Abos verkaufen mit Manfred Burgsmüllers Tod

Der frühere Profifußballer Manfred “Manni” Burgsmüller ist vorgestern gestorben. Die Bild.de-Redaktion, die diese Nachricht zuerst hatte, versucht, mit dem Tod des bis heute viertbesten Torschützen der Bundesliga-Geschichte noch ein paar Abos zu verkaufen und ein bisschen Kohle zu verdienen:

Screenshot Bild.de - Manni Burgsmüller - Das größte Schlitzohr der Liga ist tot

Alles hinter der “Bild plus”-Bezahlschranke. Klickt man auf den Banner auf der Startseite, erscheint dieser Teaser:

Er war das größte Schlitzohr der Bundesliga — jetzt ist Manfred Burgsmüller im Alter von 69 Jahren überraschend gestorben.

Lesen Sie mit BILDplus die Hintergründe zum tragischen Tod der Bundesliga-Legende.

Bis auf die Info, dass Burgsmüller “völlig überraschend eines natürlichen Todes” gestorben sei, steht dort dann aber auch nicht wirklich mehr “zum tragischen Tod der Bundesliga-Legende”.

Mit Dank an @PaulBartmuss und @Malte_1906 für die Hinweise!

Strache-Video, Ventil oder Brandbeschleuniger, “heute-show”

1. Es geht alle an
(sueddeutsche.de, Kurt Kister)
Durften “SZ” und “Spiegel” das Strache-Video veröffentlichen, das vor zwei Jahren heimlich in einer Villa auf Ibiza aufgezeichnet wurde? Und spielt es eine Rolle, dass sie offenbar nichts über das Woher und Warum wussten? Kurt Kister wägt die Argumente gegeneinander ab und befindet: “Entscheidend ist, ob der Inhalt relevant ist. Dann gehört es in die Öffentlichkeit.”
Weitere Tipps zum Thema: Wie die SZ an das Videomaterial gelangt ist (sueddeutsche.de, Leila Al-Serori & Bastian Obermayer) und Wie der SPIEGEL das Strache-Video überprüft hat (spiegel.de). Und wer angesichts der ganzen Geschichte das Lachen verloren hat, kann es eventuell hier wiederfinden: So finden Sie versteckte Kameras in Ihrem Airbnb-Appartement (standard.at, Andreas Proschofsky).

2. Österreichs Medien und die Politik: Nicht für blöd verkaufen lassen
(derstandard.at, Hans Rauscher)
Der Sturz von Strache und Gudenus sei “nur eine Etappe im Kampf um Medien, die ihre Rolle in der Demokratie wahrnehmen”, findet Hans Rauscher im österreichischen “Standard”. Außerdem erklärt Rauscher die politisch-mediale Gemengelage: “Die “Krone” (und Fellners “Österreich”) haben die türkis-blaue Regierung hinaufgeschrieben und sind dafür mit Millionen in Form von Inseratengeld gefüttert worden. Die “Krone” wurde durch die unfassbare Dummheit von Strache und Co (“Die übernehmen wir mit russischem Geld”) vom Unterstützer zum Gegner der FPÖ. Seit sich René Benko, der Immobilientycoon und gute Bekannte von Sebastian Kurz, bei der “Krone” (und beim “Kurier”) eingekauft hat, betrachtet die “Krone” auch Kurz etwas skeptischer.”

3. Analyse der Rede von Sebastian Kurz
(threadreaderapp.com, Natascha Strobl)
Am Samstagvormittag trat Österreichs Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache nach der Veröffentlichung des sogenannten “Ibiza-Videos” zurück. Abends trat Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) vor die Kameras, verkündete das Ende der Zusammenarbeit mit der FPÖ und kündigte Neuwahlen an. Natascha Strobl hat genau hingehört und die Kurz-Rede einer lesenswerten und lehrreichen Textanalyse unterzogen.

4. Ventil oder Brandbeschleuniger?
(facebook.com/moritz.gathmann)
“Bild”-Chef Julian Reichelt hat jüngst bei einer gemeinsamen Veranstaltung von Schwarzkopf- und Hertie-Stiftung über die “Verantwortung im Journalismus” gesprochen (ja, wir mussten auch lachen). Moritz Gathmann hatte die Ehre, die Veranstaltung zu moderieren, und hat seine Eindrücke von dem Abend auf Facebook niedergeschrieben. Gathmanns Resümee: “Am Ende wirkt Reichelt auf mich wie ein Metzger, der sich an solchen Abenden nachdenklich gibt über die Frage, ob man Tiere essen solle. Und dann geht er am nächsten Tag wieder lustvoll an die Arbeit.”

