Wahlnacht, Giga-Framing, Rekord-Traffic wegen Corona & US-Wahl

1. Im Feuer der Desinformation
(zeit.de, Meike Laaff)
Schon Monate vor dem US-Wahltag hatten Facebook, Twitter, Youtube und andere Internetunternehmen Pläne zur Bekämpfung von Falschinformationen zur Wahl vorgelegt. “Zeit Online”-Redakteurin Meike Laaff hat sich in einer ersten Analyse angeschaut, wie gut das gelungen ist. Im Vergleich zu den vergangenen Präsidentschaftswahlen sei entschiedener eingegriffen worden, so ihr Fazit. In der gegenwärtigen Situation reiche dies jedoch nicht: “Informationsmanagement, Labels und Sperrungen in sozialen Netzwerken können nicht ad hoc die grundlegenden gesellschaftlichen Probleme lösen, die diese Wahl einmal mehr offenbart. Die USA sind tief gespalten. Das Feuer aus Falschinformationen, die den Wahltag im Netz begleitet haben, zeugt davon einmal mehr.”

2. Die lange Nacht der langen Gesichter: Ein Protokoll der Wahlnacht im Livefernsehen
(rnd.de, Imre Grimm)
Der Journalist Imre Grimm hat sich in einen Selbstversuch gestürzt und neun Stunden TV-Wahlberichterstattung konsumiert. In seinem Protokoll kann man verfolgen, wie er sich tapfer durch die Programme zappt.
Weitere Guckempfehlung: Das Medienmagazin “Zapp” war “Hinter den Kulissen der ARD-Wahlnacht zur US-Wahl” (youtube.com, Video: 6:51 Minuten).
Weitere Leseempfehlung: “Deutsche Medien übernahmen in der Wahlnacht nicht belegte Behauptungen von Trump. Was medial sonst noch falsch gelaufen ist.” Carolina Schwarz mit einer Medienschau zur US-Wahl (taz.de).

3. Hilfreiche Datenvisualisierungen im Überblick
(netzpolitik.org, Anna Biselli)
Wahlen sind traditionell die Stunde der Datenvisualisierungen. Zu den typischen Balken- und Säulendiagrammen kommen heutzutage eindrucksvolle und teilweise interaktive Zahlen-Präsentationen. Bei netzpolitik.org gibt es eine Zusammenstellung einiger besonders schöner, hilfreicher oder außergewöhnlicher Beispiele.

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4. “Gigafactory” – Wenn Medien Firmen-PR übernehmen
(deutschlandfunk.de, Annika Schneider, Audio: 2:22 Minuten)
Der Fahrzeughersteller Tesla errichtet derzeit in Brandenburg eine Fabrik, die er “Gigafactory” nennt. Medien sollten diesen Begriff nicht übernehmen, findet Deutschlandfunk-Journalistin Annika Schneider: “Dahinter steckt geschickte Firmen-PR: Eine ‘Gigafactory’, das ist kein einfaches Werk zur Herstellung von E-Fahrzeugen – der Anglizismus klingt nach einer Anlage riesigen Ausmaßes, in der hochmoderne Technologien zum Einsatz kommen. Genau deswegen ist der Begriff nicht neutral, sondern ein Euphemismus.”

5. Wie divers ist der ARD-Nachwuchs?
(journalist.de, Lynn Kraemer & Daniel Tautz & Nils Hagemann)
Wie divers ist der ARD-Nachwuchs? Das wollten zwei Volontäre und eine Volontärin erfahren und haben nach eigenen Angaben ihre 150 Kolleginnen und Kollegen bei der ARD, der Deutschen Welle und dem Deutschlandradio kontaktiert. 86 von ihnen konnten sie für eine Umfrage gewinnen. Die Journalismus-Auszubildenden der ARD seien den Angaben nach überwiegend weiblich, hätten studiert und würden mehrheitlich die Grünen wählen. Im “journalist” stellen die Studienverantwortlichen die Ergebnisse im Detail vor und ordnen sie ein.

6. Corona und US-Wahl sorgen für Rekord-Internetnutzung in Deutschland
(spiegel.de)
Der Frankfurter Internetknoten hat einen Rekord in Sachen Datenverkehr vermeldet. Der neue Höchstwert liege mehr als 40 Prozent über dem Vorjahr, normal sei ein Wachstum von zehn Prozent. Gründe seien die verstärkte Medien- und Datennutzung durch Streaming, Homeoffice und Homeschooling sowie das starke Interesse an der US-Wahl.

“Bild” übernimmt die PR-Arbeit des Wiener Attentäters

Nach dem rechtsterroristischen Anschlag auf zwei Moscheen in Christchurch sagte Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern über den Attentäter:

Speak the names of those who were lost rather than the man who took them. He may seek notoriety, but we in New Zealand will give him nothing, not even his name.

