass darüber hinaus alles sauber verläuft. Der Konsument kann es glauben oder nicht, oder er vermag allenfalls die Konstellationen aufgrund der kontinuierlichen Lektüre eines redaktionellen Angebots einzuschätzen.”
Am Montagabend lautete das Motto bei Bild.de mal wieder: “Diese Japaner, die sind doch alle verrückt!”
In der subtil betitelten Rubrik “Die krassesten TV-Shows der Welt” präsentierte die Redaktion Fernsehsendungen aus verschiedenen Ländern, die irgendwie irgendwas mit Sex zu tun haben. Anlass dafür ist die vor zehn Tagen gestartete Nackt-Dating-Show “Naked Attraction”. Das, was aktuell bei RTL 2 läuft, könne einem schon “die Schamesröte ins Gesicht treiben”, schreibt Bild.de. Doch das sei nichts gegen das Fernsehprogramm in Japan, wo alles “noch viel bekloppter” sei:
Normale Dating-Shows werden immer öfter von Extrem-Formaten abgelöst. Aber “Adam sucht Eva” oder “Naked Attraction” sind harmlos im Gegensatz zu dem, was beispielsweise im japanischen TV den Zuschauern serviert wird.
Jaha!
Japan? Prüde? Papperlapapp! Zappt man dort durch die Kanäle, möchte man sich nicht selten die Hände vors knallrote Gesicht schlagen.
Der Text stellt drei vermeintliche japanische TV-Sendungen vor: Nummer eins ist “Orgasm Wars”, wo ein homosexueller Mann einen heterosexuellen durch Oralsex zum Orgasmus bringen soll, wobei dieser versucht, das nicht zuzulassen. Beispiel zwei zeigt eine Gruppe Männer, die eine Pappmascheewand einwerfen will, um die dahinterstehende, nackte Frau zu Gesicht zu bekommen. Der angebliche Titel: “Strip the Girl”. In Beispiel drei befriedigen drei Frauen drei Karaoke singenden Männer per Hand. Es gewinnt derjenige die Show, die laut Bild.de “Sing What Happens” heißen soll, der trotz des bevorstehenden Orgasmus am besten singt.
Zu “Orgasm Wars” schreibt Bild.de:
Vor ein paar Jahren war diese TV-Show der Höhepunkt im japanischen Fernsehen. Und was dort gezeigt wird, ist an Absurdität kaum zu überbieten.
Die Redaktion tut so, als wäre die Oralsex-Sendung im normalen japanischen Programm gelaufen. Natürlich ist das Quatsch.
Die angeblichen TV-Shows aus den Beispielen eins (“Orgasm Wars”) und drei (“Sing What Happens”) sind tatsächlich nur Show-Segmente aus “Lass mich deinen Reißverschluss öffnen mit Tokui Yoshimi” (im Original: “Tokui Yoshimi no Chakku Orosaseteya”). Diese Gameshow läuft auf beim japanischen Erotikkanal* Pay-TV-Anbieter “Skyperfect TV”. Bei den Teilnehmern handelt es sich fast ausschließlich um Pornostars und Personen, die zur Entertainment-Agentur “Yoshimoto Kogyo” gehören. Es handelt sich also nicht um eine gewöhnliche Sendung aus dem Abendprogramm, sondern um einen Porno mit professionellen Schauspielern im Gewand einer Gameshow.
Bei Beispiel zwei (“Strip the Girl”) hat das Team von Bild.de in einem Punkt Recht: Das Spiel mit der nackten Frau hinter der Pappmascheewand lief tatsächlich im japanischen Free-TV.