5. Schädliche Neigungen
(message-online.com, Volker Lilienthal & Journalistik-Studierende der UHH)
Claas Relotius hat mit seinen gefälschten Artikeln vor allem dem “Spiegel” schweren Schaden zugefügt. Doch Relotius hat auch bei anderen Medien veröffentlicht, unter anderem bei der mittlerweile eingestellten “Financial Times” (Gruner + Jahr). Nun haben sich Volker Lilienthal, Professor für die “Praxis des Qualitätsjournalismus” an der Uni Hamburg, und ein Team aus Studenten und Studentinnen daran gemacht, die Relotius-Texte bei der “FTD” zu überprüfen. Eine der Einsichten: “Schon der frühe Relotius entwickelte schädliche Neigungen, er recherchierte seine Fakten nicht immer sorgfältig, er kupferte manchmal bei anderen ab, und er hübschte seine Storys gelegentlich auf, indem er Vor-Ort-Sein suggerierte und mutmaßlich auch Zudichtungen vornahm. Dies alles zu einer Zeit, als der damalige Mitzwanziger noch an der Hamburg Media School studierte bzw. kurz nachdem er dort Ende 2011 seinen Masterabschluss gemacht hatte.”

6. Liebe “heute-show”, wo ist deine Ambition geblieben?
(dwdl.de, Hans Hoff)
Anlässlich des bevorstehenden zehnten Geburtstags, hat Hans Hoff der “heute-show” einen Brief geschrieben. Dabei geht es um eine enttäuschte Liebe: “Mensch, “heute-show”. Du wirst zehn Jahre alt. Reiß dich mal am Riemen, mach mal das Kreuz gerade und schiel nicht immer nur nach Masse. Du warst doch mal eine ganz intelligente Form der Unterhaltung. Warst du nicht? Okay, dann war ich früher vielleicht anspruchsloser.”

Bringt Julian Reichelt die Familien der Eishockeynationalspieler in Gefahr?

Es ist ja kein Geheimnis, dass Julian Reichelt gern möchte, dass sein Gehalt als “Bild”-Oberchef ein Geheimnis bleibt. Die Nennung seines geschätzten Einkommens könne seine Familie in Gefahr bringen, so Reichelts Argument, als der Branchendienst “kress” in der Sache mal recherchierte.

Mit den Familien anderer Menschen geht Julian Reichelt hingegen nicht so rücksichtsvoll um wie mit seiner eigenen. Heute erschien auf der Bild.de-Startseite diese Geschichte:

Screenshot Bild.de - Die Gehaltsliste unserer Eis-Helden - Wer Millionen verdient - Wer gar nichts bekommt

Die deutschen Eishockeynationalspieler sind bei der Weltmeisterschaft in der Slowakei derzeit ziemlich erfolgreich, und ihre Angehörigen nach Reichelts Logik nun in Gefahr. Und zwar die Familien des gesamten Kaders, denn die Bild.de-Redaktion schätzt von allen Spielern das “Jahres-Netto-Gehalt” — von Ausnahmetalent Leon Draisaitl, von den NHL-Profis Philipp Grubauer, Dominik Kahun und Korbinian Holzer, von Moritz Müller, Matthias Plachta, Yannic Seidenberg, Yasin Ehliz, Patrick Hager, Frank Mauer, Denis Reul, Markus Eisenschmid, Niklas Treutle, Leo Pföderl, Marcel Noebels, Frederik Tiffels, Mathias Niederberger, Gerrit Fauser, Jonas Müller, Marco Nowak, Stefan Loibl, Benedikt Schopper, Lean Bergmann, Moritz Seider und Marc Michaelis.

“Die Gehaltsliste unserer Eis-Helden” befindet sich übrigens hinter der Paywall. Man muss also ein “Bild Plus”-Abo bezahlen, um sie sehen zu können. Oder anders gesagt: Julian Reichelt sichert sein Gehalt, das niemand publik machen soll, indem er das Gehalt anderer publik macht.

Wen Julian Reichelt nach Julian-Reichelt-Logik sonst noch in Gefahr gebracht haben könnte:

Mit Dank an HD Z. für den Hinweis!

