Eine momentan ganz beliebte Erzählung von Politikern der CDU und CSU geht so: Die SPD und ihr Spitzenkandidat Olaf Scholz sollen die prominenten Vertreter des linken Parteiflügels verstecken, damit diese mit ihren Ideen und Aussagen nicht Scholz’ erfolgreichen Wahlkampf torpedieren können. Das SPD-Führungsduo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sollen genauso wie der ehemalige Juso-Chef und heutige stellvertretende Bundesvorsitzende Kevin Kühnert also nicht in die Öffentlichkeit gelassen werden.
Gestern Abend in der “Bild-TV”-Sendung “Viertel nach Acht” hat sich “Bild”-Moderatorin Nena Schink dieser Erzählung angeschlossen:
Der eigentliche Erfolg von Olaf Scholz war doch gar nicht gestern im Triell die Leistung, nein, der eigentliche Erfolg von Olaf Scholz ist, wie er seine Leute im Griff hat. Ich meine, dass Saskia Esken die Einladung zu Anne Will ausschlug, das ist der große Erfolg von Olaf Scholz. Und das ist das, wofür man ihn loben sollte: Dass er es schafft, Enteignungs-Kevin, Versteck-mich-Saskia und den Corona-Hampelmann Lauterbach einfach zu verstecken und damit auch die linken Phantasien.
“Bild”-Chef Julian Reichelt, der ebenfalls in der “Bild-TV”-Sendung sitzt, erzählt zwar, dass Kevin Kühnert aus dem Vorwurf “ein teilweise sehr unterhaltsames Spiel” mache, indem er bei Twitter regelmäßig darauf hinweist, in welcher Talkshow er sich diesmal versteckt; aber auch Reichelt sagt:
Ich habe ja auch das Gefühl, dass das durchaus bewusst ist, dieses Verstecken von manchen Figuren, die vielleicht nicht wirklich zum sehr geschmeidigen, sehr bürgerlichen Auftritt von Olaf Scholz passen wird.
Da haben Recherche-Julian und Fakten-Hampelfrau Schink entweder so gar nicht aufgepasst und einfach nur ahnungslos irgendwas nachgeplappert. Oder sie wissen es eigentlich besser und erzählen bewusst etwas Falsches. Denn dass Saskia Esken, Norbert Walter-Borjans, Kevin Kühnert und Karl Lauterbach “einfach versteckt” werden, ist schlicht Blödsinn. Hier mal eine kleine Übersicht, nur aus dem bisher 14 Tage alten September:
- Saskia Esken sitzt am 2. September in der Sendung von Maybrit Illner. Am 6. September gibt sie zusammen mit Norbert Walter-Borjans eine Pressekonferenz. Am 10. September erscheint ein Videointerview, das sie der “Stuttgarter Zeitung” und den “Stuttgarter Nachrichten” gegeben hat. Am 13. September gibt sie zusammen mit Walter-Borjans eine weitere Pressekonferenz. Und auch abseits von medialen Auftritten ist Esken in der Öffentlichkeit zu sehen: Am 3. September macht sie für die SPD Wahlkampf in Bayern. Vom 8. bis 10. September in Baden-Württemberg.
- Karl Lauterbach sitzt am 9. September in der Sendung von Maybrit Illner (schaut man sich auch den August an, kommen noch Auftritte bei Sandra Maischberger am 11. August und bei Markus Lanz am 5. August hinzu). Und auch Lauterbach macht Wahlkampf – zum Beispiel am 11. September in Leverkusen.
- Norbert Walter-Borjans sitzt am 3. September im ARD-“Morgenmagazin”. Am 5. September ist er bei Anne Will zu Gast. Am 8. September erscheint ein Interview von ihm auf der Website der “Wirtschaftswoche”. Und am 9. September gibt er dem Deutschlandfunk ein Interview. Für den Wahlkampf der SPD ist auch er unterwegs: Vom 9. bis 11. September in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Vom 13. bis 16. September in Berlin, Bayern und Nordrhein-Westfalen.
- Kevin Kühnert ist am 29. August (zugegeben: knapp nicht im September) zu Gast bei Anne Will. Am 9. September gibt er der n-tv-Sendung “Frühstart” ein Interview. Am selben Tag ist er abends auf der Streamingplattform Twitch zu sehen. Am 11. September erscheint ein Interview mit ihm bei t-online.de. Am 12. September berichtet die “Augsburger Allgemeine” über ein Gespräch mit Kühnert. Außerhalb von Medien ist er am 6. September bei einer Podiumsdiskussion des Deutschen Gewerkschaftsbunds vor dem Brandenburger Tor zu sehen. Und außerdem macht er schon seit längerer Zeit einen Tür-zu-Tür-Wahlkampf.
Man kann die SPD und die Vertreter des linken Parteiflügels gern völlig daneben finden. Man sollte dann aber nicht irgendwelche Unwahrheiten über sie verbreiten.
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Offenlegung: Für unser Buch “Ohne Rücksicht auf Verluste” hat Kevin Kühnert das Nachwort geschrieben.