Puh, zum Glück nennt “Bild” nicht den echten Namen des 15-Jährigen Jungen, der auf die “Oppenheim-Oberschule in Berlin-Charlottenburg” geht, “aus dem Libanon” stammt und angeblich “das schlechteste Zeugnis aller 340 000 Schüler in der Hauptstadt” hat. Fragt sich nur, warum man sich bei Bild.de die Mühe gemacht hat, das Gesicht des Jungen zu verpixeln. Macht “Bild” doch auch nicht:
“Bild” berichtet über eine Mutter, die ihrer inzwischen vierjährigen Tochter über einen längeren Zeitraum hinweg mehrmals Kalkreiniger eingeflößt haben soll. Wegen Misshandlung Schutzbefohlener wurde die Mutter jetzt angeklagt. Der Vater des Kindes wurde ebenfalls angeklagt, wegen Beihilfe. “Bild” illustriert die Geschichte mit Fotos aller Beteiligten.
Und wer weiß schon, was man sich bei “Bild” gedacht hat, als es um die Frage ging, welche der Beteiligten man anonymisieren solle. Der Gedanke, dass die Tochter mit ihren vier Jahren und als Opfer der ganzen Geschichte besonders schutzbedürftig sein könnte, scheint jedenfalls niemandem gekommen zu sein. “Bild” zeigt sie gleich zweimal unverfremdet:
P.S.: Bei Bild.de entschied man sich übrigens für eine, zwar seltsam anmutende, insgesamt aber nachvollziehbarere Anonymisierungspraxis.
Mit Dank an Frederik B. für den sachdienlichen Hinweis.
“Bei der Berichterstattung über Ermittlungs- und Strafverfahren gegen Jugendliche (…) soll die Presse mit Rücksicht auf die Zukunft der Betroffenen besondere Zurückhaltung üben.” (Pressekodex, Richtlinie 13.2)
Es gibt ein Foto, das den 16-jährigen, der am vergangenen Freitag bei einem Amoklauf in Berlin mehrere Dutzend Menschen verletzt hat, mit einem süßen Hund im Arm zeigt. Die “Bild”-Zeitung mag dieses Foto sehr. “Bild” und “Bild am Sonntag” haben es nun an vier Tagen in Folge groß im Blatt gezeigt.
Gestern und heute war dies die Augenpartie:
Am Sonntag und Montag sah dieselbe Stelle auf dem demselben Foto noch so aus:
Wir wissen nicht, was “Bild” dazu bewogen hat, seit gestern keine unverpixelten Fotos des Jugendlichen mehr zu zeigen. Wir wissen nur: Wenn die “Bild”-Zeitung den 16-jährigen heute nicht erkennbar zeigen darf, hätte sie es vorgestern auch nicht tun dürfen.
Aber für den Zeitungsverkauf ist das womöglich am besten: Erst mal einfach alle Gesichter unverfremdet zeigen, und dann im Nachhinein in Ruhe überlegen, welche eigentlich doch verpixelt werden müssen. Als könne man jemanden nachträglich anonymisieren.
PS: Dass es noch andere gute Gründe gibt als das Persönlichkeitsrecht, Kinder und Jugendliche, die einer Straftat verdächtigt werden, nicht groß und erkennbar abzubilden, zeigt der Fall des zwölfjährigen Jungen aus Berlin, der seine Lehrerin angegriffen haben soll. Ein Beitrag in den Nachrichten von RTL, die ein Interview mit dem Jungen gezeigt hatten, hatte erhebliche Proteste zur Folge — unter anderem von der Familie des Opfers. Die RTL-Chefredaktion versprach daraufhin, den Jugendlichen nur noch verpixelt zu zeigen, “um ihm kein unnötiges Forum zur Selbstdarstellung zu geben”.
Bei “Bild” guckte der Zwölfjährige am Dienstag cool aus der Schlagzeile auf Seite 1 — und war auch heute wieder unverfremdet im Blatt.
Wie schon so oft, war es Bild.de auch heute wieder nicht gelungen, die Unkenntlichmachung von Personen zum Schutz ihrer Persönlichkeit konsequent durchzuhalten. Seit gestern abend zeigte Bild.de auf ihrer “News”-Seite einen Teaser (“Inzest-Mutter (21) – 5. Baby! Zum 1. Mal war es nicht der Bruder, sondern ER”), auf dem u.a. die “Inzest-Mutter” und ihr viertes Baby zu sehen sind. Doch während das Gesicht des Kindes im eigentlichen Artikel von Bild.de durch Verpixelung unkenntlich gemacht worden war, fehlte die Unkenntlichmachung im Teaser.
