In Nürnberg wurde gestern ein 20-jähriger Afghane von Polizisten aus dem Klassenzimmer geholt, weil er abgeschoben werden sollte. Seine Mitschüler stellten sich der Polizei in den Weg, sie starteten Sitzblockaden, Pfefferspray, Schlagstöcke, es gab Verletzte.
Die örtlichen Zeitungen berichten heute natürlich über den Vorfall — allerdings mit ziemlich unterschiedlichem Fokus:
Für die “Abendzeitung” aus München sind hingegen weder die Schüler noch die Polizisten von Interesse. Der Afghane, der abgeschoben werden sollte, ist Ursprung des Ärgers:
Am 22. Februar machten “Bild”-Chefredakteurin Tanit Koch und “Bild”-Chefchef Julian Reichelt den früheren Intendanten des “Deutschlandradios” Ernst Elitz zum “Bild”-Ombudsmann.
Und seitdem?
Die Festschrift, die heute in der “Bild”-Zeitung und gestern Abend bereits bei Bild.de erschienen ist, bietet leider kein brauchbares 100-Tage-Resümee. Stattdessen hat der Jubilar selbst ein tolles Geschenk mitgebracht:
Viele Leser wünschen sich mehr Möglichkeiten, ihre Meinung zu äußern. Da in der Zeitung der Platz für Leserbriefe begrenzt ist, habe ich die Chefredaktion gebeten, zusätzlich Leserbriefe bei BILD.de zu veröffentlichen. Das klappt: Sie finden mehr Leserbriefe ab heute unter http://www.bild.de/ombudsmann
Mit dem Elitz als Ombudsmann — da bewegt sich richtig was bei “Bild”. Und so werden jetzt endlich auch solche Leserbriefe veröffentlicht:
Zu: Kann die weg? Oder brauchen wir die Ein-Cent-Münze noch?
Im Portemonnaie nerven sie. Aber abschaffen würde ich diese nicht. Ich lege die Ein-Cent-Stücke immer beiseite und bringe sie zweimal im Jahr zur Bank.
[anonym]
Oder diese zwei fundierten Debattenbeiträge:
Zum Kommentar: Letzte Chance für die SPD
Die SPD kommt noch aus den Puschen!
Wolfgang J[.]
Die SPD ist wie 1860 München. Schnell geht es abwärts.
Klaus Guido S[.]
Doch zurück zur 100-Tage-Bilanz von Ernst Elitz. Tanit Koch und Julian Reichelt schrieben im Februar an ihre Leserinnen und Leser: “Wir wollen, dass Sie bei uns Gehör finden, wenn Sie sich über uns ärgern oder etwas falsch dargestellt sehen. Wir wollen, dass Sie unseren Fakten nicht nur vertrauen, sondern sie transparent nachvollziehen können. Wir wollen von Ihnen hören, wenn Sie meinen, einen Fehler entdeckt zu haben.”
Hat das geklappt? Hat die Leserschaft Gehör gefunden? Hat der Ombudsmann die kritischen Fragen, die ihn erreicht haben, ernstgenommen?
Hier eine Auswahl von Ernst Elitz’ Urteilen zur “Bild”-Berichterstattung:
Der “Bild”-Ombudsmann ist ein schlechter Witz.
Elitz schreibt, ihn erreichen 150 Briefe von Leserinnen und Lesern pro Woche. 100 Tage ist er im Amt, also etwas mehr als 14 Wochen. Bei über 2000 Leserhinweisen hat er es nicht hinbekommen, irgendetwas rauszufischen, das wenigstens den Anschein eines Fehlers oder Verstoßes durch die “Bild”-Redaktion besitzt. Die heftigste Kritik äußerte der Ombudsmann, als “Bild” nach dem Champions-League-Viertelfinale aus Fußballer Cristiano Ronaldo “der verfluchte Cristiano Ronaldo” machte:
Das “verflucht”, als Ronaldo die Bayern aus dem Halbfinale schoss, war in der Redaktion selbst umstritten. Ich bin bei denen, die diese Wortwahl nicht für angemessen halten. Bitte fair nicht nur auf dem Rasen, sondern auch beim Spiel mit Worten!
