Amokfahrt von Münster, Weg mit der Börse, Medien, die auf Türen starren

1. Anschlag? Amoktat? Todesfahrt?
(taz.de, Daniel Bouhs)
Sollten Medien sich bei unsicheren Lagen frühzeitig auf ein Szenario festlegen? Und hat die Polizei nach dem Vorfall in Münster mit mehreren Stimmen gesprochen wie vom Digitalableger der „Rheinischen Post“ behauptet? „RP Online“ hatte relativ früh von einem „Anschlag“ gesprochen, sich danach aber transparent korrigiert. Auch die ARD glaubte an das Werk von Terroristen und hatte bereits einen „Brennpunkt“ angesetzt. Dort ruderte Programmdirektor Volker Herres zurück und erklärte auf Twitter, weshalb man auf die Sendung verzichtet habe.
Weitere Lesetipps: Bei „Spiegel Online“ schreibt Arno Frank über die Tweets der AfD-Politikerin Beatrix von Storch: „Es ist hier eine ganz spezielle Armseligkeit am Werk, die durch soziale Medien ihre volle Kraft entfaltet.“
In Gegen die Panik plädiert Dirk von Gehlen für mehr Social-Media-Gelasenheit und stellt einen Sieben-Punkte-Plan für Besonnenheit und Ruhe vor. (sz.de, Dirk von Gehlen)

2. Alles für die Blase
(sueddeutsche.de, Alexander Mühlauer)
In der so bezeichneten “Brussels Bubble” tummeln sich alle, die sich als Teil der EU-Machtmaschine verorten. Für diese Zielgruppe aus Kommissaren, Abgeordneten, Lobbyisten und Journalisten gibt es die Europa-Ausgabe von „Politico“. Es sei ein „exklusiver Club für Leser, die es sich leisten können, für Informationen zu zahlen“, schreibt Alexander Mühlbauer. In Amerika gäbe es bereits „Pro-Abos“, die bei Organisationen im hohen fünfstelligen Bereich liegen können: „Die Frage ist allerdings, was das noch mit klassischem Journalismus zu tun hat, denn Politico schließt damit den Großteil der Öffentlichkeit aus. Es ist vielmehr ein exklusiver Leserclub für Zahlungskräftige. Eine Pflichtlektüre kann das nur äußerst bedingt sein, schließlich ist es für viele schlicht zu teuer.“

3. Eben noch auf der Straße, jetzt in der Kunstgalerie
(faz.net, Andrea Diener)
Das Verfassungsgericht hat sich mit der sogenannten Straßenfotografie beschäftigt. Das Gericht habe einerseits die Legalität der Straßenfotografie unterstrichen und andererseits Grauzonen geschaffen, wie Andrea Diener in der “FAZ” schreibt: „Die Aushandlung dieser neu geschaffenen Grauzone dürfte wieder einige Jahrzehnte lang die Fotografen in die Verzweiflung treiben – bleibt zu hoffen, dass es nicht wieder mehr als hundert Jahre dauert, bis sich an der Gesetzeslage etwas bewegt.“

4. YouTube statt TV: Diese Sender bieten Millionen-Reichweiten günstig auf der Video-Plattform an
(omr.com, Torben Lux)
Sollen TV-Sender ihre Inhalte nicht nur in der eigenen Mediathek, sondern auch auf Youtube veröffentlichen? Dafür sprechen die kostengünstige Reichweiten- und Zielgruppenvergrößerung und die Werbeeinnahmen, dagegen die Verstärkung der Publikumsabwanderung. „Veescore“-Gründer Christoph Burseg hat die Performance deutscher Fernsehsender und einzelner Formate ausgewertet und stellt die zehn erfolgreichsten Kanäle vor.

5. Fernsehen für die Parallelgesellschaft
(spiegel.de, Thomas Fricke)
Thomas Fricke widmet sich einer der „verrücktesten Minderheitensendungen, die es je gab“, der “Börse vor acht“ (ARD): „Nun ist jede Minderheit bei uns natürlich willkommen – und darf nicht einfach diskriminiert werden. Klar. Und es ist natürlich auch wichtig, dass Unternehmen Geld bekommen; und die Leute was über Wirtschaft lernen. Muss es aber unbedingt Börsen-TV sein? Zur besten Sendezeit? Ab ins Nachtprogramm damit! Da, wo Fernsehen für Sonderbares sonst ja auch hin verschoben wird.“

6. Warten auf Puigdemont
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz, Video, 2:22 Minuten)
Die Blicke der Welt, so schien es, waren auf eine Tür gerichtet: Unzählige Medienvertreter hatten sich im schleswig-holsteinischen Neumünster versammelt, um den Moment festzuhalten, in dem der katalanische Separatistenführer Carles Puigdemont die JVA verlassen würde. Boris Rosenkranz hat daraus einen packenden Einakter geschnitten.

Der Troll-Journalismus übernimmt

Ein Gastbeitrag von Alf Frommer

Der Journalist Jens Jessen war bisher wohl vor allem Kollegen und “Zeit”-Lesern ein Begriff. Seit dieser Woche kennt ihn zumindest das netzaffine Deutschland zur Genüge: Seine provokative Titelgeschichte über das Ende des Mannes …

Ausriss der Zeit-Titelseite - Schäm dich Mann

… trifft zielgenau sowohl den Nerv der Zeit als auch einen Ton, der Aufmerksamkeit garantiert. Jessen schreibt vom “Triumph des totalitären Feminismus”, vom “Schema des bolschewistischen Schauprozesses”, dem “das System der feministischen Rhetorik” folge, vom “feministischen Volkssturm”, “diesem Zusammentreiben und Einsperren aller Männer ins Lager der moralisch Minderwertigen”. Es folgten Kritik und Entsetzen in sozialen Netzwerken und Online-Artikeln.

