Archiv für August 20th, 2014

Zum Killer gemacht

Vorgestern begann der Prozess gegen den mutmaßlichen “Manga-Killer” (“Bild”), der im Verdacht steht, ein 14-jähriges Mädchen erstochen zu haben (BILDblog berichtete).

Und so sieht der Verdächtige laut “Bild am Sonntag” aus:

(Unkenntlichmachung von uns. Im Original liegt ein Alibi-Balken über seinen Augen.)

Das Foto hat die “BamS” kurzerhand bei Facebook besorgt:

Allerdings: Sie hat sich im falschen Profil bedient. Das Foto zeigt gar nicht den Verdächtigen. Die beiden heißen nur gleich.

Auf Anfrage erklärte uns der Abgebildete, nennen wir ihn Paul, dass er am Sonntag von vielen Leuten darauf hingewiesen worden sei, dass die “BamS” sein Foto zeige. Sofort teilte er bei Facebook mit, dass er nichts mit der Tat zu tun habe und ging zur Polizei.

Er habe sich nicht nur geärgert, sondern auch Angst bekommen, sagt Paul, allein wenn er daran denke, was in Emden passiert sei. Dort hatte sich vor zwei Jahren ein Mob versammelt, um sich an einem Verdächtigen zu rächen, den “Bild” zuvor ebenfalls abgebildet und als (mutmaßlichen) Täter bezeichnet hatte. Später stellte er sich als unschuldig heraus (BILDblog berichtete).

Es ist auch nicht das erste Mal, dass sich die Fotobeschaffer von “Bild” im falschen Facebook-Profil bedienen: 2012 schrieb das Blatt über den Mord an Hanna K. — und druckte ein Foto von Hannah W., die quicklebendig war und nichts mit der Sache zu tun hatte (BILDblog berichtete auch hier).

Um wenigstens im Umkreis von Pauls Wohnorts klarzumachen, dass er nicht der “Manga-Killer” ist, soll in der Lokalzeitung ein entsprechender Hinweis erscheinen. Gegen die “Bild am Sonntag” (verfasst wurde der Artikel übrigens von den Pietäts-Experten Nils Mertens und Bastian Schlüter) hat Paul rechtliche Schritte eingeleitet.

Mit Dank an Kai L.

Nachtrag, 21. August: Heute Abend hat sich die “BamS” per Facebook entschuldigt:

Danke an @vierzueinser für den Hinweis!

Fortsetzung: hier.

Ferguson, James Foley, “menschliche Katastrophen”

1. “Der Tag, an dem die US-Polizei mein Feind wurde”
(welt.de, Ansgar Graw)
Die Ereignisse überschlagen sich, etliche Journalisten wurden bedroht und festgenommen. In Gaza? In der Ukraine? In Russland? Nein, in den USA! (© Alf Frommer, @siegstyle). Neben “Welt”-Korrespondent Ansgar Graw ist Frank Herrmann in Ferguson verhaftet worden (schwaebische.de), zwischenzeitlich war auch “Bild”-Reporter Lukas Hermsmeier in Arrest (meedia.de). Laut CNN wurden damit insgesamt elf Journalisten festgenommen, Ryan Devereaux berichtet bei “The Intercept” über seine Erfahrungen. Die Polizei Ein ehemaliger Polizist zeigt sich indes unbeeindruckt: “I’m a cop. If you don’t want to get hurt, don’t challenge me” (washingtonpost.com).

2. “Virale Propaganda der Terroristen”
(sueddeutsche.de, Hakan Tanriverdi)
Vor laufender Kamera hat die IS-Miliz den amerikanischen Fotojournalisten James Foley enthauptet (tagesschau.de). Das Video haben die Terroristen auf YouTube veröffentlicht, nun kursiert es in den sozialen Netzwerken. Wegen mangelnder Filtermöglichkeiten hat insbesondere Twitter Probleme, solch grausame Propaganda sofort zu löschen. Nutzer rufen deshalb mit dem Hashtag #ISISMediablackout dazu auf, das Video nicht weiter zu verbreiten. Wer mehr über James Foley erfahren will: Die “Vanity Fair” hat bereits im Mai 2014 ein ausführliches Portrait veröffentlicht.

3. “Schwache Argumente für eine Veröffentlichung”
(medienwoche.ch, Nick Lüthi)
Schweizer Medien haben offensichtlich nicht allzu viel aus den Persönlichkeitsverletzungen bei der sensationsheischenden Berichterstattung (watson.ch) über die “Porno-Sekretärin” gelernt. Zwei Wochen später skandalisiert die “Schweiz am Sonntag” die “Nackt-Selfies” des Nationalrats Geri Müller; sogar Chefredakteure wie Roger Köppel, sonst nicht unbedingt als vehementer Privatsphäre-Verfechter bekannt, wundern sich über die “unappetitliche Story” (persoenlich.com).

4. “Die Ironie macht alle gleich”
(faz.net, Hannah Lühmann)
Deutsche Blogs wie Amy & Pink, Schlecky Silberstein oder Das Kraftfuttermischwerk orientieren sich angeblich am “Vice”-Magazin – eine schlechte Idee, findet zumindest Hannah Lühmann: “Der Versuch aber, schnoddrig und cool wie das Vorbild zu sein, lässt sie alle gleich werden, die Blogs, die über Musik, Partys und Mode informieren wollen. […] Alles wird eingemeindet in eine fröhliche Welt der lässigen Redundanz, von Menschen, die sich selbst dabei wohl ziemlich lässig vorkommen.”

5. “Last Call – The end of the printed newspaper.”
(medium.com, Clay Shirky, englisch)
“Have a look at this chart. Do you see anything unclear about the trend line?”, fragt Clay Shirky angesichts der Entwicklung der Werbeerlöse US-amerikanischer Zeitungen. “If you are a journalist at a print publication, your job is in danger. Period. Time to do something about it.”

6. “Eine ‘menschliche’ Katastrophe?”
(udostiehl.wordpress.com)
Irak, Syrien, Gaza, Ukraine – die Nachrichten sind derzeit voll von Gewalt und Krieg. “In der Berichterstattung bahnt sich in solchen Fällen eine ‘menschliche Katastrophe’ an”, beschreibt Udo Stiehl die Praxis seiner Kollegen und warnt: “So ausgedrückt jedoch handelt es sich leider um eine ‘sprachliche Katastrophe’.”