Archiv für November 13th, 2013

Man sollte nicht die Hälfte weglassen

Der Chef der indischen Bundespolizei steht derzeit massiv in der Kritik. Auf einer Konferenz hatte er seine Haltung gegenüber Sportwetten zum Ausdruck bringen wollen: Diese sollten legalisiert werden, weil ein Verbot schwer durchzusetzen sei.

Seine Wortwahl war allerdings völlig daneben:

Wenn man das Verbot von Sportwetten nicht durchsetzen kann, ist es, als würde man sagen: “Wenn man eine Vergewaltigung nicht verhindern kann, sollte man sie genießen”.

(Übersetzung von uns.)

Ohne Frage ein wirklich dummer Vergleich.

Aber mit Dummheit kennen sich deutschsprachige Medien ja aus. Und so wurde aus dem Zitat heute das hier:

“Focus Online”:
Skandal-Aussage entsetzt indien - Indischer Polizei-Chef rät, Vergewaltigungen zu genießen

Augsburger-allgemeine.de:Polizeichef: "Vergewaltigung sollte man genießen"

Heute.at:Welle der Empörung in Indien - Polizeichef: "Man soll Vergewaltigung genießen"

Hna.de:Abscheulicher Kommentar von Polizeichef: "Vergewaltigungsopfer sollten es genießen"

Bild.de:INDISCHER POLIZEICHEF KOMPLETT IRRE - "Vergewaltigungen sollte man genießen"

20min.ch:INDIENS POLIZEICHEF - "Man sollte die Vergewaltigung genießen"

Welt.de:Indien - Polizeichef rät dazu, "Vergewaltigung zu genießen"

Kurier.at:Polizeichef rät: "Vergewaltigung genießen"

T-online.de:Empörung in Indien - Polizeichef empfiehlt: Vergewaltigun "ruhig genießen"

Dass damit die Aussage des Polizeichefs ziemlich verzerrt wird, hat bislang nur “RP Online” gemerkt – und die Überschrift transparent in “Polizeichef sorgt mit Vergewaltigungs-Vergleich für Proteste” umgeändert.

Mit Dank an Marc B.

Nachtrag, 19.45 Uhr: Bild.de, Welt.de, Hna.de und “Focus Online” haben ihre Überschriften geändert.

Nachtrag, 14. November: Bis auf Heute.at haben sich jetzt auch die anderen Medien mehr oder weniger korrigiert.

Gabor Steingart, Evgeny Morozov, Shoah

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Passauer Journalist im Visier der Fahnder”
(sueddeutsche.de, Wolfgang Wittl)
Journalist Hubert Denk erhält von der Kriminalpolizei Nürnberg eine Vorladung, in der von einer “Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes” sowie “Anstiftung zur Verletzung des Dienstgeheimnisses” geht. “Vorwurf: Womöglich habe Denk die Unterlagen aus Ermittlerkreisen aktiv angefordert – und sich somit strafbar gemacht. Es sei nicht einmal auszuschließen, dass Denk die brisanten Belege wie den Stoiber-Brief bei einer Fax-Übertragung abgefangen habe.”

2. “Journalistische Schikane oder Schikane von Journalisten?”
(investigativ.ch, Eveline Dudda)
Das Schweizer Bundesamt für Landwirtschaft will Journalistin Eveline Dudda keine Anfragen mehr beantworten: “Alles in allem startete ich innerhalb von elf Wochen fünf Anfragen beim BLW, zwei davon nur deshalb, weil die erste Antwort ausblieb. Es gibt Bundesämter, bei denen wäre das mit drei mal drei Mails erledigt: Drei mal eine Anfrage, dreimal einen Antwort, dreimal ein Dankeschön. Beim BLW wurde ein Hickhack mit Dutzenden Mails daraus.”

3. “Falsche Freunde: Wie gefährlich nah das ‘Handelsblatt’ seinen Anzeigenkunden kommt”
(newsroom.de, Markus Wiegand)
Wie der Konzern General Electric im “Handelsblatt” vorkommt: “Der Weltkonzern möchte auf dem deutschen Markt, in der Heimat des großen Rivalen Siemens, wachsen und besser in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Und dabei hilft ihm der ‘Handelsblatt’-Herausgeber Gabor Steingart persönlich.”

4. “Lebt eigentlich die HuffPo noch – und wenn ja, warum?”
(blog-cj.de, Christian Jakubetz)
Es gebe nur wenig Anlass, sich ernsthaft über die “Huffington Post Deutschland” zu unterhalten, glaubt Christian Jakubetz: “Die Substanzlosigkeit, das Fehlen jeglichen Esprits und einer Haltung, die etwas anderes ist als ein bemühtes ‘Wir sind neu und anders’, das alles, was man zu Beginn bemängeln konnte, hat sich nicht wirklich geändert.”

5. “Befreit uns von Morozov”
(de-bug.de, Sascha Kösch)
Der in deutschen Feuilletons omnipräsente Evgeny Morozov: “Nach circa 25 Seiten ‘Smarte neue Welt’ denkt man sich: Gut, ich habe jetzt wirklich verstanden, worum es dir geht. Komm zur Sache, Evgeny! In Kürze: Laut Morozov werde dem Internet ständig unterstellt, dass es eine Essenz habe, eine wesentliche Eigenschaft. Diese gedachte Essenz (Freiheit, Gleichheit etc.) führe dazu, dass man mit dem Internet die Probleme der Welt lösen will (solutionism), und behauptet, es wäre unveränderlich.”

6. “Shoah (1/2)”
(arte.tv, Video, insgesamt 566 Minuten)
Für den Dokumentarfilm Shoah von 1985 sprach Claude Lanzmann mit Zeitzeugen des Holocaust. Teil 2 hier.