Franz Josef Wagner findet diese stolzen, coolen “Mädchen” ganz toll

Es gibt einen neuen Werbespot der Commerzbank mit dem deutschen Fußballfrauennationalteam. Knapp drei Wochen vor der Weltmeisterschaft in Frankreich rechnen die Spielerinnen darin auf starke, selbstironische Weise mit den blödesten Vorurteilen ihnen gegenüber ab. Und sagen unter anderem: “Wir brauchen keine Eier. Wir haben Pferdeschwänze.”

Das sorgt natürlich für Aufsehen — sogar bei “Bild”-Briefonkel Franz Josef Wagner, der gestern schrieb:

[D]as Tolle an Eurem TV-Spot ist, dass Ihr so unglaublich frei seid. Überhaupt nicht verbissen erzählt Ihr die Geschichte des Frauenfußballs. (…)

Dieser TV-Spot erzählt von den Vorurteilen. Frauen sind zum Kinderkriegen da, gehören in die Waschküche.

Genau. Ein weiteres Klischee, das in dem 90 Sekunden langen Werbeclip eingeblendet wird: Es handele sich ja nur um “#mädchenfußball”.

Screenshot des Commerzbank-Werbespots mit eingeblendeten klischeebeladenen Tweets zum Frauenfußball. Darunter auch ein Tweet mit mädchenfußball

Und als wollte Wagner noch einmal unter Beweis stellen, wie bitter nötig dieser Spot auch heute noch ist, überschreibt er seinen Brief an die Fußballerinnen nicht etwa mit “Liebe deutsche Fußballfrauen” oder mit “Liebe Nationalelf” oder mit “Liebe DFB-Frauen”, sondern mit:

Ausriss Bild-Zeitung - Post von Wagner - Liebe DFB-Pferdeschwanz-Mädchen

Und am Ende schreibt er:

Wir sehen wilde Mädchen. Coole Mädchen. Mädchen, die stolz darauf sind, Fußballerinnen zu sein.

Wild, cool, stolz. Aber keine Frauen, sondern nur “Mädchen”, die von einem Mann mal ein Lob bekommen.

Ganz anders sieht das aus, wenn Franz Josef Wagner den Fußballnationalspielern — also: den männlichen — schreibt. Wenn die bei der WM in Russland als Gruppenletzte ausscheiden, schreibt Wagner an die “Liebe Nationalelf”. Wenn die Spieler besonders jung sind, schreibt er an die “Liebe junge Nationalelf”. Schreibt er anderen Sportlern, etwa den Eishockeynationalspielern, steht über seinem Brief: “Liebe Eishockey-Männer”.

Schreibt er hingegen den deutschen Fußballerinnen, egal wie alt oder jung diese sein mögen, richtet er sich an die “Lieben WM-Mädels”.

Mit Dank an Olli für den Hinweis!

Poschardt und VW-Diess im Bett, #RapToo, Umarmungen für Wiglaf

1. Die Auflagen-Bilanz der größten 82 Regionalzeitungen: Tagesspiegel einziger Gewinner dank E-Paper
(meedia.de, Jens Schröder)
Der Auflagenschwund der deutschen Lokal- und Regionalzeitungsbranche hat sich auch im ersten Quartal 2019 fortgesetzt: 81 Verlierer und lediglich ein Gewinner, so lautet die aktuelle Bilanz. Besonders übel hat es die Boulevardblätter erwischt mit einem Minus von teilweise über 20 Prozent (“Express”) im Vergleich zum Vorjahr. Jens Schröder führt alle Zahlen auf und kommentiert bemerkenswerte Entwicklungen.

2. Ein Schritt in Richtung #RapToo
(taz.de, Carolina Schwarz)
Die aktuellen Gewaltvorwürfe gegen einzelne Rapper könnten Auswirkungen auf die sonst eher unkritische Rap-Berichterstattung haben. Carolina Schwarz hat sich angeschaut, wie Musikblogs und andere Medien aus der Szene mit der Thematik umgehen.

3. Im Bett mit Herbert
(kontextwochenzeitung.de, René Martens)
Am 7. Mai überließ die “Welt” ihr Blatt dem VW-Konzern. An diesem Tag fungierte Herbert Diess, der Vorstandsvorsitzende von VW höchst offiziell als Chefredakteur neben Ulf Poschardt. Man möchte weinen, findet René Martens: “Dass sich die “Welt” mit Herbert Diess ins Bett gelegt hat, ist (…) nur konsequent — es ist aber auch Ausdruck einer generell problematischen Entwicklung im Journalismus. Die Grenzen zwischen klassisch redaktionellem Inhalt und Werbung verschwimmen vielerorts, etwa bei Beilagen zu Themen wie Gesundheit oder Reise, die dann als “Verlagsspezial” oder “Verlags-Sonderveröffentlichung” ausgewiesen werden.”

