Aktuell kommt es aber wirklich knüppeldick für den TSV 1860 München: die 0:2-Niederlage gestern im Relegationsrückspiel gegen Jahn Regensburg, der sichere Abstieg in die 3. Liga, vielleicht sogar Insolvenz und Abstieg in die Regionalliga, dazu angebliche Erpressungsversuche vom Investor aus Jordanien.
Und dann haut gestern Abend, keine halbe Stunde nach dem verlorenen Regensburg-Spiel, auch noch die “Abendzeitung” aus München 14 Mal obendrauf:
Egal, ob Torwart, Abwehrchef, Mittelfeldregisseur oder Stürmer, in der Startelf oder Einwechselspieler: alle Note 6!
Nun scheint die Zeit, in der Sportredaktionen rücksichtsvoll bei der Notenvergabe agieren (ein Vorgehen, das sich nach dem Suizid des Fußballtorwarts Robert Enke entwickelte), sowieso vorbei zu sein — erst neulich verteilten die “Bild”-Fußballlehrer zwölf Sechsen an “die HSV-Flaschen”. Was für ein Unsinn aber das kollektive Abwatschen durch die “Abendzeitung” ist, zeigt sich beim Blick auf die Kritiken zu den einzelnen Spielern.
Da wäre zum Beispiel Torwart Stefan Ortega, der zwar zwei Gegentore bekam, sich sonst aber keine groben Schnitzer leistete. Die “Abendzeitung” begründet die glatte 6 so:
Note 6. Kam nach 15 Minuten stark gegen Jahn-Torjäger Marco Grüttner aus seinem Tor. Im Sechzehner aber nicht immer auf Höhe. Letztlich schuldlos an den Gegentoren, aber auch er ließ jede Körpersprache vermissen.
Oder Florian Neuhaus:
Note 6. Der Jüngste war noch bester Löwe! Schüttelte mehrmals seine Gegenspieler ab, war der einzige, der auch mal einen gefährlichen Pass spielte, aber auch er tauchte nach der Pause ab.
Oder Levent Aycicek:
Note 6. Nach 27 Minuten mit der größten Chance, als er gegen Jahn-Keeper Philipp Pentke einen Schritt zu spät kam. Mühte sich — vergeblich.
Oder Sascha Mölders:
Note 6. Brachte bis auf ein paar beherzte Sprints nach der Halbzeit keinerlei Gefahr ins Spiel.
Oder Maximilian Wittek:
Note: 6. [Trainer] Pereiras letzter Joker, doch auch brachte nicht die Wende.
In der München-Ausgabe der “Bild”-Zeitung gab es heute ebenfalls Noten für die Spieler von 1860 München: siebenmal Note 6, fünfmal Note 5 (unter anderem Neuhaus und Wittek), zweimal Note 4 (Ortega und Mölders).
Wenn selbst eine “Bild”-Redaktion in ihrem Urteil differenzierter ist, dann muss man etwas falsch gemacht haben.
1. Unpopuläre Populisten (sueddeutsche.de, Jürgen Schmieder)
In den USA zeichnet sich ein neuer Trend ab: Die Nutzerzahlen von “Breitbart” und anderen rechtspopulistischen Webseiten wie “National Review Online”, “Infowars” und “Drudge Report” sind rückläufig. Jürgen Schmieder hat nach den Gründen für diese Entwicklung gesucht und ist auf mehrere Dinge gestoßen: Die “Rebellen” seien nun Teil des Systems. Die Entlassung von FBI-Direktor James Comey am 9. Mai hätte eine Zäsur bedeutet und zahlreiche interne Skandale wie die Pädophilieverharmlosung der Breitbart-Galionsfigur Milo Yiannopoulos hätten das Übrige dazu beigetragen, dass Klicks und Einschaltquoten sinken würden.
2. Die „FAZ“ hat Archiv-Angst (taz.de, Christian Rath)
Unlängst hat die “FAZ” einen offenen Brief als Eigenanzeige veröffentlicht, in dem sich das Verlagshaus gegen das von der Bundesregierung geplante neue Urheberrecht wendet. In Frankfurt sieht man vor allem das Archivgeschäft bedroht und spricht von jährlichen Verlusten in Millionenhöhe. An den FAZ-Vorwürfen sei allerdings nicht viel dran, findet der rechtspolitische Korrespondent der “taz” Christian Rath. Die Befürchtung, dass die Deutsche Nationalbibliothek alle FAZ-Texte aufnimmt und unentgeltlich zur Verfügung stellt, sei beispielsweise unbegründet.
