In einer Berliner Kita gibt es einen Verdacht auf sexuelle Gewalt: Ein Erzieher soll eines der Kinder sexuell missbraucht haben. Der Mann wurde suspendiert, gegen ihn wurde Anzeige erstattet.
Die “B.Z.” berichtet heute über den Fall:
Die evangelische Kita Martin Luther King hat einen Mitarbeiter nach Sex-Vorwürfen suspendiert.
Schon bei erwachsenen Opfern von sexueller Gewalt ist es völlig daneben, von “Sex-Skandal” oder “Sex-Vorwürfen” zu sprechen. Solche Begriffe bagatellisieren die Tat, indem sie einen entscheidenden Teil von sexueller Gewalt einfach weglassen: den gewalttätigen. Spätestens, wenn das Opfer ein Kind sein soll, müsste doch jeder Redaktion klar werden, dass der Vorwurf nicht im Entferntesten etwas mit Sex zu tun hat.
Zur Verdeutlichung ein anderes Szenario: Hätte der Erzieher mit einer volljährigen Kollegin während der Arbeitszeit in der Kita einvernehmlichen Sex gehabt — dann wäre die “B.Z.”-Überschrift möglicherweise angemessen. Aber noch mal: Es geht hier um eine Gewalttat an einem Kind.
Nachtrag, 15. März: In einer ersten Version hatten wir selbst mehrfach von “sexualisierter Gewalt” geschrieben. Diese Stellen haben wir inzwischen in “sexuelle Gewalt” geändert. Ein Text bei “Spiegel Online”, den wir selbst mal in unseren “6 vor 9” verlinkt haben, erklärt, warum das eine gute Idee ist.
Mit Dank an andré und @spontifixus für die Hinweise!
Seifert schreibt in “Bild” zu seiner eigenen Aktion:
Auf der Bischofskonferenz in Lingen (Niedersachsen) tagen die Bischöfe hinter verschlossenen Türen.
BILD nutzte die Chance und heftete zwölf Thesen für einen Neuanfang in der katholischen Kirche (Ausgabe vom 26. Februar) an den Eingang der St.-Bonifatius-Kirche.
Diese “12 BILD-Thesen” mit dem Titel “ÄNDERT EUCH!” sind sogar ganz gut. Darunter zum Beispiel: “Öffnet die Akten und Archive” zu Tausenden Missbrauchsfällen. Und: “Frauen zulassen” bei der Priesterwürde. Selbst den einstigen “Wir sind Papst”-Liebling Joseph Ratzinger, auch bekannt als Benedikt XVI., knöpft sich “Bild” vor: “Benedikt, sprich zu den Gläubigen” über “die dunkelsten Geheimnisse der jüngsten Kirchengeschichte”.
Ärgerlich nur, dass diese an die Lingener Kirchentür angehefteten Forderungen die Teilnehmer der Bischofskonferenz kaum erreichen dürften. “Bild”-Reporter Seifert hat gestern beim Thesenaufhängen nämlich blöderweise die falsche Tür gewählt: In St. Bonifatius fand zwar der Eröffnungsgottesdienst der Vollversammlung statt. Der war aber schon am Montag. Seitdem tagt die Bischofskonferenz im gut sechs Kilometer entfernten Ludwig-Windthorst-Haus. Dort gibt es auch eine eigene Kapelle, in der die allmorgendlichen Predigten stattfinden.
Die Angabe “Bei Bischofskonferenz!” aus der “Bild”-Überschrift stimmt also nicht wirklich. Aber Hauptsache die Leserinnen und Leser bekommen das Gefühl, dass die “Bild”-Leute sich mal so richtig was trauen.
Mit Dank an Brigitte K. und @moaxislaven für die Hinweise!
2. “Dieses Urteil ist für mich ein Signal” (deutschlandfunk.de, Isabelle Klein, Audio: 9:15 Minuten)
Im “Deutschlandfunk” geht es um die Aufhebung des Urteils gegen die österreichische grüne Ex-Abgeordnete Sigi Maurer, die mit obszönen Privatbotschaften via Facebook belästigt worden und trotz vorliegender Beweise vom Inhaber des Accounts unter anderem wegen übler Nachrede verklagt worden war. Der für den “Spiegel” arbeitende Korrespondent Hasnain Kazim begrüßt die Entscheidung. Kazim hat im Laufe seiner Karriere schon unzählige Hassmails bekommen. Einige davon hat er in seinem Buch “Post von Karlheinz” verarbeitet. Kazim kündigte auf Twitter an, verstärkt gegen die Verfasser von Hassbriefen vorgehen zu wollen. Auch wenn er vor Gericht nicht unbedingt mit einem Erfolg rechnen könne. Außerdem kommt Christian-Oliver Moser, Anwalt für Presserecht, zu Wort, der Noah Becker, den Sohn von Boris Becker, bei seiner Klage gegen den AfD-Bundestagsabgeordneten Jens Maier vertreten hatte.
3. Lasst sie ihre Arbeit machen! (taz.de, Finn Holitzka)
Im ZDF-“Morgenmagazin” ist gestern eine zeternde Zuschauerin vor laufenden Kameras aus dem Publikum aufgestanden und hat sich rabiat zwischen die Moderatoren gedrängt. Das “Morgenmagazin”-Moderatorenduo ist ruhig geblieben. Die Moderatorin Dunja Hayali hat der pöbelnden Störerin sogar ein Gespräch angeboten. “taz”-Autor Finn Holitzka lobt in seinem Kommentar die “souveräne und deeskalierende Coolness der Moderatoren”, gibt jedoch zu bedenken: “Dialogbereitschaft gegenüber Personen, die drängeln, pöbeln, blaffen, dürfte als Einladung gesehen werden: Wer laut genug krächzt, kriegt ein Mikro hingehalten.”
4. «Alle meine heiklen Artikel werden im Ausland publiziert» (medienwoche.ch, Benjamin von Wyl)
Der afghanische Investigativjournalist und Menschenrechtsaktivist Hassan Hakimy schreibt zu Themen wie Korruption, Vergewaltigung und Zwangsverheiratung von Kindern. Während einer Europareise hat er sich mit der “Medienwoche” unterhalten. Es geht um Medienfreiheit in Afghanistan, die afghanischen Flüchtlinge in Europa und Drohungen gegen ihn: “Wenn ich in Afghanistan bin, habe ich konstant Angst: Vielleicht sterbe ich jetzt; vielleicht bringt mich in einer Stunde jemand um.”
Weiterer Lesetipp: Soziale Medien im Nahen Osten: Tipps für Journalisten (de.ejo-online.eu, Damian Radcliffe & Payton Bruni).
5. Die Diskussion um diese Autorinnen-Liste zeigt, wie unsichtbar Frauen auf Wikipedia sind (vice.com, Lisa Ludwig)
Die Autorin Theresa Hannig wollte auf Wikipedia eine Liste deutschsprachiger Science-Fiction-Autorinnen anlegen. Das Normalste auf der Welt, möchte man meinen, aber weit gefehlt: Ein wahrscheinlich männlicher Wikipedia-Editor reichte umgehend einen Löschantrag ein. Lisa Ludwig erklärt den Vorgang, der nicht nur konkrete, sondern grundsätzliche Fragen aufwirft.
Update: In ihrem Blog schreibt Theresa Hannig in einem Nachtrag: “Nach der überwältigenden Unterstützung vieler, vieler Leute auf Twitter und in der Löschdiskussion, wurde der Löschantrag heute Nachmittag zurückgezogen.”
6. Aus Spaß belästigen, vergewaltigen und töten (zeit.de, Thomas Lindemann)
Kulturjournalist Thomas Lindemann schreibt über die Vorankündigung eines “Vergewaltigungsspiels” auf der Spieleplattform Steam und deren ungenügende Abgrenzung gegenüber gewaltverherrlichendem Digitalschund: “Am Ende scheitert also auch die weltgrößte Spieleplattform daran, klare Grenzen zwischen Sex, Sexualität, Sexismus und Gewalt zu definieren. Dabei ist Rape Day nur ein Teil eines größeren Problems. Seit vergangenem Sommer können Entwickler und Entwicklerinnen ihre Spiele auf Steam veröffentlichen, ohne dass diese vorher geprüft werden. Seitdem finden sich dort Nazi-Spiele, Pornos aller Art, auch Fakes, die gar nicht spielbar sind. Überall wird derzeit gegen Uploadfilter gewettert — hier würde man sich welche wünschen.”
Bei “Bild” brauchen sie Superlative. Und was ist besser als ein Superlativ? Richtig: zwei Superlative.
Es geht um Footballer Odell Beckham Jr., der sein bisheriges Team, die New York Giants, verlässt und zu den Cleveland Browns wechselt.
Superlativ Nummer 1 — OBJ als “größter NFL-Star” — ist schon ziemlich gewagt. Man denke zum Beispiel an Tom Brady, den Quarterback der New England Patriots, der von vielen als der “GOAT”, der “Greatest of all Time”, bezeichnet wird (wobei Brady es gar nicht mag, so genannt zu werden). Oder an Patrick Mahomes, den Quarterback der Kansas City Chiefs, der in der abgelaufenen Saison als MVP, also als sportlich wertvollster Spieler der Liga, ausgezeichnet wurde. Odell Beckham Jr. hat weder den einen noch den anderen Titel. Er mag ein Superstar der NFL sein — aber der größte? Am Ende des Bild.de-Artikels ist er dann auch nur noch der “schillerndste Star der Liga”, was es eher treffen mag.
Schlagzeilen-Superlativ Nummer 2 — die Cleveland Browns als “schlechtestes Team” — ist schlicht falsch. Das steht sogar im Bild.de-Artikel:
Die Browns hatten zwar in der letzten Saison die Playoffs nur knapp verpasst — die Spielzeiten vorher waren sie jedoch das schlechteste Team der NFL.
Statt “Größter NFL-Star geht zu schlechtestem Team” hätte Bild.de auch schreiben können: “Tollstes Onlinemedium schreibt beste Überschrift” — das wäre dann genauso falsch gewesen.
Mit Dank an Christian P., Patrick und @VM_83 für die Hinweise!
1. Der Schwachpunkt der selbsternannten Sprachwächter (sz-magazin.sueddeutsche.de, Till Raether)
Medienkritiker Stefan Niggemeier hat den “Verein Deutsche Sprache” (“VDS”) einmal als “eine Art Sprach-Pegida” bezeichnet. Aktuell fordert der VDS in einem Manifest “Schluss mit dem Gender-Unfug”. Ein Manifest, das nicht nur entsetzlich schlecht geschrieben sei, sondern auch zahlreiche Argumentationsmängel aufweise, wie Till Raether ausführt: “Der Versuch, Sprache davor zu schützen, dass sie sich verändert, entspringt nicht der Liebe zur Sprache, wie ihre Vereinsmeier*innen glauben machen wollen, sondern der Liebe zum Hergebrachten, zum Immer-so-Gewesenen.”
Weiterer Lesetipp: Bei “Spiegel Online” setzt sich Margarete Stokowski ebenfalls mit den Argumenten gegen eine gendergerechte Sprache auseinander. Bezugnehmend auf eine Passage in einem aktuellen “Welt”-Text von Sibylle Lewitscharoff schreibt sie: “Ich weiß nicht, ob es je ein größeres Missverständnis über den Feminismus gab als die Idee, irgendwer würde Untenrumuntersuchungen durch Sibylle Lewitscharoff fordern, aber man sollte sich davon nicht abschrecken lassen, denn ihr Text ist so voller Perlen der Widersprüchlichkeit, dass es lohnt, ihn ganz zu lesen.”
Lohnenswert ist auch Mit Genderstern in den Weltuntergang (belltower.news, Stefan Lauer). Dort hat man sich den Unterstützerkreis der Petition angeschaut und wirft einen Blick auf die teilweise problematischen Verbindungen zur Rechtspopulismus-, Antifeminismus- und Männerrechteszene.
2. Das Netzwerk der neuen Rechten (neuerechte.org, Christian Fuchs & Paul Middelhoff)
Als “patriotische Parallelgesellschaft” bezeichnen die Journalisten Christian Fuchs und Paul Middelhoff das von ihnen identifizierte und analysierte neurechte Netzwerk aus über 150 Stiftungen, Vereinen, Medien und Kampagnen. Eine Deutschlandkarte zeigt alle Standorte und Verbindungen und liefert auf Mausklick weitere Informationen.
3. Was wir aus dem Fall Relotius für den Journalismus lernen können (journalist-magazin.de, Georg Löwisch)
Der Betrugsfall Relotius sei eine Chance für den Journalismus, so “taz”-Chefredakteur Georg Löwisch. In seinem “Handwerksmerkzettel” geht es um sechs Punkte: 1) Quellen nennen, 2) Recherchewege zeigen, 3) Zitieren, 4) Anonymisieren, 5) Rekonstruieren und 6) Zweifeln.
Weiterer Lesehinweis: So arbeiten wir mit anonymen Quellen aus dem “Welt”-Reportage-und-Investigativ-Ressort (investigativ.welt.de, Manuel Bewarder).
4. Die sieben Anti-EU-Kampagnen der Krone des Jahres 2018 (kobuk.at, Ida Woltran)
Ida Woltran hat sich die sieben Ant-EU-Kampagnen der österreichischen “Krone” angesehen und analysiert: “Vor allem im Zusammenhang mit neuen Regulierungsvorhaben ist es laut Krone meist die EU, die uns etwas wegnehmen, verbieten oder streichen will. Eine Differenzierung, wer eigentlich die EU ist, unterbleibt meist. Die Krone framed die EU negativ und geht kaum auf konkreten Vorgänge in den EU-Organen ein. Die jeweilige Gegenseite kommt nicht zu Wort.”
5. Lobbyarbeit pur: 228 Kreativ-Verbände für EU-Urheberrechtsreform (tarnkappe.info, Lars Sobiraj)
228 europäische Kreativ-Verbände haben in einem gemeinsamen Schreiben (PDF) dazu aufgerufen, den umstrittenen geplanten Änderungen des EU-Urheberrechts zuzustimmen. Auch der Deutsche Journalisten-Verband befürwortet die Regelung, was Lars Sobiraj zu der Frage führt: “Warum fordert der DJV den Untergang der eigenen Branche?”
Weiterer Lesehinweis: Bei “Infosperber” kommentiert Matthias Zender den Kampf der Schweizer Verleger um ein Leistungsschutzrecht mit den Worten: “Das wäre, wie wenn die Landwirtschaft zur Käseunion zurückkehren würde.”
Und einen Hörtipp gibt es auch noch: Beim “Deutschlandfunk” besprechen Experten das Für und Wider von Uploadfiltern. Die Technik weise deutliche Grenzen auf: Warum Kritiker Angst vor Zensur haben (deutschlandfunk.de, Audio: 9:15 Minuten).
6. Nachdenkliche Töne zum Geburtstag (tagesschau.de, Marcus Schuler)
Vor 30 Jahren legte der Physiker Tim Berners-Lee den Grundstein für das World Wide Web. Der damals 34-Jährige entwickelte HTML, programmierte einen Webserver und einen Browser — die Grundlagen für unser heutiges Web. 30 Jahre nach seiner Erfindung warnt Berners-Lee vor Datenmissbrauch, Desinformation, Hassreden und Zensur. Seine Forderung: “Unternehmen müssen mehr tun, um sicherzustellen, dass ihr Gewinnstreben nicht auf Kosten von Menschenrechten, Demokratie, wissenschaftlichen Fakten und öffentlicher Sicherheit geht.”
Die — je nach Musikgeschmack — gute beziehungsweise schlechte Nachricht vorweg: Es wird kein Modern-Talking-Comeback geben. Auch wenn viele Medien das heute behaupten:
(bz-berlin.de)
(derstandard.at)
(Stern.de)
(Volksstimme.de)
Was es gibt: Einen geschickten PR-Schachzug von Dieter Bohlen und “Bild”, und zahlreiche Redaktionen, die mal wieder blind hinterherlaufen.
Tatsächlich kündigt “Bild” heute exklusiv an, dass Dieter Bohlen nach langer Zeit mal wieder in Deutschland auftreten wird. In der Titelzeile auch das Wort “Comeback”:
Gestern Abend bereits gab es die Meldung bei Bild.de, allerdings ohne das Wort “Comeback”:
Dass “Bohlen wieder Modern Talking singt” trifft es deutlich besser als das Gerede vom Modern-Talking-Comeback. Denn: Bohlen wird bei seinem Auftritt im August auch Modern-Talking-Songs spielen. Auch. Genauso werde es aber Songs von “Blue System” zu hören geben oder welche von “Deutschland sucht den Superstar”. Das steht so auf dem Plakat, das den Bohlen-Auftritt ankündigt. Und Dieter Bohlen erzählt es auch im Interview mit Bild.de:
Auf was dürfen sich die Fans freuen?
Bohlen: “Ich habe 21 Nummer-1-Hits — und die wollen die Fans ja hören. Ich habe die Bands früher immer gehasst, wenn sie ihre alten Hits nicht gespielt haben, sondern den aktuellen Mist, den sie selber gerade gut finden. Am Ende kam dann der Hit. Das ist Mist. Daher spiele ich Modern Talking, Blue System aber auch ‘We have a dream’ von DSDS oder ‘Midnight Lady’ von Chris Norman. Ein Abend mit den Meilensteinen meiner Karriere.”
“Ein Abend mit den Meilensteinen” aus Dieter Bohlens Karriere wird zum Modern-Talking-Comeback. Man stelle sich vor, Paul McCartney singt bei “Carpool Karaoke” Beatles-Songs. Das wäre dann auch kein Beatles-Comeback. Oder Thomas Anders, Bohlens früherer Partner, spielt auf Konzerten die alten Modern-Talking-Sachen. Genau das macht er auch seit Jahren. Und niemand spricht oder schreibt von einem Modern-Talking-Comeback.
Dass bei vielen Medien nun doch von einem solchen Comeback die Rede ist, und dass das Hashtag #ModernTalking bei Twitter trendet, ist vor allem ein Erfolg für Dieter Bohlen und “Bild”. Denn beide wollen an der Sache verdienen. Bohlen, klar, indem er Tickets verkauft. Und die “Bild”-Redaktion ebenfalls, indem sie Tickets (und Abos) verkauft. Denn die gibt es exklusiv bei Bild.de und nur mit einem “Bild plus”-Abo:
1. Rausschmiss deutscher Korrespondenten (reporter-ohne-grenzen.de)
“Reporter ohne Grenzen” (“ROG”) fordert die Türkei dazu auf, die willkürliche Ausweisung von Auslandskorrespondenten zu stoppen. Hintergrund: Die türkischen Behörden haben den beiden deutschen Journalisten Jörg Brase und Thomas Seibert die Arbeitserlaubnis entzogen. “So lange Brase und Seibert nicht ihre Akkreditierung zurückbekommen, darf die Bundesregierung sich keinen Illusionen hingeben und zu normalen Beziehungen mit der Türkei übergehen, so wie sie es in den vergangenen Monaten durch zahlreiche Besuche in Istanbul und Ankara versucht hat”, so “ROG”-Geschäftsführer Christian Mihr.
Weiterer Lesehinweis: Im “Tagesspiegel” berichtet der nunmehr ehemalige Türkei-Korrespondent Thomas Seibert, wie es sich anfühlt, nach 22 Jahren aus dem Land rausgeschmissen zu werden, mit dem er sich äußerst verbunden fühlt. Und er schreibt über Ankaras unmoralisches Angebot an seinen Arbeitgeber, ihn durch einen anderen Korrespondenten zu ersetzen.
2. Entspannt Euch, Leute! Zehn Fragen, mit denen Sie sich vor überhitzten medialen Erregungsblasen schützen (meedia.de, Daniel Bröckerhoff)
Daniel Bröckerhoff, Journalist und ZDF-Moderator bei “heute+”, hat selbst erlebt, wie leicht einen die Twitter-Empörung mitreißen kann. Nun hat sich Bröckerhoff Gedanken gemacht, wie man den “überhitzten medialen Erregungsblasen die Luft rauslassen” kann, und dazu einen Zehn-Punkte-Fragenkatalog entworfen.
3. Politik im Direktversand (sueddeutsche.de, Jens Schneider)
Jens Schneider berichtet von den Social-Media-Aktivitäten der Bundestagsfraktionen. Die größte Zahl an Facebook-Abonnenten mit mehr als 125.000 hat die Linksfraktion. Zum Vergleich: Die AfD-Fraktion hat 82.000. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es bei den Partei-Facebookseiten deutlich anders aussieht: Dort haben die Linken 264.000 Abonnenten, die AfD hat 464.000. Der Bundestag ist weder auf Facebook noch auf Instagram zugegen, obwohl durchaus Interesse an der Arbeit des Parlaments besteht: Die Internet-Seite des Bundestags sei im vergangenen Jahr 70,7 Millionen Mal aufgerufen worden, doppelt so oft wie im Jahr zuvor.
4. Die Privatkampagne des Chefs der Salzburg-Krone gegen Windräder (kobuk.at, Gabriele Scherndl)
In unzähligen Artikeln schrieb die “Salzburger Krone” gegen einen geplanten Windpark an. Mit einseitigen Informationen, verzerrten Fakten und Verunglimpfungen der Gegenseite, wie Gabriele Scherndl im medienkritischen Watchblog “Kobuk” anmerkt. Handelte es sich um eine Privatkampagne des “Krone”-Chefs? Auf diese Idee könnte man kommen, denn die massive Kampagne endete mit dem Rückzug des “Krone”-Chefs ins Pensionärs-Leben: “Seitdem erschien keine Titel- oder Doppelseite, kein Kommentar, kein Artikel oder Leserbrief mehr zu dem Thema. Der letzte Text dazu war, wie sollte es anders sein: Ein Leserbrief, in dem Hans Peter Hasenöhrls Einsatz gegen die Windräder gelobt wird.”
5. Eine Party als neurechtes Netzwerk (belltower.news, Simone Rafael)
Matthias Matussek, ehemals angesehener Journalist bei u.a. “Spiegel”, “Stern” und “Welt”, hat seinen 65. Geburtstag öffentlichkeitswirksam inszeniert, indem er Teile der Gästeliste und viele Fotos veröffentlichte. Es war eine Art Rechtsaußen-Klassentreffen von Politik und schreibender Zunft. Und mit einem Reinhold Beckmann, der sich (durch sein Gitarrenständchen im wahrsten Sinne des Wortes) instrumentalisieren ließ und dafür auf Facebook mühsam um eine Art Rechtfertigung ringt.
6. Disney+ hat größeres Potenzial als Netflix (wuv.de, Franz Scheele)
Vieles deutet daraufhin, dass der Unterhaltungskonzern Disney bald einen eigenen Videostreamingdienst an den Start bringt. Disney sitzt auf einem unglaublich wertvollen cineastischen Schatz: Neben der Filmbibliothek der Walt Disney Studios gehören zu Disney auch die Pixar Animation Studios, die Marvel Studios sowie das gesamte “Star Wars”-Imperium. Dementsprechend gut sind die wirtschaftlichen Erfolgsaussichten: Die amerikanische Investmentbank J.P. Morgan habe in ihrer Prognose von 160 Millionen möglichen Abonnenten gesprochen. Zum Vergleich: Netflix hat derzeit rund 140 Millionen zahlende Kunden.
Manchmal stehen bei Bild.de ja auch Sachen, die richtig sind:
“Bild-Redakteur Timo Lokoschat kommentiert ganz treffend zu den mitunter heftigen Äußerungen zum CDU-Bundestagsabgeordneten Amthor:
Eingedroschen wird aber nicht nur auf seine Positionen, sondern fast immer auch auf sein Äußeres.
Diese Haare! Diese Brille! Dieses Gesicht! Ein Großteil der Tweets und Posts, die in den sozialen Netzwerken zu Amthor abgesetzt werden, beschäftigen sich mit seiner Optik und greifen zu üblen Vergleichen oder sogar Beschimpfungen.
Lookism, vom Englischen “to look” (aussehen) — das bedeutet die Diskriminierung und Stereotypisierung eines Menschen aufgrund seines Aussehens. (…)
Natürlich: Man kann Amthors Habitus thematisieren, sein Auftreten, das auf viele Menschen altmodisch und inszeniert wirkt. Wer Trachtenjancker mit Tierhornverschlüssen und Deutschlandflagge am Revers trägt, der setzt damit ein Statement und muss in Kauf nehmen, dass das aufgegriffen wird. Damit begnügen sich die meisten Kritiker jedoch nicht — es wird persönlich, es wird diffamierend.
Moment, da fällt uns doch was ein:
… titelte Bild.de über Juso-Chef Kevin Kühnert. Die Redaktion macht sich auch gern mal über Sängerinnen lustig, die “SPECKtakulär” im “Neoprall-Anzug” “dick auftragen”: “Zehn knackige Presswurst-Outfits von Mariah Carey”. Und auch Menschen, die nicht im Scheinwerferlicht stehen, zieht Bild.de wegen ihres Aussehens und Gewichts ins Lächerliche.
Timo Lokoschat schreibt zur “Kritik an Philipp Amthor”:
Sogar Journalisten stimmen auf Twitter in den Chor der Oberflächlichen ein.
1. “Ein faires Strafverfahren steht auf dem Spiel” (rbb24.de, Martin Krebbers)
Im Fall der vermissten, 15-jährigen Rebecca aus Berlin wurden zahlreiche Details über erste Ermittlungsergebnisse und die Familie sowie Fotos des Tatverdächtigen veröffentlicht. Die Vereinigung Berliner Strafverteidiger hat mit der Form von Echtzeit-Berichterstattung ein Problem. Ihr Vorsitzender Stefan Conen erklärt im Interview: “Das ist ja nicht nur ein Problem, was ich habe, sondern auch der Gesetzgeber. Informationen aus Ermittlungskreisen durchzustechen — und das wird hier vornehmlich die Polizei sein, die Staatsanwälte kenne ich, von denen glaube ich das nicht — das ist eine Straftat.”
2. Gibt es noch gute Nachrichten, Herr Wickert? (zeit.de, Jochen Wegner & Christoph Amend, Audio: 12:18 Minuten)
Im “Zeit”-Podcast “Alles gesagt” wird so lange gesprochen, bis der Gast befindet, dass es nun gut sei. Das kann schon mal fünf Stunden dauern wie beim Gespräch der “Zeit Online”- beziehungsweise “Zeit Magazin”-Chefs Wegner und Amend mit dem Musiker Herbert Grönemeyer. Beim Interview mit dem Journalisten und Bestsellerautor Ulrich Wickert lief alles anders: Kaum hatte das unterhaltsame Gespräch mit dem langjährigen “Tagesthemen”-Moderator begonnen, war es auch schon wieder zu Ende. Wickert hatte (versehentlich?) sein Stopp-Wort gesagt. Die gut zwölf Minuten lohnen sich trotzdem. Außerdem bleibt die Hoffnung, dass es sich nur um einen Cliffhanger für eine längere Folge handelt.
Weiterer Tipp: Bei ARD-Alpha gibt es ein Gespräch mit Wickert zu sehen, das immerhin 45 Minuten dauert.
3. Protest gegen Artikel 13: Wikipedia schaltet sich ab (heise.de, Torsten Kleinz)
Als Protest gegen die EU-Urheberrechtsreform soll am 21. März die deutschsprachige Wikipedia komplett abgeschaltet werden. So haben es die Wikipedia-Autoren bei einer Abstimmung beschlossen. Die Wikipedia-Community befürchtet die Errichtung einer Zensur-Infrastruktur und sieht die Gefahr, dass der freie Fluss von Informationen eingeschränkt werde.
4. So wird Gewalt an Frauen verharmlost (orf.at, Romana Beer)
In Österreich wurden vergangenes Jahr über 40 Frauen von Männern ermordet. Derlei Gewalttaten werden in den Medien immer wieder verharmlost, den Opfern wird eine Mitschuld zugeschrieben. Morde werden unter anderem als “Ehedrama”, “Beziehungsdrama” und “Familiendrama” bezeichnet und auf diese Weise als familiäre Zwiste kleingeschrieben. Brutale Angriffe auf Frauen werden als “missglückter Flirt” bezeichnet und Vergewaltigungen sprachlich in die Nähe von (einvernehmlichem) Sex gerückt. Romana Beer hält eine angemessene und sprachlich sensible Berichterstattung für einen Teil der Prävention: “Indem sie ihre Wortwahl kritisch hinterfragen, können Redaktionen einen Teil dazu beitragen, ein Klima zu schaffen, in dem Gewalt an Frauen nicht verharmlost wird.” Weiterer Lesetipp: Wie der Boulevard sexuelle Gewalt verharmlost (kobuk.at, Philipp Pramer).
5. “Ich war eine Alibifrau” (taz.de, Simone Schmollack)
Marlies Hesse wurde 1968 Pressechefin des “Deutschlandfunks” und war dort die erste Frau in einer Führungsposition. Eine “Alibifrau”, wie man ihr gegenüber später zugab. Die “taz” hat sich mit Hesse unterhalten, die für die Gleichberechtigung von Frauen im Journalismus eintritt und den nach ihr benannten Preis für Nachwuchsjournalistinnen gestiftet hat.
6. “Achillesfersen finden, nutzen und schauen was passiert” (dwdl.de, Thomas Lückerath)
Miguel Robitzky war gerade mal 16 Jahre alt, als er sich mit seinen Karikaturen beim Medienportal “DWDL” bewarb. Das ist nun fünf Jahre und über 250 Karikaturen her und Anlass, sich mit dem jungen Zeichner über seine Arbeit zu unterhalten. Robitzky auf die Frage, wie er mit Kritik umgeht: “(…) ich reagiere auf Kritik wie ich auf alles reagiere: mit Masturbation.”
Wenn es um das Eingestehen von Fehlern geht und das Korrigieren dieser, ist “Bild”-Chef Julian Reichelt 1A-Superspitzenklasse — laut Julian Reichelt:
Es fällt mir grundsätzlich leicht, mich zu entschuldigen, wenn wir Fehler gemacht haben. Es ist aber nicht so, dass ich mich über Entschuldigungen freue, gar nicht. Ich glaube aber, dass sie ein wichtiger Teil der journalistischen Aufrichtigkeit und Ausdruck unserer proaktiven Kommunikation sind.
In “Bild” und bei Bild.de, wo es dem Chef “grundsätzlich leicht” falle, “mich zu entschuldigen, wenn wir Fehler gemacht haben”, ist der eigene Fehler kein Thema. Im Gegenteil:
Kamen in der Flüchtlingskrise massenhaft Kriegsverbrecher nach Deutschland, ohne dass die Sicherheitsbehörden Hinweisen nachgingen?
Nachdem BILD gestern darüber berichtete hatte, verspricht Bundesinnenminister Horst Seehofer (69, CSU, Foto) Antworten: “Wenn es etwas aufzuarbeiten gibt, wird dies geschehen”, sagte er am Rande eines EU-Innenministertreffens in Brüssel.
Seehofer, selbst massiver Kritiker der damaligen Flüchtlingspolitik, der Bundesregierung, weiter: “Ich lege Wert darauf, dass ich schriftlich einen Bericht bekomme, damit die Öffentlichkeit informiert werden kann, was mit diesen Meldungen geschehen ist.”
Die “Bild”-Redaktion und “Bild”-Chefreporter Peter Tiede tun heute so, als hätten sie die Aufklärung zur Verwirrung um die Hinweise auf Kriegsverbrecher angeschoben, dabei waren sie es, die gestern mit ihrer falschen Seite-1-Überschrift überhaupt erst für die Verwirrung gesorgt haben. Das ist die Transparenz unter Julian Reichelt, über die Mathias Döpfner so jubelt: Das Weglassen eines weiteren Seehofer-Zitats, in dem der Innenminister “Bild” und Tiede widerspricht, wenn er sagt, die Hinweise seien “nicht einfach von den Sicherheitsbehörden abgelegt worden, sondern natürlich geprüft worden”.
Peter Tiede wiederholt heute noch einmal seine falsche Behauptung, es handele sich um “5000 Hinweise auf Kriegsverbrecher unter Flüchtlingen”:
BILD hatte unter Berufung auf eine Anfrage der FDP-Innenexpertin Linda Teuteberg (37) berichtet, dass beim Bundeskriminalamt seit 2014 zwar mehr als 5000 Hinweise auf Kriegsverbrecher unter Flüchtlingen eingegangen sind — daraus aber nur 129 konkrete Ermittlungen erfolgten.
Wir wiederholen das auch gern noch einmal: Tatsächlich geht es um 5000 Hinweise auf Kriegsverbrecher von Flüchtlingen, die diese in ihren Asylverfahren gegeben haben. Es sind nicht “5000 Hinweise auf Kriegsverbrecher unter Flüchtlingen”. Es können sich mehrere Hinweise auf dieselbe Person beziehen, genauso kann sich ein Hinweis auf eine Personengruppe beziehen. Manche dieser Hinweise sind sehr konkret, mit Namen eines oder mehrerer Beschuldigten. Manche sind aber auch sehr vage, ohne mögliche Ermittlungsansätze für die zuständigen Behörden. Viele der Personen, die in diesen Hinweisen als Kriegsverbrecher beschuldigt werden, befinden sich im Ausland, etwa in Syrien oder dem Irak, und nicht in Deutschland. Das heißt allerdings nicht, dass keine möglichen Kriegsverbrecher als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind.
Es bleibt dabei, auch wenn “Bild” nichts in Richtung Korrektur unternimmt: Die Seite-1-Überschrift von gestern war Alarmismus und falsch. Lustigerweise fragt die Redaktion heute im Blatt, direkt neben ihrem Kriegsverbrecher-Weiterdreh:
Wo das Problem sitzt, das dazu führt, dass ständig Alarm herrscht, wo eigentlich keiner ist? Unter anderem im Axel-Springer-Hochhaus.