Arderns Idee, dem Täter nicht zu der von ihm gewünschten Bekanntheit zu verhelfen und ihm nicht mal den Gefallen zu tun, seinen Namen zu nennen, passt gut zu den Erkenntnissen vieler Wissenschaftlerinnen und Experten. Diese warnen seit Jahren vor einer ausführlichen, mitunter sogar heroisierenden Berichterstattung, die den Attentäter in den Mittelpunkt stellt. Im schlimmsten Fall könnte daraus eine Inspiration und ein Ansporn für Nachahmer entstehen. Jennifer Johnston und Andrew Joy von der Western New Mexiko University schreiben beispielsweise in einer Studie:

Die Identifikation mit früheren Tätern, die durch die extensive Berichterstattung berühmt geworden sind, einschließlich der Veröffentlichung ihrer Namen, Gesichter, Lebensgeschichten und Hintergründe, löst einen mächtigeren Schub in Richtung Gewalt aus als psychische Erkrankungen oder der Zugang zu Waffen.

Die daraus abzuleitende Empfehlung für alle Medien: Diese “Identifikation mit früheren Tätern” gar nicht erst möglich machen.

Die “Bild”-Redaktion verfolgt einen anderen Ansatz: Sie baut Attentätern regelmäßig Denkmäler. So auch jetzt, nach dem islamistischen Terroranschlag in Wien am Montagabend, bei dem vier Menschen getötet und 23 weitere verletzt wurden. Etwas kleiner auf der Titelseite und groß im Blatt zeigt die “Bild”-Zeitung heute ein unverpixeltes Foto des Täters:

Ausriss Bild-Titelseite - Das Böse und die Helden von Wien ... und ein Licht für die Opfer - dazu zu sehen ein Foto des Attentäters ohne Unkenntlichmachung
Ausriss Bild-Zeitung - Er trickste die Sicherheitsbehörden aus - Das ist der ISIS-Killer von Wien
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)

Auf dem Foto posiert der Mann mit den Waffen, mit denen er später in Wien seine Opfer tötete. Es soll aus einem Video stammen, das der sogenannte “Islamische Staat” nach der Tat veröffentlicht hat. “Bild” nutzt dieses Propagandamaterial ungefiltert für die eigene Berichterstattung und zeigt den Mann so, wie er sich selbst und wie die Terrororganisation ihn zeigen wollte. Auch auf der Bild.de-Startseite war das Foto an prominenter Stelle zu sehen:

Screenshot Bild.de - Er trickste die Sicherheitsbehörden aus - Das ist der ISIS-Killer von Wien

“Bild” macht sich zum Handlager der Terroristen. Die Redaktion nennt zusätzlich auch den kompletten Vor- und Nachnamen des Täters. Und sendet mit diesem PR-Gesamtpaket allen potentiellen Nachahmern die Botschaft: Solltet ihr einen Anschlag verüben, sorgen wir auf unseren Titel- und Startseiten dafür, dass ihr berühmt werdet.

Dazu auch:

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Terror-Berichterstattung, Ohne Zeitplan, Tweet-Warnungen

1. Terror-Berichterstattung: Am dunkelsten Tag zeigt oe24, warum man es nicht braucht
(kleinezeitung.at, Daniel Hadler)
Die Berichterstattung über den Terroranschlag in Wien habe gezeigt, inwieweit sich die österreichischen Medien unterscheiden: Während ORF oder Puls24 seriös berichtet hätten, habe es beim Boulevardmedium oe24.at reinen Voyeurismus gegeben – was für massive Kritik gesorgt habe. Das gehe sogar so weit, dass große Werbekunden unmittelbar ihre Werbeschaltungen kündigten.

2. Regierung hat keinen Zeitplan für Gesetz gegen Hass und Hetze
(spiegel.de, Max Hoppenstedt)
Der Bundestag hat im Juni das Gesetz zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität beschlossen. Die neuen Regelungen sollten eigentlich ab dem 1. Januar 2021 wirksam werden. Wegen verfassungsrechtlicher Bedenken verweigerte der Bundespräsident jedoch seine Unterschrift. Für Abhilfe soll ein sogenanntes Reparaturgesetz sorgen, doch die Angelegenheit zieht sich hin. Fraglich sei zudem, wie das Bundeskriminalamt die auf die Behörde zukommende Mehrarbeit ohne personelle Aufstockung bewältigen könne: Man rechne damit, dass Facebook, Youtube und Twitter bis zu 250.000 Beiträge pro Jahr an das BKA melden könnten.

3. Die größte Filmdatenbank der Welt
(golem.de, Peter Osteried)
In der Filmdatenbank Internet Movie Database (kurz: IMDb) finden sich Einträge zu mehr als 550.000 Filmen, fast 200.000 Serien und mehr als 100.000 Fernsehfilmen. Peter Osteried zeichnet die Entwicklung des Cineasten-Lexikons nach – von der Entstehung im Usenet und der Übernahme durch Amazon bis in die Jetzt-Zeit.

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4. Urheberrechtsreform: Altmaier macht gegen Nutzung von Inhalte-Schnipseln mobil
(heise.de, Stefan Krempl)
Bei der geplanten Urheberrechtsreform gibt es anscheinend widerstreitende Interessen der Bundesministerien. So wolle das Wirtschaftsministerium die vom Justizressort vorgesehene Bagatellausnahme für nichtkommerzielle Nutzungen in Sozialen Medien zu Fall bringen. Stefan Krempl ordnet den Zwist ein, bei dem mehr Interessen aufeinandertreffen, als man zunächst vermutet.