Im Journalismus sind die Troll-Mechanismen der Kommentarspalten nun sogar in Leitartikeln von seriösen Medien zu finden. Trolle sind sattsam bekannt, weil sie jede noch so respektvolle Diskussion im Netz durch hanebüchene Beiträge in ihr genaues Gegenteil umkehren. Aussagen, Behauptungen und Meinungen, die im Grunde nur stören und zerstören wollen, machen eine sinnvolle Lösungssuche vollkommen unmöglich. Was man früher an den “Klowänden des Internets” bewundern durfte, blickt einem heute von der Titelseite einer journalistischen Institution entgegen.

Genau dies hat Jens Jessen gemacht: Provoziert und verzerrt, um nach Aufmerksamkeit zu heischen. Und er ist damit beileibe nicht allein. Schon vor drei Jahren hatte sich die damalige “Welt”-Journalistin Ronja von Rönne vor dem Feminismus nach eigener Aussage geekelt. Das Thema taugt sowieso hervorragend für Troll-Journalismus, weil man damit zumindest den Nerv vieler Männer treffen kann, die sich benachteiligt fühlen. Das Genre ist gar nicht dafür da, ernstgemeinte Beiträge abzuliefern, sondern soll nur die Aufmerksamkeitsökonomie bedienen. Gut ist, was Klicks, Auflage und Reichweite bringt. Es geht nicht um die Qualität des Debattenbeitrags, sondern um Quantität. Ob radikale Positionen wie “Ekel” oder der weinerliche Abgesang auf den Mann eine wichtige gesellschaftliche Diskussion weiterbringen, ist komplett egal. Hauptsache, man ist im Gespräch — nicht mit Menschen mit anderen Meinungen, sondern in der öffentlichen Wahrnehmung. Das macht den Troll-Journalismus so banal wie gefährlich.

Der Godfather of Troll-Journalismus ist und bleibt natürlich Julian Reichelt. Der “Bild”-Chef hat das System perfektioniert und in Serienreife gebracht. An ernsthafter Diskussion ist “Bild” nicht interessiert, es geht nur darum, gesellschaftliche Reizpunkte zu setzen. Alarmismus, wohin man blickt. Aktuell nutzt Reichelt dazu gern Gesundheitsminister Jens Spahn, der im Grunde ein Troll der Politik ist: Spahn hat die (Internet-)Mechanismen genauso verinnerlicht wie viele Medienvertreter. Er setzt mit kurzen harten Statements (“Hartz IV bedeutet nicht Armut”) sogenannte Diskussionen in Gang, die zu nichts führen. Das Duo Reichelt/Spahn arbeitet Hand in Hand, erst vor zwei Tagen wieder auf der “Bild”-Titelseite:

Ausriss der Bild-Titelseite - Groko-Minister tritt Debatte los - Sorge um Recht und Ordnung in Deutschland

Sie zeichnen das Bild eines Deutschlands, in denen kriminelle Clans die Städte übernommen haben, der Islam unsere christliche Kultur zerstört oder niemand mehr Diesel fahren darf. Alles Unsinn oder so nicht wahr. Aber es geht ja nicht um die Sache, sondern darum, den Ton zu setzen und die Agenda zu bestimmen.

Was man bei “Bild” getrost als moderne Erweiterung des Geschäftsmodells verstehen kann, sorgt für Nachdenklichkeit, wenn auch Medien wie “Welt” oder “Zeit” Troll-Journalismus nutzen. Zwar hat schon Maxim Biller in “Tempo” in seinen “100 Zeilen Hass” mehr polarisiert als abgewägt, doch “Tempo” war halt “Tempo” und Billers Kolumne mehr Kunstform als Debattenbeitrag. Wir können uns darauf einstellen, dass wir nun öfter Artikel wie jene von Jessen oder von Rönne sehen werden. Aber was bringt es? Oft nicht mal den Schreibern selbst etwas. Oder kann sich jemand an irgendeinen relevanten Artikel von Ronja von Rönne aus den vergangenen drei Jahren erinnern? Genau.

Letztendlich Wurscht, Keine Nazibilder, Altersfeststellung

1. So. Jetzt wisst ihr mal, mit wem ihr es hier zu tun habt.
(facebook.com, Judith Liere)
Jens Jessen, der ehemalige Ressortleiter des Feuilletons der Wochenzeitung „Die Zeit“ hat sich in einer Titelstory bei seinem alten Arbeitgeber über die #Metoo-Debatte ausgetobt. Jessen geht es um den „bedrohten Mann“ und den „Triumph des totalitären Feminismus“.
Die von ihm namentlich erwähnte Journalistenkollegin Judith Liere hat sich mit einer Facebook-Gegenrede zu Wort gemeldet, die all die Wirrheit und Absurdität der Jessenschen Vorwürfe in einer Art Zitatensammlung vereint. (Der Hintergrund: Jessen hatte sich anscheinend an Judith Lieres „Stern“-Artikel zur #MeToo-Debatte gestört. Einem Beitrag aus dem Februar, der immer noch lesenswert ist.)