Die Regelung gelte nur, „wenn Inhalte nicht dauerhaft zugänglich sind, wie etwa Blogeinträge“. Presseerzeugnisse seien aber typischerweise dauerhaft verfügbar, etwa in Archiven der Verlage – auch wenn der Zugang hierzu kostenpflichtig ist. Die DNB dürfe sie also nicht online stellen, so das Ministerium.
3. “Wenn es Arte nicht schon gäbe, dann müsste man ihn jetzt erfinden” (deutschlandfunk.de, Bernd Mütter & Brigitte Baetz)
Der deutsch-französische Kulturkanal “Arte” feiert seinen 25. Geburtstag. Der Deutschlandfunk hat sich mit dem stellvertretenden Programmleiter über Gegenwart und Zukunft des Senders unterhalten. Eine Art persönliche Liebeserklärung hat Holger Kreitling auf “welt.de” verfasst. “Bei Arte geht es um Geschmack, immer. Sofort, noch mit der Fernbedienung in der Hand, erfasst einen ein „Gefühl bedeutsamer Weitläufigkeit“ (Thomas Mann). Es ist das Distinktionswerkzeug des Kulturbürgers, der sinistre Pate des Senders heißt von Beginn an Pierre Bourdieu, nirgendwo sind die feinen Unterschiede im Fernsehverhalten so sichtbar wie hier.”
Kritik kommt von Regisseur und Produzent Arne Birkenstock, der sich in einem Gastbeitrag auf “taz.de” darüber beklagt, dass der Sender seine Identität verliere, weil er am großen Dokumentarfilm spare.
4. Die Welt: Den Redakteursjob vergessen?? (klima-luegendetektor.de)
Die “Welt” hat einen Biologen zu Wort kommen lassen, der behauptet, die globale Temperatur sei seit fünfzehn Jahren nicht mehr angestiegen. Und der fordert, dass man darüber reden dürfe, ohne “verunglimpft” zu werden. Die Betreiber des “Klima-Lügendetektors” haben sich die Behauptungen im Detail angeschaut und sind entsetzt: Der betrachtete Zeitraum sei zu kurz, und selbst wenn man dies außer Acht lasse, sei die Aussage schlicht falsch. Eine Pause bei der Erderwärmung habe es ebenfalls nicht gegeben. Zum Schluss erinnern die Lügendetektoren die Redakteure der “Welt” daran, dass die journalistische Sorgfaltspflicht laut Deutschem Presserat auch für Meinungsbeiträge gelte.
5. Was ist neu an Fake News? (derstandard.at, Liriam Sponholz)
Liriam Sponholz hat sich als Wissenschaftlerin mit dem Begriff “Fake News” auseinandergesetzt und die nötigen Abgrenzungen unternommen. So seien “Fake News” kein “Fehlverhalten”, sondern ein Geschäftsmodell und das Resultat einer Click Economy: “Fake News sind weder mit Propaganda noch mit tendenziöser Berichterstattung gleichzusetzen. Im Kern handelt es sich um die systematische Produktion von Meldungen, die einen Realitätsbezug vorgeben, aber wissentlich von der Wirklichkeit abweichen. Es handelt sich um keine Bias, weil eine tendenziöse Berichterstattung ohne Erfindungen auskommt. Fake News lassen sich aber auch nicht mit Propaganda gleichsetzen, weil die Absichten der Produzenten vielfältiger sind und die Produktion nicht alleinig, oftmals sogar gar nicht politisch motiviert ist.”
6. Lokal durch Fake-Story über Menschenfleisch fast ruiniert (futurezone.at, Florian Christof)
Ein Fake-News-Artikel hätte beinahe ein indisches Restaurant in London in den Ruin getrieben. Über eine Prank-Seite, auf der man seine Freunde mit Falschmeldungen reinlegen soll, war das Gerücht in Umlauf gebracht worden, dass das Lokal schließen müsse, weil dort angeblich Menschenfleisch auf der Speisekarte stand.
