Die Universität St. Gallen hat heute den “ersten GemeinwohlAtlas für Deutschland” veröffentlicht. Der Atlas stellt laut Eigenbeschreibung “den Gemeinwohlbeitrag von 127 deutschen und internationalen Organisationen dar und bringt diese in eine Rangliste”.
Es wurden insgesamt 7.802 Personen im Alter zwischen 19 und 91 Jahren, die in Deutschland wohnen, befragt. Kannten die Befragten mindestens drei der aufgelisteten Organisationen, wurden sie aufgefordert, für einzelne, randomisiert ausgewählte Organisationen den Beitrag zum Gemeinwohl in den vier Dimensionen Lebensqualität, Aufgabenerfüllung, Zusammenhalt und Moral zu bewerten.
Auf den ersten Plätzen liegen die Feuerwehr, das Technische Hilfswerk, der Weiße Ring, das Deutsche Rote Kreuz und die Bundespolizei. Die letzten Plätze (insgesamt gibt’s 127) sehen so aus:
Günter Wallraff hat dem “SZ Magazin” für die aktuelle Ausgabe ein großes Interview gegeben (kostenpflichtig). Darin erzählt der Investigativjournalist nicht nur, dass er geplant hatte, sich für einen ehemaligen US-Soldaten als “IS”-Geisel eintauschen zu lassen, sondern auch über sein Verhältnis zur “Bild”-Zeitung.
Er habe neulich per Zufall “den Artikel eines jungen Kollegen entdeckt”, der ihm gefallen habe, sagt Wallraff im Laufe des Gesprächs. Es geht um einen Text von “Bild”-Reporter Daniel Cremer, der unter falschem Namen an einem sogenannten “Entschwulungskurs” in den USA teilgenommen und darüber berichtet hat.
Wallraffs Aussage zitiert Bild.de so:
Jubel in der Redaktion:
Großes Lob von Günter Wallraff (73) — für BILD!
Das Problem dabei: Bild.de hat einen nicht ganz unwesentlichen Teil von Wallraffs Aussage weggelassen (von uns gefettet):
Der hätte eine reißerische Kolportage daraus machen können, aber seine Reportage war einfühlsam und überzeugend, und er hat die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen respektiert, was ansonsten ja nicht gerade Bild-typisch ist. Diese Selbsterfahrung hätte genauso in der Zeit oder der Süddeutschen erscheinen können. Ich bin immer wieder froh, wenn ich in meiner Grundhaltung irritiert werde.
Auch vor und nach dieser Stelle singt “Bild”-Kritiker Wallraff kein Loblied auf das Boulevardblatt. Mit freundlicher Genehmigung des “SZ Magazins” zitieren wir hier (ganz ohne Kürzungen) die Passagen, in denen sich Günter Wallraff über die “Bild”-Zeitung äußerst:
Sie klingen andererseits immer wieder so versöhnlich. Gibt es jetzt bald Frieden mit dem Springer-Verlag?
Nachdem ich die Bild-Zeitung mit einem gemeingefährlichen Triebtäter verglichen hatte, rief mich deren Chefredakteur Kai Diekmann an und rechtfertigte sich, dass Bild nicht mehr so sei wie damals, als ich den Aufmacher veröffentlichte. Ich hatte den Eindruck, der will etwas ändern. Vielleicht ist aus dem Boulevard-Heroin inzwischen Methadon geworden. Früher war das Blatt ja mit Hetze gegen Ausländer, Linke und Minderheiten jeder Art durchtränkt. Seitdem gab es gab Wellenbewegungen, gelegentlich waren da Chefredakteure, die etwas weniger sensationsgierig, politisch etwas weniger rechts ausgerichtet waren. Dann produzierte Bild etwas weniger Hass, etwas weniger Frauenverachtung, etwas weniger Minderheitenhetze und dergleichen. Die Bild ist heute vorsichtiger geworden, das liegt sicher auch am Zeitgeist, der vulgären Sexismus oder dumpfen Rassismus nicht besonders mag.