In der „taz“ findet Patricia Hecht deutliche Worte über Jessen : „Alles was er schreibt, wurde schon tausendmal vom Patriarchat ausgekotzt.“
Bei “Gender Equality Media” hat sich die “totalitäre Feministin” Penelope Kemekenidou direkt an den “Zeit”-Autor gewandt (“Lieber Jens, ich glaube kaum dass ich das mal sagen muss, aber: Sei mal nicht so hysterisch.”)
Auch die Kollegen des „Zeit“-Ablegers für junge Leser „Ze.tt“ gehen auf Abstand. Jessen deute die Anliegen der Debatte grundlegend falsch und inszeniere einen Geschlechterkampf zwischen Mann und Frau.
„Vice“ hat auf seine eigene Art reagiert und veröffentlicht einen „ultimativen Artikel-Generator für empörte weiße Männer“.
Die beste Realsatire liefert jedoch Autor Jens Jessen selbst. In einem schon jetzt legendären dreiminütigen Radio-Interview stammelt, haspelt, ächzt, kichert und schwafelt er sich durch das Gespräch, dass man an einen misslungenen Loriot-Sketch glaubt. 
Und findet Worte, die seine Gedankenwelt ganz gut zusammenfassen: „Natürlich können Sie auch sagen: Es ist mir Wurscht. Letztendlich ist es vielleicht auch Wurscht.“

2. Facebook: Datenabgriff von 87 Millionen Nutzern ist nur Spitze des Eisberges
(netzpolitik.org, Markus Beckedahl)
Nach Angaben von Facebook sollen bis zu 87 Millionen vom Datenabgriff von „Cambridge Analytica“ und Co. betroffen sein. Das sei aber nur die Spitze des Eisberges, wie Markus Beckedahl auf „Netzpolitik.org“ schreibt. Das Unternehmen hätte erklärt, dass durch ähnliche Datenabgriffe wohl fast alle zwei Milliarden Nutzer betroffen sein können. Beckedahl kommentiert: „Währenddessen ist in der öffentlichen Debatte zumindest der CDU/CSU-Teil der Bundesregierung abgetaucht. Dort arbeitet man im Hintergrund daran, schärfere Regeln gegen Tracking und Datenmissbrauch im Rahmen der ePrivacy-Verordnung auf EU-Ebene zu verhindern. Die Bundesdatenschutzbeauftragte bereitet sich offensichtlich schon auf ihren Ruhestand vor.“
Weiterer Lesetipp: Die FAQ zum Facebook-Skandal (faktenfinder.tagesschau.de, Dennis Horn)

3. Hussein K.-Prozess: Fake News von einer journalistischen Instanz
(augsburger-allgemeine.de, Philipp Kinne)
Die bekannte Gerichtsreporterin und Starjournalistin Gisela Friedrichsen hat für die „Welt“ über den Fall des verurteilten Mörders Hussein K. berichtet. Dort sei es auch um das Verfahren zur Altersfeststellung gegangen sein, dessen Kosten Friedrichsen mit zwei Millionen Euro bezifferte. Die „Augsburger Allgemeine“ konnte sich derart hohe Kosten schwer vorstellen und hat bei der Staatsanwaltschaft Freiburg nachgefragt. Diese nennt als Gesamtkosten für die Altersfeststellung einen Betrag von etwa 6.000 Euro.
 Philipp Kinne kritisiert den Umgang der „Welt“ mit dem Fehler: „In der Richtigstellung zum Friedrichsen-Artikel ist mittlerweile zu lesen, „diese konkrete Summe“ sei „nicht zu belegen“ – als ob es sich um eine kleine Abweichung gehandelt habe statt um eine völlig fantastische Zahl – die im Internet und der öffentlichen Debatte längst ein Eigenleben führt.“

4. Auch Nazigegner dürfen keine Nazibilder posten
(lawblog.de, Udo Vetter)
Aus Protest gegen die Agentur für Arbeit veröffentlichte ein Blogger ein Bild Heinrich Himmlers in SS-Uniform mit Hakenkreuzarmband. Das durfte er nicht, befand jetzt auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), vor den der Blogger gezogen war. Eine innere Distanz zum Nationalsozialismus rechtfertige es in Deutschland nicht, die Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu veröffentlichen.

5. Baum-Maßnahme
(sueddeutsche.de, Cathrin Kahlweit)
Die BBC entschuldigt sich für eine Inszenierung innerhalb einer Papua-Neuginea-Reportage aus dem Jahr 2011. Cathrin Kahlweit sieht darin ein mögliches Ablenkungsmanöver von Ärger an anderer Stelle: „Seit bekannt wurde, dass die BBC einigen männlichen Stars mehr Gage zahlt als weiblichen, ist der Sender in der Defensive. Hier ist die Fehlerkultur wenig ausgeprägt: Man habe nicht gegen Gesetze verstoßen, heißt es lapidar.“

6. “Scheißer von Heuchelheim” gefasst
(hessenschau.de)
Mit “Scheißer von Heuchelheim gefasst“ überschreibt die „Hessenschau“ einen der wichtigsten Kriminalfälle der letzten Zeit. Der „Spiegel“ titelt mit “Kotleger von Heuchelheim” aufgeflogen etwas vornehmer. Geradezu begeistert schlagzeilt hingegen der „Rhein-Main Extra Tipp“: “Opa kackt über ein Jahr auf Bürgersteige in Gemeinde – und andere mache es ihm nach“ (hier nicht verlinkt, aus hygienischen Gründen).

Würfe aus dem Glashaus, Rocker-Affäre, Trigger-Minister Spahn

1. Der Blick ins eigene Haus fehlt
(taz.de, Anne Fromm)
Als Heimatminister Horst Seehofer sein Personal vorstellte, gab es in den Medien einige Kritik wegen der ausschließlich männlichen Zusammensetzung. Dabei steht es in den Medien in Sachen Geschlechterverhältnis auch nicht zum Besten: Journalismus ist oft immer noch Männersache. Anne Fromm befindet: „Das heißt nicht, dass Journalisten nicht kritisieren dürfen, was in ihrer eigenen Branche nicht erfüllt wird. Aber ein bisschen weniger Häme in den Kommentaren über andere, dafür ein bisschen mehr auch öffentliche Selbstkritik und mehr Frauenförderung wären ein Anfang.“

2. Falsche Frequenz
(sueddeutsche.de, Thomas Hahn)
Seit Mai 2017 beschäftigt die sogenannte „Rocker-Affäre” die schleswig-holsteinische Landespolitik. Zwischen zwei Rockgruppen war es zu einer Messerstecherei mit einem Schwerverletzten gekommen. Im Zuge der Ermittlungen soll die Polizei, so der Vorwurf, nicht nur Whistleblower, sondern auch Journalisten überwacht haben, darunter den Chef der „Kieler Nachrichten“. Die Staatsanwaltschaft konnte sich dem Vorwurf nicht anschließen und hat das Ermittlungsverfahren eingestellt. Es bleibt jedoch ein fader Beigeschmack.