5. Twitter versieht Tweets zu Trump-Wahlergebnissen mit Warnung
(rnd.de)
Twitter hat in der US-Wahlnacht mehrere Tweets zu Trump-Wahlergebnissen mit Warnhinweisen versehen. Auch während ich diese Zeilen schreibe, ist dies der Fall und betrifft einen Tweet des Präsidenten höchstpersönlich.

6. Fünf Gründe, warum du Telegram sofort löschen solltest
(vice.com, Sebastian Meineck)
Telegram hat sich vom Chatprogramm und Messenger zu einer, wenn auch mitunter fragwürdigen, Plattform für Informationsaustausch entwickelt. Hier können sich Gruppen von bis zu 200.000 Personen zusammenschließen – weitgehend unkontrolliert. Eine Tatsache, die sich besonders bei Rechtsextremen und Verschwörungsideologen herumgesprochen hat. Doch es gebe noch mehr Gründe, warum man die App vom Handy verbannen sollte, wie Sebastian Meineck erklärt.

220 Mio. vertane Chancen, US-Wahl, Pantoffelheldige Knuffeligkeit

1. “Eine vertane Chance”
(taz.de, Anne Fromm)
Insgesamt 220 Millionen Euro Pressesubventionen sollen demnächst über die Verlagslandschaft herabregnen. Die Höhe der Zuwendung solle sich nach der Auflage der jeweiligen Zeitung beziehungsweise Zeitschrift richten. Eine Vergabepraxis, die von Medienwissenschaftler Christopher Buschow kritisiert wird: “Wir belohnen die, die sowieso schon hohe Auflagen und Reichweiten haben. Was man mit einem solchen Modell aber nicht schafft, ist, Qualität und Innovation zu fördern. Dabei wären das aus meiner Sicht die dringenderen Kriterien.”

2. US-Wahl 2020: Die Wahlnacht live im TV und Live-Stream – Alle Sender, alle Termine
(fr.de, Nico Scheck)
Heute Nacht wählen die Menschen in den USA ihren nächsten Präsidenten. Die “Frankfurter Rundschau” hat zusammengestellt, auf welchen Sendern sich das Spektakel live anschauen oder streamen lässt, und welche Sondersendungen geplant sind.
Weiterer Lesehinweis: Stefan Niggemeier erinnert bei “Übermedien” an die US-Wahl von vor vier Jahren und fragt: “Die großen Medien waren sicher, dass Hillary Clinton gewinnt. – Oder?”

3. “Die Gegenwart bekommt mehr Tiefe”
(sueddeutsche.de, Cornelius Pollmer)
Auf Twitter erfreut sich die “Tagesschau vor 20 Jahren” großer Beliebtheit. Dort erscheinen alte Nachrichten, die oft einen überraschenden oder kuriosen Bezug zur Gegenwart haben. Was viele nicht wissen: Der Account wird nicht von der ARD, sondern vom Literaturwissenschaftler Hannes Fischer bespielt, der gerade in Berlin an seiner Dissertation arbeitet. Die “Süddeutsche Zeitung” hat sich mit Fischer zum Gespräch getroffen.

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4 Ist das Altpapier noch modern genug?
(mdr.de, René Martens & Jenni Zylka)
Lucia Eskes und Vera Lisakowski sind verantwortlich für Grimme-Preis und Grimme Online Award in den Bereichen Fernsehen und Internet. Im Interview mit dem “Altpapier” geht es unter anderem um die vernachlässigten Beobachtungsfelder Web-Kritik und Online-Kritik, den Unterschied zwischen Shitstorm und Online-Terror und die Wirkung von Medienpreisen.

5. Reporter Slam: Theresa Locker & Sebastian Meineck
(youtube.com, Reporter Slam, Video: 13:14 Minuten)
Beim “Reporter Slam” treten Journalisten und Journalistinnen vor Live-Publikum mit unterhaltsamen Kurzvorträgen zu ihren Recherchen gegeneinander an. Jeder bekommt etwa zehn Minuten Zeit, und am Ende entscheidet das Publikum über den Sieger oder die Siegerin. Die Veranstaltung vom 11. Oktober in Berlin wird gerade stückchenweise auf Youtube geladen. Im oben verlinkten Auftritt erklären Theresa Locker und Sebastian Meineck von “Vice”, wie sie ihren Bürohund zum Influencer gemacht haben. Ebenfalls schon vorhanden: Der Vortrag von Ann-Kathrin Hipp und Nadine Voß vom “Tagesspiegel” über den Flughafen BER.

6. Die Gerd und Soyeon-Show
(philomag.de, Nils Markwardt)
Nils Markwardt hat sich die Instagram-Inszenierung von Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder angeschaut, der auf dem Kanal seiner Frau Schröder-Kim So-yeon eine “naturnahe Gemütlichkeitsoffensive” offenbare. Markwardts Beobachtungen sind alleine schon deshalb lesenswert, weil er seinen Diss kunstvoll verpackt und verschachtelt. Etwa: “Bei manchen mag sich ob dieser pantoffelheldigen Knuffeligkeit unwillkürlich eine gewisse Reflex-Sympathie einstellen, die en passant goutiert, dass sich die Ästhetik der Demokratie eben nicht im pseudo-höfischen Pomp eines Trump oder Erdogan findet, sondern vielmehr im mittelmäßigen Inventar des Reihenhauses zu sich kommt.”