4. Die Lokalzeitung: “Das letzte Lagerfeuer in einer unüberschaubaren Welt”
(fachjournalist.de)
Marc Rath ist der Chefredakteur der “Landeszeitung für die Lüneburger Heide” und ein überzeugter Anhänger des Lokaljournalismus. Im Interview mit dem “Fachjournalist” erklärt er die Chancen und Herausforderungen in diesem Arbeitsumfeld. Es geht unter anderem um Glaubwürdigkeit und den digitalen Wandel.

5. Podcast-Pionier Matt Lieber: Deshalb ist das Podcast-Geschäft bald mehrere Milliarden wert
(omr.com, Martin Gardt)
Matt Lieber, Podcast-Pionier und Co-Gründer des Podcast-Labels Gimlet Media, hat sein Unternehmen für kolportierte 230 Millionen US-Dollar an Spotify verkauft. Im “OMR”-Podcast erzählt er von den Schwierigkeiten des Podcast-Markts, aber auch den enormen Wachstumschancen.

6. Ein Symbolbild und die Kritik daran
(deutschlandfunk.de, Christian Röther)
Christian Röther erzählt im “Deutschlandfunk”, was schiefgehen kann, wenn man bei der Bebilderung eines Beitrags nicht ganz genau aufpasst: Für einen Beitrag über Islamische Theologie suchte er ein passend verschlagwortetes Bild aus dem Fotoarchiv heraus und stellte es online. Und hier beginnt die eigentliche Geschichte.

7. Wiglaf Droste: Grönemeyer kann nicht tanzen
(youtube.com, Wiglaf Droste)
Anlässlich des Todes des Satirikers und Schriftstellers Wiglaf Droste.

Lesenswerte und berührende Nachrufe gibt es von Friedrich Küppersbusch bei der “taz”, von Hans Zippert bei der “Welt” und Arno Frank beim “Spiegel”.

Twitter verbietet Scherze, Phantom-Spielbericht, Prä-Online-Shitstorms

1. Twitter-Scherze zur Europawahl sind nicht mehr erlaubt
(spiegel.de, Patrick Beuth)
Wer auf Twitter einen Scherz zur Europawahl macht, riskiert, von der Plattform zu fliegen. Dies sei die Folge einer “Richtlinie zur Integrität von Wahlen”. Die Twitter-Anweisung verbiete “das Posten oder Teilen von Inhalten, die sich negativ auf die Wahlbeteiligung auswirken oder falsche Angaben zum Termin, zum Ort, oder zum Ablauf einer Wahl machen”. Aber eine Twitter-Sperre kann mittlerweile jeden und jede treffen, wie die vergangenen Tage zeigten. Und mit Wahlbeeinflussung hatten die allermeisten Fälle nichts zu tun.
Weiterer Lesetipp: Sebastian Baumers “ziemlich kafkaeske Geschichte der Löschung meines Twitteraccounts”, in der er ernüchtert feststellt: “Ich sehe inzwischen ein, dass ich in den letzten Jahren (vor allem nach 2015) einen großen Fehler gemacht habe: Der Fehler war, vor allem und mehr und mehr schwerpunktmäßig auf eine einzelne Plattform zu setzen, was mein Schreiben, meine Fotografie und meine ganze Internetaktivität angeht, nämlich Twitter.”

2. Europa, im Streit vereint
(zeit.de, Maria Exner & Philip Faigle & Sebastian Horn & Jochen Wegner)
Die “Zeit” hat zusammen mit 15 europäischen Partnermedien die Aktion “Europe talks” ins Leben gerufen. Dabei wurden den Leserinnen und Lesern sieben Fragen zu Europa gestellt (zum Beispiel “Sollten alle europäischen Länder strenge Grenzkontrollen einführen?” oder “Verbessert die EU das Leben ihrer Einwohner?”). Anschließend konnten sie sich per Computerlos mit einer unbekannten anderen teilnehmenden Person zum Gespräch zusammenführen lassen, die andere, womöglich gegensätzliche Ansichten hat. Die “Zeit” nennt das Prinzip intern “Politik-Tinder”. Das Ziel sei, persönliche Zwiegespräche zu vermitteln, um so die Filterblasen zu überwinden. Auf den Websites der insgesamt 16 Medienpartner hätten sich mehr als 21.000 Menschen für “Europe Talks” registriert.

