Seit Tagen macht “Bild” Front gegen Mangager- und Politiker-Gehälter, listet in langen Tabellen auf, was wer verdient. Franz Josef Wagner fragte DaimlerChrysler-Chef Jürgen Schrempp, was er mit seinen 5,44 Millionen Euro im Jahr eigentlich anstelle: “Haben Sie private Küchenchefs, fliegen Sie Ihre Kinder mit Privatjets in die Schulen, hängen die Picassos in Ihren Büros???” Wagner hätte einfach seinen Arbeitgeber fragen können. Die “Berliner Zeitung” rechnet vor, dass Mathias Döpfner, der Vorstandschef von Axel Springer, laut Geschäftsbericht 2003 ebenfalls ungefähr 5 Millionen Euro verdient haben müsste. Und das, obwohl DaimlerChrysler 60 mal so viel Gewinn mache wie Springer.
Päpstlicher als der Papst
Die “Bild”-Zeitung war stolz. Am Freitag meldete sie “exklusiv” unter der Überschrift: “Papst geißelt Feminismus”: “Papst Johannes Paul II. sagt dem weltweiten Feminismus den Kampf an!”
Diesmal war es wirklich eine Exklusiv-Meldung, eine weltweite sogar. Es lag aber nicht an den göttlichen Beziehungen der “Bild”-Reporter. “Bild” hatte nach Angaben der Katholischen Nachrichtenagentur KNA einfach als “einzige ausländische Zeitung in Rom” entgegen der journalistischen Gepflogenheiten “die Sperrfrist für die Berichterstattung über den Text gebrochen”.
Die “Bild”-Meldung war aber auch in anderer Hinsicht “exklusiv”: Ihr Zitat, der Vatikan werfe dem Feminismus vor, “die biologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau abzuschaffen” kommt im Text nicht vor. Der deutsche Radio-Vatikan-Chef Pater Eberhard von Gemmingen sagte, die Darstellung von “Bild” sei “völlig falsch”. Es gehe nicht um den Feminismus, sondern ausdrücklich um einen “gewissen Feminismus”, der Papst fordere u.a. die gesellschaftliche Aufwertung der Frau. “Ich glaube”, sagte von Gemmingen, “dass es das Gescheiteste wäre, gegen den ‘Spiegel’ und gegen die ‘Bild-Zeitung’ eine Einstweilige Verfügung zu beantragen!” Gegen den “Spiegel” auch? Aber ja. “Spiegel Online” hat die Meldung, wie üblich, erst einmal aus der “Bild”-Zeitung übernommen. Differenzierter wurde die Berichterstattung erst viel später.
Besondere Zurückhaltung
Was hat die 17-jährige Tochter von Uschi Glas getan, um gestern mit einem großen Foto neben den gewaltigen Worten “Drogen-Affäre” auf Seite 1 der “Bild”-Zeitung zu landen? Sie hat sich möglicherweise eine Marihuana-Zigarette mit zwei Freundinnen geteilt. Möglicherweise, denn laut “Bild”-Text “vermutet” ein Polizist das nur wegen eines “süßlichen Geruchs”. Angeblich ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. Soweit der Stand in der “Bild” vom Freitag: Große Schlagzeilen, bisschen dünne Faktenlage.
Am Samstag ist die “Bild” nicht schlauer. Im Gegenteil: Was Julia Glas konkret vorgeworfen wird, wird nicht mehr genannt. Unter der Schlagzeile “Hat Uschi Glas mit ihren Kindern etwas falsch gemacht?” ist die Rede vage von “Schlagzeilen”, von “gegenwärtigem Wirbel”, von “immer neuen Sorgen”. Darunter steht, wie zufällig, ein Artikel darüber, dass “jeder 4. deutsche Jugendliche schon Cannabis geraucht hat”. Jede Zeile, jedes Foto illustriert und wiederholt implizit den Vorwurf gegen die 17-jährige, ohne ihn ausdrücklich zu nennen. Weil er falsch war? Oder weil “Bild” ihn nicht hätte veröffentlichen dürfen? In den Richtlinen des Presserates heißt es:
Bei der Berichterstattung über Ermittlungs- und Strafverfahren gegen Jugendliche […] soll die Presse mit Rücksicht auf die Zukunft der Betroffenen besondere Zurückhaltung üben.
(Wird fortgesetzt.)
Meine kleine Welt
Nachdem “Bild” die neue Rechtschreibung am 29. Juli in einer Überschrift auf der Titelseite für “so gut wie abgeschafft” erklärte, weil die Kultusministerkonferenz (KMK) sich entschlossen hatte, die Rechtschreibreform im Oktober noch einmal auf die Tagesordnung zu setzen, und übrigens obwohl KMK-Präsidentin Doris Ahnen glaubt, dass sich an der Reform nichts ändern wird, wie man beispielsweise hier nachlesen kann, ist sich Anne Frey aus Kirchzarten in einem Leserbrief an “Bild” sicher:
Wenn “Bild” sich entschließen könnte, einfach wieder zur alten Rechtschreibung zurückzukehren, wäre die Reform endgültig gestorben.
Zum Weglaufen
In seiner “Bild”-Kolumne “Mein Tagebuch” erzählt Claus Jacobi ohne ersichtlichen Zusammenhang unter anderem folgende Anekdote:
Vorsicht
Ein Mann mit Koffer hastete durch Berlins Flughafen Tegel. “Wohin so eilig?”, fragte ein Freund. Der Mann setzte seinen Koffer ab und sagte: “Im NS-Reich wurde es verfolgt. Unter Adenauer war es verboten. Unter Kohl wurde es erlaubt. Jetzt werden sie als Pärchen in der Kirche gesegnet.” Er nahm den Koffer wieder: “Ich will weg sein, bevor es Pflicht wird.”