Das Ganze hieß allerdings nicht “Strip the Girl”, sondern “Alle Felder sind das Ziel! Strike-out-Dusche!” (“Pafekuto tassei! Shawashitsu sutorakku auto!”). Es handelte sich dabei wiederum nicht um eine eigenständige Fernsehsendung, sondern nur um einen Teil der Show “Takeshis Truppe bis zum frühen Morgen” (“Asa made Takeshi Gundan”), die “TV Asahi” rund einmal im Jahr zwischen 1 und 3 Uhr nachts ausstrahlte. Zum letzten Mal lief die Sendung mit Regisseur Takeshi Kitano in der namensgebenden Rolle 2012. Ein schlüpfriges Format mit vielen Nacktmodels, das zumindest etwas ans deutsche “Tutti Frutti” erinnert.
Letztendlich stellen sich die “krassesten TV-Shows” Japans also als Pornosendung auf einem Pornokanal und als längst abgesetzte schlüpfrige Gameshow im Nachtprogramm heraus. Was bleibt sind einige Klicks für Bild.de und die Befürchtung, dass selbst der letzte Bild.de-Leser nun denkt: “Diese Japaner, die sind doch alle verrückt!”
*Nachtrag, 26. Mai: “Skyperfect TV” ist nicht, wie zuerst von uns geschrieben, ein Erotikkanal, sondern ein ganz normaler Pay-TV-Anbieter, der den Kanal “Skyperfect TV Adult” ausstrahlt. Dort läuft die Sendung “Lass mich deinen Reißverschluss öffnen mit Tokui Yoshimi”.
Bei all der Kritik an Medien hier auf der Seite, darf man nicht vergessen, dass viele Journalisten jeden Tag einen richtig guten Job machen. Eine Redaktion, die aktuell einen besonders guten Job macht, ist die der “Washington Post”. Das Team gräbt — ähnlich wie das der “New York Times” — immer wieder brisante Geschichten über US-Präsident Donald Trump aus.
Aktuell berichtet die “Washington Post” über ein Gespräch in vertraulicher Runde vom 15. Juni 2016, in der Kevin McCarthy, republikanischer Mehrheitsführer im Abgeordnetenhaus, zu führenden Parteifreunden sagt:
Es gibt zwei Leute, von denen ich glaube, dass sie von Putin bezahlt werden: Trump und Rohrabacher … ich schwöre bei Gott.
Die Unterhaltung zwischen McCarthy und seinen Kollegen soll kurz vor der Nominierung Trumps als republikanischer Präsidentschaftskandidat stattgefunden haben. Die Autoren der “Washington Post” schreiben, sie hätten nun eine Audioaufnahme des Gesprächs nachhören können. Kevin McCarthy sagt heute, dass seine Aussage damals ein Witz gewesen sei.
Jetzt müssten andere Medien nur noch auf diese Geschichte stoßen, sie aufschreiben und vielleicht noch kurz nachschauen, wer Dana Rohrabacher ist.
Damit wäre zudem offiziell, dass nicht nur das Trump-Team Gelder aus Russland erhalten hat. Dana Rohrabacher ist eine republikanische Kongress-Abgeordnete aus Kalifornien, die als starke Verfechterin Putins und Russlands gilt. Nach den Aussagen McCathys steht auch sie auf Putins Gehaltszettel.
Die Information über Rohrabacher findet man fast eins zu eins auch im Artikel der “Washington Post”:
Dana Rohrabacher is a Californian Republican known in Congress as a fervent defender of Putin and Russia.
Bild.de hat die Passage beinahe richtig übersetzt. Nur, dass Dana Tyron Rohrabacher ein Mann ist.
Mit Dank an Jörg L. für den Hinweis!
Nachtrag, 26. Mai: Christoph Herwartz weist darauf hin, dass der Mann/Frau-Fehler aus einer “dpa”-Meldung stamme:
Tatsächlich steht in der entsprechenden Agenturmeldung:
Dana Rohrabacher ist eine republikanische Politikerin, die sich wiederholt positiv über Russland und Wladimir Putin geäußert hatte.
