Archiv für Juni, 2013

B.Z., Ines Pohl, Brennpunkt

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “‘B.Z.’ bringt Prozess zum Platzen”
(taz.de, Plutonia Plarre)
Der Prozess um den Todesfall Jonny K. vor dem Landgericht Berlin: “‘Berlins mutigster Schöffe spricht’ – die B.Z.-Schlagzeile sprang Richter Schweckendieck am Montagmorgen in der S-Bahn an. ‘Weil ein Laienrichter das sagte, was alle dachten, droht das Verfahren zu platzen’, heißt es im Text. Genau das ist nun passiert: weil das Springer-Blatt kräftig nachgeholfen hat.”

2. “‘Das ist unsere Antwort auf die Krise'”
(journalist.de, Hans Hoff)
Ein ausführliches Interview mit taz-Chefredakeurin Ines Pohl: “Wir setzen uns immer wieder auch mit den eigenen Rollenbildern auseinander und zwar nicht verhaftet im grünen Muff der 80er. Wir sind schon sehr kritisch auch mit dem, woher wir kommen. Manche sagen, wir sind zu wenig links. Das sehe ich anders.”

3. “Raubüberfälle: Dramatische Panikmache der Krone”
(kobuk.at, Yilmaz Gülüm)
Eine Überprüfung der “Kronen-Zeitung”-Titelschlagzeile “Dramatischer Anstieg der Raubüberfälle”.

4. “Where are we now?”
(kreuzer-leipzig.de, Juliane Streich)
Juliane Streich stellt fest, dass sie über westdeutsche Themen besser Bescheid weiß als über ostdeutsche: “Löblich, dass es Die Zeit inzwischen auch als Ost-Ausgabe gibt. Doch liegt dahinter ein bezeichnendes Problem: Unser Postbote steckt uns manchmal statt der SZ versehentlich die FAZ in den Briefkasten, weil er beide nicht kennt, wie er selbst einmal erklärte. Denn hier abonniert kaum einer die überregionalen großen Zeitungen der alten Republik, was daran liegen könnte, dass sie die neuen Bundesländer hauptsächlich in Artikeln über Neonazis oder Hartz IV thematisieren. Dann doch lieber die SuperIllu oder MDR. Die von hier. Aber Berichte über die Befindlichkeiten von Achim Menzel, Kati Witt und Manfred Krug können es ja nun nicht gewesen sein.”

5. “‘Schlimmer als erwartet’: Wie der ‘Brennpunkt’ Katastrophen-Rhetorik zelebriert”
(ulmen.tv, Peer Schader)
Der ARD-“Brennpunkt” mit Sigmund Gottlieb zum Hochwasser: “Es ist ja richtig: Das Hochwasser richtet großen Schaden an. Darüber sollte das Fernsehen berichten. Im Gegensatz zu den besonnen agierenden Helfern, die derzeit in den Beiträgen porträtiert werden, wirken Journalisten mit übertriebener Sensationsrhetorik, die genüsslich das Wort ‘Katastrophengebiet’ betonen und sich mit Höchststandmeldungen übertrumpfen, aber besonders fehl am Platze. Erst recht in einem Sender, der so sehr die eigene Nachrichtenkompetenz vor sich herträgt.”

6. “Hochwassergebiete halten Flut besorgt dreinblickender Politiker nicht mehr lange stand”
(der-postillon.com)

Panther-Parolen

Die Leute von “Bild” mögen die Leute von Blockupy offenbar nicht besonders. Zumindest gibt sich das Blatt seit Tagen redlich Mühe, die Protest-Bewegung in Verruf zu bringen. Nachdem “Bild” mit kräftiger Unterstützung des hessischen Verkehrsministers zunächst versucht hatte, dem linkspolitischen Bündnis irgendeinen Nazi-Skandal anzuhängen (BILDblog berichtete), legt Bild.de jetzt nach.

In einem Text über die “Blockupy-Sitzenbleiber” (hihi) fassen die Reporter zusammen, was am vergangenen Freitag in der Frankfurter Innenstadt passiert ist. Der Artikel endet so:

Und die Flughafen-Protestler trollen sich wieder Richtung Bahnhof. Mit der Parole: “Heute ist nicht alle Tage…” Der Paulchen-Panther-Spruch, den die Nazi-Mörder vom NSU für ihr widerliches Bekenner-Video nutzten …

Das ist um so viele Ecken gedacht, dass das Kreuz Haken schlägt.