Die Anekdote handelt offensichtlich von Homosexualität. Im Dritten Reich wurden rund 100.000 Menschen wegen ihrer Homosexualität in Konzentrationslager verschleppt und gefoltert, zwei Drittel davon ermordet. Viele weitere wurden zwangskastriert. Bis 1969 stellten die Paragraphen 175 und 175a homosexuelle Handlungen unter Strafe und trieben viele Schwule in die Isolation oder den Selbstmord. Erst 1994 wurde das Sonderstrafrecht für Homosexuelle abgeschafft.
Und Claus Jacobi erzählt einen Witz darüber, dass die Situation nicht 1933, nicht 1945, nicht 1954, nicht 1969 zum Weglaufen war, sondern heute, wo Schwule und Lesben viele Rechte haben und sichtbar in verantwortlichen Positionen sind. Was will er uns damit sagen?
Unersättlich
Es gibt Neues von Britney Spears. Das heißt, eigentlich gibt es nichts Neues: Sie raucht immer noch, trinkt und hat viel Geschlechtsverkehr mit ihrem Freund. Und das, obwohl “Bild” dagegen ist! In seiner unendlichen Reihe über den Abstieg des Superstars in die Gosse (“zwar steht die aktuelle Single „Everytime“ bei uns noch auf Platz 6 der Hitliste. Doch…”) zitiert “Bild” heute unter der Überschrift “Sexsüchtig! Britney verkommt zum Popp-Girl” die Warnung einer Psychologin aus dem “San Francisco Chronicle”:
Die Orgien sind nicht gut für ihre Gesundheit. Zu viel Sex kann sehr gefährlich sein.
Nun wirkt die Warnung ein wenig schal in einem Online-Angebot, das in seinem “Erotik”-Bereich mit der scheinbar redaktionellen Geschichte “Lustzone Parkplatz” lockt (“Alle wollen nur das Eine!!!”), die dann zu teuren “Perversen Sexspielen auf Parkplätzen in Deutschland” führt.
Aber das Zitat vom “San Fransisco Chronicle” stimmt. Auf den gleichen Seiten finden sich da allerdings auch ähnlich groß die Nachrichten, dass sich der zukünftige Nachbar von Britney total auf die “sexy” Sängerin freut und dass sie gerade für die MTV Video Music Awards nominiert wurde. Das hat “Bild” bestimmt nur überlesen. Warum sollte das Blatt schließlich total einseitig eine amerikanische Sängerin in den Dreck schreiben?
Schnäppchenpreise
Was gibt’s Neues heute? Abgesehen vom Anschlag auf den designierten pakistanischen Premierminister und der Gasexplosion in Belgien? Na klar: Die Sommer-Bikini-Mode, die’s bei Bild.T-Online zum Aufmacher geschafft hat!
“Der Sommer ist endlich da! Die Sonne strahlt, Temperaturen um die 30 Grad. Höchste Zeit, baden zu gehen.”
Und – so ein Glück:
“Bild.T-Online hat zusammen mit OTTO zehn Top-Modelle zu absoluten Schnäppchenpreisen für Sie ausgesucht. Klicken Sie sich durch!”
Naja, wenn man sich’s genau überlegt, könnte Bild.T-Online mit der Auswahl der “Top-Modelle” möglicherweise auch gar nichts zu tun gehabt haben. Die Links, mit denen auf die “sexy Bikinis schon ab 16,99 Euro” verwiesen wird, lotsen einen nämlich schnurstracks zur Bestellseite des Otto-Versands – ohne vorherigen Hinweis. Und die Kennzeichnung als “Anzeige”? Fehlanzeige.
“Bild” wirkt!
Am Donnerstag war Anke Engelke “Gewinnerin des Tages” in “Bild”. Erstens weil Thomas Gottschalk sie “in höchsten Tönen” gelobt habe (was er schon früher öffentlich getan hatte). Und zweitens:
Seitdem sie donnerstags schon um 22.15 Uhr mit ihrer Talkshow kommt, steigen auch die Quoten. BILD meint: Heute einfach mal bei Anke reinschauen.
Vor dieser Meldung war “Anke Late Night” ein einziges Mal donnerstags schon um 22.15 Uhr gelaufen. Diese Sendung hatte einen mäßigen Zielgruppen-Marktanteil von 9,2 Prozent. Mit dem Rückenwind der “Bild”-Empfehlung brach er am Abend der “Gewinner”-Meldung auf 7,1 Prozent ein. Insgesamt schalteten 260.000 Zuschauer weniger als in der Woche vorher ein.
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Oben ohne
Rücksichtsvoll von der Online-Ausgabe der “Bild”-Zeitung, dass Uschi Glas’ Tochter, die sich mit drei Freundinnen eine “Marihuana-Zigarette” geteilt haben soll, dort mit einem schwarzen Balken über den Augen mehr oder minder unkenntlich gemacht wurde.
Wer allerdings das dringende Bedürfnis verspürt, sich die Fotos der 17-Jährigen ohne schwarzen Balken über den Augen anzuschauen, braucht nur am Kiosk einen Blick auf die Titelseite der gedruckten “Bild” zu werfen.
Nachtrag: Mittlerweile sind Artikel und Foto in der Online-Ausgabe der “Bild” nicht mehr “verfügbar”. Der Ausriss zeigt, wie die Geschichte bis zum Nachmittag präsentiert wurde.