Läuft es Ihnen auch noch eiskalt den Rücken runter, wenn Sie an diesen schicksalsvollen Tag im vergangenen Jahr denken? Da wollen die Briten doch tatsächlich raus aus der EU.Da wählen die US-Amerikaner doch tatsächlich Donald Trump zu ihrem neunen Präsidenten. Da trennen sich doch tatsächlich Sarah und Pietro Lombardi.
Seit Oktober 2016 ist nichts mehr, wie es einmal war. Das Liebes-Aus von Sarah und Pietro Lombardi (beide 24) schockte eine ganze Nation.
Äh, ja.
Aber irgendwie sind sie bei Bild.de nicht nur geschockt, sondern auch ziemlich genervt vom Liebes-Hickhack des einstigen “DSDS”-Traumpaars:
Exakt diese Frage — “HÖRT DAS DENN NIE AUF?” — stellen wir uns im Zusammenhang mit Sarah Lombardi und Pietro Lombardi und Bild.de auch schon eine ganze Weile. Warum? Darum:
Wann man den Schlussstrich ziehen sollte, Bild.de? Lieber heute als morgen.
1. AfD, Broder und Tichy verleumden Margot Käßmann als Rassistin (uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Boris Rosenkranz nennt es eine “heilige Hetzjagd”, was die AfD in den letzten Tagen mit der Theologin Margot Käßmann veranstaltet hat. Mit einem vermeintlichen Zitat wollte man ihr Rassismus andichten, doch das gegen sie verwendete Zitat war aus dem Zusammenhang gerissen und sinnentstellend verkürzt. Die Verleumdungsbotschaft wurde bereitwillig unterstützt von rechten Blogs und Foren und Personen wie Henryk M. Broder (“Die Welt”) oder Roland Tichy (“Tichys Einblick”), aber auch Leuten wie der ehemaligen CDU-Politikerin Erika Steinbach und der Berliner AfD-Vorsitzenden Beatrix von Storch. Boris Rosenkranz hat sich Inhalte und Form der Käßmann-Kampagne näher angeschaut und analysiert. Mittlerweile hat sich auch der Faktenfinder der “Tagesschau” mit dem Vorgang beschäftigt und auch auf der neuen Plattform “Fearless Democracy” gibt es eine Aufarbeitung des Falls mit einer Visualisierung des Twitterverhaltens: Wie sowas läuft: Ein Blick in Margot Käßmanns Shitstorm
2. E-Privacy-Verordnung: Verlage wollen Leser beim Tracking entmündigen (netzpolitik.org, Markus Reuter )
In einem offenen Brief an das Europäische Parlament haben sich einige europäische Verlage (darunter aus deutscher Sicht die “FAZ”, die “Zeit”, “Gruner + Jahr” und die “SZ”) gegen die neue ePrivacy-Verordnung der EU gewandt. Stein des Anstoßes ist eine Passage, die es Nutzern erlaubt, das Werbetracking auf Webseiten zu unterbinden. Darin sehen die Verlage eine Gefährdung ihrer Einnahmequellen. Markus Reuter ordnet das Ganze aus netzpolitischer Sicht ein. Beim Thema Datenschutz würden sich die Verlage einmal mehr als Gegner der Rechte von Bürgerinnen und Bürgern zeigen.
3. Breitbart stürzt ab (deutschlandfunknova.de, Diane Hielscher & Martina Schulte)
Donald Trump hat seinen Wahlsieg auch dem rechten Medienportal “Breitbart” zu verdanken, das unablässig für ihn trommelte und seine Gegner niederschrieb. Nach seiner Inauguration ernannte Trump den damaligen Chefredakteur Steve Bannon zu seinem zukünftigen Berater und Chefstrategen. Man hätte meinen können, dass “Breitbart” nun zum neuen Mediengigant der Trump-Ära wird, doch das Gegenteil ist der Fall: Die Reichweite der Seite ist dramatisch gesunken. Martina Schulte ist dem Phänomen nachgegangen.