So weit benimmt sich “Bild” daneben

Als Ende September täglich zwischen 1.500 und 2.500 Corona-Neuinfektionen in Deutschland gemeldet wurden, und Angela Merkel vorrechnete, dass, wenn es so weitergeht wie in den vorangegangenen Monaten, daraus bis Weihnachten 19.200 tägliche Neuinfektionen werden könnten, präsentierte die “Bild”-Redaktion die dazugehörige “WAHRHEIT”:

Screenshot Bild.de - Kanzlerin rechnet mit fast 20000 Infizierten am Tag! Die Wahrheit hinter Merkels dramatischer Corona-Warnung - Wie Experten auf die Schock-Zahlen reagieren

Die Kanzlerin sei mit “ihrer Explosions-Rechnung” “im Alarmmodus”, so das Urteil der drei “Bild”-Autoren. Das sollte ein Experte bestätigen: Klaus-Dieter Zastrow, von “Bild” meist als “Hygiene-Papst” präsentiert und bekannt von so nüchternen und ausgewogenen Analysen wie “Totales Versagen der Behörden” oder “Hektischer Aktionismus und Hysterie”. Zu Merkels Weihnachtsrechnung zitiert “Bild” Zastrow so:

Hygiene-Experte Prof. Dr. Klaus-Dieter Zastrow sagte BILD, die Zahl von “19 200 Neuinfektionen pro Tag für Weihnachten zu berechnen, ist im besten Fall Kaffeesatzleserei”. Das habe “nichts mit der Realität zu tun. Wir haben im Schnitt weniger als 2000 Neuinfektionen pro Tag. So eine Horrorzahl zu nennen, ist purer Alarmismus.”

Der Vorwurf des “Bild”-Artikels: Völlig unnötig entwirft Angela Merkel ein Horrorszenario. Einer der “Bild”-Autoren, der stellvertretende Chefredakteur Paul Ronzheimer, betonte bei Twitter auch noch einmal extra, dass “Experten” ja sagen, dass das alles “purer Alarmismus” von der Kanzlerin sei:

Screenshot eines Tweets von Paul Ronzheimer - Die Kanzlerin macht ihre Modellrechnung jetzt auch öffentlich, nachdem BILD die 19200 am Montag als erstes Medium zitiert hatte, und die Begeisterung vieler Journalisten ist riesig, obwohl Experten wie unter anderem Zastrow sagen: So eine Horrorzahl zu nennen, ist purer Alarmismus.

Und dann ging es los: 4.000 tägliche Neuinfektionen, 5.500, 7.000, 8.000, 10.000. Den rasanten Anstieg konnte man auch auf der Bild.de-Startseite beobachten:

Screenshot Bild.de - Corona-News - RKI: Höchstwert von 11287 Neuinfektionen
Screenshot Bild.de - RKI meldet 18681 Neuinfektionen
Screenshot Bild.de - RKI meldet 19059 Neuinfektionen

Am vergangenen Samstag dann also 19.059 Neuinfektionen. Gut zwei Monate vor Weihnachten. Und was macht die “Bild”-Redaktion? Sieht sie ein, dass Angela Merkels “Explosions-Rechnung” doch nicht aus einem “Alarmmodus” heraus entstanden ist? Schreibt sie kleinlaut, dass ihr Experten-Papst ziemlichen Murks erzählt hat? Natürlich nicht. Stattdessen hat die Bundeskanzlerin mal wieder alles falsch gemacht:

Screenshot Bild.de - Merkel prognostizierte 19200 Fälle bis Weihnachten - So weit lag das Kanzlerinnen-Orakel daneben

19 200 Neuinfektionen am Tag prognostizierte Kanzlerin Angela Merkel (66, CDU) Ende September für die Weihnachtsfeiertage – nur einen Monat später ist klar: Das Kanzlerinnen-Orakel lag meilenweit daneben.

Die Überschrift hat die Redaktion inzwischen still und heimlich in “Darum ist die Merkel-Prognose 2 Monate früher eingetreten” geändert. Der Teaser vor der “Bild plus”-Paywall mit dem “Kanzlerinnen-Orakel”, das “meilenweit danebenlag”, ist unverändert online.

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Volksverhetzer und “Volksverpetzer”, Erfolgsfaktor Gesicht, Beim Einkauf

1. Diese ganze negative Energie in etwas Positives verwandeln
(netzpolitik.org, Constanze Kurz)
Constanze Kurz hat sich für netzpolitik.org mit Thomas Laschyk vom “Volksverpetzer” unterhalten: Was treibt ihn an, regelmäßig gegen Verschwörungsmythen, AfD-Unsinn und Corona-Märchen anzuschreiben? Was hat es mit dem eigentümlichen Namen “Volksverpetzer” auf sich? Und was unterscheidet den “Volksverpetzer” von anderen Faktencheck-Seiten?

2. Gesichter laufen am besten
(deutschlandfunk.de)
Forschende aus den USA sind der Frage nachgegangen, warum manche Instagram-Profile von Politikerinnen oder Politikern beliebter sind als andere, und haben dazu mehr als 59.000 Instagram-Posts von etwa 160 Personen aus der Politik ausgewertet. Das Ergebnis: Die meiste Aufmerksamkeit hätten Bilder von Gesichtern erzielt. Außerdem bekämen Aufnahmen aus dem Privatleben mehr Likes als solche aus dem beruflichen Umfeld. Textgrafiken oder Bilder ohne Gesichter würden hinsichtlich der Likes und Kommentare am schlechtesten abschneiden.

