Archiv für Juli 20th, 2016

Falsches Spiel des Jahres

In der Kindersendung “Kakadu” vom “Deutschlandradio Kultur” gibt es all die Themen, die Kindern beim Radiohören Spaß machen könnten: Eine Reportage vom “Kinderabenteuerhof in Freiburg” oder ein Hörspiel über einen “Elefanten im Krankenhaus” oder einen Beitrag über “Kaninchenköttel, Kuhfladen, Katzenkacke”.

Vorgestern ging es unter anderem um eine der wichtigsten Preisverleihungen für die “Kakadu”-Hörerschaft:

Das wird jedes Jahr von einer Jury gekürt, und gewonnen hat dieses Mal das Sprachspiel “Codenames”. Um die diesjährige Entscheidung der Jury zu kommentieren, ist extra die “Spiele-Expertin” Christina Valentiner-Branth ins “Kakadu”-Studio gekommen. Und als die Moderatorin von Valentiner-Branth wissen will, ob die Wahl der Jury eine “gute Wahl” war, hat die eine klare Antwort:

Nee, leider nicht. Dieses Jahr leider überhaupt kein bisschen. Und ich bin auch echt, ich bin, ich bin sogar richtig ein bisschen böse.

In der Vergangenheit habe man sich als Käufer immer sicher sein können, dass das “Spiel des Jahres” ein “Super-Top-Familienspiel” ist. Das könne man mit Oma spielen, das könne man mit den Kindern spielen, das könne man mit der ganzen Familie spielen, nicht zu schwer, nicht zu viele Regeln. “Codenames” sei nun ab 14 Jahren empfohlen, dazu ein Sprachspiel, bei dem man gut lesen können müsse, und es funktioniere erst ab vier Leuten, “die richtig gut und kreativ sind.”

Also:

Finger weg vom diesjährigen “Spiel des Jahres”, wenn ihr eine Familie seid.

Soweit, so nachvollziehbar.

Moderatorin: Gucken wir doch dann, was bei den restlichen Nominierten, die aber heute keinen Preis bekommen haben, vielleicht noch dein Tipp wäre, was so ein Familienspiel ist.

Valentiner-Branth: Also wenn jetzt Weihnachten naht oder ihr demnächst Geburtstag habt, und ihr wollt euch was …

Moderatorin: Ja, “O Tannenbaum” lief schon im Radio.

Valentiner-Branth: Ja, du warst schon voll dabei. Also wenn ihr da irgendwie was sucht und ihr seid so Familie, habt vielleicht so einen Achtjährigen, einen Zehnjährigen, vielleicht auch noch einen Zwölfjährigen dabei, dann kann ich das Spiel “Karuba” empfehlen. “Karuba” stand auf der Nominierungsliste, also drei Spiele waren vorgeschlagen für den “Spiel des Jahres”-Preis. Das ist ein Spiel für Kinder ab acht Jahren. Die Regeln sind super einfach. Man kann es ganz schnell lernen. Und eigentlich hatten ganz viele gewettet, dass “Karuba” “Spiel des Jahres” wird. Die waren natürlich alle ein bisschen enttäuscht.

Einer, der besonders enttäuscht gewesen sein dürfte, ist der Ehemann von “Spiele-Expertin” Christina Valentiner-Branth. Der war als Redakteur nämlich maßgeblich an der Entwicklung von “Karuba” beteiligt (PDF) und dürfte großes Interesse daran haben, dass Achtjährige oder Zehnjährige oder auch Zwölfjährige bei “Kakadu” von seinem “Karuba” hören und es sich dann zu Weihnachten oder zum Geburtstag wünschen.

Über die Sendung “Kakadu” steht auf der Homepage vom “Deutschlandradio”:

Die Kindersendung läuft täglich live im Programm von Deutschlandradio Kultur und ist bundesweit und werbefrei zu hören.

Der Werbeblock von Christina Valentiner-Branth hat es dann aber doch ins Programm geschafft.

Auf Nachfrage schreibt und das “Deutschlandradio Kultur”, dass Christina Valentiner-Branth die Redaktion darüber informiert habe, dass ihr Ehemann “an dem Spiel ‘Karuba’ beteiligt war, aber eben als Redakteur.” Man habe “keinerlei Anzeichen von Schleichwerbung o.ä. gesehen oder auch beabsichtigt. Insofern haben wir kein Problem darin gesehen, sie als Kritikerin für die Preisverleihung ‘Das Spiel des Jahres’ zu befragen.” Man schätze “Frau Valentiner-Branth wegen ihrer kritischen und objektiven Berichterstattung.”

Mit Dank an den Hinweisgeber!

Die bigotten Hüter des Urheberrechts

Gestern konnte man bei Bild.de richtig was lernen — ohne Witz. Vor allem die Mitarbeiter des Portals selbst dürften durch diesen Artikel eine Menge Neues erfahren haben:

Denn die Fragen, die die Redaktion erst stellt und dann mit Hilfe eines Beitrags aus der Zeitschrift “Finanztest” beantwortet, haben sich die Leute bei Bild.de unserer Meinung nach bisher viel zu selten durch den Kopf gehen lassen:

Doch darf man andere Personen einfach fotografieren? […] Wer darf fotografiert werden und wer nicht? Was darf ich veröffentlichen? Wann brauche ich das Einverständnis der Abgelichteten?

Also: Zettel und Stifte raus und mitschreiben, liebe Bild.de-Mitarbeiter — in nur zwei Schritten zum rechtschaffenen Boulevardredakteur.

Lektion 1: das Recht am eigenen Bild.

Jeder darf selbst bestimmen, ob er fotografiert oder gefilmt werden möchte oder nicht

Und wie sieht’s mit dem Veröffentlichen von Fotos aus?

Jeder Mensch hat das Recht zu entscheiden, ob ein Bild von ihm veröffentlicht wird. […] Gesetzlich gewährleistet ist letztlich das Recht des Menschen auf Anonymität.

Und Fotos von Kindern — muss ich da was Besonderes bei der Veröffentlichung beachten?

Nur mit Einwilligung der Eltern! Darüber hinaus muss auch das minderjährige Kind gefragt werden — sofern es in der Lage ist, die Bedeutung und Tragweite seiner Einwilligung zu überblicken.

Alles klar.

Weiter zu Lektion 2: das Urheberrecht.

Prinzipiell gilt: Wer das Foto knipst, ist auch der Urheber des Fotos. […] Er muss immer im Zusammenhang mit seinem Foto genannt werden.

Und was passiert, wenn das — mal rein theoretisch — ein Boulevardblatt missachtet?

Ohne Einverständnis des Urhebers darf ein Foto nicht veröffentlicht werden, sonst drohen empfindliche Geldstrafen.

Aber gilt das auch für dieses Internet?

Selbstverständlich gilt das Urheberrecht auch fürs Internet. […] Eine Veröffentlichung des Fotos liegt bereits vor, wenn es im Internet verwendet wird, denn dort wird es wieder anderen Nutzern zugänglich gemacht.

So einfach ist das, alte Rechtsmissachter von Bild.de. Und jetzt könnt ihr euer neues Wissen anwenden, indem ihr euch eure Kollegen von “Bild” und “Bild am Sonntag” schnappt und mal euer gesamtes Archiv nach Verletzungen der oben aufgeführten Grundsätze durchsucht. Die gibt es nämlich massenweise.

Zum Start könntet ihr euch beispielsweise hiermit beschäftigen …

… oder hiermit

… oder hiermit

… oder hiermit

… oder hiermit

… oder hiermit

… oder hiermit

… oder hiermit

… oder hiermit

… oder hiermit

… oder hiermit

… oder mit all den anderen Fällen, in denen ihr auf Facebook-Profilen von Privatleuten gewildert, deren Fotos geklaut und ohne Nachfrage veröffentlicht habt; in denen euch das Persönlichkeitsrecht und das Recht am eigenen Bild und das Urheberrecht völlig Wurscht waren.

Nachrichtenkanal, Lehrstück, Livestream

1. WikiLeaks veröffentlicht AKP-Mails
(tagesschau.de)
Die Enthüllungsplattform Wikileaks hat ihre Ankündigung wahrgemacht und unzählige E-Mails (es sollen mehr als 294.000 sein) der türkischen Regierungspartei AKP öffentlich zugänglich gemacht. Die neueste Mail sei am 6. Juli dieses Jahres verschickt worden, die älteste stamme aus dem Jahr 2010. Viele Mails seien auf Türkisch, ein Teil der Korrespondenz aber auch auf Deutsch. Die Mails sind in einer Datenbank erfasst und lassen sich nach darin vorkommenden Begriffen durchsuchen.

2. Warum es keinen öffentlich-rechtlichen Nachrichtensender geben wird
(meedia.de, Stefan Winterbauer)
In bewegten Nachrichtenzeiten wird immer wieder der Ruf nach einem öffentlich-rechtlichen Nachrichtenkanal laut, der rund um die Uhr sendet. Warum es dazu nicht kommen wird, schreibt Stefan Winterbauer: “Es fehlt im bestehenden System also am Geld und am Willen, einen öffentlich-rechtlichen Nachrichtenkanal aufzubauen. Möglich wäre dies nur, bei einer umfassenden, grundlegenden Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks insgesamt. Und die wird es auf absehbare Zeit nicht geben. Der öffentlich-rechtliche Newskanal in Deutschland bleibt also leider Wunschdenken.”
Ergänzung: Auch der “Tagesspiegel” beschäftigt sich mit den “News als Politikum”.

3. Live: Kleine Chronologie der vergangenen Wochen
(mobile-journalism.com, Marcus Bösch)
Marcus Bösch hat sich die Mühe gemacht und eine kleine Chronologie der Liveberichterstattung der letzten Wochen zusammengestellt. Unterteilt in fünf Kapitel “zur Dokumentation eines neuen Status Quo mit neuen Gatekeepern und alten Verhaltensregeln”.

4. “Ein Chronist, der lügt, ist erledigt”: Ein Lehrstück über Fehler, ihre Entstehung und die Entschuldigung
(kress.de, Paul-Josef Raue)
Wenn ein Journalist und Herausgeber des Buchs “Das neue Handbuch des Journalismus” über eine Veranstaltung des “Netzwerk Recherche” schreibt und in dem Beitrag Leute zu Wort kommen lässt, die gar nicht anwesend waren, ist dies ein besonders bemerkenswerter Vorgang. Nachdem Stefan Niggemeier den “Rutschunfall” des Kollegen bereits bei “Übermedien” aufgearbeitet hat, meldet sich dieser mit einigen Tagen Verspätung bei “kress.de” wortreich zu Wort. Zu Beginn des Beitrags bittet der Autor kurz um Entschuldigung, das gerät jedoch im weiteren Verlauf immer mehr in den Hintergrund. Die Angelegenheit sei ein “Lehrstück”, er verfüge über keine Dokumentations- und Verifikationsabteilung wie “Spiegel” und “Stern” und – so lässt er den Beitrag enden – auch Reporterlegende Egon Erwin Kisch hätte sich dereinst mal was aus den Fingern gesaugt.

5. Alles muss ans Licht
(faz.net, Harald Staun)
Millionen von Menschen haben das Video von Lavish Reynolds gesehen, das sie nach dem tödlichen Schuss auf ihren Freund via Livestream auf Facebook postete. Der Tod werde heute live im Internet übertragen. Der wahre Horror aber sei, was wir nicht sehen, findet Harald Staun in seiner Auseinandersetzung mit der radikalen medialen Transparenz. Gegen Rassismus würden keine Bilder helfen und: “Wenn gesellschaftliche Probleme nur noch danach entschieden werden, wer die glaubhafteren Beweise hat, wird nicht nur das Vertrauen zerstört, ohne das keine Gemeinschaft überleben kann; sondern, was womöglich viel schlimmer ist, auch das Misstrauen in die Bilder, die tun, als zeigten sie eine objektive Wahrheit.”

6. Kann ich bitte alle Informationen schon vor der ersten Eilmeldung haben?
(udostiehl.wordpress.com)
Udo Stiehl ist Journalist, Redakteur und Mitbetreiber der “Floskelwolke”, die täglich 2000 Nachrichtenseiten auf Phrasen hin untersucht und daraus ein Ranking erstellt. Weil er sich derzeit im Urlaub befindet, hat er die aktuellen Nachrichten und Reaktionen aus einem anderen Blickwinkel, nämlich dem des Konsumenten, verfolgt. Dem in den sozialen Medien oftmals erschallenden Ruf nach Schnelligkeit setzt er entgegen: “Es ist dringend geboten, dem rasenden Geschäft der „Klick-Geier“ und „Schnell-Melder“ mit Qualität und Recherche das Handwerk zu legen. Ja, das kostet im Berichtsfall Zeit, die man uns nachträglich als Versäumnis vorwerfen wird. Und es kostet Geduld, die uns – insbesondere bei öffentlich-rechtlichen Medien – als Geldschneiderei unterstellt wird. Aber wenn wir dem Druck nachgeben und damit journalistische Grundwerte über Bord werfen, dann haben wir vielleicht sogar kurzfristig eine tolle Quote, aber langfristig das eigene Grab gegraben.”