3. Umstrittener Anreiz für Abonnenten
(journalist-magazin.de)
Die Thüringer Zeitungen der Funke-Gruppe bieten ihren Abonnenten seit Ende Januar eine kostenlose Rechtsberatung an. Jeder Abonnent könne bis zu drei kostenlose Erstanfragen an eine kooperierende Kanzlei in Erfurt stellen. Ist eine derartige Aktion erlaubt? Vor allem ein Anzeigenblattverleger sieht sein Geschäft bedroht.

4. Recherche: Sexuelle Belästigung bleibt für WDR-Korrespondent weitgehend folgenlos
(correctiv.org, Wigbert Löer & Marta Orosz & Tania Röttger)
Ein WDR-Korrespondent soll eine Mitarbeiterin und eine frühere Praktikantin sexuell belästigt haben. Die Vorfälle seien der Chefredaktion gemeldet worden, blieben nach Informationen von „stern“ und „Correctiv“ jedoch weitgehend folgenlos: Der Sender entschied sich für einen Eintrag in der Personalakte. Eine Abmahnung oder andere Konsequenzen hätte es nicht gegeben.

5. Wie Jens Spahn Journalisten triggert
(stefan-fries.com)
Im Triggern von Journalisten mache Bundesgesundheitsminister Jens Spahn keiner so schnell was vor, findet Stefan Fries und untermauert seine Behauptung mit Spahnschen Aussagen und dem, was Journalisten daraus gemacht bzw. herausgelesen haben. Ein Plädoyer für genaues Lesen. Mit einer schönen Pointe…

6. Der Leser lebt und leidet für die Schönheit
(deutschlandfunk.de, Arno Orzessek)
“Gala Beautify” heißt eine neue Better-Aging-Postille aus dem Hause „Gruner + Jahr“. Dort geht es anscheinend vor allem darum, die eigene sterbliche Hülle mit den Mitteln der Chirurgie zu bearbeiten. Doch Vorsicht, das Ganze ist nicht nebenwirkungsfrei. Es belastet zuallererst den Geldbeutel: „Ja, man kommt auf den Gegenwert eines knackigen Porsche, wenn man – und nur das ist eine produktive Lese-Haltung – nackt vor dem Spiegel stehend in der “Beautify” blättert und zugleich kontrolliert, was nicht mehr ideal rüber kommt.“

Gefahr für Whistleblower, Falsche Aufmerksamkeit, Gewöhnungssache

1. Wir veröffentlichen den Gesetzentwurf zu Geschäftsgeheimnissen: Fehlender Schutz für Whistleblower
(netzpolitik.org, Arne Semsrott)
Das Justizministerium arbeitet an einem Gesetzentwurf, mit dem eine EU-Richtlinie zu Geschäftsgeheimnissen umgesetzt werden soll. „Netzpolitik.org“ konnte einen Blick auf den Referentenentwurf werfen und ist wenig begeistert: Das geplante Gesetz schütze Whistleblower unzureichend und könne zu einer Gefahr für die Informationsfreiheit werden.
Bei der Gelegenheit: „Netzpolitik.org“ hat in einem Transparenzbericht seine aktuellen Ein- und Ausgaben offengelegt. Vielleicht inspiriert es den einen oder anderen oder die eine oder andere zu einer Spende.

2. Hypernormal: An was wir uns in Sachen Alternativer Fakten schon gewöhnt haben
(fearlessdemocracy.org, Gerald Hensel)
Der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD im Bundestag twittert nachweislich Falsches und argumentiert mit nicht-existenten Grundgesetzartikeln. Gerald Hensel fragt, wie sich derartige Falschbehauptungen tagelang halten können und befindet: „Selbst plumpste Falschbehauptungen, die noch vor Jahren dem Urheber Spott und Häme eingebracht hätten, sind alternative Realitäten, die einfach so stehen bleiben. Wir haben uns dran gewöhnt. Es ist hypernormal.“
NACHTRAG: “Fearless Democracy” hat den Beitrag anscheinend im Lauf des Vormittags gelöscht.

3. Lengsfeld in den „Merkelmedien“
(taz.de, Andreas Fanizadeh)
„Mit wachsendem Befremden beobachten wir, wie Deutschland durch die illegale Masseneinwanderung beschädigt wird.“, heißt es in der umstrittenen „Erklärung 2018“, über die sich die zu den Erstunterzeichnern zählende Vera Lengsfeld in den „Tagesthemen“ äußern durfte. Die „taz“ stellt fest: „Mit wachsendem Befremden beobachten wir, wie Vera Lengsfeld immer weiter nach rechts abdriftet“. Und fragt, ob und womit wir derartige österliche Auftritte verdient haben.

4. Fake News zu ignorieren, ist keine Lösung
(faktenfinder.tagesschau.de, Patrick Gensing)
Vor einem Jahr ging der „ARD-Faktenfinder“ online. Patrick Gensing erklärt zu diesem Anlass nochmal den Sinn und Zweck des Projekts und wirft einen Blick zurück auf die großen Themen des vergangenen Jahres,

5. Transparenz als Strategie
(de.ejo-online.eu, Marlis Prinzing)
Dank einer seit drei Jahren umgesetzten Rekrutierungsstrategie der „New York Times“ sind 61 Prozent der neu angestellten Personen Frauen und 39 Prozent „People of Color“. Journalismus-Professorin Marlis Prinzing lobt das amerikanische Medienhaus für Entwicklung und Offenlegung. Das dürfe jedoch nicht das Ende der Bemühungen sein: „Zur Rekrutierungs-Transparenz kommt die Tracking-Transparenz: Inwiefern und an wen werden Online-Spuren, die das Publikum auf journalistischen Plattformen hinterlässt, verkauft?“


6. Macht dumme Menschen nicht berühmt!
(futurezone.at, Florian Aigner)
Florian Aigner beschäftigt sich in seiner Meinungs-Kolumne mit einer kostbaren Währung: Unserer Aufmerksamkeit. Er sieht im „Verplempern“ von Aufmerksamkeit an all zu Banales und Unwichtiges eine Gefahr, die über das Individuum hinausgeht: „Ähnlich wie wir als Lebensmittelkonsumenten durch unser Kaufverhalten kollektiv entscheiden, welche Nahrungsmittel produziert werden, legen wir durch das Vergeben unserer Aufmerksamkeit gemeinsam fest, welche Themen, Gedanken und Personen als wichtig gelten. Und dabei greifen wir heute auf abenteuerliche Weise daneben.“ Aigners Forderung: „Stop making stupid people famous!“

Konstruktiver Journalismus?, Demokratischer Witz, “ZDFneo”

1. Konstruktiver Journalismus pro und contra
(deutschlandfunk.de, Audio, 28:42 Minuten)
Der „Deutschlandfunk“ beschäftigt sich mit dem Für und Wider des „konstruktiven Journalismus“. Unter dem obigen Link gibt es die komplette Sendung zum Nachhören. Wer in einzelne Unterthemen einsteigen will:
Die Dänen: Erfinder des Konstruktiven Journalismus (Beitrag von Clemens Bomsdorf
)
Wie wirkt Konstruktiver Journalismus? (Interview mit Klaus Meier, Professor für Journalistik)
Fallbeispiel 1: Sächsische Zeitung (Beitrag von Alexandra Gerlach)
Fallbeispiel 2: Perspective Daily (Beitrag von Lena Sterz)
Und last but not least: Keine gute Idee – Konstruktiver Journalismus wirkt systemstabilisierend (Interview mit der Journalistin Kathrin Hartmann).

2. Trumps beste Verteidiger sitzen bei “Fox News”
(sueddeutsche.de, Beate Wild)
Zwischen dem amerikanischen Präsidenten und dem Fernsehsender „Fox News“ besteht nach wie vor eine unheilige Allianz: Der konservative Sender lobt Trump in den Himmel und wird seinerseits von Trump protegiert. Beate Wild hat sich angeschaut, wie die Fox-Moderatoren die Wahrheit zurechtbiegen. Sich selbst und ihren Zuschauern.
Weiterer Lesetipp: Trump empfiehlt «Nukleare Option»: „Trumps Sprache verrät den verantwortungslosen Blödmann. «Nuklear» heisst bei ihm einfach «besonders wirksam».“ (infosperber.ch, Christian Müller).

3. Demokratischer Witz im Land der Narren
(faz.net, Michael Hanfeld)
Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hat die Beschwerde gegen die Wahl des Direktors der Landeszentrale für Medien und Kommunikation (LMK) zurückgewiesen. „FAZ“-Redakteur Michael Hanfeld kommentiert den umstrittenen, doch nun auch gerichtlich abgesegneten Wahlvorgang: „Da war nix mit pluralistisch und Freiheit und Staatsferne, da ging es um eine rot-grüne Hinterzimmerverabredung, an welcher der LMK-Versammlungsvorsitzende Albrecht Bähr, Vertreter der evangelischen Kirche, federführend und der auf CSU-Ticket fahrende stellvertretende LMK-Direktor Harald Zehe als nützlicher Helfer ihren Anteil hatten. Da sollte nichts dem Zufall überlassen werden. Von einem transparenten demokratischen Wahlverfahren keine Rede.“

4. betr. Neo-Anteil im Programm von ZDFneo
(planet-interview.de, Jakob Buhre)
Jakob Buhre war auf der ZDF-Pressekonferenz und stellte dem ZDF-Intendant Thomas Bellut Fragen zu „ZDFneo“. Ihm war aufgefallen, dass die „Innovationsplattform“„ZDFneo“ in der zwölften Kalenderwoche gerade mal zwei Eigenproduktionen im Angebot hatte, der Rest hätte aus Fremdformaten und Wiederholungen bestanden. Der ZDF-Intendant stritt die Zahl vehement ab. („Ihre Zahl ist eindeutig falsch, wir können das verifizieren.“) Buhre nutzte die Ostertage zum Nachrechnen, und siehe da, der Intendant hatte auf seine Art Recht: Es gab in der fraglichen Kalenderwoche nicht (bescheidene) zwei, sondern (bescheidene) drei Eigenproduktionen.
 Buhres Resümee: „ZDFneo ist (fast ausschließlich) eine Wiederholungsplattform. Das Programm besteht zu 96,5 Prozent aus Wiederholungen.“

5. «Inhaltlich sind wir für alles offen»
(medienwoche.ch)
Seit einem halben Jahr gibt es die österreichische Rechercheplattform „Addendum“. Finanziert vom Red-Bull-Gründer Dietrich Mateschitz arbeitet dort eine 40-köpfige Redaktion an gesellschaftlichen und politischen Themen. Die „Medienwoche“ hat sich mit Judith Denkmayr unterhalten, die bei „Addendum“ das zehnköpfige Team „Audience und Digitale Plattformen“ leitet.

6. Behebung der Probleme dauert «einige Jahre»
(persoenlich.com)
In einem Interview mit dem amerikanischen Nachrichtenportal “Vox” hat Facebook-Chef Mark Zuckerberg auch über den Schutz von Nutzerdaten gesprochen. Um die gegenwärtigen Probleme zu beheben, werde es “einige Jahre” brauchen, so der Chef des schnellsten Mediums der Welt.

“Fox News”-Boykott, Googles GIF-Kauf, Kolumnisten-Duell

1. Parkland-Überlebender zwingt Werbekunden zum Boykott von Fox News
(sueddeutsche.de, Julian Dörr)
Ein amerikanischer Teenager hat mit nur einem Tweet einen erfolgreichen Boykott gegen „Fox News“, einen der größten TV-Sender der USA ausgelöst. Die konservative Moderatorin und glühende Trump-Unterstützerin Laura Ingraham hatte den Schüler, der sich für strengere Waffengesetze in den USA einsetzt, auf Twitter attackiert. Daraufhin twitterte der Schüler die Namen von zwölf Werbekunden der Talkshow. Mit Erfolg: Schon nach wenigen Stunden meldeten sich die ersten Firmen und kündigten an, dass sie ihre Werbeanzeigen zurückziehen würden.

2. Post verkauft Daten an Parteien
(tagesschau.de)
Nach einem „BamS“-Bericht verkauft die Post seit 2005 die Daten ihrer Kunden an Parteien. 2017 seien Kundeninformationen an FDP und CDU gegangen. Die Parteien hätten straßengenaue Analysen bestellt, hilfreich für Haustürwahlkampf und Direktwerbung. Alle Beteiligten wollen sich rechtlich korrekt verhalten haben. Hamburgs Datenschutzbeauftragter Johannes Caspar verlangt die Neubewertung von “Microtargeting im Offline- oder Online-Sektor zum Zweck der Wahlwerbung“ und sieht Kollisionen mit dem Grundgesetz. 
Weiterer Lesetipp: Deutsche Post weist Kritik an Datenweitergabe zurück (zeit.de).

3. Ist Radio tot? Futurist Ben Hammersley glaubt es zumindest
(radioszene.de, James Cridland)
„Futurist“ Ben Hammersley schreibt für Medien wie „Guardian“ und „Wired“. In diesem Jahr sprach er auf den Radiodays Europe in Wien. Wie es sich für einen Futuristen gehört, hatte er eine verstörende Botschaft im Gepäck („Radio ist tot“) und zog Parallelen zu Kodak, wo man nicht bemerkt hätte, wie schnell sich die Welt verändert.

4. Die Kommerzialisierung der Gifs
(irights.info, David Pachali)
Das GIF-Format ist für Computerverhältnisse uralt und müsste sich schon längst überlebt haben. Doch das Gegenteil ist der Fall: In sozialen Netzwerken und Messengern erfreuen sich die kleinen Bewegtbilder-Sequenzen größter Beliebtheit. Nun hat Google eine der größten GIF-Datenbanken aufgekauft. Der wirtschaftliche Hintergrund: Die unscheinbaren Grafikschnipsel ermöglichen einen Einblick in die Gefühlswelt der Nutzer. Das biete Werbepartnern neue Möglichkeiten, potenzielle Kunden in der passenden Stimmungslage anzusprechen.

5. Abrechnung einer Deutschlandfunk-Autorin mit dem Zeit-Kritiker: der Sound, aus dem der Totalitarismus kommt
(meedia.de, Thomas Fischer)
Am 30. März haben wir in den „6 vor 9“ eine Kolumne von Silke Burmester beim „Deutschlandfunk“ verlinkt, in der sie den ehemaligen Bundesrichter und „Zeit“-Kolumnist Thomas Fischer mit heftigen Worten kritisierte. Wie nicht anders zu erwarten, hat dieser nun, nicht minder heftig, geantwortet.

6. Krebs ist scheiße
(futurezone.de, Philipp Rall)
Mehrere tausend Mitglieder einer Bilder-Community äußern ihren Unmut über einen Journalisten, indem sie mit dem Hinweis „Krebs ist scheiße!“ Geld an die DKMS und andere Organisationen überweisen. Wie kam es dazu?
Nachtrag 13:58 Uhr: Eine Leserin kritisiert die Berichterstattung und weist uns auf einen Beitrag des betroffenen Security-Journalisten hin, der 2016 Ziel eines massiven DDoS-Angriffs war.

Focus-Regierungssprecherin, Fitness-Hack, Islamzugehörigkeit

1. Martina Fietz: Neue Regierungssprecherin kommt von “Focus Online”
(kress.de, Marc Bartl)
In hilflosem Entsetzen machen wir uns gerne lustig darüber, welch seltsames Personal Donald Trump als Presse- und Regierungssprecher beschäftigt. Kellyanne Conway hatte es mit ihrem Begriff von den „alternativen Fakten“ in Deutschland sogar zum Unwort des Jahres geschafft. Nun hat sich die Bundesregierung als Regierungssprecherin die bisherige Chefkorrespondentin von “Focus Online” geholt, gewissermaßen dem Fachblatt für alternative Fakten.
Weiterer Lesetipp: Gesundheitsminister Jens Spahn vertraut auf „Bild“ und macht den „Bild“-Parlamentsreporter zu seinem Sprecher (meedia.de, Marvin Schade)

2. Kolumnisten muss man sich auch leisten können
(deutschlandfunk.de, Silke Burmester)
Lange Zeit war die Zusammenarbeit der „Zeit“ mit ihrem Kolumnisten, dem ehemaligen BGH-Richter Thomas Fischer eine Erfolgsgeschichte. Dach dann kam die Causa Dieter Wedel. Fischer warf der „Zeit“ (verkürzt gesagt) unsaubere Arbeit vor, die „Zeit“ ihrem Kolumnisten Illoyalität. Darauf trennten sich die Wege … Silke Burmester kommentiert den Vorgang und holt dabei in geradezu Fischerscher Brachialität die Streitaxt heraus. Gegen Fischer und „diese Sorte männlicher Publizisten“.

3. In der Studenten-App Jodel kann man jetzt Werbung buchen – Wir verraten, was das kostet
(omr.com, Roland Eisenbrand )
Die Studenten-App „Jodel“ ist in vielerlei Hinsicht ein Sonderfall. In dem studentischen Digitalzusammenschluss existieren weder Profilseiten noch Nutzernamen: Alle posten anonym. Dennoch (oder vielleicht gerade deswegen) ist die App sehr erfolgreich. Bis auf die monetäre Seite, aber das wollen die Betreiber nun angehen.

4. Das Märchen von der magischen Manipulation
(spiegel.de, Sascha Lobo)
Sascha Lobo beschäftigt sich in seiner „Spiegel“-Kolumne mit dem Thema Online-Werbung. Das ist insofern interessant, dass Lobo selbst in der Werbung gearbeitet hat und eine „grundsolide Hassliebe“ zu diesem Thema pflegt. Lobo stellt die Messbarkeit von Werbung generell in Frage: „Es ist unzweifelhaft, dass Werbung wirkt und folglich auch Propaganda oder Manipulation wirken können – aber man kann anhand der Faktenlage leicht zum Schluss kommen, dass ehrlicherweise niemand mehr als eine sphärische Ahnung hat wie, wann und bei wem. Daran hat das ach so messbare Internet überraschend wenig geändert.“

5. Das schwierige Problem der Zugehörigkeit
(spektrum.de, Matthias Warkus)
Die Frage, ob „der Islam zu Deutschland gehört“, wird seit Jahren thematisiert. Auch die Politik hat sich dazu geäußert, ob Wolfgang Schäuble 2006 als Innenminister („Der Islam ist Teil Deutschlands.“), der seinerzeitige Bundespräsident Christian Wulff („Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.) oder jüngst Heimatminister Horst Seehofer mit seiner Aussage, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, die hier lebenden Muslime aber selbstverständlich schon.
Der Philosoph Matthias Warkus hält einen Satz über eine (vorhandene oder nicht vorhandene) Zugehörigkeit des Islam zu Deutschland für wenig zielführend: „Er hat seinen Sinn, wenn überhaupt, nicht als Behauptung, sondern als Aufforderung oder vielleicht bloß als Gefühlsäußerung. Wir sollten die Absichten diskutieren, die mit ihm unterlegt werden. Ihn auf Wahrheit zu prüfen, ist Zeitverschwendung.“

6. Hacker fangen Fitnessdaten von 150 Millionen App-Nutzern ab
(zeit.de)
Es ist noch gar nicht so lange her, dass die Fitnesstracking-App „Strava“ für negative Aufmerksamkeit sorgte, indem sie sensible Daten auf einer globalen Heatmap veröffentlichte. 
Nun stellt sich heraus, dass die Ernährungs- und Kalorienzähler-App “MyFitnessPal” des US-Sportartikelherstellers „Under Armour“ gehackt wurde. Dies betrifft die Daten von immerhin 150 Millionen Nutzern.

Der Klau-Poet, Ombudsmann Elitz, “Tag24″s Zucker für die Affen

1. Schwere Plagiatsvorwürfe gegen Bestseller-Autor Deno Licina
(tagesspiegel.de, Sebastian Leber)
Der „Tagesspiegel“ berichtet über einen groß angelegten Schwindel: Der Bestseller-Autor Deno Licina (Eigenbezeichnung: “Der Poet“) habe hundertfach Tweets geklaut und bei anderen abgeschrieben. Sein Anwalt verweist auf die „geringe Schöpfungshöhe“ der geklauten Tweets und dass die Inhalte der zehntausendfach verkauften Bücher komplett vom Autoren stammen würden. Hier irre der Anwalt, schreibt der Tagesspiegel: „Für seine Bücher schrieb Deno Licina massenhaft von anderen Autoren ab. Von den ersten 15 Seiten seines aktuellen Bandes sind 14 betroffen, meist zieht sich das Plagiat über das komplette Blatt. Und mit jedem Tag, den seine Gegner suchen, finden sie mehr.“

2. Unser seltsamster Erfolg
(mittelbayerische.de, Sebastian Heinrich)
Bei der „Mittelbayerischen“ wundert man sich. Wie kann ein Artikel aus dem Jahr 2014 über eine Merkel-Rede zum meistgeklickten Beitrag werden? Sebastian Heinrich ist dem Rätsel nachgegangen und hat den Verlauf mit Hilfe des Analysetools Google Analytics rekonstruiert. Das Ergebnis: Es sind vornehmlich die Merkel-Gegner und AfD-Unterstützer, die den Artikel wegen seiner zugespitzten Überschrift als Zündmaterial für ihre populistischen Empörungsfeuer nutzen.

3. Vermittler oder Feigenblatt?
(deutschlandfunk.de, Vera Linß, Audio, 5:46 Minuten)
“Deutschlandfunk”-Autorin Vera Linß beschäftigt sich mit dem aktuellen Wirken von Ernst Elitz. Der ehemalige Deutschlandradio-Intendant ist seit einiger Zeit „Ombudsmann“ bei „Bild“. Eine sinnvolle Initiative oder doch nur ein Feigenblatt? Wem die Aussagen von Elitz zur Beantwortung nicht ausreichen: BILDblog-Chef Moritz Tschermak hat eine klare Antwort, im Gespräch mit dem “Deutschlandfunk”, aber auch schriftlich und mit Beispielen hier bei uns, hier oder auch hier.

