Archiv für September 21st, 2015

“Warum schreibt ihr dann immer solche Scheiße?”

Der VfL Bochum ist Tabellenführer in der 2. Fußballbundesliga. Nun sind gerade einmal sieben von 34 Spieltagen absolviert, aber laut Ruhrgebiets-“Bild” und Bild.de steht das Saisonziel für VfL-Trainer Gertjan Verbeek schon fest:

Klartext nach 1:1 gegen Fortuna. Verbeek spricht vom Meister-Titel!

Im Interview mit SPORT1 stellte der Holländer bereits klar: “Wir sind angetreten, um Meister zu werden!”

Hoppla! Der ehrgeizige Coach legt die Latte selbst hoch, sagt weiter: “Die Ambition muss immer sein: Raus aus der 2. Liga und aufsteigen in die Bundesliga. Aber das wird schwer.”

Morgen steht bereits das nächste Spiel auf dem Programm, die Bochumer treten in Bielefeld an. Daher gab es heute beim VfL die übliche Vor-dem-Spiel-Pressekonferenz. Großes Thema dort: die “Bild”-Schlagzeile und Verbeeks vermeintlicher Titeltraum.

Ein Reporter der “Ruhr Nachrichten” fragt:

Herr Verbeek, ich habe gelesen und gehört, dass Sie den Meistertitel jetzt als Ziel ausgegeben haben. Ist das so?

Gertjan Verbeek ist offenbar klar, wo der Reporter das gelesen hat. Er antwortet:

Das ist so unglaublich kindisch von “Bild”, immer wieder so zu schreiben. […] Die Ambition hier beim VfL ist, den Aufstieg zu machen. Das kann man erreichen, um Meister zu werden, Zweiter zu werden oder Dritter zu werden. Und wir wollen kein Ziel ausgeben. Und das ärgert die “Bild”. Und darum schreiben sie so. Weil ich habe nicht gesagt, dass wir Meister werden. Jeder sieht, dass wir die Qualität nicht haben, um Meister zu werden in der 2. Liga. […] Also was wollt ihr, “Bild”?

Ein Zwischenruf, vermutlich vom anwesenden “Bild”-Reporter:

Nö, gar nichts.

Dann wieder Verbeek:

Nee. Warum schreibt ihr dann immer solche Scheiße? Warum spielt ihr immer zwei Parteien gegeneinander aus? Selbst mit Flüchtlingen dazwischen. Ihr seid ja Arschlocher. Das seid ihr.

Wieder ein schwer zu verstehender Zwischenruf, irgendwas mit:

Das geht an die Berliner Adresse. Den Schuh zieh’ ich mir nicht an.

Darauf Verbeek:

Du arbeitest für “Bild”, oder nicht? Du sitzt hier für “Bild”. Und du schreibst immer falsch. Ja, ja, ja, ja, ja. Jetzt sind auch die Fans schon. Du bist unglaublich, immer wieder. Immer wieder willst du gerne zwei Parteien haben, die gegenüber einander stehen. Immer. Und ihr lügt auch noch. Das ist die “Bild”.

Zwischenfrage:

Hat “Sport 1” gelogen? Das steht auf der Homepage.

Verbeek:

Ja, dasselbe. Hör mal zu, was ich vor der Kamera gesagt habe. Die Ambition des VfL ist, Aufstieg zu machen. […] Man muss die Ambition haben, und das erkläre ich dir noch mal, schlechten Lehrlingen muss man immer viele Male dasselbe gesagt haben: Wir wollen gerne den Aufstieg machen. Wir haben die Ambition, den Aufstieg zu machen. Aber das Ziel ist nicht, den Aufstieg zu machen. Das ist ganz was anderes.

Die Pressekonferenz widmet sich anschließend einem Definitionsversuch der Worte Ambition und Ziel, bis die Themen Aufsichtsratssitzung und eine dort mögliche Vertragsverlängerung angesprochen werden. Und auch da ist Gertjan Verbeek nicht glücklich — mit der Berichterstattung im Allgemeinen und konkret mit der von “Bild”:

Ich verstehe nicht, dass ihr wisst, was besprochen wird, weil ich das selber noch gar nicht weiß. […] Es ist mir sehr fremd, dass ihr wisst, dass es heute Abend um meine Kontraktverlängerung geht. Ich habe gerade verlängert, im Mai habe ich gesagt, ich bleibe noch ein Jahr. Und jetzt sind wir vier Monate weiter und ich muss wieder reden über eine Verlängerung von meinem Kontrakt? Das hat “Bild” auch schon geschrieben. Das war letzte Saison im Mai. Haben die auch wieder falsch.

So langsam beruhigt sich die Lage. Es werden noch ein paar Personalien für das anstehende Spiel in Bielefeld besprochen. Dann aber doch noch einmal Gertjan Verbeek:

Und dann noch eine falsche Aussage: Letztes Mal war Piotr Cwielong nicht dabei, weil ich ihn nicht in den Kader gestellt habe, er war verletzt. Also kann er nicht im Kader sein. […] Der Trainer konnte ihn nicht fragen und er war verletzt. “Bild”, schreibst du mit?

Antwort vom “Bild”-Reporter:

Hier hat gerade eine Legende angerufen. Das war wichtiger.

Verbeek:

Ja, das ist wichtiger, natürlich. Wir können auch ohne Pressekonferenz, ohne “Bild”.

Hier die gesamte Pressekonferenz (um “Bild” geht’s ab Minute 2:20):

Mit Dank an Christian H. und Matthias S.

Nachtrag, 22. September, 13:47 Uhr: Der Vorstand des VfL Bochum hat sich heute in einer Stellungnahme zu den Aussagen von Trainer Gertjan Verbeek geäußert: “Fußball lebt von Emotionen, die manchmal in Aussagen gipfeln, die zwar Anklang und Nachhall finden, zuweilen in der Tonalität aber daneben liegen.” Man habe mit Verbeek gesprochen, der sich für die Kraftausdrücke entschuldige. Christian Hochstätter und Wilken Engelbracht sagen allerdings auch:

Die Kernaussagen bleiben davon aber unberührt und in dieser Sache hat Gertjan Verbeek unserer Meinung nach vollkommen Recht

Wer nicht für “Bild” werben will, muss gegen Flüchtlinge sein (3)

Dass Fans des Hamburger SV dem FC St. Pauli Respekt zollen und sich wünschen, ihr Verein würde genauso handeln wie der Kiezklub, kommt nicht häufig vor. Auch nicht, dass Anhänger des FC Schalke 04 und von Borussia Dortmund voller Neid auf die kleineren Nachbarn VfL Bochum und MSV Duisburg schauen. “Bild”-Chef Kai Diekmann hat mit seinen zwei Pöbeltweets zu St. Paulis Entscheidung, sich nicht als Werbetransmitter der “Wir helfen”-Aktion benutzen zu lassen, also das geschafft, was sonst nur Reizthemen wie Stadionverbote oder zu hohe Ticketpreise schaffen: Er hat Fans vereint, die sich sonst nicht besonders leiden können, mitunter sogar regelrecht bekriegen.

Es waren nämlich vor allem die Anhänger der deutschen Fußballvereine, die seit Mittwoch mächtig mobil machten. Fangruppen forderten die Vereinsbosse in offenen Briefen auf, sich der “Bild”-Hermes-DFL-Werbekampagne zu verweigern. Viele Fans haben bei Twitter das Hashtag #BILDnotwelcome tagelang in den sogenannten Trending Topics gehalten. Manche von ihnen kündigten dabei recht drastische Maßnahmen an.

Und ihr Protest hatte Wirkung: Bis zum Ende des vergangenen Spieltags in der 1. und 2. Bundesliga hatten sich zehn Vereine dem FC St. Pauli angeschlossen. Manche verzichteten ebenfalls komplett auf das “Wir helfen”-Logo, andere klebten nur das darin beinhaltete “Bild”-Logo ab; alle elf spielen in der 2. Liga, damit gab es lediglich sieben Zweitligisten, die sich der “Bild”-Aktion komplett angeschlossen haben. In der 1. Liga waren es alle 18 Klubs.

Unabhängig davon, ob ihr Verein mit oder ohne “Wir helfen”-Aufnäher auf dem Spielfeld stand, haben viele Fangruppen ihren Protest aus dem Internet auf die Stadionränge getragen. In Nürnberg zum Beispiel …



(Danke an @Ilja_FCN)

… oder in Paderborn durch die Gästefans aus Karlsruhe …


(Danke an @Doering_Stefan)

… oder beim SC Freiburg, wo die Heimfans Transparente mit “Refugees welcome — Bild nicht” und “Erst die Hetze angefacht — wird’s mit Fußball wieder gut gemacht?” hochhielten …



(Danke an Fotografin Friederike Bauer und @HulaLena)

… oder in Darmstadt …


(Danke an @DaTagblatt-Fotograf Arthur Schönbein)

… oder in Köln …


(Danke an @Lollipop2701 und die #SektionTwitter)

… oder in Mainz …



(Danke an @ne_ratte)

… oder in München, wo die 1860-Fans “Scheinheiligkeit und Doppelmoral als PR-Strategie — das bringt nur Blöd #BILDnotwelcome” aufs Banner schrieben …


(Danke an @Komissarov95)

… oder in Bremen durch die Gäste aus Ingolstadt …


(Danke an fuba tour)

… oder in Stuttgart …




(Danke an die Cannstatter Kurve)

… oder auf beiden Seiten beim Spiel zwischen dem VfL Bochum und Fortuna Düsseldorf …


(Danke an @mistadangee)



(Danke an turus)

… oder in Wolfsburg durch die Fans von Hertha BSC Berlin …


(Danke an La Familia)

… oder bei der Partie Union Berlin gegen Greuther Fürth von beiden Fanlagern …



(Danke an @NN_Online-Redakteur @chribenesch)

… oder mit Stickern beim BVB:


(Danke an @Doering_Stefan)

In Dortmund gab es bereits beim Spiel in der Europa League am Donnerstagabend Proteste gegen “Bild”. Die Fans auf der legendären Südtribüne hatten zahlreiche Banner gespannt:





(Danke an @schwatzgelbde)

Damit stellten sich genau die Fans mit Zitaten aus der neuen “Bild”-Imagekampagne gegen das Blatt, die noch vor wenigen Tagen von “Bild” für die neue Imagekampagne instrumentalisiert wurden:

Nun liest man derzeit immer wieder, dass Kai Diekmann genau das wollte: Aufmerksamkeit, für sich, für “Bild”, für die “Wir helfen”-Aktion.

Klar, mit seiner Twitterei zum FC St. Pauli dürfte er genau darauf ausgewesen sein. Jedenfalls wären so seine unsinnig-steilen Thesen zum Kiezklub zu erklären (weitere Erklärungsversuche: Warnschuss für mögliche Wackelkandidaten, bloß nicht auch noch abzuspringen; spezielles Weltbild: Wer nicht mit “Bild” kooperiert, kann nicht ganz sauber sein). Aber dieses Mal scheint der Aufmerksamkeitsprofi Diekmann die Folgen falsch eingeschätzt zu haben. Die Heftigkeit und die Vielfältigkeit der Reaktionen dürften auch für ihn überraschend gewesen sein. Unzählige Medien berichteten, kleinere Blogs, die großen Onlineportale, selbst die “Tagesthemen”. Und bei so gut wie allen Beiträgen konnte man das Unverständnis über die Äußerungen des “Bild”-Chefs herauslesen und -hören. In Interviews durften Sprecher von Faninitiativen ihren Ärger darüber äußern, dass ihr Verein möglicherweise mit Diekmanns Blatt paktiert, und sich über den scheinheiligen Wandel der “Bild” beim Thema Flüchtlinge auslassen.

Der sonst so tweetselige Diekmann wurde in der Folge auffallend still und twitterte stundenlang überhaupt nichts. Auch dem “Spiegel” wollte er nichts sagen. Gut möglich, dass er mit nur zwei Kurznachrichten eine ganze Menge zerstört hat — nicht nur beim Verhältnis zu den Fußballvereinen, sondern auch am mühsam aufgebauten Image der freundlichen “Bild”.

Damit sich der Schaden einigermaßen in Grenzen hält, schwenkte die Redaktion in ihrer Berichterstattung schnell um: Während sie am Donnerstag noch vorwurfsvoll-beleidigt meldete

… war sie bereits einen Tag später ganz handzahm und einsichtig:


Wir helfen — das haben alle Vereine bereits vorher schon mit zahlreichen Aktionen und Projekten bewiesen. Die Bundesliga ist Meister im Helfen. […] Beispiel St. Pauli: Sach- und Geldspenden des Vereins, seiner Mitarbeiter und Fans. Aktionen beim Test gegen Dortmund. Die Warmmach-T-Shirts und Refugees-Welcome-Banner werden versteigert. Profis besuchen Flüchtlingslager. Es gibt Trainingsangebote für die Kinder.

Nur zur Erinnerung: Das schreibt das Blatt, dessen Chefredakteur zwei Tag zuvor noch polterte, beim FC St. Pauli seien “#refugeesnotwelcome”, und den Verein in die Nähe der AfD rückte.

Wie heuchlerisch dieser neue “Bild”-Ton vom Freitag ist, zeigt auch ein Blick in die anderen Regionalausgaben:

Einen Tag später, als bei einigen Klubs noch nicht endgültig feststand, ob sie sich an der “Wir helfen”-Kampagne beteiligen oder nicht, ging das Gutwettermachen auf der Titelseite weiter:

Und das Erstligaduell am Freitagabend zwischen dem FSV Mainz 05 und der TSG Hoffenheim nutzte die Redaktion für ihre Samstagsausgabe so:

Also alles wie gehabt: Die Bundesliga steht im Mittelpunkt, genauso die “Bild” selbst mit ihrer “Wir helfen”-Aktion. Die Flüchtlinge, um die es eigentlich gehen soll, bleiben eine Randerscheinung.

Eine Überraschung gab es dann aber doch noch: Die “Bild am Sonntag” titelte im Sportteil mit Blick auf die Spiele in Liga eins und zwei:

Dabei klopfte sie ganz sicher auch sich selbst und ihrem Schwesterblatt auf die Schultern. Aber immerhin: Die Flüchtlinge haben es in die Überschrift geschafft.

Damit war heute allerdings direkt wieder Schluss, als Kai Diekmann das redaktionelle Sagen zurück hatte — bei “Bild am Sonntag” ist er lediglich Herausgeber –, und seine “Wir helfen”-Aktion wieder die wichtigste Rolle in diesem Schmierentheater bekam:

Mit Dank an alle Fotografen für die Bilder aus den Stadien!

Nachtrag, 22. September, 13:29 Uhr: Auch die Fans des FC Schalke 04 haben sich am Wochenende per Banner zur “Bild”-Aktion geäußert …


(Danke an die Cannstatter Kurve)

… genauso wie die des 1. FC Kaiserslautern.

Mit Dank an Johannes S. für den Link.

Überwältigungsjournalismus, Ronzheimer, Katzenalter

1. Berichterstatter als Stimmungsmacher
(nzz.ch, Heribert Seifert)
In den letzten Wochen habe in Deutschland ein “monothematischer Überwältigungsjournalismus” stattgefunden, “der bei der Massenmigration nur eine zugelassene Haltung kannte.” So lautet jedenfalls die Ferndiagnose aus der Schweiz von Heribert Seifert. Er wirft den deutschen Medien vor, sich in “moralische und emotionale Ekstasen” hineingesteigert zu haben. Als Positivbeispiel nennt er einen Gastbeitrag in der “FAZ”, der vergangene Woche bei “6 vor 9” heftig kritisiert wurde (Link 5).

2. Betrunkene Asylheimkritiker
(lauterbautzner.eu, Veselin)
Wie soll man die Leute bloß nennen, die in Freital, in Heidenau oder aktuell in Bischofswerda vor Flüchtlingsheimen stehen, dumpfe Parolen ablassen und auch mal den Arm zum Hitlergruß strecken? “Rechte”? “Asylheimkritiker”? “Neonazis”? Die Seite “lauterbautz’ner” kritisiert die Wortwahl der “Sächsischen Zeitung” — und bekommt eine Antwort der zuständigen Redaktion. In einem anderen Fall ist Blogger Olaf Meyer nicht einverstanden mit dem Vorgehen des MDR. Der “Flurfunk Dresden” fasst beide Sprachkritiken zusammen.

3. China is open to the world’s media, Xi Jinping tells Rupert Murdoch
(theguardian.com, Fergus Ryan, englisch)
Die Websites von “New York Times” und “Bloomberg” sind in China geblockt, eine “Zeit”-Mitarbeiterin wurde neun Monate gefangen gehalten, das Land gilt nicht unbedingt als Hochburg der Pressefreiheit. Trotzdem will Rupert Murdoch nach China expandieren und hat sich nun von Präsident Xi Jinping zusichern lassen, dass man ausländische Medien willkommen heiße.

4. Rauch, Gefahr, Krise: Ich Selfie, also bin ich
(dwdl.de, Hans Hoff)
Aus “The medium is the message” sei “The man is the message” geworden, sagt Hans Hoff und ist neidisch auf “Selfie-Reporter” Paul Ronzheimer: “Ich will einfach nur ins Bild und klasse aussehen. So wie der ‘Bild’-Man of the year Paul Ronzheimer, von dem ich bald alles weiß. Ultracoole Sau, dieser Typ. The next Elyas M’Barek quasi.”

5. Was Pauschalisten jetzt wissen müssen
(journalist.de, Monika Lungmus)
Seit einiger Zeit prüfen Zoll und Rentenversicherung deutlich intensiver, ob Pauschalisten tatsächlich selbstständig sind oder nicht doch die Aufgaben von Redakteuren übernehmen und damit illegal beschäftigt wären. Was sind die Kriterien für Scheinselbstständigkeit? Wer haftet, wenn der Betrug auffliegt? Lohnt eine Festanstellungsklage? Michael Hirschler vom DJV beantwortet die wichtigsten Fragen.

6. Woher weiß Google, wann meine Katze stirbt?
(konradlischka.info)
Die Katze von Konrad Lischka wird 15 Jahre alt. Sagt jedenfalls Google. Und die Suchmaschine sagt auch, dass er zum Abnehmen eine Low-Carb-Diät wählen soll. Lischka wundert die Bestimmtheit der Antworten auf verschiedene Fragen, ohne dass Google eine eindeutige Quelle angibt. Das sei eine “grundlegende Veränderung der Funktionen” von Suchmaschinen: “Sie werden selbst zu Quellen statt auf Quellen zu verweisen.”