3. Die Spur führt nach Peine
(sueddeutsche.de, Willi Winkler)
Im heutigen Spätabendprogramm des Ersten versuchen Cordt Schnibben und Peter Dörfler, die Verbindungen des Dutschke-Attentäters Josef Bachmann in die rechtsextreme Szene nachzuzeichnen. Zur Verschärfung der gesellschaftlichen Stimmung hatte damals auch die Berichterstattung der Springer-Zeitungen beigetragen. Das Dokudrama soll ab 18 Uhr in der Mediathek der ARD verfügbar sein.

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4. Umfrage: Wir recherchieren zu sexuellem Missbrauch in der Medizin
(buzzfeed.com, Juliane Loeffler)
“BuzzFeed News” recherchiert zu sexuellem Missbrauch in der Medizin und wendet sich mit einem Aufruf an die Leserinnen und Leser: “Haben Sie Sexismus, sexuelle Belästigung oder sexualisierte Gewalt im Medizinbetrieb erlebt? Dann erzählen Sie uns von Ihren Erlebnissen.” Selbstverständlich würden die zugesandten Hinweise vertraulich behandelt, allen Quellen werde Anonymität zugesichert.

5. “Genies werden müde, wenn irgendein Idiot alles abbürstet”
(dwdl.de, Alexander Krei)
Jürgen von der Lippe spricht im “DWDL”-Interview über die aktuellen Auswirkungen der Corona-Krise auf seine Arbeit sowie über Fernsehproduktionen damals und heute: “Als ich anfing, gab es nur einen Unterhaltungschef, der alles absegnete – und über ihm war schon der Intendant. Das führte dazu, dass die Redakteure sehr viel mehr Freiheiten hatten. Irgendwann kam dann ein Fernsehdirektor dazu und noch einer und exponentiell zum Zuwachs übergeordneten Personals sank das Budget fürs Programm. Mehr Bestimmer machen leider kein besseres Programm. In der Kunst sind Geniestreiche meist Einzelleistungen. Aber Genies werden müde, wenn irgendein Idiot immer alles abbürstet.”

6. Schämt Ihr Euch eigentlich nicht?
(twitter.com, Bodo Ramelow)
Die Politikreporterin Franca Lehfeldt (RTL/n-tv) hat auf Twitter ein Smartphone-Video veröffentlicht, das Angela Merkel beim Wochenendeinkauf zeigt. Als Kritik wegen der übergriffigen Paparazzi-Methode aufkam, argumentierte Lehfeldt, es sei “journalistisch relevant”, wenn die Regierungschefin “sich beim Einkauf zeige”. Raunend fügte sie an: “Mutmaßlich beabsichtigte sie sogar die Botschaft, sich zuhause zu versorgen und nicht am Wochenende vor dem #Teillockdown rauszugehen.” Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow antwortet mit einem “Schämt Ihr Euch eigentlich nicht?” und hängt zur Erinnerung einen “Bild”-Artikel aus dem vergangenen Jahr an, der ihn ebenfalls beim privaten Einkauf zeigt.

7. Presseschau durch die Menschheitsgeschichte
(mdr.de, Lorenz Meyer)
Zusätzlicher Link, da aus der Feder des “6 vor 9”-Kurators: Ich hatte die Ehre, zum 20-jährigen Bestehen des medienkritischen “Altpapiers” ein “Geschenkpapier” beizusteuern: Eine Presserundschau durch die Menschheitsgeschichte! Wie hätten die Medien von heute auf Ereignisse von damals reagiert? Wie hätte die Medienkolumne darüber berichtet, und welche Quellen hätte sie herangezogen? Hier steht es geschrieben! Von den Pharaonen, Napoleon und Hitler bis zum Wendler.

Bei “Bild” wird wieder denunziert

Was die “Sorge vieler Bürger” ist, das weiß die “Bild”-Redaktion:

Die Sorge vieler Bürger: Werde ich nun von einem Nachbarn verpfiffen, weil ich mich für fünf Sekunden nicht an die Mindestabstandsregel gehalten habe oder er durch sein Fenster beobachtet hat, wie meine Freundin oder mein Freund bei mir auf dem Sofa sitzt?

Und so fragte sie im März in der Überschrift:

Screenshot Bild.de - Meldungen bei Kontaktverbotsverstößen - Werden wir Deutschen jetzt zu Corona-Verpetzern?

Drei Wochen später meldete Bild.de:

Screenshot Bild.de - Vermehrt Corona-Beschwerden - In Berlin wird wieder denunziert

Pfui!

Das fand auch “Bild”-Chef Julian Reichelt im Juni, nachdem Holger Kliem, der bei der TSG Hoffenheim die Öffentlichkeitsarbeit leitet, ein Foto twitterte, auf dem ein “Bild”-Reporter (von Kliem unkenntlich gemacht) auf der Tribüne des Fußballbundesligisten arbeitet und dabei seinen Mund-Nasen-Schutz zu einem Kinn-Kinn-Schutz umfunktioniert hat. Reichelt empörte sich über die Denunziation:

Screenshot eines Tweets von Julian Reichelt - Gleich zwei deutsche Volkssportarten in einem Stadion: Fußball und Denunziation.