Mit Dank an Teresa M.

Mittendrin statt nur dabei

Während viele Medien immer noch darüber nachdenken, wie sie im Internet Geld verdienen können, war das “Hamburger Abendblatt” vergangene Woche schon einen Schritt weiter:

Polizei schießt auf Bewaffneten auf dem Kiez – hier im Video. Jetzt weiterlesen ... Mit einem Online-Abonnement des Hamburger Abendblatts haben Sie vollen Zugang zum ePaper, zu allen Artikeln und zum Online-Archiv.

Gut, wer die mindestens 1,20 Euro bezahlt hat, um zu sehen, wie die Polizei auf den “Bewaffneten auf dem Kiez” schießt, wurde enttäuscht: An der entscheidenden Stelle bleibt der Bildschirm schwarz, weil die Bilder “zu brutal sind, um sie hier zu zeigen”. Aber immerhin kann man die Schüsse hören, während die Musik einer Gaststätte im Hintergrund läuft.

Der monotone Off-Kommentar ist auch nicht mit den reißerischen Ansagen aus dem US-Fernsehen zu vergleichen, eher mit einem Vortrag über das Element Caesium im “Telekolleg”. Aber ansonsten bekommt der Leser/Zuschauer für sein Geld schon ordentlich was geboten: Den Teil der Videoaufnahmen, den die Redaktion von abendblatt.de offenbar nicht für “zu brutal” hielt.

Also etwa den (womöglich psychisch kranken) Mann, der sich – notdürftig unscharf gemacht – eine Waffe an den Kopf hält, einen Schwenk auf die Polizisten, die nach den Schüssen auf seine Beine um ihn herumstehen, und Rettungssanitäter, die den Mann wegbringen, sowie umstehende Polizisten und Fotografen.

Dazu heißt es aus dem Off:

Schießerei auf dem Kiez: Die Besucher eines Restaurants an der Seilerstraße haben am Mittwoch mit einem Handy diese Bilder aufgenommen. Darauf ist zu sehen, wie sich ein 48-jähriger Mann eine Pistole an den Kopf hält. Als der Mann später mit durchgeladener Waffe auf die Polizeibeamten zugeht, eröffnen diese das Feuer. Bilder, die zu brutal sind, um sie hier zu zeigen. Sie treffen den Mann zweimal: Eine Kugel trifft den 48-Jährigen am Oberschenkel, eine zweite Kugel verletzt ihn am Unterschenkel. Kurz nach der Schießerei bringt ein Krankenwagen den Mann ins Krankenhaus. Das Motiv des 48-Jährigen ist bislang noch unklar.

Auch bei Bild.de gibt es ein Video des Vorfalls: “Ex-Touché-Sänger Karim Mattaoui (38), in den 90ern ein Boygroup-Star und Teenie-Idol” hatte für Sekundenbruchteile einen unscharfen Blick auf den Mann werfen können und das wacklige Videodokument auf Facebook hochgeladen.

Nach den Schüssen hatte sich übrigens herausgestellt, dass der “Amokläufer”, wie “Bild” und “Hamburger Morgenpost” den Mann nennen, eine Gaspistole bei sich trug.

Mit Dank an Stefanie.

Bild, Sonntagszeitung, Schlaraffenland

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “‘Bild’ warnt vor Homo-‘Propaganda’ an Schulen”
(queer.de, dk)
Eine von Bild.de zitierte “Expertin” glaubt, dass Jugendliche durch die Thematisierung von Homosexualität “in die Homosexualität” getrieben werden können.

2. “Mit ‘Bild’ in einem Boot”
(faz.net, Stefan Niggemeier)
Die Bezahlstrategie des Axel-Springer-Verlags, die Nähe des Kaders zu Politikern und die Berichterstattung der anderen Medien: “Nun erscheint Döpfner in der Berichterstattung in der Rolle des Heilsbringers für den Journalismus, die vor Jahren Apple-Gründer Steve Jobs hatte.”

3. “Alles nur Fake?”
(journalist.de, Matthias Daniel)
“Journalist”-Chefredakteur Matthias Daniel prüft ein Foto, das auf der Titelseite der Mai-Ausgabe seiner Zeitschrift abgedruckt war: “Der direkten Frage, ob die Rebellen für Manzano posieren, weicht der Fotograf aus. Aber er sagt, dass zahlreiche Rebellen keine geschulten Militärs seien. Er habe Filmaufnahmen von Kampfsituationen in Syrien gedreht, auf denen Rebellen schießen wollten – und dann feststellten, dass ihre Waffe noch gesichert war. So erklärt Manzano auch die unprofessionelle Handhaltung des Rebellen. Manche wüssten schlicht nicht, wie man eine solche Waffe richtig bedient.”

4. “Ich will keinen Medientrailerpark, ich will ein mediales Schlaraffenland”
(journelle.de)
Journelle listet auf, was sie nicht findet im Journalismus: “Theoretisch könnten mir die ‘alten’ Medien immer mehr egal werden, schließlich finde ich genug Substition in Blogs, internationalen Online-Medien und dank meiner diversen Timelines, die immer wieder feine Sachen heranspülen. Praktisch bin ich aber traurig, dass es nicht noch mehr Angebote gibt und dass so viele Medienschaffende nicht die Chancen am Schopfe packen, die sich gerade ergeben.”

5. “Was ist ein Interview?”
(bundesplatz.blog.nzz.ch, René Zeller)
Die “Sonntagszeitung” lässt sich vier Fragen von der Kommunikationsabteilung des Schweizer Finanzdepartements beantworten. Auf der Titelseite verkauft sie diese als Interview mit Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf.

6. “#nichtschlechtstaunte”
(nichtschlechtstaunte.tumblr.com)

Heavy Metal, @KaiDiekmann, Doosh

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Kai Diekmann’s lousy tweets”
(onlinejournalismus.de, Fiete Stegers)
Eine Analyse der bisherigen Tweets von @KaiDiekmann, dem Twitter-Konto des “Bild”-Chefredakteurs: “Diekmanns Tweets waren also weder besonders informativ, noch scharfzüngig oder unterhaltsam, sondern eher eine Mischung aus Linkschleuder kombiniert mit Selbstbeweihräucherung im Stil einer schlechten Facebook-Page (wie sie außer Hardcore-Fans wirklich niemanden interessieren kann).”

2. “Kompass: Wie der Heavy Metal in den Leitmedien abschneidet”
(powermetal.de, Stephan Voigtländer)
In einem langen Beitrag schaut sich Stephan Voigtländer die Berichterstattung verschiedener Massenmedien über Heavy Metal an: “Die Stereotypen sind Lautstärke, Lärm, Bier, Drogenkonsum (wenn auch keine harten), aber auch Freigeisterei und Unangepasstheit der Metal-Hörer (dies immer auch mit einer gewissen Bewunderung oder Anerkennung für ‘deren’ Lockerheit oder ich-mach-worauf-ich-Bock-hab-Mentalität verbunden). Und natürlich Wacken. Immer und überall.”

3. “Empört euch nicht!”
(tagesanzeiger.ch, Guido Kalberer)
Guido Kalberer schreibt wider die schnelle, kontextlose Empörung: “Wer mit Recherchen belegt oder – schlimmer noch – widerlegt, was andere tags zuvor vermutet haben, kommt immer zu spät. Die Karawane der Meinungsmacher und Mitmacher ist längst weitergezogen und zeigt keinerlei Interesse mehr.”

4. “Chicago Sun-Times cuts entire photography staff”
(chicagobusiness.com, Lynne Marek, englisch)
Die US-Tageszeitung “Chicago Sun-Times” entlässt alle Fotografen, “will ask the papers’ reporters to provide more photography and video for their stories”.

5. “Gehört Stefan Raabs ‘Doosh’-Duschkopf in den ‘SPIEGEL’?”
(tobiasgillen.de)
Die “Spiegel”-Vorabmeldung “TV-Entertainer Stefan Raab bringt selbst entwickelten Duschkopf in den Handel”: “Passiert denn sonst nichts, außer dass ein TV-Entertainer ein Produkt entwickelt, auf das er beim Grillen mit Freunden gekommen ist?”

6. “Mette, Mette, Fahrradkette”
(topfvollgold.de, Mats Schoenauer)
Medienkritik in der Zeitschrift “Freizeit total”.

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