4. Tagesschau-Chefredakteur wartet vergeblich auf Trolle (faz.net, Frank Lübberding)
“ARD-aktuell”-Chef Kai Gniffke hat Hasskommentatoren zu sich in den Videochat eingeladen, doch es kam keiner. Kein Wunder, findet Frank Lübberding: “Es gehört zu den kulturellen Codes einer funktionierenden Gesellschaft, nicht jedem alles ins Gesicht zu sagen. Nicht jede Wahrheit (oder auch Lüge) auszusprechen, erleichtert das menschliche Zusammenleben. Das Lästern hinter dem Rücken der Betroffenen hat das noch nie verhindert. Diese Erfahrung wird man sicherlich auch in den diversen ARD-Redaktionen schon gemacht haben. Trotzdem wirkte Gniffke regelrecht enttäuscht, warum keiner der Hasskommentatoren dieses Gesprächsangebot namens „Sag’s mir ins Gesicht“ angenommen hatte. Er wurde weder beleidigt, noch hat ihm ein Zuschauer seinen Hass auf die ARD erklärt.” Nachtrag: Mittlerweile hat sich auch Anja Reschke im Life-Chat ihren Kritikern gestellt. Auf “tagesschau.de” gibt es ein Interview mit Reschke: “Ich bin keine ARD-Marionette”.
5. Donald Trumps (fast) unsichtbarer Kopfhörer (uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Hat Donald Trump tatsächlich nicht zugehört, als der italienische Ministerpräsident Paolo Gentiloni über Afrika sprach? Trump trug schließlich keine direkt sichtbaren Kopfhörer für die Simultanübersetzung wie viele der Anwesenden. Viele Medien nahmen dies als Anscheinsbeweis, doch so einfach ist die Sache nicht wie Stefan Niggemeier auf “Übermedien” ausführt.
6. Klarstellung in Sachen “Die Hölle erwartet euch” (facebook.com, Mathias Richel)
Vielleicht haben Sie das Bild gesehen, das die letzten Tage viral ging: Ein Mann hält eine Art selbstgebasteltes Transparent hoch, auf dem er einer wirr zusammengesetzten Zielgruppe (“Säufer, Lügner, Partytiere, Drogen-Freaks, Ehebrecher, Porno-Freaks, Selbstbefriediger, Huren, Diebe, Zauberer, Lästerer, Heuchler, Homosexuelle, Habsüchtige, Götzendienen, Feministen, Falsche Christen, Atheisten”) zuruft: “Die Hölle erwartet euch”.
Das Bild wurde oft fälschlicherweise dem Kirchentag in Berlin zugeordnet, ist jedoch beim DFB-Pokalfinale entstanden, wie Mathias Richel anmerkt, der das Foto direkt vor dem Stadion geschossen hat. “Mir ist vollkommen klar, dass dieser erklärende Beitrag hier fast niemanden von denen erreichen wird, die jetzt mit dem Bild beweisen wollen, dass die Christen auf dem Kirchentag nicht alle Tassen im Schrank haben. Aber ich will wenigstens alles dafür getan haben, damit dieses Bild zunächst einmal genau das nur für diesen Mann belegt und nicht andere fälschlicherweise mit dem verrührt werden.”
In Kapstadt ist Medizinern vor wenigen Tagen etwas Besonderes gelungen: In einer neuneinhalbstündigen Operation haben sie erfolgreich einen Penis transplantiert. Auch Bild.de berichtete über diese “medizinische Sensation in Südafrika”, wobei der Fokus in der Überschrift eher auf den Hautfarben von Spender und Empfänger lag und nicht so sehr auf der Leistung der Ärzte:
Was wird dem durchschnittlichen Bild.de-Leser beim Betrachten dieser Schlagzeile wohl durch den Kopf gehen? Und welche Folgefrage halten die Mitarbeiter aus der Redaktion für besonders dringend?
a) Menschenskinder — toll, was Ärzte heutzutage so alles hinbekommen! Wie funktioniert das denn?
b) Nanu?! Ein Weißer und ein Schwarzer? Reagieren die nicht allergisch aufeinander?
c) Ohgottohgott! Kann man mir meinen Penis auch einfach wegnehmen?
Klar, Bild.de weiß eben, was die eigene Leserschaft umtreibt:
Nach der erfolgreichen Penis-Transplantation in Kapstadt fragen sich viele Besitzer eines Organspende-Ausweises: Gehört auch der Penis zu den Organen, die nach dem Tod entnommen werden können?
Die Antwort darauf ist aktuell wohl nein.