Wie finden Sie die Berichterstattung der Bild-Zeitung über Griechenland?
Das war systematische Hetze mit Schlagzeilen wie: “Verkauft doch eure Inseln, ihr Pleite-Griechen und die Akropolis gleich mit!” Ich kaufe die Bild ja nicht, aber in Zügen oder Restaurants liegt sie manchmal rum. Da habe ich neulich zu meiner Überraschung den Artikel eines jungen Kollegen entdeckt. Der Autor bekennt sich als schwul und hat sich in den USA undercover in eine dieser obskuren Selbsthilfegruppen begeben, die Homosexualität “heilen” wollen.
Jetzt beschäftigt sogar die Bild-Zeitung Wallraff-Schüler?
Der hätte eine reißerische Kolportage daraus machen können, aber seine Reportage war einfühlsam und überzeugend, und er hat die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen respektiert, was ansonsten ja nicht gerade Bild-typisch ist. Diese Selbsterfahrung hätte genauso in der Zeit oder der Süddeutschen erscheinen können. Ich bin immer wieder froh, wenn ich in meiner Grundhaltung irritiert werde. Ich brauche Irritationen.
Die Wandlungsfähigkeit des Bild-Chefs Kai Diekmann dürfte Ihnen doch gefallen. Der tritt mal mit, mal ohne Bart auf, mal im Anzug und mal im Kapuzenpulli.
Die Auflage von Bild ist den letzten Jahren gewaltig eingebrochen. Vielleicht ist seine äußerliche Verwandlung ja Ausdruck für den Versuch einer Neuorientierung. Ich habe Bild schon vor einiger Zeit zum Ansporn attestiert: Es gibt sehr wohl eine Sorte von Triebtätern, die noch therapierbar ist. Das müssen sie aber erst unter Beweis stellen.
Nachtrag, 20.23 Uhr: Bild.de gibt das Zitat jetzt doch vollständig wieder und schreibt unter dem Artikel:
*Das Zitat wurde nachträglich ergänzt, nachdem es in einer vorherigen Version nicht vollständig wiedergegeben war.
Immer mehr Flüchtlinge landen in Hartz IV! Laut einer neuen Statistik der Bundesagentur für Arbeit ist die Zahl der Hartz-IV-Empfänger, die aus Asylzugangsländern stammen, im Juli auf 442 230 gestiegen. Das waren 23,5 % mehr als im Vorjahresmonat. Die meisten kommen aus Syrien (98 494), Irak (56 661), Serbien (56 264), Russland (40 798) und Afghanistan (36 776).
Geschrieben wurde der Artikel von Dirk Hoeren, er stimmt aber trotzdem. Die Zahlen stammen aus einer aktuellen Statistik der Bundesagentur (PDF):
Doch einen Punkt lässt Dirk Hoeren in seinem Artikel unerwähnt: Nicht nur die Zahl der Hartz-IV-Empfänger ist gestiegen, sondern auch die Zahl der Beschäftigten:
Dazu schreibt die Bundesagentur:
Aus den Asylzugangsländern waren in Deutschland im August insgesamt 495.000 Beschäftigte registriert, das waren 39.000 oder 8,5 Prozent mehr als vor einem Jahr (…). Dabei fiel der Anstieg von Personen mit einer syrischen Staatsangehörigkeit mit 43 Prozent relativ am stärksten aus. Der Anteil von Beschäftigten aus den Asylzugangsländern an allen Beschäftigten beläuft sich auf 1,4 Prozent. Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung erhöhte sich um 34.000 oder 9,6 Prozent und die geringfügige Beschäftigung um 5.100 oder 4,7 Prozent.
„Bild“ hätte also auch schreiben können:
Aber so eine Schlagzeile passt halt schlecht zum aktuellen Hilfe–die–“Asylanten”–kommen-Kurs der „Bild“-Zeitung.