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1. Schutz vor staatlichen Hackerangriffen (reporter-ohne-grenzen.de)
“Reporter ohne Grenzen” wendet sich gegen den geplanten Einsatz von Staatstrojanern. Da keine Schutzrechte für Journalisten geplant seien, könnten Ermittler über eingeschleuste Trojaner vertrauliche Gespräche und Chats von Journalisten mit Informanten abfangen. Die Organisation dazu: „Journalisten sind auf Verschlüsselung angewiesen, um sich vertraulich mit Kollegen und Informanten auszutauschen. Die Pläne von Heiko Maas bewirken, dass es in Deutschland kein digitales Kommunikationsmittel mehr gibt, mit denen Journalisten zweifelsfrei vor Überwachung geschützt sind. Die Große Koalition muss im Gesetz klarstellen, dass Journalisten bei ihrer Arbeit nicht abgehört werden dürfen. Ein Staatstrojaner hat auf dem Handy eines Journalisten nichts verloren.“ Link zur ausführlichen Stellungnahme zur Einführung der Quellen-TKÜ und Online-Durchsuchung (PDF)
2. Ist die Herkunft von Tätern und Verdächtigen wirklich von öffentlichem Interesse? (sueddeutsche.de, David Denk)
Immer wieder wird darüber diskutiert, ob Medien bei Straftaten die Herkunft des Täters nennen dürfen beziehungsweise sollen. Der Presserat hat dazu nun Leitsätze mit aktuellen Beispielen formuliert, die für schnellere und bessere Entscheidungen im Redaktionsalltag führen sollen. Ergänzend führt der Presserat aus, dass weder “Neugier” oder “Gruppeninteressen”, noch die “Nennung einer Gruppenzugehörigkeit durch Quellen, etwa durch Behörden” die Redaktionen von ihrer “eigenständigen presseethischen Verantwortung” entbinde.
Die Praxisleitlinie (Richtlinie 12.1 des Pressekodex) kann beim Presserat eingesehen werden (PDF).
3. Eine ganz andere Sicht (taz.de, Volkan Agar)
“taz”-Autor Volkan Agar stellt in einem Überblicksartikel die wichtigsten linken Medien der Vergangenheit und Gegenwart vor. Mit dabei sind der Liebling der Sponti-Szene “Pflasterstrand”, die teilweise massiv verfolgte und beschlagnahmte “Agit 883”, die autonome, feministische Zeitschrift “Courage”, das Magazin “konkret”, “analyse & kritik”, die anarchistische “Graswurzelrevolution”, das linksradikale und antifaschistische Newsportal “Indymedia”, die linke Wochenzeitung “Jungle World” und die linksalternative, österreichische Zeitschrift “malmoe”.
4. Hatespeech ist nicht, wenn Journalisten mit Kritikern skypen (broadly.vice.com, Yasmina Banaszczuk)
Was hat die “Tagesschau” mit ihrer Aktion “Sag’s mir ins Gesicht – für eine bessere Diskussionskultur im Netz” erreicht? Live wollte man sich von den Zuschauern die Meinung sagen lassen und für das Thema Hass im Netz sensibilisieren. Doch auf Hater und Trolle wartete man vergeblich, der Großteil der Anrufer trat höflich bis freundlich auf. Nicht überraschend wie Yasmina Banaszczuk im Gespräch mit Social-Media-Profis herausgefunden hat. “Ich glaube, die wahren Trolle, die wirklichen Hater, sind nirgendwo zu Wort gekommen, weil das gar nicht das ist, was sie wollen.”, befand die Journalistin Katrin Weßling. Ähnlich sah es die Autorin Ninia LaGrande. Und der Blogger Ali Schwarzer störte sich bereits an der Grundidee: “Als hätten Trolle und Hater nicht schon genug Raum, bekommen sie jetzt auch noch ein weiteres Podium.”
