Archiv für August 17th, 2016

Das Phantom der Burka

Manchmal gibt es gute Mittwoche. Dann spricht Heinz Buschkowsky beispielsweise darüber, warum er “aus dem Fahrrad-Club ausgetreten” ist, oder er erzählt von der Sprengung eines alten Sendemastes. Viel öfter aber gibt es schlechte Mittwoche. Nämlich immer dann, wenn der Ex-Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln in seiner “Klartext”-Kolumne bei “Bild” über irgendwas schreibt, das mit dem Islam oder mit Muslimen oder beidem zu tun hat. Heute ist so ein schlechter Mittwoch.

Buschkowsky greift für seinen aktuellen Text die Diskussion ums “Burka-Verbot” auf. Und schon in der Überschrift wird klar, wie er dazu steht:

Als ich den Londoner Stadtteil Whitechapel besuchte und auf dem Wochenmarkt fast ausschließlich umgeben war von Burka tragenden Frauen, versetzte es mich in eine surreale Gefühlswelt.

“Scotty, beam mich zurück!”, hätte ich am liebsten gerufen. “Hol mich zurück in die britische Hauptstadt.” So stark war die Botschaft dieses Kleidungsstücks für mich. Genauso erging es mir immer wieder beim Anblick von Burkaträgerinnen auf den Straßen Neuköllns. Als käme einem eine andere Welt auf dem Bürgersteig entgegen.

Nun weiß ich nicht, was Buschkowsky alles in Whitechapel gesehen hat. Ich verbringe aber seit gut drei Jahren ziemlich viel Zeit in Neukölln, gar nicht weit von Heinz Buschkowskys früherem Arbeitsplatz, dem Rathaus Neukölln. In dieser Zeit ist mir keine Person in Burka begegnet. Klar, Frauen im Niqab sieht man immer mal wieder, vielleicht jeden dritten Tag eine oder zwei. Aber in einer Burka? Keine einzige in drei Jahren.

Vielleicht kennt Heinz Buschkowsky ganz andere Neuköllner Ecken als ich und begegnet andauernd Burka-Trägerinnen. Vermutlich meint er aber einfach gar nicht die Burka, sondern eben den Niqab, einen Schleier, der ebenfalls viel verhüllt, im Gegensatz zur Burka aber meist die Augen freilässt. Später in seiner Kolumne erwähnt Buschkowsky den Niqab auch noch einmal explizit. (Um das Vokabular noch etwas zu ergänzen: Der Tschador und der Hidschab sind noch mal andere Kleidungsstücke.)

Mit dem Durcheinanderwürfeln der Begriffe ist Heinz Buschkowsky nicht allein. Die “Bild”-Redaktion hat seinen Artikel zum “Burka-Verbot” mit einer Niqab-Trägerin bebildert:

Und auch in den vergangenen Tagen wollten oder konnten die “Bild”-Medien kein Foto einer Burka-Trägerin in Deutschland auftreiben und veröffentlichen. Sie zeigen immer nur Frauen, die in einer anderen Variante verschleiert sind:


(“Bild” vom 12. August)

(“Bild” vom 13. August)

(Bild.de vom 14. August)

(“Bild” vom 17. August)

Schaut man sich die derzeitige Berichterstattung zum “Burka-Verbot” an, wird man das Gefühl nicht los, dass es nicht besonders viele Frauen hier in Deutschland gibt, die eine Burka tragen. Wenn Eric Markuse in “Bild” kommentiert: “Die Burka gehört nicht zu Deutschland”, will man ihm am liebsten antworten: Es gibt sie hier anscheinend ja auch so gut wie gar nicht.

Natürlich darf man der Meinung sein, dass auch der Niqab problematisch ist, und nicht nur die Burka, sondern Vollverschleierung im Allgemeinen verboten werden sollte. Aber dann sollte man nicht von einem “Burka-Verbot” sprechen, nur weil es griffiger ist als “Niqab-Verbot” oder “Verbot der Vollverschleierung”. Es geht hierbei schließlich nicht um einen Olympiasieger aus Vietnam, den man im Boulevardstil schnell mal “Pistolen-Vietnamesen” nennen kann. Es geht um eine Debatte, die in letzter Konsequenz bedeutet, dass einem Teil der Bevölkerung verboten wird, ein bestimmtes Kleidungsstück anzuziehen. Und bei einem derartigen Eingriff ins Privatleben dieser Leute sollte es doch möglich sein, die richtigen Vokabeln zu benutzen.

Doch so, wie die meisten Medien aktuell berichten, dürfte sich das falsche Vokabular in der Gesellschaft etablieren. “Focus Online” berichtet über das “Burka-Verbot” und zeigt Niqab-Trägerinnen:

Die “Huffington Posts” berichtet über das “Burka-Verbot” und zeigt Niqab-Trägerinnen:

Die “Frankfurter Rundschau” berichtet über das “Burka-Verbot” und zeigt eine Niqab-Trägerin:

Genauso “Zeit Online”, “NWZ Online”, augsburger-allgemeine.de. Die Auswahl ist beliebig und ließe sich noch lange fortführen. Manche Redaktionen zeigen Fotos von Burka-Trägerinnen in Afghanistan. Aber ein Bild einer Frau in Burka in Deutschland hat offenbar noch keine von ihnen gefunden.

