Archiv für Juli, 2016

Demontage, Blamage, Hommage

1. „In welcher Welt lebt Björn Höcke eigentlich?“
(handelsblatt.com, Dietmar Neuerer)
Thüringens AfD-Fraktions- und Landeschef Björn Höcke hat seiner Partei angesichts des Führungsstreits die Empfehlung gegeben, gegenüber Pressevertretern keinerlei Erklärungen mehr abzugeben. Er nannte es “ein grundsätzliches und allgemeingültiges Pressemoratorium”. Der Chef des Journalistenverbands Frank Überall erklärte dem “Handelsblatt” gegenüber: “In welcher Welt lebt Björn Höcke eigentlich? Ein Pressemoratorium ist zum einen mit dem verfassungsmäßigen Auftrag der Parteien zur politischen Willensbildung unvereinbar, zum anderen halten das die AfD-Politiker doch gar nicht durch.” “Handelsblatt”-Reporter Dietmar Neuerer fasst den Selbstzerfleischungsvorgang der AfD zusammen, einschließlich des genauen Zeitablaufs.

2. Türkische Journalisten: Gegen die Schere im Kopf
(ostpol.de, Cicek Tahaoglu)
Die Journalistin Cicek Tahaoglu ist Redakteurin beim unabhängigen türkischen Portal „Bianet“ und beobachtet bei sich und Kollegen eine fortschreitende Selbstzensur. “Das passiert sogar mir, aber bei Bianet motivieren wir uns, mutig zu sein. Wenn ich merke, dass ich mich selbst zensiere, frage ich mich, was ich tue und korrigiere meine Fehler. Aber die sogenannte Schere im Kopf ist nicht verwunderlich, schließlich kann alles, was du schreibst, gegen dich verwendet werden.”

3. Vertrauen zur NZZ – und Tausende Franken sind weg
(infosperber.ch, Christian Müller)
Eine ganzseitige “NZZ”-Eigenanzeige bewarb ein von einem österreichischen Reisebüro durchgeführtes Opern- und Musicalarrangement. 15 NZZ-Abokunden haben sich für den Musikabend entschieden, der mit einem Preis von 4.263 Euro nicht ganz billig war. Nun ist der Veranstalter pleite und das Geld der Leser wohl futsch. Juristisch sei im vorliegenden Exklusiv-Kultur-Empfehlungsdebakel die NZZ natürlich nicht haftbar, schreibt Christian Müller. Doch ganz wohl ist ihr wohl auch nicht. Man will den LeserInnen deshalb zur Entschädigung (“zusätzlich zu den Anstrengungen…”) ein Jahr lang kostenlos die NZZ zustellen und je zwei Tickets für das Opernhaus Zürich “offerieren”.

4. „Lügenpresse“: Worum geht es hier eigentlich?
(telemedicus.info, Simon Assion)
Simon Assion ist Rechtsanwalt und Mitgründer des juristischen Internetprojekts “Telemedicus”. In einer längeren Stellungnahme setzt er sich mit der Fundamentalkritik des “Lügenpresse”-Begriffs auseinander. Er geht darin auch auf das Auslassen von Informationen ein, das oftmals kritisiert wird und weist darauf hin, “dass Medienunternehmen und Journalisten zu Recht auch dafür Verantwortung übernehmen, welche Folgen ihre Berichte auslösen. Und dies gilt eben nicht nur für Selbstmorde, sondern – in Abstufungen – auch für die Berichterstattung über bestimmte Volks- oder Religionsgruppen. Und ganz allgemein für die Berichterstattung über hass- und angstgetriebene Themen wie z.B. Vergewaltigungen.”

5. Die Verabredung, sich öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu leisten, gilt für viele offenbar nicht mehr.
(planet-interview.de, Jakob Buhre)
Jedes Jahr gibt es im ZDF das berühmte Sommer-Interview mit Spitzenpolitikern. Die Gesprächsreihe hat Tradition und geht auf die Sendung “Bonn direkt” in den 1980er Jahren zurück. Seit einiger Zeit liegt das Interview in Echtgrünkulisse in den Händen von Bettina Schausten und Thomas Walde. “Welche Absprachen gibt es dabei? Warum gibt Angela Merkel kein Interview in ihrem Wahlkreis? Und warum hat das ZDF noch nie Edward Snowden interviewt?” Jakob Buhre von “Planet Interview” hat den Spieß umgedreht und die Interviewer interviewt.