6. RTL2 will Werbefilme für Bundeswehr senden (deutschlandfunk.de, Brigitte Baetz & Sebastian Wellendorf)
Die von der Bundeswehr für die Verteilung über Youtube produzierte Werbereihe “Die Rekruten” hat mittlerweile mehr als 44 Millionen Views. Nun hat sich “RTL2” die Fernsehrechte an der 90-teiligen Bundeswehr-Reality-Soap gesichert. Das könnte ein Fall für die Medienaufsicht werden. Die Medienjournalistin Brigitte Baetz kritisiert im Deutschlandfunkgespräch, dass Grenzen zwischen Berichterstattung und PR verschwimmen, wenn der Gegenstand der Berichterstattung selbst zum Berichterstatter wird. Im Zweifel müsse es eine Einblendung geben, die anzeigt, dass es sich um eine Art Sonderwerbeform handelt.
Aktuell kommt es aber wirklich knüppeldick für den TSV 1860 München: die 0:2-Niederlage gestern im Relegationsrückspiel gegen Jahn Regensburg, der sichere Abstieg in die 3. Liga, vielleicht sogar Insolvenz und Abstieg in die Regionalliga, dazu angebliche Erpressungsversuche vom Investor aus Jordanien.
Und dann haut gestern Abend, keine halbe Stunde nach dem verlorenen Regensburg-Spiel, auch noch die “Abendzeitung” aus München 14 Mal obendrauf:
Egal, ob Torwart, Abwehrchef, Mittelfeldregisseur oder Stürmer, in der Startelf oder Einwechselspieler: alle Note 6!
Nun scheint die Zeit, in der Sportredaktionen rücksichtsvoll bei der Notenvergabe agieren (ein Vorgehen, das sich nach dem Suizid des Fußballtorwarts Robert Enke entwickelte), sowieso vorbei zu sein — erst neulich verteilten die “Bild”-Fußballlehrer zwölf Sechsen an “die HSV-Flaschen”. Was für ein Unsinn aber das kollektive Abwatschen durch die “Abendzeitung” ist, zeigt sich beim Blick auf die Kritiken zu den einzelnen Spielern.
Da wäre zum Beispiel Torwart Stefan Ortega, der zwar zwei Gegentore bekam, sich sonst aber keine groben Schnitzer leistete. Die “Abendzeitung” begründet die glatte 6 so:
Note 6. Kam nach 15 Minuten stark gegen Jahn-Torjäger Marco Grüttner aus seinem Tor. Im Sechzehner aber nicht immer auf Höhe. Letztlich schuldlos an den Gegentoren, aber auch er ließ jede Körpersprache vermissen.
Oder Florian Neuhaus:
Note 6. Der Jüngste war noch bester Löwe! Schüttelte mehrmals seine Gegenspieler ab, war der einzige, der auch mal einen gefährlichen Pass spielte, aber auch er tauchte nach der Pause ab.
Oder Levent Aycicek:
Note 6. Nach 27 Minuten mit der größten Chance, als er gegen Jahn-Keeper Philipp Pentke einen Schritt zu spät kam. Mühte sich — vergeblich.
Oder Sascha Mölders:
Note 6. Brachte bis auf ein paar beherzte Sprints nach der Halbzeit keinerlei Gefahr ins Spiel.
Oder Maximilian Wittek:
Note: 6. [Trainer] Pereiras letzter Joker, doch auch brachte nicht die Wende.
In der München-Ausgabe der “Bild”-Zeitung gab es heute ebenfalls Noten für die Spieler von 1860 München: siebenmal Note 6, fünfmal Note 5 (unter anderem Neuhaus und Wittek), zweimal Note 4 (Ortega und Mölders).