3. Wie das Startup Hypedby auf Instagram enorme Reichweiten erzielt und damit Geld verdient
(kress.de, Marc Bartl)
Das Unternehmen Hypedby unterhält bei Instagram über 50 Kanäle mit mehr als zwölf Millionen Followern. Dabei geht es vornehmlich um Fußball, Motorsport, Kochrezepte und Haustiere. Erst vor zwei Jahren gegründet, beschäftigt Hypedby mittlerweile 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich um alle Schritte der Verinstagramisierung von Inhalten kümmern.

4. Shitstorm anno 1971
(deutschlandfunk.de, Matthias Dell, Audio: 4:20 Minuten)
Shitstorms gab es bereits in der Prä-Online-Ära, es existierte nur noch nicht der Begriff dafür. Matthias Dell berichtet im “Deutschlandfunk” über einen dieser analog ausgetragenen Shitstorms aus den 70er-Jahren. Es geht um einen Dokumentarfilm des Regisseurs Eberhard Fechner: “Man kann in den Reaktionen auf den Fechner-Film von 1971 schon vieles von dem entdecken, womit wir es gegenwärtig zu tun haben. Umgangsformen spielen heute aber kaum mehr eine Rolle. Damals macht sich die Zuschauerin immerhin noch die Mühe, ihren Abschied von diesen Formen zu erklären. Heute würde sie wohl zu Ausrufezeichen und Großbuchstaben greifen.”

5. Aus der Tiefe des Maschinenraumes
(uebermedien.de, Holger Pauler)
“Der Unparteiische setzte mit dem Halbzeitpfiff dem torlosen Treiben auf dem Feld vorläufig ein Ende. Nach torloser erster Halbzeit gab es auch nach Wiederanpfiff keine Treffer zu bewundern. Die Teams trennten sich am Ende mit einer Nullnummer voneinander.” So las sich ein Fußball-Spielbericht zum Beispiel in der “Welt”. Das Problem: Das Spiel hatte gar nicht bis zum Ende stattgefunden, sondern war vom Schiedsrichter bereits nach elf Minuten wegen eines Gewitters samt Hagel und Starkregen abgebrochen worden. Dass der Spielbericht des Phantomspiels dennoch erschien, ist fehlerhaften Angaben eines Datenlieferanten geschuldet. Auf deren Basis setzte eine Software den unpassenden Spielbericht aus Textbausteinen zusammen. Der Vorfall erinnert daran, wie sehr sich computergenerierte Texte mittlerweile in der Fußballergebnis- und Börsenberichterstattung breitgemacht haben.

6. Abtreibungsgegner Yannic Hendricks zieht seine Berufung gegen BuzzFeed News zurück – wir werden seinen Namen weiterhin nennen
(buzzfeed.com, Juliane Loeffler)
Der Abtreibungsgegner und leidenschaftliche Ärzte-Anzeiger Yannic Hendricks war gegen “Buzzfeed News” vorgegangen, weil die Nachrichtenseite seinen Namen genannt hatte. Nachdem dies juristisch erfolglos blieb, legte er Berufung ein, zog diese jedoch wegen mangelnder Erfolgsaussichten zurück. In der Berufungsbegründung hatte er unter anderem damit argumentiert, dass er aufgrund der Namensnennung stigmatisiert worden sei. So sei er auf Social Media unter anderem als “Arschloch” bezeichnet worden.

Wer den Schaden hat, braucht für die “Bild”-Erfindung nicht zu sorgen

Screenshot Bild.de - Nach KSC-Aufstieg in Münster - 100.000 Euro Schaden durch Platzsturm

titelte Bild.de am Samstagabend, nachdem die Drittliga-Fußballer des Karlsruher SC 4:1 beim SC Preußen Münster gewonnen und damit den Aufstieg in die 2. Bundesliga klargemacht hatten. Joachim Schuth, bei “Bild” stellvertretender Sportchef für Nordrhein-Westfalen, beschreibt das Ganze hinter der “Bild plus”-Paywall so:

Über 3000 mitgereiste Karlsruher Fans feierten nach dem 4:1-Erfolg bei Preußen Münster die geglückte Zweitliga-Rückkehr. Mit dem Abpfiff von Schiri Lasse Koslowski (Berlin) gab’s kein Halten mehr, kletterten die freudetrunkenen Anhänger der Badener über die Barrikaden. (…)

Dabei ging im alten Stadion an der Hammer Straße einiges zu Bruch. Kaputte Zäune, LED-Anzeigen und auch die Trainerbänke mussten dran glauben.