Nachdem wir Bild.de auf die abermalige Inkonsequenz beim Schutz der Persönlichkeit aufmerksam gemacht und um Stellungnahme gebeten hatten, erhielten wir abermals keine Antwort. Abermals aber wurde die unterlassene Unkenntlichmachung anschließend nachgeholt.
Mit Dank an die vielen Hinweisgeber — auch für die Screenshots.
Offenbar wurde bei “Bild” malwieder ausgelost, auf welchen Abbildungen Personen unkenntlich gemacht werden sollen und auf welchen nicht. Und die Auslosung hatte ergeben, dass die Prostituierten, die in einem Bordell arbeiten, das mit Einstiegsgeld von der Arbeitsagentur gefördert wurde, nur in der Druckausgabe und in der Fotogalerie auf Bild.de anonymisiert werden sollen. Auf den Teasern der Einstiegsseiten von Bild.de jedoch lächelten dieselben Frauen seit vergangener Nacht völlig unverpixelt in die Kamera:
Nachdem wir Bild.de auf die Inkonsequenz im Umgang mit dem Persönlichkeitsschutz der abgebildeten Frauen hinwiesen, bekamen wir zwar keine Antwort. Wenig später wurde das Foto jedoch entsprechend bearbeitet und sieht jetzt ungefähr so aus wie auf unserem Ausriss.
Die “Bild”-Zeitung hat sich dazu entschieden, den Namen der Psychologin nicht mehr zu nennen, die sie unter anderem unter der Überschrift “Stephanies Vergewaltiger – Diese Gutachterin ließ ihn laufen” zeigte. Stattdessen hieß die Frau in “Bild” gestern nur noch “Dr. Michaela H. (58)”.
Bei Bild.de musste man in diesem Artikel allerdings nur auf einen Link unter dem Foto der Frau klicken, um ihren wahren Namen zu erfahren (siehe Ausriss; schwarze Balken von uns). Auf unsere Frage an Bild.de, ob das Absicht ist, erhielten wir keine Antwort. Der entsprechende Archiv-Artikel wurde allerdings ersatzlos entfernt.
Bei Bild.de gibt es einen Artikel, in dem ein mutmaßlicher Betrüger nur gepixelt abgebildet ist. Klickt man auf den Link unter dem gepixelten Foto kommt man auf einen Artikel vom Vortag — und dasselbe Foto, ungepixelt.
Und jetzt fragen Sie uns nicht, ob die Anonymisierung von Menschen für Bild.de nur ein Witz oder ein Glücksspiel ist, ob sie von der Tagesform des zuständigen Redakteurs abhängt oder die Pixel bei Bild.de rationiert sind — und ob niemand bei Bild.de mal auf den eigenen Link klickt, um zu sehen, was sich dahinter verbirgt. Wir wissen es nicht, und Antworten auf Fragen bekommen wir von “Bild” seit einiger Zeit nicht.
Danke für die vielen Hinweise!
Nachtrag, 15. Februar. Bei Bild.de liest man anscheinend nicht Bild.de, aber BILDblog: Auch im älteren Artikel ist das Gesicht nun unkenntlich gemacht.
Ein großer Dank geht an alle Leser! Wir wünschen Ihnen frohe Weihnachten, ein paar schöne freie Tage und einen guten Start ins neue Jahr. Ein besonders großer Dank geht an all jene, die uns in diesem Jahr mit Hinweisen versorgt haben. Leider schaffen wir es zeitlich nie, allen nachzugehen. Vielen aber schon. Und deswegen geht ein ganz besonders großer Dank an diese Personen, deren Hinweise zu Blogeinträgen geführt haben:
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Sollte es in der Zwischenzeit irgendwo medial richtig knallen, unterbrechen wir natürlich unseren Winterschlaf. Außerdem präsentieren wir Ihnen nach Weihnachten jeden Tag ein Best-of aus zwölfeinhalb Jahren BILDblog.
Und damit Ihnen der Lesestoff auf keinen Fall ausgeht, haben wir eine Übersicht mit all unseren Beiträgen aus diesem Jahr zusammengestellt. Klicken Sie sich doch mal durch:
Alle Ausgaben unserer werktäglichen “6 vor 9”-Linkliste finden Sie hier. Die Arbeitsnachweise unserer Clickbait-Taskforce hier. Die “Perlen des Lokaljournalismus” hier. Benedikt Franks Kolumne “Mut zur Wirrheit” über das “Compact”-Magazin hier. Johannes Krams Kolumne “Politically Correct!” hier. Ralf Heimanns Kolumne “Im Abseits” hier. Und Leo Fischers “Bildbetrachtung” hier.