Im Fernsehen sieht es nicht besser aus. Ein Beispiel: ein Beitrag im “Sat.1-Frühstücksfernsehen” von gestern über “Burkas in Garmisch: So reich machen Araber die Region!” In den 4:57 Minuten sind zwar einige verschleierte Frauen zu sehen, aber keine einzige trägt eine Burka. Manche von ihnen tragen sogar lediglich einen Hidschab:

Bei meiner Suche nach Bildern von Burka-Trägerinnen in Deutschland bin ich am Ende dann doch noch fündig geworden: Bei sueddeutsche.de sind zwei Personen zu sehen, beide in einer Burka verhüllt, eine kleine Deutschlandfahne ist auch noch zu erkennen — Volltreffer. In der Bildunterschrift steht:

Wie fühlt man sich mit einer Burka? Besucher einer Ausstellung im Kunstverein Wiesbaden konnten das im Jahr 2012 ausprobieren.

Pressedilemma, Wassermangel, Rio-Grafiken

1. Kriminologen wollen Medien auf Terror-Entzug setzen
(welt.de, Christian Meier)
Christian Meier beschäftigt sich in der “Welt” mit der Frage, wie konkret und anschaulich Medien über Attentate von Amokläufern und Terroristen berichten sollen bzw. dürfen. In einem gerade erschienenen Buch über “Die mediale Inszenierung von Amok und Terrorismus” hätten sich Wissenschaftler für Zurückhaltung der Medien als das beste Rezept gegen weitere Gewalttaten ausgesprochen. Doch es gäbe auch ein “berechtigtes Erkenntnisinteresse der Gesellschaft”. Ein Dilemma, das sich nicht auflösen lässt, konstatiert Meier in seinem die verschiedenen Positionen abwägenden Beitrag.

2. «Wir müssen Kritik einstecken, weil wir nur Wahrheiten verbreiten»
(persoenlich.com, Michèle Widmer)
Vor einigen Tagen kam es in der Schweiz zu einem Amoklauf. Die Kantonspolizei St. Gallen musste sich danach einige Vorwürfe anhören: Zu spärliche Information, ein fehlender Twitter-Account und mangelnde Englischkenntnisse des Medienchefs. Im Interview bezieht Mediensprecher Hanspeter Krüsi Stellung zu den Vorwürfen. Angesprochen auf die vielgelobte Medienarbeit der Münchner Polizei sagt Krüsi: “Die Münchner Polizei hat einen guten Job gemacht. Allerdings haben die deutschen Kollegen über Twitter auch falsche Informationen verbreitetet. Während sie für diese Fehlleistung gelobt werden, müssen wir Kritik einstecken, weil wir nur Wahrheiten verbreiten. Meiner Ansicht nach eine verkehrte Welt.”

3. Skandalberichterstattung: Überschreitung von Normen?
(de.ejo-online.eu, Anna Carina Zappe)
„Mediated Scandals – Gründe, Genese und Folgeeffekte von medialer Skandalberichterstattung“ heißt der Sammelband, in dem grundlegende Aspekte der Thematik sowie aktuelle Studien und Sichtweisen aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive vorgestellt werden. Der Band biete nicht nur für Medienwissenschaftler und -schaffende spannende Ansätze, sondern sei auch für Mediennutzer allgemein interessant, so Anna Carina Zappe in ihrer Buchvorstellung.

4. Wie wäre es mit Pokémon Go für Journalisten?
(faz.net, Adrian Lobe)
Adrian Lobe hat sich einen neuen Dienst angeschaut, der lokale Berichterstattung mit Echtzeitelementen kombiniert. “Bloom” heißt das Ganze und wird als Plugin für Verlage angeboten. Dabei ist nicht mehr die Titelseite einer gedruckten Zeitung der Ausgangspunkt, sondern eine Karte mit Verknüpfungen. Daher auch die Umschreibung der Anwendung als “Pokémon Go für Journalismus“.

5. Stellungnahme zur Kritik am Tagesthemen-Beitrag vom 14.08.2016
(blog.br.de, Susanne Glass & Markus Rosch)
In der Tagesschau und den Tagesthemen vom 14.8.2016 wurde ein Beitrag zum Thema Wassermangel im Westjordanland ausgestrahlt. Die Wasserversorgung in den palästinensischen Gebieten ist ein umstrittenes Thema und so erntete der Beitrag viel Kritik. Das ARD-Studio Tel Aviv greift die Vorwürfe auf und bezieht Stellung.

6. Das sind die 6 großartigsten Grafiken zu #Rio2016
(medium.com, Frederic Huwendiek)
Mit Datenvisualisierung lassen sich tolle Dinge umsetzen. Frederic Huwendiek hat die nationalen und internationalen Medien durchgescannt und stellt einige gelungene Grafiken zum Thema Olympische Spiele vor.