Kurzum: Wenn “Bild” eins nicht leiden kann, dann ist es das um sich greifende Corona-Denunziantentum.

So sieht heute die Titelseite der “Bild”-Zeitung aus:

Ausriss Bild-Titelseite - 60 Minuten nach seiner knallharten Lockdown-Rede - Laschet ohne Maske im Flieger!

Und auch bei Bild.de ist der am Ohr baumelnde Mund-Nasen-Schutz des NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet großes Aufregerthema auf der Startseite:

Screenshot Bild.de - 60 Minuten nach seiner knallharten Lockdown-Rede - Lascher ohne Maske im Flieger - ein Fluggast fotografierte die Szene

Laschets Staatskanzlei sagt zu dem Foto, der Politiker habe die Maske nur “für einen kurzzeitigen Moment zum Verzehr von Speisen und Getränken” abgenommen – was man bei Bild.de allerdings nur erfährt, wenn man ein “Bild plus”-Abo hat.

Mit Dank an @felixsschulz für den Hinweis!

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Der Todesschuss, Lauterbachs Wohnungskontrollen, Wirecard

1. Die Schuldvermutung
(sueddeutsche.de, Joachim Käppner & Ralf Wiegand)
1993 kamen bei einem Anti-Terror-Einsatz in Bad Kleinen ein Polizist und der Terrorist Wolfgang Grams ums Leben. Der “Spiegel” berichtete damals, Grams sei durch die Polizei quasi hingerichtet worden, und stützte seine Titelgeschichte “Der Todesschuß” auf einen angeblichen Zeugen. Es entstanden starke Zweifel an der Story. Mehr als ein Vierteljahrhundert später veröffentlicht das Nachrichtenmagazin nun den Bericht seiner “Aufklärungskommission” (PDF), die mit der Wahrheitsfindung in dem Fall betraut wurde. Stefan Niggemeier kritisiert den Bericht auf Twitter als schwer lesbar: “Offenbar war niemand involviert, der weiß, wie man einen so komplexen Sachverhalt mit widersprüchlichen Aussagen aufschreibt, ohne Schilderungen und Zitate dauernd zu wiederholen und den Leser vollends zu verwirren.” Umso besser, dass die ”Süddeutsche Zeitung” sich mit dem Vorgang befasst hat, der das Zeug zu einem Medien-Krimi hat.

2. Lauterbachs Wohnungskontrollen – Perfekte Zutaten für einen Shitstorm
(zdf.de, Florian Neuhann)
Hat der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach tatsächlich die anlasslose Kontrolle von Privatwohnungen durch die Polizei gefordert, wie einige Medien suggerierten? Florian Neuhann zeichnet nach, wie eine vielleicht nicht ganz so glücklich gewählte, da missverständliche Formulierung zu einem handfesten Shitstorm inklusive Morddrohungen führte.

3. Medientage München: Wolfgang Blau (Reuters Institute) über die Zukunft des Journalismus
(youtube.com, Wolfgang Blau, Video: 18:28 Minuten)
Wolfgang Blau leitete einige Jahre “Zeit Online”, bevor er eine Führungsposition beim britischen “Guardian” übernahm und vor dort zum Verlag Condé Nast wechselte, der unter anderem den “New Yorker” herausgibt. Inzwischen arbeitet Blau beim Reuters Institute for the Study of Journalism der Universität von Oxford. In seiner Keynote für die Medientage München denkt er über grundsätzliche Fragen des Journalismus nach: Wie kann man die Wirksamkeit von Journalismus verbessern? Wie lassen sich Journalismusverweigerer erreichen? Wie kann Journalismus zu Corona-Zeiten authentisch Mitgefühl vermitteln, ohne sich anzubiedern oder gar selbst populistisch zu werden? Und welchen Wert sollte der Journalismus der Klimakrise beimessen?

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4. Wirecard-Ausschuss: GroKo gegen öffentliche Aussage von Reporter
(handelsblatt.com)
Beim Skandal um den insolventen Zahlungsdienstleister Wirecard gibt es Vorwürfe gegen mehrere Spitzenmanager des Unternehmens, aber auch gegen die staatliche Finanzaufsicht BaFin. Die Behörde hatte sich jahrelange juristische Auseinandersetzungen mit der “Financial Times” geliefert, die Missstände bei Wirecard aufgedeckt hatte. Nun wollte “Financial Times”-Journalist Dan McCrum dazu öffentlich im Untersuchungsausschuss aussagen, was von Union und SPD jedoch abgelehnt worden sei. Die Oppositionsabgeordneten Fabio De Masi (Linke), Danyal Bayaz (Grüne) und Florian Toncar (FDP) kritisieren das Verhalten der Koalitionsfraktionen. De Masi spricht von einem unwürdigen Verhalten und einem Imageschaden für Deutschland.