Wenn selbst eine “Bild”-Redaktion in ihrem Urteil differenzierter ist, dann muss man etwas falsch gemacht haben.
1. Unpopuläre Populisten (sueddeutsche.de, Jürgen Schmieder)
In den USA zeichnet sich ein neuer Trend ab: Die Nutzerzahlen von “Breitbart” und anderen rechtspopulistischen Webseiten wie “National Review Online”, “Infowars” und “Drudge Report” sind rückläufig. Jürgen Schmieder hat nach den Gründen für diese Entwicklung gesucht und ist auf mehrere Dinge gestoßen: Die “Rebellen” seien nun Teil des Systems. Die Entlassung von FBI-Direktor James Comey am 9. Mai hätte eine Zäsur bedeutet und zahlreiche interne Skandale wie die Pädophilieverharmlosung der Breitbart-Galionsfigur Milo Yiannopoulos hätten das Übrige dazu beigetragen, dass Klicks und Einschaltquoten sinken würden.
2. Die „FAZ“ hat Archiv-Angst (taz.de, Christian Rath)
Unlängst hat die “FAZ” einen offenen Brief als Eigenanzeige veröffentlicht, in dem sich das Verlagshaus gegen das von der Bundesregierung geplante neue Urheberrecht wendet. In Frankfurt sieht man vor allem das Archivgeschäft bedroht und spricht von jährlichen Verlusten in Millionenhöhe. An den FAZ-Vorwürfen sei allerdings nicht viel dran, findet der rechtspolitische Korrespondent der “taz” Christian Rath. Die Befürchtung, dass die Deutsche Nationalbibliothek alle FAZ-Texte aufnimmt und unentgeltlich zur Verfügung stellt, sei beispielsweise unbegründet.
Die Regelung gelte nur, „wenn Inhalte nicht dauerhaft zugänglich sind, wie etwa Blogeinträge“. Presseerzeugnisse seien aber typischerweise dauerhaft verfügbar, etwa in Archiven der Verlage – auch wenn der Zugang hierzu kostenpflichtig ist. Die DNB dürfe sie also nicht online stellen, so das Ministerium.
3. “Wenn es Arte nicht schon gäbe, dann müsste man ihn jetzt erfinden” (deutschlandfunk.de, Bernd Mütter & Brigitte Baetz)
Der deutsch-französische Kulturkanal “Arte” feiert seinen 25. Geburtstag. Der Deutschlandfunk hat sich mit dem stellvertretenden Programmleiter über Gegenwart und Zukunft des Senders unterhalten. Eine Art persönliche Liebeserklärung hat Holger Kreitling auf “welt.de” verfasst. “Bei Arte geht es um Geschmack, immer. Sofort, noch mit der Fernbedienung in der Hand, erfasst einen ein „Gefühl bedeutsamer Weitläufigkeit“ (Thomas Mann). Es ist das Distinktionswerkzeug des Kulturbürgers, der sinistre Pate des Senders heißt von Beginn an Pierre Bourdieu, nirgendwo sind die feinen Unterschiede im Fernsehverhalten so sichtbar wie hier.”
Kritik kommt von Regisseur und Produzent Arne Birkenstock, der sich in einem Gastbeitrag auf “taz.de” darüber beklagt, dass der Sender seine Identität verliere, weil er am großen Dokumentarfilm spare.
4. Die Welt: Den Redakteursjob vergessen?? (klima-luegendetektor.de)
Die “Welt” hat einen Biologen zu Wort kommen lassen, der behauptet, die globale Temperatur sei seit fünfzehn Jahren nicht mehr angestiegen. Und der fordert, dass man darüber reden dürfe, ohne “verunglimpft” zu werden. Die Betreiber des “Klima-Lügendetektors” haben sich die Behauptungen im Detail angeschaut und sind entsetzt: Der betrachtete Zeitraum sei zu kurz, und selbst wenn man dies außer Acht lasse, sei die Aussage schlicht falsch. Eine Pause bei der Erderwärmung habe es ebenfalls nicht gegeben. Zum Schluss erinnern die Lügendetektoren die Redakteure der “Welt” daran, dass die journalistische Sorgfaltspflicht laut Deutschem Presserat auch für Meinungsbeiträge gelte.