Für jene Leser, die dennoch um ihren Penis fürchten, hat das Bild.de-Team einen Nummer-sicher-Tipp:
Wer also auf Nummer sicher gehen möchte, kann auf seinem Organspende-Ausweis Organe vermerken, dass der Penis nicht zu den Spender-Organen zählt.
Den besonders Begriffsstutzigen hat das Penisportal das Ganze auch noch mal als Grafik zur Verfügung gestellt:
Vielleicht sind die Geschlechtsteilexperten von Bild.de aber auch nur so vorsichtig, weil sie schon ahnten, was ein Urologe ihnen und ihren zahlenden “Bild plus”-Kunden heute erklärt hat:
Und wer will schon fahrlässig seine “Antenne des Herzens” aufs Spiel setzen?
Es ist ein großes Glück, dass in der Redaktion der “Bild”-Zeitung so viele feinfühlige Eltern sitzen. Andernfalls hätte die Berichterstattung des Boulevardblatts über den Anschlag in Manchester nämlich ganz anders ausgesehen.
In dieser Woche erreichten mich mehrere Zuschriften von Lesern, die meinten, man hätte darauf verzichten sollen, die Fotos der Opfer von Manchester zu zeigen. (…)
Viele Mitarbeiter haben Kinder im Alter der Ermordeten. Und so wurde die Auswahl der Fotos eben nicht nur von Journalisten getroffen, sondern von Müttern und Vätern, die sich fragten: Würde ich mein Kind so zeigen, wenn meine eigene Familie von diesem Grauen betroffen wäre? (…)
Die Auswahl eines jeden Fotos war eine Gewissensentscheidung. Ich finde, das Gewissen der Mütter und Väter in der Redaktion hat bei der Auswahl der Fotos aus Manchester richtig entschieden.
Und das dank der “Mütter und Väter in der Redaktion”. Die sollen sich also gefragt haben: “Würde ich mein Kind so zeigen, wenn meine eigene Familie von diesem Grauen betroffen wäre?” Nun orientiert sich das Persönlichkeitsrecht und das Recht am eigenen Bild und auch der Pressekodex in der Regel nicht an einer hypothetischen Entscheidung des durchschnittlichen “Bild”-Redakteurs. Die richtigere Frage wäre wohl gewesen: “Wollen die Eltern, dass ihr Kind so gezeigt wird?” Und diese Frage hätten die “Bild”-Mitarbeiter am besten nicht sich selbst gestellt, sondern den betroffenen Eltern.
Haben sie aber nicht gemacht und sich stattdessen entschieden, “Fotos aus den glücklichen Tagen der ermordeten Kinder zu zeigen”. Ernst Elitz verkauft diese Entscheidung beinahe als Wohltat:
BILD entschied auch, Fotos aus den glücklichen Tagen der ermordeten Kinder zu zeigen, damit sie uns mit ihrem Lächeln, ihrer Hoffnung, ihrer Schönheit in Erinnerung bleiben. Als ein Zeugnis der Liebe, das uns von den Terroristen unterscheidet.
Halten wir also schon mal fest: Sollten die Kinder der “Bild”-Mitarbeiter jemals in ein derartiges Unglück geraten — was hoffentlich niemals geschehen wird! –, kann man ohne Bedenken ihre Facebook- und Instagram-Seiten plündern und die dort zu sehenden Fotos ins Internet stellen, Bezahl-Artikel mit ihnen füllen, sie hunderttausendfach drucken. Schließlich haben die “Mütter und Väter in der Redaktion” die Frage “Würde ich mein Kind so zeigen, wenn meine eigene Familie von diesem Grauen betroffen wäre?” mit einem kräftigen “Ja!” beantwortet. Sie haben dabei auf Collagen zurückgegriffen, auf denen Personen zu sehen waren, die zur Zeit des Anschlags nicht mal in Großbritannien waren. Sie haben einen Text über die 18-jährige Georgina veröffentlicht, Titel: “Ausgelöscht!”, der fast ausschließlich aus Postings des Mädchens in verschiedenen Sozialen Netzwerken besteht. Um ihn lesen zu können, braucht man ein “Bild plus”-Abo. Es soll bei solchen Artikeln also darum gehen, ein kleines Denkmal für dieses Mädchen zu errichten, ein “Zeugnis der Liebe”, wie Ernst Elitz schreibt? Nein, es geht ums Geldverdienen mit verstorbenen jungen Menschen.