Und weil andere Medien ja lieber blind von “Bild” abschreiben, statt sich das Gesamtbild anzuschauen, ist jetzt auch nur der eine Teil der Wahrheit imUmlauf:
1. Neue Dimension der Einschüchterung (zeit.de, Christian Fuchs)
Journalisten sind es gewohnt, dass sie nach der Veröffentlichung ihrer Beiträge kritisiert werden, mitunter auch heftig und persönlich. Doch Christian Fuchs beobachtet “eine neue Qualität von Einschüchterungsversuchen” schon während der Recherche. Insbesondere Protagonisten von “Pegida” und anderer rechter Bewegungen versuchten, Journalisten durch Warnen, Beleidigen, Anschwärzen und Drohungen vom Anwalt vorab mundtot zu machen. Dazu passt: Die WDR-“Lokalzeit” über einen Hobbyfotografen (Video), der Bilder für einen Benefizkalender für Flüchtlinge gemacht hat — und kurz darauf einen deutlichen Drohbrief bekommt.
2. Öffentlichkeit hat ein Recht, Gerichtsurteile zu lesen (verfassungsblog.de, Maximilian Steinbeis)
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Presse ein Recht hat, Urteilsbegründungen zu lesen, auch wenn sie noch nicht rechtskräftig sind — und damit dem Oberverwaltungsgericht Thüringen widersprochen. Das “Handelsblatt” hatte gegen die Praxis geklagt, dass zunächst nur Pressemitteilungen herausgegeben werden. Maximilian Steinbeis fällt als Grund für die bisherige Ablehnung der Gerichte nur das “generelle Bedürfnis der Justiz ein, die Kontrolle über die Presseberichterstattung nicht aus der Hand zu geben”. Das sieht das BVerG anders, wie auch die, nun ja, Pressemitteilung deutlich macht. Auch die “taz” berichtet über das Urteil.
3. Bei Bild.de kann man was erleben (coffeeandtv.de, Lukas Heinser)
Lukas Heinser hat sich das Wasauchimmer-Portal “OZY” angeschaut, in das der Springer-Konzern investiert hat. Dort gibt es unter anderem den “Dr. Sommer”-Verschnitt “Eugene S. Robinson”. Das ist eine Art Sex-Onkel, “dem (angebliche) Leser (angebliche) Zuschriften über ihre (angeblichen) Erfahrungen, Meinungen und Sorgen zum Thema zukommen lassen”. Und Robinson antwortet auf eine selten eklige Art.
4. Ein Nachmittag in der VIP-Loge (operation-harakiri.de, Ralf Heimann)
Ein Redakteur im Lokalsport der “Emsdettener Volkszeitung” trifft “in der DEVK-VIP-Loge in der BAY-Arena” den ehemaligen Schalker Fußballprofi Ingo Anderbrügge und schreibt dabei unter anderem über “das so beliebte DEVK-Fußballcamp”. Das erinnert Ralf Heimann an einen Jahre zurückliegenden Vorfall — und bringt ihn zu folgender Feststellung: “Der Mechanismus funktioniert anders, als man denkt, wenn man furchteinflößende Wörter wie ‘Einflussnahme’ oder ‘Korruption’ hört. (…) Niemand droht. Das Schmiermittel heißt Freundlichkeit.”
5. “Boom”, sagt der Dschihadist (tagesspiegel.de, Mohamed Amjahid)
Die Anfragen der Castingagenturen lauten so: “arabisch-orientalisch aussehende Männer, welche als Terroristen drehen können”. Mohamed Amjahid überlegt dann immer, “ob ich nicht doch mein langes Gewand und meinen Gebetsteppich auspacken soll, immerhin haben die öffentlich-rechtlichen Sender einen Bildungsauftrag zu erfüllen.” Die Stereotypen, die bereits in den Stellenausschreibungen für TV-Statisten zu finden sind, spiegelten den “Rassismus in Film und Fernsehen” wider.