5. Was ist neu an Fake News? (derstandard.at, Liriam Sponholz)
Liriam Sponholz hat sich als Wissenschaftlerin mit dem Begriff “Fake News” auseinandergesetzt und die nötigen Abgrenzungen unternommen. So seien “Fake News” kein “Fehlverhalten”, sondern ein Geschäftsmodell und das Resultat einer Click Economy: “Fake News sind weder mit Propaganda noch mit tendenziöser Berichterstattung gleichzusetzen. Im Kern handelt es sich um die systematische Produktion von Meldungen, die einen Realitätsbezug vorgeben, aber wissentlich von der Wirklichkeit abweichen. Es handelt sich um keine Bias, weil eine tendenziöse Berichterstattung ohne Erfindungen auskommt. Fake News lassen sich aber auch nicht mit Propaganda gleichsetzen, weil die Absichten der Produzenten vielfältiger sind und die Produktion nicht alleinig, oftmals sogar gar nicht politisch motiviert ist.”
6. Lokal durch Fake-Story über Menschenfleisch fast ruiniert (futurezone.at, Florian Christof)
Ein Fake-News-Artikel hätte beinahe ein indisches Restaurant in London in den Ruin getrieben. Über eine Prank-Seite, auf der man seine Freunde mit Falschmeldungen reinlegen soll, war das Gerücht in Umlauf gebracht worden, dass das Lokal schließen müsse, weil dort angeblich Menschenfleisch auf der Speisekarte stand.
Läuft es Ihnen auch noch eiskalt den Rücken runter, wenn Sie an diesen schicksalsvollen Tag im vergangenen Jahr denken? Da wollen die Briten doch tatsächlich raus aus der EU.Da wählen die US-Amerikaner doch tatsächlich Donald Trump zu ihrem neunen Präsidenten. Da trennen sich doch tatsächlich Sarah und Pietro Lombardi.
Seit Oktober 2016 ist nichts mehr, wie es einmal war. Das Liebes-Aus von Sarah und Pietro Lombardi (beide 24) schockte eine ganze Nation.
Äh, ja.
Aber irgendwie sind sie bei Bild.de nicht nur geschockt, sondern auch ziemlich genervt vom Liebes-Hickhack des einstigen “DSDS”-Traumpaars:
Exakt diese Frage — “HÖRT DAS DENN NIE AUF?” — stellen wir uns im Zusammenhang mit Sarah Lombardi und Pietro Lombardi und Bild.de auch schon eine ganze Weile. Warum? Darum:
Wann man den Schlussstrich ziehen sollte, Bild.de? Lieber heute als morgen.
1. AfD, Broder und Tichy verleumden Margot Käßmann als Rassistin (uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Boris Rosenkranz nennt es eine “heilige Hetzjagd”, was die AfD in den letzten Tagen mit der Theologin Margot Käßmann veranstaltet hat. Mit einem vermeintlichen Zitat wollte man ihr Rassismus andichten, doch das gegen sie verwendete Zitat war aus dem Zusammenhang gerissen und sinnentstellend verkürzt. Die Verleumdungsbotschaft wurde bereitwillig unterstützt von rechten Blogs und Foren und Personen wie Henryk M. Broder (“Die Welt”) oder Roland Tichy (“Tichys Einblick”), aber auch Leuten wie der ehemaligen CDU-Politikerin Erika Steinbach und der Berliner AfD-Vorsitzenden Beatrix von Storch. Boris Rosenkranz hat sich Inhalte und Form der Käßmann-Kampagne näher angeschaut und analysiert. Mittlerweile hat sich auch der Faktenfinder der “Tagesschau” mit dem Vorgang beschäftigt und auch auf der neuen Plattform “Fearless Democracy” gibt es eine Aufarbeitung des Falls mit einer Visualisierung des Twitterverhaltens: Wie sowas läuft: Ein Blick in Margot Käßmanns Shitstorm
2. E-Privacy-Verordnung: Verlage wollen Leser beim Tracking entmündigen (netzpolitik.org, Markus Reuter )
In einem offenen Brief an das Europäische Parlament haben sich einige europäische Verlage (darunter aus deutscher Sicht die “FAZ”, die “Zeit”, “Gruner + Jahr” und die “SZ”) gegen die neue ePrivacy-Verordnung der EU gewandt. Stein des Anstoßes ist eine Passage, die es Nutzern erlaubt, das Werbetracking auf Webseiten zu unterbinden. Darin sehen die Verlage eine Gefährdung ihrer Einnahmequellen. Markus Reuter ordnet das Ganze aus netzpolitischer Sicht ein. Beim Thema Datenschutz würden sich die Verlage einmal mehr als Gegner der Rechte von Bürgerinnen und Bürgern zeigen.
3. Breitbart stürzt ab (deutschlandfunknova.de, Diane Hielscher & Martina Schulte)
Donald Trump hat seinen Wahlsieg auch dem rechten Medienportal “Breitbart” zu verdanken, das unablässig für ihn trommelte und seine Gegner niederschrieb. Nach seiner Inauguration ernannte Trump den damaligen Chefredakteur Steve Bannon zu seinem zukünftigen Berater und Chefstrategen. Man hätte meinen können, dass “Breitbart” nun zum neuen Mediengigant der Trump-Ära wird, doch das Gegenteil ist der Fall: Die Reichweite der Seite ist dramatisch gesunken. Martina Schulte ist dem Phänomen nachgegangen.
4. Tagesschau-Chefredakteur wartet vergeblich auf Trolle (faz.net, Frank Lübberding)
“ARD-aktuell”-Chef Kai Gniffke hat Hasskommentatoren zu sich in den Videochat eingeladen, doch es kam keiner. Kein Wunder, findet Frank Lübberding: “Es gehört zu den kulturellen Codes einer funktionierenden Gesellschaft, nicht jedem alles ins Gesicht zu sagen. Nicht jede Wahrheit (oder auch Lüge) auszusprechen, erleichtert das menschliche Zusammenleben. Das Lästern hinter dem Rücken der Betroffenen hat das noch nie verhindert. Diese Erfahrung wird man sicherlich auch in den diversen ARD-Redaktionen schon gemacht haben. Trotzdem wirkte Gniffke regelrecht enttäuscht, warum keiner der Hasskommentatoren dieses Gesprächsangebot namens „Sag’s mir ins Gesicht“ angenommen hatte. Er wurde weder beleidigt, noch hat ihm ein Zuschauer seinen Hass auf die ARD erklärt.” Nachtrag: Mittlerweile hat sich auch Anja Reschke im Life-Chat ihren Kritikern gestellt. Auf “tagesschau.de” gibt es ein Interview mit Reschke: “Ich bin keine ARD-Marionette”.
5. Donald Trumps (fast) unsichtbarer Kopfhörer (uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Hat Donald Trump tatsächlich nicht zugehört, als der italienische Ministerpräsident Paolo Gentiloni über Afrika sprach? Trump trug schließlich keine direkt sichtbaren Kopfhörer für die Simultanübersetzung wie viele der Anwesenden. Viele Medien nahmen dies als Anscheinsbeweis, doch so einfach ist die Sache nicht wie Stefan Niggemeier auf “Übermedien” ausführt.