Erste Schätzung der Schadenshöhe: über 100.000 Euro. Doch der KSC hat bereits angekündigt, die Kosten zu übernehmen.

Und auch in der Stuttgart-Ausgabe der “Bild”-Zeitung steht zu den Vorkommnissen in Münster:

Wilde Szenen nach Abpfiff: Gäste-Fans stürmen den Rasen, zerstören Zäune, LED-Bildschirme und Trainerbänke. Es soll ein Schaden von mehr als 100 000 Euro entstanden sein.

Auf eine Nachfrage der Fanhilfe Karlsruhe, woher denn diese Summe stamme, antwortet Preußen Münster:

Screenshot eine Antwort von Preußen Münster bei Twitter - Frage: Wie hoch ist der Sachschaden im Innenbereich? Wirklich 100.000 Euro wie die Bild berichtet? Woher hat die Bild diese Zahl? - Antwort: Eine finale Schadenserhebung liegt noch nicht vor, da insbesondere die überrannten LED-Banden noch ausgiebigen Funktionstests unterzogen werden müssen. Woher die 100.000 Euro stammen, wissen wir nicht.

Und Bernhard Niewöhner, Geschäftsführer bei Preußen Münster, sagt, die Summe von 100.000 Euro sei frei erfunden.

Bei Bild.de stehen die angeblichen Kosten von 100.000 Euro unverändert in Überschrift und Artikel.

Mit Dank an Sebastian F. und Nicolaj Z. für die Hinweise!

Mopo-“Strategie”, Monetarisierter “Checkpoint”, Europa-Spot der NPD

1. DuMonts Mopo ändert Print-Strategie: Boulevardblatt folgt bei Zeitungsthemen den Leserinteressen im Netz
(meedia.de, Gregory Lipinski)
Beim Lesen kann man fast die uninspirierte Verzweiflung spüren, mit der das Haus DuMont die gedruckte Hauptausgabe der “Hamburger Morgenpost” “stärken” will: Um den Auflagenschwund der gedruckten Zeitung zu stoppen, sollen klickstarke Geschichten aus dem Netz gefischt und für die Zeitung aufbereitet werden. Wobei sich DuMont wohl komplett aus dem Zeitungsgeschäft zurückziehen will: Seit einigen Tagen wird in Medien über den Verkauf der DuMont-Zeitungstitel spekuliert.

2. 1000 durchgeschriebene Nächte
(tagesspiegel.de, Lorenz Maroldt)
2014 gründeten Stefanie Golla und Lorenz Maroldt vom “Tagesspiegel” einen täglichen Morgennewsletter aus Berlin: den “Checkpoint”. Tausend Ausgaben später kommt nun der nächste Schritt: die Vermarktung. Ein Abo des Newsletters kostet künftig monatlich 6,99 Euro, ein Jahresabo 5 Euro im Monat. Eine gekürzte Version des Newsletters soll jedoch weiterhin kostenlos erhältlich sein. Lorenz Maroldt nutzt die Gelegenheit, auf “1000 durchgeschriebene Nächte” zurückzublicken.

3. Auf Immer­wiedersehen!
(sz-magazin.sueddeutsche.de, Dorothea Wagner)
Es gibt wenig Tröstlicheres, als sich stets ­dieselben Filme und ­Serien ­anzuschauen, findet Dorothea Wagner in ihrem Artikel über das sogenannte “Comfort Bingen”. Wagner fragt: “Verlieren mit dem Comfort Binge die Serien und Filme nicht ihren Sinn? Sind Witze nicht darauf ausgelegt, dass mich ihre Pointe überrascht, und lebt Spannung nicht davon, dass ich das Ende der Geschichte nicht kenne? Jein. Der US-Autor Steven Johnson beschreibt im Buch Neue Intelligenz, dass Unterhaltungsserien so kompliziert geworden sind, dass sie einen dafür belohnen, wenn man sie sich mehrmals anschaut, weil man erst dann alle Anspielungen verstehen und die Eleganz der verschiedenen verknüpften Handlungsstränge würdigen kann.”