4. Kämpferisch, ignorant, hilflos: Wie die Politik auf den Facebook-Skandal reagiert
(netzpolitik.org, Ingo Dachwitz)
In ganz Deutschland wird über mögliche Konsequenzen des Facebook-Cambridge-Analytica-Skandals diskutiert. Nur einer schweigt beharrlich, der zuständige Innenminister, in dessen Ressort Datenschutz schwerpunktmäßig fällt: Horst Seehofer. Netzpolitik.org hat sich in der Parteienlandschaft umgehört, wie sonst mit der Thematik umgegangen wird.

Weiterer Lesetipp: Warum Facebook verstaatlicht werden muss (tagesspiegel.de, Christopher Lauer).

5. Restle: “Wir brauchen grundlegende Reformen”
(ndr.de, Daniel Bouhs, Video, 13:48 Minuten)
Das Medienmagazin „Zapp“ hat sich mit dem “Monitor”-Chef Georg Restle über die Zukunft der Öffentlich-Rechtlichen unterhalten. Restle fordert ein klares öffentlich-rechtliches Profil: Weniger Sportrechte, mehr Information in der Prime Time und ein Ende des Radio-“Gedudels”.

6. Zucker für die Affen: Tag24 und die erfundenen 670 Prozent mehr Vergewaltigungen
(sprachlos-blog.de, Robert Feustel)
Als „Boulevard ohne Journalismus“ bezeichnet Robert Fäustel die Seite „Tag24“. Dort wurde berichtet, dass im Raum Leipzig die Zahl der Vergewaltigungen um 670 Prozent und damit drastisch gestiegen sei: „Zusammen mit einem anderen Text zur Gesamtzahl der Straftaten schraubt sich die fälschlich Zeitung genannte Sammlung von Dummheiten ein weiteres Treppchen die Angstspirale hinauf. Blöd ist nur, dass das Blatt mit dem letzten Fünkchen Seriosität den Fehler selbst zugibt: Einen Anstieg gab es nicht.“

BILD wird BreitBILD

Ein Gastbeitrag von Alf Frommer

Mal Hand aufs Herz: Hätte man sich jemals vorstellen können, dass man sich Kai Diekmann als BILD-Chefredakteur zurückwünscht? Der Kai Diekmann, der meinte, er könnte einen Politiker wie Karl-Theodor zu Guttenberg zum Kanzler hochschreiben, und der selbst zahllose BILD-Kampagnen gegen Minderheiten fuhr. Doch bei Diekmann hatte man noch das Gefühl, der macht dies als professioneller und abgewichster Boulevard-Journalist. Der schreibt heute “Hü” und morgen “Hott”, weil er wusste, dass sich schweigende Mehrheiten durchaus mal ändern, und das gesunde Volksempfinden eine launische Diva sein kann. Ihm war das Produkt im Zweifel näher als seine persönliche Meinung.

Dies hat sich unter Julian Reichelt komplett geändert. Der jetzige BILD-Chef ist erst ein Überzeugungstäter und dann ein Boulevard-Journalist. Wahrscheinlich ist Julian Reichelt der gefährlichste Medienmacher, den die wiedervereinigte Bundesrepublik je erleben durfte. Denn er macht aus BILD ein Weltuntergangs-Angebot im Stile der neurechten Medien wie “Breitbart”, “Tichys Einblick” oder “Compact”. Nur eben mit der Reichweite und dem Einfluss von BILD. In den neurechten Medien wird spätestens seit der “Flüchtlingswelle” 2015 der Untergang unseres schönen Deutschlands beschworen — mehr noch: fast herbeigesehnt. Da ging es früher um “Massenvergewaltigungen” (natürlich vornehmlich durch Ausländer) und heute um “massenhafte Messerangriffe” (natürlich auch vornehmlich durch Ausländer). Unter einer Epidemie machen es die Untergangspropheten nämlich nicht mehr. Sonst wäre es ja kein gesellschaftliches Problem.

Was früher ausschließlich in den Echokammern der Neurechten für Aufregung sorgte, findet heute Gehör bei einem der mächtigsten Medienmenschen des Landes. Dessen Filterblase ist so durchlässig, dass dort bekannte Hetz-Accounts als Teil einer ernsthaften Investigativ-Recherche wahrgenommen werden. Mehr noch: Julian Reichelt retweetet oder zitiert diese Accounts, die unter anderem die “Tagesschau” als “staatliche Lügenfabrik” bezeichnen. Sind das wirklich nur Mausrutscher oder hat das nicht vielmehr System? BILD reiht sich nun ein und beschwört das Bild eines Deutschlands herauf, welches islamisiert wird, überall Messerangriffe von Flüchtlingen, an jeder Ecke importierter arabischer Antisemitismus. Im Grunde unterscheidet BILD bei dieser Endzeit-Berichterstattung nichts mehr von “Breitbart” und Co. Die Redaktion macht nun ein Blatt für die 13 Prozent der Gesellschaft, die AfD gewählt haben.

Eine der verbleibenden positiven Aspekte bei BILD ist das klare Bekenntnis gegen Antisemitismus in jeder Form. Nun jedoch wird der Kampf genau dagegen missbraucht, um den Religionshass gegen Muslime zu schüren. Da wird der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben. Natürlich ist der Kampf gegen Antisemitismus zu begrüßen. Aber selbst da darf nicht jedes Mittel recht sein. Vor allem, wenn man dafür eine andere Religion als per se rückständig, frauenfeindlich, antidemokratisch, gefährlich hinstellt (übrigens auch befeuert von der Seehofer-CSU). Diese Entwicklung ist mehr als bedenklich — insbesondere, weil Julian Reichelt immer vollkommen überrascht ist, wenn man ihm oder seiner Zeitung Nähe zur AfD unterstellt. Tja, manchmal sieht man den Blätterwald vor lauter braunen Bäumen nicht mehr. Das kann selbst einem Julian Reichelt passieren.

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