6. Klarstellung in Sachen “Die Hölle erwartet euch” (facebook.com, Mathias Richel)
Vielleicht haben Sie das Bild gesehen, das die letzten Tage viral ging: Ein Mann hält eine Art selbstgebasteltes Transparent hoch, auf dem er einer wirr zusammengesetzten Zielgruppe (“Säufer, Lügner, Partytiere, Drogen-Freaks, Ehebrecher, Porno-Freaks, Selbstbefriediger, Huren, Diebe, Zauberer, Lästerer, Heuchler, Homosexuelle, Habsüchtige, Götzendienen, Feministen, Falsche Christen, Atheisten”) zuruft: “Die Hölle erwartet euch”.
Das Bild wurde oft fälschlicherweise dem Kirchentag in Berlin zugeordnet, ist jedoch beim DFB-Pokalfinale entstanden, wie Mathias Richel anmerkt, der das Foto direkt vor dem Stadion geschossen hat. “Mir ist vollkommen klar, dass dieser erklärende Beitrag hier fast niemanden von denen erreichen wird, die jetzt mit dem Bild beweisen wollen, dass die Christen auf dem Kirchentag nicht alle Tassen im Schrank haben. Aber ich will wenigstens alles dafür getan haben, damit dieses Bild zunächst einmal genau das nur für diesen Mann belegt und nicht andere fälschlicherweise mit dem verrührt werden.”
In Kapstadt ist Medizinern vor wenigen Tagen etwas Besonderes gelungen: In einer neuneinhalbstündigen Operation haben sie erfolgreich einen Penis transplantiert. Auch Bild.de berichtete über diese “medizinische Sensation in Südafrika”, wobei der Fokus in der Überschrift eher auf den Hautfarben von Spender und Empfänger lag und nicht so sehr auf der Leistung der Ärzte:
Was wird dem durchschnittlichen Bild.de-Leser beim Betrachten dieser Schlagzeile wohl durch den Kopf gehen? Und welche Folgefrage halten die Mitarbeiter aus der Redaktion für besonders dringend?
a) Menschenskinder — toll, was Ärzte heutzutage so alles hinbekommen! Wie funktioniert das denn?
b) Nanu?! Ein Weißer und ein Schwarzer? Reagieren die nicht allergisch aufeinander?
c) Ohgottohgott! Kann man mir meinen Penis auch einfach wegnehmen?
Klar, Bild.de weiß eben, was die eigene Leserschaft umtreibt:
Nach der erfolgreichen Penis-Transplantation in Kapstadt fragen sich viele Besitzer eines Organspende-Ausweises: Gehört auch der Penis zu den Organen, die nach dem Tod entnommen werden können?
Die Antwort darauf ist aktuell wohl nein.
Für jene Leser, die dennoch um ihren Penis fürchten, hat das Bild.de-Team einen Nummer-sicher-Tipp:
Wer also auf Nummer sicher gehen möchte, kann auf seinem Organspende-Ausweis Organe vermerken, dass der Penis nicht zu den Spender-Organen zählt.
Den besonders Begriffsstutzigen hat das Penisportal das Ganze auch noch mal als Grafik zur Verfügung gestellt:
Vielleicht sind die Geschlechtsteilexperten von Bild.de aber auch nur so vorsichtig, weil sie schon ahnten, was ein Urologe ihnen und ihren zahlenden “Bild plus”-Kunden heute erklärt hat:
Und wer will schon fahrlässig seine “Antenne des Herzens” aufs Spiel setzen?
Es ist ein großes Glück, dass in der Redaktion der “Bild”-Zeitung so viele feinfühlige Eltern sitzen. Andernfalls hätte die Berichterstattung des Boulevardblatts über den Anschlag in Manchester nämlich ganz anders ausgesehen.
In dieser Woche erreichten mich mehrere Zuschriften von Lesern, die meinten, man hätte darauf verzichten sollen, die Fotos der Opfer von Manchester zu zeigen. (…)
Viele Mitarbeiter haben Kinder im Alter der Ermordeten. Und so wurde die Auswahl der Fotos eben nicht nur von Journalisten getroffen, sondern von Müttern und Vätern, die sich fragten: Würde ich mein Kind so zeigen, wenn meine eigene Familie von diesem Grauen betroffen wäre? (…)
Die Auswahl eines jeden Fotos war eine Gewissensentscheidung. Ich finde, das Gewissen der Mütter und Väter in der Redaktion hat bei der Auswahl der Fotos aus Manchester richtig entschieden.