Die “Bild”-Eltern haben sich auch dazu entschlossen, verletzte Kinder und Jugendliche zu zeigen, die nach dem Anschlag schockiert und verwirrt und voller Panik durch Manchester laufen. Immerhin — das stellt auch Elitz heraus (“Die Redaktion entschied dabei sehr bedacht, machte die Gesichter der flüchtenden Kindern unkenntlich.”) — haben sie dabei nicht jedes, aber viele der Gesichter verpixelt.
Fast alle dieser Fotos, die die feinfühligen Mütter und Väter aus der “Bild”-Redaktion unkenntlich gemacht haben, sind auch bei Bild.de erschienen. Dort allerdings bis heute ohne irgendeine Verpixelung. Auch das wäre eine Erkenntnis aus Ernst Elitz’ Verteidigungsschrift: Bei Bild.de arbeiten offenbar nur Kinderlose ohne Gewissen.
1. Heiko Maas macht die freie Presse kaputt (faz.net, Thomas Thiel)
Es sind heftige Worte, die “FAZ”-Redakteur Thomas Thiel für das neue Gesetzesvorhaben zum Urheberrecht findet. Die Digitalisierung von Presseartikeln und Aufnahme in Bibliotheken bedeute schwerwiegende Einnahmeverluste, die er alleine für die “FAZ” auf einen siebenstelligen Betrag beziffert. Justizminister Heiko Maas mache damit die freie Presse kaputt. Wenn Maas damit durchkäme, werde es keine freien Zeitungsverlage mehr geben. “Wer gibt dem Justizminister das Recht, Privateigentum gegen eine weitestgehend wertlose Entschädigung in Staatseigentum umzuwandeln? Meint er vielleicht, dass auch die Arbeit von Redakteuren und freien Autoren vom Staat bezahlt wird? Und wie kommt er dazu, die Arbeit ganzer Berufszweige zu verhöhnen? So ein Entwurf konnte nur zustande kommen, weil im Justizministerium die Verachtung geistiger Leistungen um sich gegriffen hat.”
Nicht alle gehen mit dem Entwurf für das neue Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz derart hart ins Gericht: Auf der Urheberrechtsplattform “irights.info” werden die Beschwerden der Verlagsbranche als “kalkulierte Horrorszenarien” bezeichnet.
2. Die Fans haben nicht Helene Fischer ausgepfiffen, … (sueddeutsche.de, Martin Schneider)
Martin Schneider beschäftigt sich auf süddeutsche.de mit dem brutalen Pfeifkonzert, das sich Helene Fischer in der Halbzeitpause des DFB-Pokalfinales hat anhören müssen. Schneider sieht jedoch nicht die Sängerin in der Kritik, sondern die Kommerzialisierung und “Eventisierung” des Fußballs allgemein: “Wer Helene Fischer in der Halbzeit auftreten lässt, vermittelt auch die Botschaft: Mir reicht eure Stimmung nicht, ich will selbst für mehr Stimmung sorgen. Der Deutsche Fußball-Bund hätte das ahnen können. Er weiß, dass er es bei Frankfurtern und Dortmundern mit anderen Fans zu tun hat, als beim Familien-Publikum der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Er hat es trotzdem riskiert und Helene Fischer der Arena ausgeliefert, wenn man so will.”
3. Jan Böhmermann füllt Hörsaal, aber keine Köpfe (jetzt.de, Peter Krauch)
806 Menschen drängelten sich im größten Hörsaal ReWi1 an der Universität Mainz, als Jan Böhmermann zum “SWR UniTalk” erschien. Die Karten für die Veranstaltung sollen binnen 10 bis 15 Minuten vergriffen gewesen sein… Peter Krauch geht der Frage nach, warum Böhmermann derart viele Menschen anzieht, dass sie zu Hunderten in einen Hörsaal drängen, nur um ihn live auf der Bühne zu sehen. “Die richtigen Botschaften und Themen hatte Jan Böhmermann im Gepäck, um junge Leute zu engagierteren Bürgern zu machen. Die Frage ist, ob er das will. Vielleicht ist der Hype um ihn für dieses Vorhaben auch zum Verhängnis geworden, weil sich viele nicht für das interessieren, was der Mensch Jan Böhmermann, außerhalb seines Berufs als Satiriker, zu erzählen hatte.”