6. Zum 70. Geburtstag von Stefan Aust. Ein Nachtrag
(rnd-news.de, Ulrike Simon)
Stefan Aust war lange Jahre Chefredakteur des Nachrichtenmagazins “Der Spiegel”, seit 2014 ist er Herausgeber der Tageszeitung “Die Welt”. Zu seinem 70. Geburtstag hat er auf sein Gestüt eingeladen (Aust gilt als passionierter Pferdezüchter). Medienkolumnistin Ulrike Simon ist es gelungen, ein Exemplar der achtseitigen Sonderausgabe der „Welt“ zu ergattern, die man für den Jubilar erstellt hat. Als „Hommage an einen Aufrechten“… Im Buzzfeed-Stil führt sie einige der Highlights auf: “Diese 14 Zitate verraten Ihnen, wie Stefan Aust wirklich ist”.

Bild.de befördert Edward Snowden zum Russen-Spion

Neben unverpixelten Opferfotos hat Bild.de-Chef Julian Reichelt eine zweite große Leidenschaft: Mit Hingabe kämpft er für die Theorie, dass Edward Snowden auf seiner Flucht vor der NSA nie ein anderes Ziel als Russland hatte und dass er nun ein russischer Spion ist.

Am vergangenen Samstag war es dann soweit:

Das klingt doch mal so, als hätte Bild.de den ultimativen Beweis gefunden. Autor des Artikels ist John R. Schindler*, Reichelts Mann für groben Unfug fürs Grobe. Schindler* ist laut Bild.de “Sicherheitsberater und früherer Geheimdienst-Analyst und Offizier für Gegenspionage”, vor einiger Zeit präsentierte ihn das Portal auch als “ehemaligen Beamten der NSA-Spionageabwehr”. Bei Bild.de trifft man ihn nur mit Sternchen am Namen und Erklärtext zu seinen Positionen an.

Schindler* darf sich auf Reichelts Portal immer wieder austoben, mal mit einer Psychoanalyse “des Orlando-Killers”, mal mit Vermutungen zu russischen Hooligans bei der Fußball-EM. Und immer wieder mit Beiträgen über Edward Snowden. Die Taktik hinter Schindler*s Anti-Snowden-Texten scheint zu sein: Den Whistleblower als Verbrecher und Überläufer zu diskreditieren, um dadurch auch seine Enthüllungen über die US-Geheimdienste zu diskreditieren.

Da passte ein vierminütiges Radiostück aus den USA perfekt in seine Agenda. Die Journalistin Mary Louise Kelly hat darin unter anderem mit Franz Klintsevich gesprochen, den sie als “equivalent of a senator here in Russia and deputy chairman of the powerful defense and security committee” einführt. Ein “bemerkenswertes Interview”, wie Schindler* schreibt:

In einem bemerkenswerten Interview von dieser Woche erklärte Franz Klintsevich — ein hochrangiger russischer Sicherheitsbeamter — ganz nüchtern: “Seien wir ehrlich. Snowden hat Geheiminformationen weitergegeben. Dafür sind Sicherheitsdienste ja da. Wenn es eine Möglichkeit gibt, an Informationen zu gelangen, dann werden sie es auch tun.”

Das ist der endgültige Beweis (“Jetzt gibt es endlich Fakten!”) für John R. Schindler* und Reichelts Bild.de: die Aussage Das wurde schon immer so gemacht. Das wird auch beim Snowden so gemacht worden sein. Schindler* erklärt einen Mann, den er in die Nähe des russischen Militärnachrichtendienstes rückt und der nach seiner und Julian Reichelts Logik damit so gar nicht als Zeuge taugt, zum Kronzeugen seiner Der-Snowden-ist-doch-ein-oller-Russen-Spion-Theorie.

Klintsevich war es, der 2012 Geld sammeln und davon Adolf Hitlers Geburtshaus kaufen wollte, um es dann direkt abreißen zu lassen. Und Klintsevich war es auch, der vor Kurzem forderte, Russland solle den kommenden Eurovision Song Contest boykottieren, weil in diesem Jahr die Ukraine “nur aus politischen Gründen gewonnen” habe.