4. Wirken sich Antibiotika auf Herz-Kreislauf-Risiken aus? Science Media Newsreel No. 47
(meta-magazin.org)
Im Wochenrückblick des “Science Media Center” geht es um die Forschungsergebnisse, über die in letzter Zeit besonders häufig in den Medien berichtet wurde. Dieses mal: “Längere Einnahme von Antibiotika erhöht Risiko einer Herz-Kreislauf-Erkrankung” (“European Heart Journal”), aufgegriffen unter anderem von “Stern”, “Focus” und “Deutschlandfunk”.

5. VGH Hessen: Hessischer Rundfunk muss Wahlwerbespot der NPD senden
(urheberrecht.org)
Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH Hessen) hat entschieden, dass der Hessische Rundfunk (hr) einen Europawahl-Wahlwerbespot der NPD im Hörfunk senden muss. Der hr hatte die Ausstrahlung abgelehnt, weil der Werbespot den Straftatbestand der Volksverhetzung erfülle. Das Gericht sah dies anders: Die Zuschreibung krimineller Neigungen stelle noch kein “Absprechen des Achtungsanspruchs als Mensch” dar.

6. Die Freiheiten des Äthers
(deutschlandfunk.de, Kerstin Schweighöfer)
In den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts mögen Piratensender noch ein Thema gewesen sein. Heutzutage kann jeder einen “Radiosender” im Netz hochziehen oder sich per Podcast an die Welt wenden. Kerstin Schweighöfer erzählt in einem kurzen Abriss von den Anfängen der niederländischen Piratensender bis zur Jetztzeit.

Informieren wegen Paywall abgesagt

Bei Bild.de stellen sie ihre, nun ja, besonders guten Artikel gern hinter die Paywall, weil sie damit Geld verdienen wollen, und daran ist erstmal auch nichts auszusetzen. Es gibt dann aber solche Fälle:

Screenshot Bild.de - Schulfest wegen Ramadan abgesagt - Warum dieser deutsche Rektor Angst hat

Dieser Artikel ist heute erschienen, und die dazugehörige Teaser-Grafik, die auf der Startseite zu sehen war, ist ziemlich übler, schlechter Journalismus. Genauso in der “Bild”-Zeitung von heute:

Ausriss Bild-Zeitung - Schulfest abgesagt Ramadan Ramadan - Warum dieser deutsche Rektor Angst hat

Schon die Dachzeile “Schulfest wegen Ramadan abgesagt” stimmt schlicht nicht. Denn abgesagt wurde an der Schule in Aschaffenburg, um die es hier geht, nichts, sondern nur verschoben. Und das auch nicht aus Angst, wie man aufgrund der Kombination von Dachzeile und Überschrift denken könnte, sondern aus Rücksichtnahme — auf die 53 der 160 Schülerinnen und Schüler, die Muslime sein sollen, und deren Eltern. Angst hatte der Rektor also nicht vor Muslimen, die sauer sein könnten, dass ein Schulfest im Ramadan stattfinden soll. Angst hat er jetzt, nach der rücksichtsvollen Verschiebung, vor pöbelnden Islamfeinden.

All das können auch Bild.de-Leserinnen und -Leser erfahren, aber nur, wenn sie ein “Bild plus”-Abo haben. Schließlich stehen die entscheidenden Informationen hinter der hochgezogenen Paywall. Zur vermeintlichen Absage etwa ganz am Ende des Textes:

Das Fest soll im Herbst nachgeholt werden.

Und zur Angst des Rektors:

Schulleiter (…) möchte sein Gesicht nicht zeigen: Nach den Anfeindungen und Beleidigungen hat er Angst, dass “diese Angelegenheit auch in meinen privaten Bereich getragen wird”

Sowie:

Der Rektor wollte Rücksicht auf alle Schüler nehmen. Jetzt hat er Riesenärger: Er wird beschimpft, beleidigt und bedroht, weil er ein Schulfest absagte. Aus Rücksicht auf muslimische Kinder, die mitten in der Fastenzeit sind. (…)

53 der 160 Schulkinder sind Moslems. Statt auf sie zu verzichten, verschob man das Fest kurzerhand. Der Schulleiter ist über die Reaktionen enttäuscht: “Den Hetzern geht es nur darum, ihre islamfeindlichen Parolen los zu werden.”

Die vielen Leute, die Bild.de ohne “Bild plus”-Abo besuchen, bekommen diese nicht ganz unwesentlichen Details nicht mit. Sie werden mal wieder schlecht und irreführend informiert.