4. Publikum (neues-deutschland.de, Leo Fischer)
Nicht nur für schlechte Menschen, sondern auch für ausgemachte Jammerlappen hält Leo Fischer einige “Bild”-Journalisten. Diese würden auf Twitter kräftig austeilen, aber nicht einstecken können: “Am liebsten hätten sie ihr Publikum wieder so wie vor dem Internet: eine stumme, folgsame Masse, die widerstandslos das herunterschluckt, was sie ihnen vorsetzen. Sie wollen die Reichweite und die Wirkmacht von Twitter, ohne jedoch den Widerspruch auszuhalten, der ihnen dort entgegenhallt.” Fischer dreht den Spieß um und fordert den Twitter-Support auf: “Löscht Diekmann, Reichelt, Röpcke! Es handelt sich um gefährliche Trolle, die Hassbotschaften verbreiten und überdies eure Geschäftsgrundlage beschädigen!”
5. Käßmann erwägt rechtliche Schritte gegen Fake News nach AfD-Kritik (chrismon.evangelisch.de)
Was passieren kann, wenn man Sätze verkürzt und aus dem Kontext löst, kann man derzeit beim Streit um ein angebliches Zitat der prominenten evangelischen Theologin Margot Käßmann sehen. Diese hatte auf dem Kirchentag in Berlin die Forderung der AfD nach einer höheren Geburtenrate kritisiert. Es wurden jedoch vereinzelt Sätze angeführt, die belegen sollten, dass Käßmann alle Bürger mit deutschen Ahnen zu Neonazis erklärt hätte. Für Käßmann eine “lächerlich und absurde” Unterstellung, gegen die sie rechtliche Schritte erwäge.
6. Über Tweetklau (xbg.blogsport.eu, Klaas Berger)
“Darf man eigentlich nach Telefonaten fremder Leute in der U-Bahn Fragen stellen, wenn einem etwas unklar geblieben ist?” Haben Sie den Spruch schon mal irgendwo gesehen? Die Wahrscheinlichkeit ist groß, denn er taucht immer wieder auf, ob in Witzesammlungen, auf Twitter oder bei Facebook. Gestern hat zum Beispiel die “Zeit” eine entsprechende Bildtafel retweeted, der aus dem Fundus einer geradezu industriellen Tweetverwertungsmaschinerie stammt und noch dazu einen falschen Urheber nennt. Eine schöne Gelegenheit, an den Tweetklau-Artikel von Klaas Berger zu erinnern, von dem der Spruch ursprünglich stammt.
Redaktionen, die über terroristische Anschläge berichten, müssen besonders aufpassen, dass sie den Attentätern keine allzu große Bühne bieten. Denn auch das wollen diese mit ihren grässlichen Taten ja erreichen: Aufmerksamkeit. Natürlich muss über ein so grausames Geschehen wie in Manchester berichtet werden — der Täter sollte dabei aber unter keinen Umständen heroisiert werden.
Das hat heute beim österreichischen Knallportal oe24.at nicht ganz geklappt:
Das war zeitweise tatsächlich die Überschrift auf der Startseite.
Die britische Polizei hat gestern Fotos einer Überwachungskamera veröffentlicht, die den Attentäter kurz vor dem Anschlag zeigen. Er trägt Turnschuhe, eine Jeans, eine gefütterte schwarze Weste oder Jacke und auf dem Kopf eine Kappe. Und weil Weste/Jacke und Turnschuhe von namhaften Marken stammen, macht oe24.at ihn in der Schlagzeile zur Style-Ikone und liefert im Text die Preise seiner Klamotten nach:
Hollister-Jacke und Nike-Schuhe
Um perfekt mit den Zusehern zu verschmelzen, griff Abedi für sein Outfit tief in die Tasche: Mit einer Hollister-Jacke um 75 Euro und “Nike Air Jordan”-Turnschuhen um 170 Euro jagte sich der feige Attentäter in die Luft. Auch eine Baseball-Kappe und Navy Jeans hatte er angezogen.