Und so hat “Spiegel”-Korrespondent Benjamin Bidder auch eine ziemlich klare Meinung zu Franz Klintsevich:

Ob nun Wirrkopf oder nicht — was Franz Klintsevich offenbar nicht “gesteht”, jedenfalls wird er von Mary Louise Kelly nirgendwo so zitiert: Dass Edward Snowden “ein Russen-Agent” ist. Und auch der Kreml gibt nichts zu. Doch was interessiert das Bild.de bei der Jagd nach Klicks?

Und auch im Text heißt es eindeutig:

Nun hat der Kreml die Frage ein für allemal geklärt, indem er verlautbaren ließ, Edward Snowden arbeite in der Tat für ihn.

Ob Edward Snowden ein russischer Spion ist? Keine Ahnung.

Ob Edward Snowden irgendeinem der russischen Geheimdienste irgendetwas verraten hat? Keine Ahnung.

Ob John R. Schindler* und Bild.de hier unsauber arbeiten und Zitate zu Fakten verbiegen? Ganz sicher.

Mit Dank an Michael G., Martin und @mausraster!

Verabschiedet, Versendet, Verschlankt

1. Die Journalismus-Krise ist eine Krise seiner Umwelt
(carta.info, Christoph Kappes)
Was da unter der Überschrift “Gedanken zu Vertrauensverlust, Qualität, Unabhängigkeit und möglichen Entwicklungsrichtungen.” daherkommt, ist nichts weniger als eine umfassende Standortbestimmung des jetzigen Journalismus. Kein Text zum schnellen Überfliegen, sondern eine gründliche Analyse mit dem Potential eine, nein viele Debatten über die Zukunft des Journalismus anzustoßen.

2. Ich mag einfach nicht mehr
(taz.de, Silke Burmester)
Silke Burmester schreibt seit 20 Jahren für die “taz”, sieben Jahre davon als das Mediengeschehen kommentierende “Kriegsreporterin”. Nun beendet sie ihre Kolumnentätigkeit bei der “taz” und verabschiedet sich mit einem letzten Brief. Nicht ohne nochmal verärgert festzustellen, “Dass es nicht zum Selbstverständnis von Journalisten gehört, sich mit Kollegen anzulegen. Und schon gar nicht mit den Bossen. Wir sind eine Branche der Schisser und Anpasser, die zwar groß darin ist, Fehler bei anderen zu suchen, aber sich heulend in der Ecke verkriecht, wenn sie ihre Arbeitsbedingungen benennen soll.”

3. BND darf ausländische Journalisten überwachen
(reporter-ohne-grenzen.de)
Übermorgen wird im Bundestag ein Gesetzentwurf beraten, der dem Bundesnachrichtendienst gestattet, ausländische Journalisten zu überwachen. Ein Skandal wie der Geschäftsführer der “Reporter ohne Grenzen” findet: “Bisher findet sich in jedem deutschen Überwachungsgesetz eine Ausnahmeregel für Journalisten. Im neuen BND-Gesetz aber ist an keiner einzigen Stelle ein Hinweis darauf zu finden, dass Journalisten nicht ausgespäht werden dürfen. Besonders Journalisten aus Nicht-EU-Ländern geraten damit in das Visier des Nachrichtendienstes. Offenbar betrachtet die Bundesregierung Pressefreiheit als ein deutsches Exklusivrecht, um das sie sich im Ausland nicht zu scheren braucht”

4. Warum meiner Meinung nach aus Sender nichts wurde
(medium.com, Lorenz Matzat)
“Wir gründen einen Sender, den ersten genossenschaftlichen Sender in Deutschland.” Mit diesem ersten Tweet wurde Mitte Januar 2015 ein hoffnungsvolles Projekt angekündigt, das jedoch nicht umgesetzt wurde. Einer der Mitgründer spricht nun über die Gründe: “Woran ist das Ganze gescheitert? Letztlich daran, dass wir uns nicht getraut haben, zu „springen“. Also wirklich zu starten. Ursächlich dürfte dafür gewesen sein, dass wir als Team nicht in der Lage waren, unsere Vision auf einen Nenner zu bringen. Sie blieb zu diffus.”

5. Für das dicke Ende sorgt die Welt.
(fettlogik.wordpress.com, Nadja Hermann)
Comic-Bloggerin Nadja Hermann („erzaehlmirnix“) betreibt mit “Fettlogik” eine Seite, auf der sie sich mit dem Thema Übergewicht auseinandersetzt. Wiederholt hat sie sich über Artikel der “Welt” geärgert, aktuell erregt der Beitrag “Kampf den Kilos: Warum Diäten uns immer dicker und dicker machen” ihren Unmut. Nadja Hermann seziert die Aussagen des Beitrags und ätzt zum Ende: “Wirklich schade, dass ich diesen Artikel nicht vor drei Jahren gelesen habe, dann hätte ich rechtzeitig gewusst, dass weniger essen leider nicht funktionieren wird, um von meinen 150 kg wegzukommen. Hilfreiche Artikel wie dieser hätten mich vielleicht davor bewahrt, zu glauben, ich könnte etwas gegen mein Übergewicht tun.”

6. Charaktermerkmal Doppel-F: Anime hat ein echtes Frauenproblem
(broadly.vice.com, Natalie Meinert)
Natalie Meinert schreibt über die Sexualisierung der weiblichen Figuren in Animes. Diese sei seit den 70er Jahren angestiegen, besonders rapide jedoch in den 90ern, als Anime sowohl in Japan als auch den westlichen Ländern immer populärer wurde. Ob das auch der westlichen Begeisterung für die Kulturform angelastet werden könne, ließe sich nicht klar sagen. Meinert über die auf RTL2 und Co. laufenden Mainstream-Animes: “Den Zuschauer beschleicht das ungute Gefühl, sich zweidimensionalen Frauen mit sozialen Werten aus den 50ern gegenüberzusehen.”

Lichtspiel, Trauerspiel, Fußballspiel

1. Warum will keiner tolle Filme sehen?
(zeit.de, Kaspar Heinrich)
Vom dröhnenden Stroboskospspektakel bis zur elegischen Künstlerbiografie, vom melancholischen Boxerdrama bis zum lustvollen Wolfwerdungsfilm: So wild und experimentierfreudig wie zurzeit hätte sich das deutsche Kino lange nicht mehr gezeigt. Und so weiblich überhaupt noch nie. Filmkritiker Kaspar Heinrich fragt sich, warum die Zuschauer oft trotzdem ausbleiben.

2. Böttinger vs. Podolski: So erfinden Kölner Zeitungen einen Streit
(stefan-fries.com)
Von einer absurden Geschichte weiß Stefan Fries auf seinem Blog zu berichten: Bettina Böttinger habe dem Kölner Stadt-Anzeiger ein Interview gegeben, das vom Kölner Express verfälscht zusammengefasst worden sei. Der Fußballer Lukas Podolski habe den Text genauso falsch verstanden wie vom Express beabsichtigt und einen wütenden Tweet gegen Böttinger losgelassen. Daraufhin habe Böttinger dem Express ein Interview gegeben, in dem “sie alles richtig stellte, was sie nie falsch gemacht hat”.

3. Von Opdi & Scholli und anderen vergebenen Möglichkeiten
(jensweinreich.de)
Jens Weinreich hat sich die öffentlich-rechtlichen Moderationsgespanne der Fußball-EM genauer angeschaut. Besonders bei Matthias Opdenhövel und Mehmet Scholl beklagt er die permanent verschenkten Möglichkeiten. “Opdenhövel ist eher ein Nummerngirl, er kann selten den Eindruck erwecken, wirklich interessiert an einem für das Publikum gewinnbringenden Gespräch zu sein und seinem Experten-Partner mehr als ein, zwei floskelhafte Sätze zu entlocken. Scholl wirkte meines Erachtens meist unterfordert, schon 2014. Dabei zählt Scholl zweifelsfrei zu den intelligentesten Fußballern seiner Generation.”

4. Den Journalisten auf die Finger schauen
(de.ejo-online.eu, Susann Eberlein)
Anfang des Jahres wurde die Medienkritikseite “Übermedien” gestartet (Slogan: “Medien besser kritisieren”), die mittlerweile bereits 1.600 zahlende Abonnenten hat. Mitgründer Boris Rosenkranz zieht im Interview ein Fazit des ersten halben Jahres und verrät, was er sich für die Zukunft wünscht. (Offenlegung: Der 6vor9-Kurator schreibt gelegentlich als Gastautor für “Übermedien”)

5. Medienpranger – Ein Blog gegen sexistische Berichterstattung
(medienpranger.ch)
Eine Arbeitsgruppe des feministischen Kollektivs “Aktivistin.ch” hat einen Blog gegen sexistische Berichterstattung in Schweizer Medien gegründet. Vorrangiges Thema ist das Sammeln und Hinterfragen von Artikeln, die Frauen und Männer auf ihr Geschlecht reduzieren. Am Ende des Jahres will man im Rahmen einer kleinen Zeremonie den “Goldenen Tampon” an das Medium mit dem sexistischsten Artikel des Jahres verleihen.

6. Uefa lässt Video-Collage sperren
(tagesspiegel.de, Kurt Sagatz)
Der Webkünstler Kurt Prödel hat in einem Kurzvideo alle deutschen Elfer des Spiels gegen Italien übereinandergelegt. Der witzige Clip verbreitete sich extrem schnell im Netz, bis die UEFA davon Wind bekam und ihn löschen ließ. Mittlerweile ist sogar Prödels Twitterseite verschwunden.

Gegenverkehr, Rechtsdrift, Ausgebremst

1. Nachrichtenchef Froben Homburger von dpa: Warum wir Misstrauen mit Offenheit begegnen müssen
(kress.de, Froben Homburger)
Froben Homburger ist Nachrichtenchef der Deutschen Presse-Agentur. Im aktuellen Geschäftsbericht schreibt er, ohne mit selbstkritischen Worten zu sparen, über die Vertrauenskrise der Medien. Der in den sozialen Medien lautstark geäußerten Wut würden sich die Medien nicht mehr durch schlichtes Ignorieren entziehen können: “Die digitale Welt kennt keinen Papierkorb und kein Vergessen, und das ist gut so: Die sozialen Medien sind schließlich auch unsere Bühne. Und wie wir uns dort präsentieren, wird ganz besonders aufmerksam von jenen Menschen verfolgt, die zwar schon an uns zweifeln, aber noch erreichbar sind für unsere stärksten Antworten auf die “Lügenpresse”-Anklage: Differenzierung, Transparenz und Kritikfähigkeit.”

2. Ein neuer Ton
(taz.de, Anne Fromm)
Anne Fromm von der “Taz” fragt sich, was mit dem Debattenmagazin “Cicero” passiert sei. Seit Beginn der Flüchtlingsdebatte würden sich die Texte des „Cicero“ dem rechten Rand nähern. Dies sei den neuen Eigentümerverhältnissen geschuldet. Außerdem hätte sich seit Beginn der Flüchtlingsdiskussion im vergangenen Sommer, seit dem Terror von Paris und den sexuellen Übergriffen zu Silvester in Köln der gesamtgesellschaftliche Diskurs verschärft. Der neue Ton gefalle jedoch nicht allen. So haben sich einige Journalisten bereits vom Blatt verabschiedet. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Liane Bednarz mit ihrem Artikel Was im “Cicero” gesagt werden darf: „Kriegs- und Auschwitz-Komplex“. Sollten sich Historiker dereinst fragen, wo sich die immer rasanter verlaufende Rechtsdrift im Bürgertum besonders deutlich manifestierte, würden sie gewiss früher als später auf den „Cicero“ stoßen. Inzwischen werde dort sogar die These vom „Kriegs- und Auschwitzkomplex“ der Deutschen propagiert, so Bednarz.

3. “Welle der Verdrängung”
(zeit.de, Götz Hamann & Philip Faigle)
Eine von der Universität Oxford durchgeführte Studie über den digitalen Wandel in den Medien prognostiziert, dass Facebook zur Nachrichtenzentrale wird. Die “Zeit” hat mit dem Autoren der Studie Nic Newman gesprochen. Dieser sieht vor allem den werbefinanzierten Onlinejournalismus bedroht: “Facebooks Strategie zielt aber darauf, die Menschen so lange wie möglich auf der Plattform zu halten, um seinerseits möglichst hohe Werbeerlöse zu erzielen. Die Einnahmen fehlen dann den Verlagen. Facebook und Google vereinen in den USA mittlerweile rund 60 Prozent aller digitalen Werbeerlöse auf sich. Selbst wenn der Kuchen der Werbeeinnahmen im Digitalen größer werden sollte, bekommen die Medienhäuser davon nur einen verschwindend geringen Teil.”