5. Bitte nicht diskriminieren!
(taz.de, Peter Weissenburger)
An die Stelle des bisherigen Rundfunkstaatsvertrags soll der neue und erweiterte Medienstaatsvertrag treten. Bislang fehlte dazu nur noch die Ratifizierung durch das Landesparlament von Mecklenburg-Vorpommern, doch die liegt nun vor. Das Gesetz kann somit in Kraft treten. Peter Weissenburger beantwortet die wichtigsten Fragen rund um das neue Regulierungswerk: Inwieweit betrifft es den normalen Konsumenten? Was ändert sich für Streamer und Content Creator auf Youtube, Twitch oder in den Sozialen Netzwerken? Welche Auswirkungen hat es auf die Angebote der öffentlich-rechtlichen Medien?

6. Sawsan Chebli erwirkt einstweilige Verfügung gegen “Tichys Einblick”
(spiegel.de)
Die Berliner SPD-Politikerin Sawsan Chebli hat sich erfolgreich gegen eine Beleidigung zur Wehr gesetzt. Dem Publizisten Roland Tichy wurde per einstweiliger Verfügung untersagt, eine frauenfeindliche und sexistische Aussage über Chebli weiter zu verbreiten.

“Bild” und Kai Ebel haben nichts gemerkt

“Jetzt drehen die Promis komplett durch” lautet das Motto der neuen “Bild TV”-Sendung “Stadt Land BILD”, in der mehr oder weniger prominente Personen im “legendären Spiele-Klassiker” Stadt, Land, Fluss gegeneinander antreten, dabei mit einem Moderator plaudern und nebenbei rücksichtslos über den Gesundheitszustand eines anderen Menschen spekulieren.

In der aktuellen Folge der Spielshow war neben Cathy Hummels und Ingo Appelt der (ehemalige) Formel-1-Reporter Kai Ebel zugeschaltet. Der “Bild”-Moderator fragte ihn:

Sag du doch mal, du bist ja schon sehr, sehr nah dran: Wie geht’s denn Schumi eigentlich?

Anstatt zu sagen, was er über die Situation von Michael Schumacher weiß, nämlich: nichts, und es dabei zu belassen, sagte Ebel:

Ja, ich würde das eher sagen, nicht so gut, denn wenn es ihm wirklich gut ginge, oder es würde signifikante Schritte nach vorne geben, dann würden wir etwas hören. Dann gäbe es ja keinen Grund, das nicht zu vermelden. Das heißt für mich: Es gibt zu den damaligen Auskünften nichts Neues, leider, leider keine Entwicklung, so dass da einfach nur Hoffen bleibt, denn sonst hätten wir was gehört, gesehen, gemerkt.

Die Reaktion des “Bild”-Moderators:

Das ist sicherlich ‘ne realistische, aber auch traurige Bestandsaufnahme.

Kai Ebels öffentliches Mutmaßen darüber, wie es einem Menschen gesundheitlich geht, der ganz offensichtlich nicht möchte, dass öffentlich darüber gemutmaßt wird, wie es ihm gesundheitlich geht, ist schon schlimm genug. Die “Bild”-Redaktion unterbietet das aber noch, indem sie auf der Bild.de-Startseite so tut, als wäre es nicht nur reines Rumraten der “Reporter-Legende”, sondern als wüsste Ebel wirklich, dass es Michael Schumacher “nicht gut” gehe:

Screenshot Bild.de - Es geht ihm nicht gut - Reporter-Legende spricht über Zustand von Schumacher

Die Klicks auf Kosten eines anderen nimmt die Redaktion gerne mit.

Mit Dank an @makko73 für den Hinweis!

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Durchgesteckt und durchgestochen, SW-Denken, Merkwürdiges Porträt

1. Kommunikation in der Krise
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers, Audio: 5:57 Minuten)
In der politischen Berichterstattung scheinen Kontakte alles zu sein, denn sie erhöhen die Wahrscheinlichkeit, vor allen anderen mit Informationen versorgt zu werden. Aktuelles Beispiel sei die “Beschlussvorlage” für den gestrige Corona-Krisengipfel von Angela Merkel mit den Ministerpräsidenten. Dieses Papier sei bereits einen halben Tag bei bestimmten Medien zirkuliert. Wer es durchgestochen hat, sei unbekannt. Auffällig sei jedoch, dass zu Themen der Unionsparteien und der Bundesregierung Medien wie “Welt” und “Bild” bevorzugt in den Genuss von Vorabinformationen kämen.

2. Nazi oder Gutmensch – und nichts dazwischen: Warum das Schwarz-Weiß-Denken zunimmt
(rnd.de, Imre Grimm)
Anlässlich der bevorstehenden US-Wahl macht sich Imre Grimm Gedanken über die zunehmende Polarisierung, das fortschreitende Schwarzweiß-Denken und die verhärteten Fronten der Debattierenden: “In einer komplexen Welt aber sind es die Zwischentöne, die der Wahrheit noch am nächsten kommen. Denn so wie kein Mensch eine Insel ist, ist keine Meinung die reine Lehre. Doch Zwischentöne und Komplexitäten passen nicht in die 280-Zeichen-Logik der digitalen Welt, die nur die grellsten Radikalpositionen mit Aufmerksamkeit und Reichweite belohnt. Dabei ist Ambiguitätstoleranz einer der wichtigsten Grundpfeiler der Demokratie. Sie bedeutet immer Kompromiss, Annäherung, Interessenausgleich auf der Basis eines stabilen Wertesystems. Das ist anstrengend. Dazu gehört die Bereitschaft, anderer Leute Bedürfnisse, die Realität der Welt sowie evidenzbasierte Fakten anzuerkennen.”
Weitere Lesehinweise: Der Kolumnist Ben Smith von der “New York Times” spricht im Interview mit der “Süddeutschen” über die Bedeutung von Skandalen für den Erfolg des “Mediengeschöpfs Donald Trump”. Und das “Social Media Watchblog” beschäftigt sich in einer frei zugänglichen Ausgabe mit der Frage, wie sich das Silicon Valley auf die US-Wahl vorbereitet. Das ernüchternde Fazit der lesenswerten und mit vielen Verweisen gespickten Analyse: “Die Plattformen rechnen mit dem Schlimmsten, die USA sind auf dem Niveau von Kriegs- und Krisenstaaten angekommen.”

3. Das merkwürdige Holger-Friedrich-Porträt von Spiegel-Reporter Alexander Osang
(kress.de, Markus Wiegand)
Im “Spiegel” erschien Anfang des Monats ein äußerst langes Porträt über Holger Friedrich (Bezahlartikel), den Verleger der “Berliner Zeitung”. Der Beitrag sorgte bei einigen Leserinnen und Lesern für Verwunderung, weil er seltsam einseitig und wohlwollend klang. Als ob es eine Nebensächlichkeit sei, erwähnte “Spiegel”-Autor Alexander Osang gegen Ende seiner Geschichte, dass seine Frau bei der “Berliner Zeitung” beschäftigt sei. Markus Wiegand kommentiert: “Man kann die Kritik an Osang wegen seines Interessenkonflikts natürlich kleinlich finden. Ganz so einfach ist es aber nicht: Auffällig an dem Osang-Porträt ist nämlich, dass überhaupt keine Kritiker zu Wort kommen, die in Redaktionskreisen nicht schwer zu finden sind. Entweder hat Osang schlampig recherchiert oder er wollte wegen Befangenheit nicht mit solchen Leuten sprechen. Beides ist so mäßig cool.”

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4. Was im Diversitäts-Diskurs fehlt
(mdr.de, Judyta Smykowski)
Judyta Smykowski setzt sich bei Leidmedien.de regelmäßig dafür ein, dass Medienschaffende für klischeefreie Sprache und Bildsprache sensibilisiert werden. In ihrem Gastbeitrag für das “Altpapier” verrät sie, was aus ihrer Sicht im Diversitätsdiskurs fehlt, was an “Inspiration Porn” problematisch ist, und warum wir mehr authentische Bilder von Menschen mit Behinderung brauchen. In Sachen Diversität lohne ein Blick auf US-amerikanischen Serien: “An dieser Stelle seien Serien wie Good Wife, Stranger Things, Sex Education und vor allem Game of Thrones positiv erwähnt. Ihnen gelingt es, Menschen mit authentischen Erkrankungen und Behinderung zu zeigen und sie als selbstbestimmte Menschen auftreten zu lassen, die weder ihre Behinderung überwinden oder verneinen müssen, noch ständig leiden.”

5. Minden: Lynchaufruf gegen die “Covid-Presse”
(ndr.de, Nils Altland & Tim Kukral, Video: 5:18 Minuten)
In Minden haben Unbekannte eine unbekleidete männliche Schaufensterpuppe mit einem Strick um den Hals an einer Brücke aufgehängt – vor dem Bauch ein Pappschild mit der Aufschrift “Covid-Presse”. Das Medienmagazin “Zapp” ist nach Minden gereist, hat sich in der Stadt umgehört und mit Benjamin Piel über den Fall gesprochen, dem Chefredakteur des “Mindener Tageblatts”.

6. Türkei kündigt Schritte gegen “Charlie Hebdo” an
(faz.net)
Die Türkei hat juristische und diplomatische Schritte gegen die aktuelle Erdoğan-Karikatur der französischen Satirezeitung “Charlie Hebdo” angekündigt. Erdoğans Sprecher Fahrettin Altun schreibt dazu auf Twitter: “Die antimuslimische Agenda des französischen Präsidenten Macron trägt Früchte! Charlie Hebdo hat gerade eine Reihe sogenannter Karikaturen veröffentlicht, die voller verachtenswerter Bilder sein sollen, die angeblich unseren Präsidenten darstellen. Wir verurteilen dieses äußerst verabscheuungswürdige Bemühen dieser Publikation, ihren kulturellen Rassismus und Hass zu verbreiten.”
Weiterer Lesehinweis: Für die “Süddeutsche Zeitung” ordnet Joseph Hanimann den Vorgang weltpolitisch ein: “Angesichts des Konflikts um Berg-Karabach und der griechisch-türkischen Kontroverse auf Zypern ist die türkische Regierung aber bemüht, Politik, Militäroptionen und Medienaspekte in einem einzigen Stimmungstopf zu verrühren. Der Boykott französischer Produkte, zu dem Erdoğan zu Beginn dieser Woche aufgerufen hatte, wird Charlie Hebdo etwa nicht weh tun. Manche Industrielle, Handwerker und Landwirte in Frankreich lachen aber womöglich etwas verkniffen über die neue Karikatur.”

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