Wir finden allerdings weiterhin, dass die Ähnlichkeit zwischen der falschen Bild.de-Passage und der Originalpassage der “Washington Post” größer ist als die Ähnlichkeit zwischen der falschen Bild.de-Passage und der falschen “dpa”-Passage.
1. Spiegel Daily: Nur 1 Minute Lesezeit! (blog-cj.de, Christian Jakubetz)
Christian Jakubetz hat sich die Erstausgabe von “Spiegel Daily” angeschaut. Das Angebot wirkt auf ihn bislang noch recht beliebig und zusammengestöpselt: “Alles in allem ist „Spiegel Daily“ in der Erstausgabe leider nicht sehr viel mehr als ein Sammelsurium aus Nachrichten, SPON-Versatzstücken und Dingen, von denen man beim Spiegel vermutlich glaubt, dass sie das Publikum im Netz cool findet (die drei populärsten Hashtags des Tages bei Twitter). Ich habe die ganze Zeit nur noch auf 1 Vong-Spiegel-her-gesehen-Joke gewartet. Macht man das nicht jetzt so in diesem Netz?”
Auch Thomas Knüwer zeigt sich wenig begeistert: Spiegel Daily: Niedrige Erwartungen noch untertroffen
2. Wie N24 Fake News produziert (welchering.de)
Peter Welchering wurde von “N24” um ein Statement zu Nordkoreas Cyberarmee gebeten. Sowohl mit der Redakteurin, als auch mit der Realisatorin vor Ort will er vereinbart haben, dass von den aufgezeichneten Statements keines verwendet werden darf ohne die Erwähnung, dass er die Indizien für nicht ausreichend hält. Natürlich kommt es, wie es kommen muss und der Sender bringt sein Statement ohne den Zusatz. Für Welchering ist die Sache damit besiegelt: “Wir haben es halt mal probiert, und ich musste erfahren, dass ihr eben doch keinen seriösen Journalismus könnt. Damit kann ich leben. Aber nehmt bitte auch zur Kenntnis, dass dieser Test auf seriöse Arbeit eben ein einmaliger Test war. Ihr haltet euch nicht an Absprachen und reisst Statements aus dem Zusammenhang, faked sie also, und das hat eine Konsequenz: Ihr bekommt von mir kein Statement mehr.”
3. Wie transparent ist die Transparenz von ARD/ZDF? (wwwagner.tv, Jörg Wagner, Audio: 6:06 Minuten)
Jörg Langer erstellt für die Otto-Brenner-Stiftung eine Studie über die Transparenz in den öffentlich-rechtlichen Medien. Langer sieht trotz positiver Änderungen noch Verbesserungsbedarf: “Auf der einen Seite hat sich viel getan in den letzten Jahren, dass bestimmte Zahlen verständlich und auffindbar für die Bürgerinnen und Bürger aufbereitet werden. Wenn man dann aber ein Stückchen genauer reinsteigt und wissen will, was genau denn wofür aufgewendet wird, da stößt man recht schnell an die Grenze.”
4. Böhmermanns kleiner Mann und das Verschwörungsportal (sueddeutsche.de, Carolin Gasteiger)
Als die Nachricht die Runde machte, dass Hans Meiser für ein obskures Verschwörungsportal arbeitet, glaubten nicht wenige an einen neuerlichen Sccop von Jan Böhmermann. Hans Meiser spielt in Böhmermanns “Neo Magazin Royal” gelegentlich den für populistische Parolen anfälligen “kleinen Mann”. Da hätte es nahe gelegen, ihn bei einer entsprechenden Seite einzuschleusen. Nun hat sich aber Böhmermanns Produktionsfirma “Bildundtonfabrik” zu Wort gemeldet und die Zusammenarbeit mit Meiser beendet. Und auch Meiser selbst hat sich geäußert.
5. Bilder, die Angst machen – Medienpsychologe Frank Schwab zur Wirkung von Krisenberichterstattung (blmplus.de, Bettina Pregel, Video, 2:22 Min.)
Vor kurzem fand die 3. Fachtagung Jugendschutz und Nutzerkompetenz. Thema der Tagung: „Bilder, die Angst machen – Katastrophen und Krisen in den Medien.“ Im Video-Interview spricht Medienpsychologe Prof. Dr. Frank Schwab über Angst auslösende Katastrophenbilder und wie Eltern besser mit der Angst ihrer Kinder umgehen können.
Manche Geschichten klingen so irre, dass man kaum glauben kann, dass sie wahr sind. Und oft stellt sich dann raus: Sie sind es auch nicht.
Zum Beispiel die, nun ja, Nachricht vom Pastor aus Simbabwe, der seiner Gemeinde beweisen wollte, dass er wie Jesus übers Wasser laufen kann, und dann, noch bevor er den Beweis liefern konnte, von Krokodilen gefressen wurde. Klingt ganz schön verrückt; mindestens so verrückt, dass ja sicher kein Medium diese Geschichte ungeprüft übernehmen wird.
Um es an dieser Stelle noch einmal klar zu sagen: Es stimmt nicht, dass ein Pastor aus Simbabwe beim Versuch, wie Jesus übers Wasser zu laufen, von Krokodilen gefressen wurde. Und es wäre für abendblatt.de und stern.de und n-tv.de und all die anderen auch gar nicht so schwer gewesen, das herauszufinden. Hier mal vier Möglichkeiten, wie das falsche Abschreiben hätte verhindert werden können:
1. Überprüfbare Fakten überprüfen
Sucht man bei Google nach “Jonathan Mthethwa”, dem Namen des Pastors, findet man aktuell viele Artikel aus der ganzen Welt zum angeblichen Kroko-Unglück. Sonstige relevante Infos gibt es zu dem Mann aber nicht. Das könnte — Überraschung! — dafür sprechen, dass es ihn nie gegeben hat. Gleiches gilt für die angebliche Kirche des Pastors, die “Saint of the Last Days Church”.
Bevor man als deutsches oder österreichisches Medium von einer nigerianischen Website abschreibt, die man vermutlich noch nie zuvor besucht hat, hätte man sich den Disclaimer der Seite mal angucken können. Dort steht:
The site includes both reported and edited content and unmoderated posts and comments containing the personal opinions of readers on a wide range of topics. You should be skeptical of any information on DailyPost, because it may be wrong.
Eine Nachrichtenseite, die die eigenen Leser darauf hinweist, dass man die dort präsentierten Informationen mit Skepsis betrachten solle, “because it may be wrong”, ist möglicherweise nicht die beste Quelle.
3. Die Quellenquelle nachschauen
Nun gibt auch die “Daily Post” im Artikel an, woher man die Geschichte vom Krokodilangriff habe: vom “Herald” aus Simbabwe. Sucht man auf der Seite des “Herald” nach “Jonathan Mthethwa” gibt es keineErgebnisse. Die Story scheint dort also nie erschienen zu sein.
4. Schauen, woher die Geschichte tatsächlich stammt
Viel wahrscheinlicher ist es, dass sie von “Zimbabwe Today” stammt. Dort ist erst im März und vor wenigen Tagen noch einmal die Pastor-Erzählung erschienen:
Bei “Zimbabwe Today” gibt es ebenfalls einen Disclaimer, direkt unter dem Artikel:
In the spirit of building a new Zimbabwe, we promote and support free speech, hence all the news you will read at Zimbabwe Today is uncensored, unbiased and uncontrolled.
… and sometimes unrichtig.
“Zimbabwe Today” könnte die Story wiederum vom Portal “National News Bulletin” haben. Dort ist die Geschichte über Jonathan Mthethwa bereits im Februar veröffentlicht worden:
Klickt man beim “National News Bulletin” auf den Button “About us”, erscheint diese kurze, aber sehr hilfreiche Information: