Archiv für Januar 28th, 2016

“Bild”-Online-Chef: “BILDblog marschiert für Pegida”

Julian Reichelt, der Online-Chef der “Bild”-Zeitung, unterstellt BILDblog eine ideologische Nähe zur fremdenfeindlichen “Pegida”-Bewegung.

Vorgeblicher Anlass dafür ist, dass wir uns beim Presserat über die Berichterstattung von “Bild” über einen Mann beschwert haben, der im vergangenen Oktober mit einem Galgen (“reserviert” für Angela Merkel und Sigmar Gabriel) auf einer Pegida-Demonstration gesehen wurde. Ein anonymer “Bild”-Fotograf lichtete ihn, offensichtlich gegen seinen Willen, in der Tür seiner Privatwohnung ab.

Wir halten das, ganz egal, wie sehr man den Mann, seine Aktion und Pegida ablehnt, für einen Verstoß gegen die Ziffer 8 des Pressekodex, in der es heißt:

Die Presse achtet das Privatleben des Menschen und seine informationelle Selbstbestimmung. Ist aber sein Verhalten von öffentlichem Interesse, so kann es in der Presse erörtert werden. Bei einer identifizierenden Berichterstattung muss das Informationsinteresse der Öffentlichkeit die schutzwürdigen Interessen von Betroffenen überwiegen; bloße Sensationsinteressen rechtfertigen keine identifizierende Berichterstattung.

Wie der Mann aussah, war vorher schon bekannt und in “Bild” zu sehen. Dafür, ihn noch einmal an der Tür seiner Wohnung zu fotografieren, sprach also nur das Sensationsinteresse.

Wir haben darüber berichtet und Beschwerde eingereicht, die der Presserat jetzt an den zuständigen Beschwerdeausschuss sowie die “Bild”-Zeitung weitergeleitet hat.

BILDblog-Chef Mats Schönauer schrieb darin:

Ich sehe in dem Artikel einen ethischen Verstoß gegen Ziffer 8 des Pressekodex. Die Fotos zeigen einen Mann ohne Unkenntlichmachung an der Tür seiner privaten Wohnung, auch das Innere der Wohnung ist zu erkennen. Laut Aussage des Abgebildeten wurden die Fotos “still und heimlich” gemacht und obwohl es “eindeutig untersagt war, dass da Fotos gemacht werden” (https://www.youtube.com/watch?v=jlpexCQgkkQ&t=6m). “Bild” und Bild.de nennen auch den Wohnort des Mannes, sein Alter und seinen Beruf. Sie verstoßen gegen den Pressekodex, weil sie “das Privatleben des Menschen und seine informationelle Selbstbestimmung” missachten. Dass der Mann bei einer Demo einen symbolischen Galgen für Angela Merkel und Sigmar Gabriel hochgehalten hat, rechtfertigt meines Erachtens keinen derartigen Eingriff in seine Persönlichkeitsrechte. Ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit an einer identifizierenden Berichterstattung bestand schon deshalb nicht, weil “Bild” und Bild.de bereits zwei Tage zuvor ein Foto von der Demo veröffentlicht hatten, auf dem das Gesicht des Mannes zu erkennen war (sogar extra eingekringelt von der Redaktion).

Diese Beschwerde hat nun offenbar Julian Reichelt erreicht. Er reagierte darauf wie folgt:

In weiteren Tweets sprach Reichelt von “Schönauers Verteidigungsschrift für den Pegida-Hetzer”, behauptete: “@BILDblog marschiert für Pegida” und klagte, dass Schönauer sich “schon lange ideologisch verwirrt” habe.

Seine An- und Ausfälle wurden teilweise vom offiziellen @Bild-Account an dessen 1,13 Millionen Follwer weiterverteilt.

In unserem Blogeintrag zum Thema hatten wir im Oktober übrigens vorsorglich formuliert:

Bevor hier Missverständnisse aufkommen (Herr Reichelt, gut aufpassen): Es geht nicht um den Galgen, der war schäbig und hatte mit “Satire”, wie es der Mann nennt, nichts zu tun. Es geht darum, dass auch besorgte Flachzangen Grundrechte haben.

Hat er nicht verstanden.

Märchenstunde, Uns reicht’s!, Abgeordnetenmaulkorb

1. Polizei bestätigt: Geschichte über toten Flüchtling ist ausgedacht
(tagesspiegel.de, Sabine Beikler & André Görke & Johannes Laubmeier und weitere)
Ein kollektiver Aufschrei ging durchs Netz, als ein ehrenamtlicher Helfer am Berliner Lageso (Landesamt für Gesundheit und Soziales) vom Tod eines syrischen Flüchtlings berichtete. “Jetzt ist es geschehen. Soeben ist ein 24-jähriger Syrer, der tagelang am Lageso bei Minusgraden im Schneematsch angestanden hat, nach Fieber, Schüttelfrost, dann Herzstillstand im Krankenwagen, dann in der Notaufnahme – VERSTORBEN.” Nun stellt sich heraus, dass die Geschichte wohl frei erfunden war.

2. Ist Angela Merkel schlimmer als Hitler?
(opinion-club.com, Arne Hoffmann)
Der Medienwissenschaftler Arne Hoffmann schreibt über die zunehmende Radikalisierung innerhalb der Flüchtlingsdiskussion, die auch etablierte Medien betreffe. “Wenn eine Situation derart diffizil gerät, wie es bei der Flüchtlingskrise der Fall ist, nimmt der Wunsch nach Komplexitätsreduzierung offenbar überhand. Personalisierung und Dämonisierung suchen sich ihren Sündenbock.” Eindringlich warnt er vor der rechten Hysterie: “Wenn immer wieder so getan wird, als befänden wir uns in einem totalitären Staat, gilt vielen jeder Anschlag auf ein Flüchtlingsheim als mutiger Widerstand.”

3. Uns reicht es!
(berliner-zeitung.de, Arno Schupp)
In sozialen Netzwerken und Foren geht es nicht immer höflich und gesittet zu, das wissen wir alle. Doch was Medienvertreter (“Lügenpresse”) in letzter Zeit erleben, geht oft über das hinaus. So veröffentlicht der Lokalressortleiter der “Berliner Zeitung” eine an einen Redakteur gesandte Hassnachricht und erklärt unter der Überschrift “Uns reicht es!”, warum man gegen eine bestimmte Sorte digitaler Leserbriefschreiber in Zukunft juristisch vorgehen werde.

4. Maulkorb für Abgeordnete
(correctiv.org, Justus von Daniels & Marta Orosz)
Das journalistische Portal “Correctiv” berichtet über ein bisher geheimes Dokument der EU-Kommission. Aus diesem ginge hervor, dass Bundestagsabgeordnete zwar unter Aufsicht in den TTIP-Dokumenten lesen dürften. Sollten jedoch Informationen über den Inhalt der Dokumente weitergegeben werden, würde man auf Veranlassung der USA die Leseräume schließen und “disziplinäre und/oder rechtliche Maßnahmen” ergreifen. Eine Drohung, die ins Leere läuft, denn bislang werden es nicht sonderlich viele Volksvertreter gewesen sein, die sich in den streng bewachten Leseräumen zur entspannten TTIP-Lektüre eingefunden haben …

5. Warum Ihre Tochter Minecraft spielen sollte
(irights.info, Rey Junco)
Ein amerikanischer Pädagogikprofessor macht sich Gedanken über Genderungleichheit und spricht sich für das Computerspiel Minecraft aus. Der von Geschlechterstereotypen freie Konstruktionsklicker sei besonders gut für Mädchen geeignet. Das Game stärke das räumliche Vorstellungsvermögen, was die Grundlage für die Entwicklung weiterer, komplexerer Fähigkeiten sei. Ja, Minecraft könne das besorgen, was die Schule oft so straflässig versäume: Stärkung und Ausbau der sogenannten MINT-Fähigkeiten.

6. Bitte geben Sie uns Ihr Ehrenwort
(zeit.de, Friedhelm Greis)
Der WLAN-Gesetzentwurf der Bundesregierung verlangt von Betreibern offener Netze, dass sie den Nutzern auf einer Vorschaltseite eine sogenannte “Rechtstreueerklärung” abverlangen. Die Digitale Gesellschaft und die Freifunker haben nun ihre Bedenken angemeldet, die sowohl technischer als auch juristischer Natur sind. Vielleicht sind all die Bedenken jedoch unnötig, denn IT-Rechtsexperte Ulf Buermeyer setzt die Wirksamkeit einer derartigen Erklärung laut Artikel eh mit “gleich Null” an. Die Abgabe einer falschen Erklärung sei mit keinerlei Sanktionen versehen. Nutzer könnten sie also trotz geplanter Rechtsverletzungen problemlos abgeben.