Dass die “stylisch”-Überschrift vielleicht nicht ganz angemessen ist, merkten auch die Mitarbeiter des Nachrichtenportals. Sie änderten die Überschrift etwas ab:
Style hatte der Mann, der für den Tod von 22 Menschen verantwortlich ist, für oe24.at aber weiterhin.
Dass selbst die “gestylt”-Überschrift vielleicht nicht ganz angemessen ist, merkten auch die Mitarbeiter des Nachrichtenportals. Inzwischen ist der komplette Artikel von der Seite verschwunden.
Wenn zu einem Thema schon so gut wie alles berichtet wurde, muss man ganz schön was konstruieren lange nachdenken, um doch noch einen neuen Aspekt zu finden. Nehmen wir als Beispiel das Finale um den DFB-Pokal zwischen Eintracht Frankfurt und Borussia Dortmund heute Abend. “Bild” und Bild.de hatten am Mittwoch beziehungsweise Dienstagabend einen Artikel mit einem ganz eigenen Dreh dazu veröffentlicht:
Zum Hintergrund: BVB-Profi Felix Passlack (noch bis übermorgen 18 Jahre alt) hat am Montag bei den A-Junioren seines Vereins mitgespielt und im Finale um die Deutsche U19-Meisterschaft den FC Bayern München geschlagen. Das ist Titel Nummer eins. Heute Abend kann er mit den BVB-Profis den DFB-Pokal gewinnen. Das wäre Titel Nummer zwei.
Also, die Frage, die “Bild” und Bild.de stellen:
Holt dieser Dortmunder in einer Woche mehr Titel als Bayern in der gesamten Saison?
Der Rekordmeister konnte sich in diesem Jahr nur die Schale in der Liga holen.
Das stimmt nicht. “Der Rekordmeister”, also der FC Bayern München, hat nicht nur “die Schale in der Liga”, also die Deutsche Meisterschaft, geholt, sondern zu Saisonbeginn auch den DFL-Supercup. 2:0 gewannen die Bayern am 14. August 2016 gegen Borussia Dortmund. Beim Supercup stehen sich der Meister und der Pokalsieger aus der Vorsaison gegenüber; sollten Meister und Pokalsieger identisch sein, spielen Meister und Vizemeister gegeneinander. Der DFL-Supercup gilt als der erste Titel, der in der jeweils neuen Fußball-Saison ausgespielt wird.
Das alles klingt nach Erbsenzählen und Haarespalten? Sicher, etwas. Aber eine Redaktion, die direkt über dem großen Artikel zum Titelsammler Felix Passlack verkündet …
Fangen wir mit drei Binsenweisheiten an: 1) US-Präsident Donald Trump spricht Englisch. 2) Deutsche Medien berichten in der Regel auf Deutsch. 3) Wenn deutsche Medien über eine Aussage von Donald Trump berichten wollen, müssen sie diese Aussage vom Englischen ins Deutsche übersetzen. Und da liegt das Problem.
“Spiegel Online” hatte gestern zuerst über Trumps Deutschland-Schelte berichtet. Die Aussage stammt aus einem nicht-öffentlichen Treffen des US-Präsidenten mit Vertretern der EU in Brüssel. “Spiegel Online” schreibt:
US-Präsident Donald Trump hat sich bei seinem Treffen mit der EU-Spitze in Brüssel heftig über den deutschen Handelsbilanzüberschuss beklagt. “The Germans are bad, very bad”, sagte Trump. Dies erfuhr der SPIEGEL von Teilnehmern des Treffens.
Nun kann das englische Wort “bad” vielesbedeuten: schlecht (so beispielsweise von süddeutsche.de übersetzt), schlimm, schwierig, schädlich, mangelhaft und auch ungezogen oder böse. Dass Trump mit “The Germans are bad, very bad” sagen will, dass “die Deutschen” “böse, sehr böse” seien, ist nicht so eindeutig, wie die Titelzeile bei “Spiegel Online” es darstellt. Hätte er “The Germans are evil, very evil” gesagt, wäre es etwas anderes.
Apropos “evil”: Die Nachricht, die “Spiegel Online” gestern Abend exklusiv veröffentlichte, griffen auch englischsprachige Medien auf. Bei der Rückübersetzung vom Deutschen ins Englische machten sie mitunter aus “Die Deutschen sind böse, sehr böse” interessanterweise “The Germans are evil, very evil”: