Archiv für November 24th, 2014

Der öffentliche Tod einer jungen Mutter

Am vergangenen Mittwoch ist in Emmerich eine 26-jährige Frau im Beisein ihrer kleinen Kinder erstochen worden. Laut Polizei war ein Nachbar der Familie über den Balkon in die Wohnung eingedrungen, hatte dort zuerst die 45-jährige Oma schwer verletzt und dann im Schlafzimmer, wo sich auch die Kinder aufhielten, brutal auf die junge Mutter eingestochen. Sie war schon verblutet, als die Rettungskräfte eintrafen.

Der mutmaßliche Täter, der auf seiner Flucht noch einen dritten Menschen attackierte, wurde am Tag darauf festgenommen; er habe die Taten gestanden, teilte die Polizei mit.

Die Medien interessierten sich natürlich sehr für den grausamen Fall, allerdings verzichteten sie in ihren Berichten auf Fotos der Opfer, änderten alle Namen und nannten auch sonst kaum persönliche Details, eine Praxis, die eigentlich selbstverständlich sein sollte, es aber bei Weitem nicht ist, nicht mal in den sogenannten seriösen Medien, wie man ja zuletzt an den fürchterlichen Opfergalerien zum MH17-Unglück sehen konnte. Umso erfreulicher, dass sich die Medien diesmal so zurückgehalten haben.

Bis auf „Bild“ natürlich.

Dort gab es mal wieder das volle Sensationsprogramm: Die Zeitung druckte Fotos vom Abtransport der Leiche und davon, wie die (immerhin verpixelten) Kinder aus dem Haus getragen werden; zeigte (sowohl in der Print- als auch in der Online-Ausgabe) Fotos vom Haus, in dem die Tat geschah, von der Wohnungstür der Familie, von der Wohnungstür des mutmaßlichen Täters und vom Haus des dritten Opfers. „Bild“ ist auch das einzige Medium, in dem die Namen der Betroffenen nicht geändert wurden. Und das einzige, das ein unverpixeltes Foto der getöteten Frau veröffentlicht hat — und zwar einmal am Mittwoch …

… und zweimal am Donnerstag …


… außerdem in der Bundesausgabe …

… in der Regionalausgabe (Ruhrgebiet) …

… nochmal in der Bundesausgabe …

… und nochmal in der Regionalausgabe:

(Alle Unkenntlichmachungen von uns.)

Als Foto-Quelle ist in der Printversion (wenn überhaupt) „Privat“ angegeben. Online heißt es:

In Wahrheit stammt das Foto aber natürlich nicht von „Bild“-Mann Stefano Laura, sondern vom Facebookprofil des Opfers. Auch das (mit schwarzem Alibi-Balken versehene) Foto des mutmaßlichen Täters hat sich „Bild“ kurzerhand bei Facebook besorgt, Quellenangabe: keine.

Am Donnerstag haben wir den Axel-Springer-Verlag um eine Erklärung zu dem Fall gebeten. Eine Antwort haben wir bis heute nicht bekommen.

Übrigens: Wie gestört die Leute von “Bild” mit diesem Thema umgehen, zeigt sich in der heutigen Ausgabe in ganz besonderer Weise. In einem Artikel über die Wild-Unfälle vom Wochenende hat die Zeitung einem Reh (!) das gewährt, was die meisten menschlichen Opfer nicht bekommen: ein verpixeltes Gesicht.

Mit Dank an Stephan T. und Kurt Wolfgang S.

RT, Ebola, Wrestling

1. “Fatale Falschmeldung”
(taz.de, Francesco Giammarco)
Eine Meldung über eine Ebola-Erkrankung in Berlin stellt sich als falsch heraus: “Unter anderem der TV-Sender n-tv und die Berliner Morgenpost hatten am Dienstag berichtet, dass es sich bei dem Mann um einen Übersetzer handeln soll, der für die Botschaft der Republik Sierra Leone in Berlin arbeitet. (…) Weder vor, noch nach der Veröffentlichung sei die Botschaft kontaktiert worden, um die Verbindung zu dem vermeintlich Kranken zu bestätigen.”

2. “Mein Auftritt bei Putins Propagandasender”
(faz.net, Olaf Sundermeyer)
Olaf Sundermeyer wird vom seit Kurzem auch auf deutsch sendenden TV-Sender “RT” eingeladen und berichtet über seine Erfahrung: “Ich warte. Zu lesen gibt es nur die ‘Junge Welt’, in der eine spezielle linke Sicht der Dinge das Böse in Kiew vermutet und das Gute in Moskau weiß.”

3. “Ohne Brüste und Budget zu einer halben Million Klicks”
(tokyofotosushi.wordpress.com, Fritz)
Fritz Schumann erzielt mit einer Story, die er zunächst “allen großen Redaktionen” in Deutschland erfolglos angeboten hatte, internationale Aufmerksamkeit und eine Laudatio des dpa-Inlandchefs: “Ich ahnte von Beginn an, dass die Geschichte abgehen wird. Wie sehr, das war mir bis zum Schluss nicht klar. Mein Problem zu Beginn war, dass ich als junger Journalist keinen direkten Kontakt zu den Redaktionen hatte, denen ich es anbot. Ich hatte kein Vertriebsnetzwerk. Durch die Verbreitung im Netz erhielt ich aber Angebote von Adressen, an die ich niemals dachte. Das Internet wurde mein Vertriebsnetzwerk.”

4. “Post von der ‘Bild’: Homberger mit Regierungssprecher verwechselt “
(hna.de, Olaf Dellit)
Eine Geburtstagsgratulation von “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann: “Das Problem: Klaus Bölling aus Homberg hatte an diesem Tag überhaupt nicht Geburtstag, und 86 Jahre alt ist er noch lange nicht, sondern gerade einmal 52.”

5. “Ein offener Brief an BILD-Redakteur Enrico Ahlig”
(wrestling-point.de, Mathias)
Mathias freut sich, dass “Bild” über Wrestling berichtet, aber nicht, wie “Bild” über Wrestling berichtet. An Redakteur Enrico Ahlig schreibt er, seine Artikel hätten “ungefähr den Informationsgehalt einer leeren Tomatensaft-Dose. Ein bisschen Text, Selfie, Text, Selfie… Man erkennt Ihr Muster schnell. Und wenn Sie in einem Artikel mal nicht zu sehen sind gibt es trotzdem extrem viele Bilder und wenig Text. Als wäre jeder Buchstabe mehr eine Belastung für den Leser.”

6. “Satirisch: So war mein erstes Mal – ‘Ich fühlte mich richtig mies!'”
(interview-blogger.de, Florian Staudter)
Florian Staudter kauft erstmals eine Ausgabe von “Bild”: “Schnell wurde mir klar, das Ganze war eine einmalige Sache. Ein Ausrutscher – ein One-Read-Stand. Sie ist zwar billig, mehr aber auch nicht.”