Denn “Bild” berichtet heute in großer Aufmachung und mit vielen Fotos von einem “Amoklauf im Berliner Hauptbahnhof”:
Ein 26-jähriger Mann hat gestern dem Kellner eines Cafés zwei Stunden lang ein Messer an die Kehle gedrückt. (…) Der panische Blick der Geisel auf die scharfe Klinge lässt viele Augenzeugen erschaudern.
TODESANGST!
So steht’s im Pressekodex
(…) Bei der Berichterstattung über Unglücksfälle, Straftaten, Ermittlungs- und Gerichtsverfahren (…) veröffentlicht die Presse in der Regel keine Informationen in Wort und Bild, die eine Identifizierung von Opfern und Tätern ermöglichen würden.
(…) Immer ist zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen abzuwägen.
(…) Liegen Anhaltspunkte für eine mögliche Schuldunfähigkeit eines Täters oder Tatverdächtigen vor, sollen Namensnennung und Abbildung unterbleiben.
(…) Die vom Unglück Betroffenen dürfen grundsätzlich durch die Darstellung nicht ein zweites Mal zu Opfern werden.
Ein Großteil der Fotos, die den ganzseitigen Artikel illustrieren, dokumentiert das Beschriebene. Wir sehen: einen Mann mit einem Messer, der einen anderen Mann im Würgegriff hat. Und auf allen Fotos zeigt “Bild” den Mann mit dem Messer, ohne ihn irgendwie unkenntlich zu machen, was nicht schön, aber laut Pressekodex gerechtfertigt sein könnte (siehe Kasten) oder auch nicht (siehe Kasten). Schließlich hatte der Mann laut “Bild” “offenbar Kokain geschnupft” und wurde “in eine Psychoklinik eingewiesen”.
Aber die Anonymisierungspraxis in “Bild” ist ohnehin undurchschaubar. Und einfallsreich zugleich: mal Verpixelungen, mal kleine, mal größere schwarze Balken über der Augen- oder schwarze Kreise über der Gesichtspartie, mal vollständiges Weißen kompletter Silhouetten… Doch wer heute anonymisiert wird, muss schon morgen damit rechnen, dass “Bild” darauf verzichtet, und umgekehrt. Und es vergeht kaum ein Tag, an dem “Bild” nicht Menschen zur Schau stellt (Opfer, Täter, Betroffene), obwohl berechtigte Zweifel bestehen, ob “Bild” das darf. Erfahrungsgemäß zeigt “Bild” lieber zu viel als zu wenig. Zudem gab es in der Vergangenheit wiederholt Fälle, in denen “Bild”-Anonymisierungen vom Presserat als unzureichend beanstandet wurden.
Und den Mann im Würgegriff des Geiselnehmers am Berliner Hauptbahnhof (“Bild” nennt nicht nur seinen Beruf, sondern auch Vornamen, Alter und Arbeitsplatz) hat “Bild” auf den vielen Fotos, die ihn in “Todesangst” zeigen, unkenntlich gemacht — und zwar ziemlich genau so, wie wir das auf obigen Fotos demonstrieren.
Nachtrag, 23.11.2007: Auch heute zeigt “Bild” wieder Fotos der Geiselnahme — diesesmal jedoch ohne jegliche Unkenntlichmachung, die ja für gewöhnlich dem Schutz der Persönlichkeit des Abgebildeten dienen soll. Was das Opfer anbelangt, ist “Bild” deswegen heute (anders als gestern bei der weniger als halbherzigen Verpixelung seiner Augenpartie) wohl nichts vorzuwerfen, denn: “In BILD spricht er jetzt exklusiv über den Horror, über die wirren Gedanken des Täters, über die Liebe, die ihn stark machte.” Über den Täter wird inzwischen berichtet, dass er möglicherweise wegen Wahnvorstellungen, die eventuell durch Betäubungsmittel verstärkt worden waren, schuldunfähig gewesen und vom Ermittlungsrichter in eine psychiatrische Klinik eingewiesen worden sei. Grund genug also, noch einmal aus dem Pressekodex zu zitieren: “Liegen Anhaltspunkte für eine mögliche Schuldunfähigkeit eines Täters oder Tatverdächtigen vor, sollen Namensnennung und Abbildung unterbleiben.”