Die Bild.de-Redaktion hat ihre Teaser-Grafik inzwischen immerhin der Realität angepasst:

Screenshot Bild.de - Schulfest aus Rücksicht auf Ramadan verschoben - Warum dieser deutsche Rektor jetzt Angst hat

Mit Dank an @goldi für den Hinweis!

Overblocked by Twitter, Stunk um “SZ”-Chefin, Disney und Lenin

1. Twitter sperrt jüdische Wochenzeitung
(sueddeutsche.de)
Twitter scheint derzeit ein extremes Overblocking zu fahren. In den vergangenen Tagen wurden immer wieder Accounts wegen unproblematischer Tweets gesperrt, unter anderem auch das Konto der Wochenzeitung “Jüdische Allgemeine”.
Weiterer Lesetipp: Twitter kippt nach rechts, ein Beitrag des Juristen Christian Säfken, der für einen alten Witz über die AfD gesperrt wurde und sich dies nicht gefallen lassen will.

2. Stunk im Turm
(taz.de, Anne Fromm)
“SZ”-Chefredakteurin Julia Bönisch veröffentlichte vor einigen Tagen im Branchenblatt “journalist” ihren persönlichen Blick auf den Journalismus. Dort hieß es: “Frau, Onlinerin, noch keine 40 — damit stehe ich für fast alles, was unbequem und lästig ist: für Veränderung, für Digitalisierung, für einen Generationenwechsel, der auch Frauen an die Spitze bringt.” Und in der Tat: Bönisch hat mit dem Text einen Großteil der Redaktion und sogar den Betriebsrat gegen sich aufgebracht.

3. re:publica 2019: Einige sagen Festival
(indiskretionehrensache.de, Thomas Knüwer)
Thomas Knüwer schreibt über den Weg der re:publica von der Konferenz zum Festival, benennt die Höhe- und Tiefpunkte der Veranstaltung und das Comeback des “Handreichungs-Journalisten”. Sein Fazit mit Blick auf die Kritiker: “Sie wird es wohl niemand recht machen können, die rp, der sich nicht auf sie einlässt. Der sich vor allem nicht einlässt auf diesen wundervollen, bunten Haufen Mensch, der redet über Thesen der Politikwissenschaften, den Einsatz von Internet im Roten Kreuz, New Work, das Run DMC-Logo als Meme, gutes und schlechtes im Essen oder die Faszination von Raumfahrt. Ich kenne keinen Ort, an dem ich so viele, unterschiedliche Personen treffe, Anzugträger und aktivistische Programmierer und Schüler und Studenten und Kleinkinder und Youtuber und Politiker und Podcaster und Afrikaner und Amerikaner und Europäer und Rollstuhlfahrer und Astronauten.”

4. Zahlenkosmetik
(deutschlandfunk.de, Annika Schneider, Audio: 6:21 Minuten)
Für Fernsehquoten und Zeitungsauflagen gibt es seit Jahren standardisierte Messmethoden. Bei Podcasts gibt es keine einheitliche Zählweise, was Vergleiche erschwert. Auch die Zahlen des “Morning Briefing”-Podcasts von Gabor Steingart sind äußerst umstritten. Podcastredakteur Marc Krüger (t-online.de) erläutert die technischen Schwierigkeiten beim Erfassen und Auswerten der Zahlen.

5. 49 der 100 erfolgreichsten Facebook-Posts zur Europawahl sind von der AfD
(buzzfeed.com, Karsten Schmehl)
“BuzzFeed News” hat Facebook-Posts zur Europa-Wahl ausgewertet und ist dabei zu einem erschreckenden Ergebnis gekommen: Allein 49 der 100 erfolgreichsten Facebook-Beiträge zur Europawahl kämen von der AfD. Die Partei habe damit 250.000 Interaktionen ausgelöst und sei fast zehnmal so erfolgreich wie alle restlichen im deutschen Bundestag vertretenen Parteien zusammengenommen.

6. Auf dem Weg zum Monopol: DISNEY – Ein Filmanalyse-Spezial
(youtube.com, Wolfgang M. Schmitt, Video: 12:56 Minuten)
Nicht zuletzt durch strategische Zukäufe wird der Disney-Konzern immer mächtiger. Es sei erschreckend, wie sehr Marvel-, Pixar-, Star-Wars- und Avatar-Filme, aber auch Realverfilmungen von Disney-Klassikern das Kino beherrschen, findet Wolfgang M. Schmitt in seiner Filmanalyse. Lenin habe diese Art der Monopolentwicklung bereits vor 100 Jahr beschrieben.

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