4. Facebook muss Sperrung von Konten erklären
(reporter-ohne-grenzen.de)
Facebook sperrt immer wieder Profile von Journalisten. “Reporter ohne Grenzen” appelliert an deutsche und europäische Politiker, den Kampf gegen Hass- und Terrorpropaganda nicht allein den Betreibern von Internetplattformen und sozialen Netzwerken zu überlassen. „Über die Grenzen der Meinungsfreiheit muss öffentlich diskutiert werden. Wir dürfen eine so sensible Frage nicht undurchsichtigen Prozessen von Unternehmen überlassen, die in erster Linie wirtschaftlichen Interessen folgen und sich der Pressefreiheit im Zweifel nicht so stark verpflichtet fühlen, wie es in einer Demokratie der Fall sein müsste. In einem Rechtsstaat sollten unabhängige Gerichte entscheiden, was gesagt werden darf und was nicht – egal ob online oder offline.“

5. Live-Nachrichten vom Syrienkrieg – aus der Ukraine
(fm4.orf.at, Erich Möchel)
Erwin Möchel stellt fest, dass der Bürgerkrieg in Syrien seit Sperrung der Balkanroute aus den Breitenmedien nahezu verschwunden sei. Die Kämpfe dort gingen jedoch mit unvermittelter Brutalität weiter. Die derzeit einzige, aktuelle und verlässliche Quelle sei eine Website, die keinesweg aus Syrien stamme, sondern von einem kleinen Start-Up-Unternehmen aus Dnipr (ehemals Dnjepropetrowsk) in der Ukraine betrieben werde.

6. Erfolgsrezept
(sueddeutsche.de, Kathrin Hollmer)
Warum wir auf Facebook in Zukunft wohl noch viel mehr Koch-, Back- und Brutzel-Videos sehen werden. Und zwar im Zeitraffer.

In eigener Sache

In den vergangenen Wochen war es hier auf der Seite deutlich ruhiger als gewohnt. Die angekündigte Pause hat aber bald ein Ende: Im Laufe der kommenden Woche wird es — neben den werktäglichen “6 vor 9”-Links — wieder Blogbeiträge über die kleinen Merkwürdigkeiten und das große Schlimme in deutschen Medien geben.

Wir danken für die Geduld und freuen uns, dann auch ein paar Neuerungen präsentieren zu können.

Prestigefrage, Frauenfrage, Haltungsfrage

1. Justiz blockt Neonazi-Watchblog
(tagesspiegel.de, Matthias Meisner)
Der “Tagesspiegel” berichtet über das Neonazi-Watchblog “Störungsmelder”, das seit neun Jahren bei den Kollegen von der “Zeit” gehostet werde. Dort würde fortlaufend über die rechte Szene berichtet, auch wenn sie mal nicht im Fokus der Öffentlichkeit stünde. Zuletzt beispielsweise über einen “Identitären”-Aufmarsch in Berlin, Verbindungen von Russlanddeutschen zur extremen Rechten und eine Sonnenwendfeier im schwäbischen Landkreis Neu-Ulm. Doch die “im besten Sinn journalistische Arbeit” hätte einen empfindlichen Dämpfer bekommen: Das Verwaltungsgericht Augsburg sehe im “Störungsmelder” kein Presseorgan und habe deshalb einem der Autoren die Auskunftsrechte gegenüber Behörden verweigert.

2. Benjamin Carter Hett: “Für den Spiegel ist das eine Prestigefrage”
(wolfgangmichal.de)
Das neue Buch des US-amerikanischen Historikers Benjamin Carter Hett über den Reichstagsbrand stellt die These vom Einzeltäter in Frage. Diese sei in den fünfziger Jahren vom “Spiegel” in die Welt gesetzt worden, so Wolfgang Michal auf seiner Seite. Nun ducke sich der “Spiegel” weg und sähe keinen Grund zur Selbstkorrektur. Während Ex-Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust in der “Welt am Sonntag” fünf Druckseiten für Hetts Buch freigeräumt hätte, sei es dem “Spiegel” bis heute keine Zeile wert. Wolfgang Michal hat mit dem Autor über die Gründe gesprochen und ihn nach den Ergebnissen seiner Recherchen gefragt.

3. Hartmut Schneider: „Blessuren gelten als Statussymbol“
(augenzeugen.info, Frank Überall)
Seit Jahren hält Hartmut Schneider photographisch Aufmärsche und Veranstaltungen von Neonazis fest – zu journalistischen, aber auch zu Dokumentationszwecken. Frank Überall hat ihn im Interview u.a. gefragt, warum er so viel Zeit auf solchen Veranstaltungen verbringen würde, auch wenn damit meist kein Geld zu verdienen sei. Schneider berichtet von aus dem Ruder gelaufenen Demos der Rechtenszene und erklärt, warum Deeskalation aus seiner Sicht nicht immer das Mittel der Wahl ist. So wünscht er sich zum Beispiel ein schnelleres und beherzteres Eingreifen den Polizei: “Ich habe in meiner langen Tätigkeit noch nie beobachtet, dass ein rechtsextremistischer Störer einen Platzverweis erhielt. Dagegen werden mir regelmäßig Platzverweise angedroht, weil ich angeblich die Arbeit der Polizei störe.”

4. Die FAZ, Jürgen Kaube und die Frauen
(www.rnd-news.de, Ulrike Simon)
Jürgen Kaube ist einer der vier Herausgeber der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” und dort zuständig für das Feuilleton. RND-Autorin Ulrike Simon wirft Kaube in ihrer neuesten Kolumne vor, ein Problem mit Frauen zu haben. Konkreter Anlass ist die Versetzung einer Redakteurin. Ulrike Simon hat sich im Hintergrund umgehört und spekuliert über die Gründe.

5. ROG-Korrespondent freigelassen
(reporter-ohne-grenzen.de)
Erol Önderoglu, seit 20 Jahren Korrespondent und Repräsentant von “Reporter ohne Grenzen” in Istanbul, wurde am 20. Juni zusammen mit anderen Menschenrechtsverteidigern verhaftet. Der Anlass: Önderoglu hatte sich an einer Solidaritätsaktion für die pro-kurdische Zeitung “Özgür Gündem” beteiligt. Nun ist er auf Anordnung eines Istanbuler Gerichts freigelassen worden. Die Anschuldigungen wegen angeblicher “Terrorpropaganda” würden aber weiterhin aufrechterhalten.

6. Michael Jackson und die Kinder
(perlentaucher.de, Thomas Groh)
Das amerikanische Klatsch- und Schmuddelmagazin “RadarOnline” hat den Polizeibericht der Hausdurchsuchung bei Michael Jackson aus dem Jahr 2003 veröffentlicht. “RadarOnline” würde unterstellen, es seien üble Bilder missbrauchter Kinder aufgefunden worden. Deutsche Medien wie die “Deutsche Welle” oder der “Rolling Stone” hätten die Meldung ungeprüft übernommen. Es handele sich jedoch bei den im Polizeibericht aufgeführten Büchern um bei Online-Buchhändlern frei verfügbare und keineswegs justiziable Werke. Thomas Groh dazu in seinem Schlussabsatz: “In erster Linie ist diese ganze Angelegenheit vor allem ein Lehrstück über journalistische Kultur im Zeitalter potenzierter Empörungswilligkeit. Es zeigt sich, mit welchen kleinen semantischen Verschiebungen sich ein Maximum an öffentlicher Welle hervorrufen lässt. Wer der Ansicht ist, dass die Behörden bei Michael Jackson Folter- und Missbrauchsmaterialien gefunden hat, geht seiner eigenen voyeuristischen Fantasie und der eigenen spekulativen Lust auf den Leim.”

7. Offener Brief an die AfD Bayern
(facebook.com, Lorenz Meyer)
Ausnahmsweise heute ein siebenter Link: Der in seiner Niedertracht schwer zu ertragende Facebook-Post der AfD-Bayern und die Antwort des BILDblog-6vor9-Kurators darauf.

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