Und das dank der “Mütter und Väter in der Redaktion”. Die sollen sich also gefragt haben: “Würde ich mein Kind so zeigen, wenn meine eigene Familie von diesem Grauen betroffen wäre?” Nun orientiert sich das Persönlichkeitsrecht und das Recht am eigenen Bild und auch der Pressekodex in der Regel nicht an einer hypothetischen Entscheidung des durchschnittlichen “Bild”-Redakteurs. Die richtigere Frage wäre wohl gewesen: “Wollen die Eltern, dass ihr Kind so gezeigt wird?” Und diese Frage hätten die “Bild”-Mitarbeiter am besten nicht sich selbst gestellt, sondern den betroffenen Eltern.
Haben sie aber nicht gemacht und sich stattdessen entschieden, “Fotos aus den glücklichen Tagen der ermordeten Kinder zu zeigen”. Ernst Elitz verkauft diese Entscheidung beinahe als Wohltat:
BILD entschied auch, Fotos aus den glücklichen Tagen der ermordeten Kinder zu zeigen, damit sie uns mit ihrem Lächeln, ihrer Hoffnung, ihrer Schönheit in Erinnerung bleiben. Als ein Zeugnis der Liebe, das uns von den Terroristen unterscheidet.
Halten wir also schon mal fest: Sollten die Kinder der “Bild”-Mitarbeiter jemals in ein derartiges Unglück geraten — was hoffentlich niemals geschehen wird! –, kann man ohne Bedenken ihre Facebook- und Instagram-Seiten plündern und die dort zu sehenden Fotos ins Internet stellen, Bezahl-Artikel mit ihnen füllen, sie hunderttausendfach drucken. Schließlich haben die “Mütter und Väter in der Redaktion” die Frage “Würde ich mein Kind so zeigen, wenn meine eigene Familie von diesem Grauen betroffen wäre?” mit einem kräftigen “Ja!” beantwortet. Sie haben dabei auf Collagen zurückgegriffen, auf denen Personen zu sehen waren, die zur Zeit des Anschlags nicht mal in Großbritannien waren. Sie haben einen Text über die 18-jährige Georgina veröffentlicht, Titel: “Ausgelöscht!”, der fast ausschließlich aus Postings des Mädchens in verschiedenen Sozialen Netzwerken besteht. Um ihn lesen zu können, braucht man ein “Bild plus”-Abo. Es soll bei solchen Artikeln also darum gehen, ein kleines Denkmal für dieses Mädchen zu errichten, ein “Zeugnis der Liebe”, wie Ernst Elitz schreibt? Nein, es geht ums Geldverdienen mit verstorbenen jungen Menschen.
Die “Bild”-Eltern haben sich auch dazu entschlossen, verletzte Kinder und Jugendliche zu zeigen, die nach dem Anschlag schockiert und verwirrt und voller Panik durch Manchester laufen. Immerhin — das stellt auch Elitz heraus (“Die Redaktion entschied dabei sehr bedacht, machte die Gesichter der flüchtenden Kindern unkenntlich.”) — haben sie dabei nicht jedes, aber viele der Gesichter verpixelt.
Fast alle dieser Fotos, die die feinfühligen Mütter und Väter aus der “Bild”-Redaktion unkenntlich gemacht haben, sind auch bei Bild.de erschienen. Dort allerdings bis heute ohne irgendeine Verpixelung. Auch das wäre eine Erkenntnis aus Ernst Elitz’ Verteidigungsschrift: Bei Bild.de arbeiten offenbar nur Kinderlose ohne Gewissen.