Archiv für Mai 17th, 2013

3sat, ZDF  

Nazi-Lüge überlebt in Doku über Juden

Am 8. Mai, zum 70. Jahrestag des Aufstands im Warschauer Ghetto, zeigte 3sat eine Dokumentation des Warschauer ZDF-Korrespondenten Armin Coerper über das jüdische Leben in der Stadt: die Kultur vor dem Zweiten Weltkrieg, die Vernichtung durch die Nazis und die wenigen Spuren, die heute geblieben sind. Der Film war offenbar drei Wochen zuvor auch schon im ZDF gelaufen.

“Vor dem Krieg gab es viele jüdische Theater”, heißt es darin. “In Warschau pulsierte das jüdische Leben. Hier lebte die jüdische Kultur wie nirgends sonst in Europa. Es wurde getanzt, gespielt, gesungen — bis die Deutschen diese Welt brutal zerstörten.”

Die Bilder aus dem Theater, die zu diesen Worten gezeigt wurden, waren am selben Abend schon einmal auf 3sat zu sehen gewesen: rund eineinhalb Stunden früher in der Dokumentation “Geheimsache Ghettofilm” aus dem Jahr 2009. Die erzählt die erstaunliche und erschütternde Geschichte eines Propagandafilms, den die Nazis im Warschauer Ghetto drehten. Sie inszenierten das vermeintliche “jüdische Leben” für die Kameras, zwangen die Menschen, nach ihren Regieanweisungen zu agieren.

Unter diesen Bedingungen entstanden auch die Aufnahmen im Theater, mit übertrieben auftretenden Schauspielern und Tänzern und verzweifelt auf Kommando lachenden Zuschauern. Detailliert entlarvt der Film um 20:15 Uhr auf 3sat diese Bilder als Lüge — und die direkt im Anschluss laufende Dokumentation um 21:40 Uhr gibt sie wieder als Wahrheit aus.

Es ist kaum zu glauben:

Entdeckt von Nathan Gelbart / “Die Achse des Guten”.

(Der Film “Geheimsache Ghetto” ist, ergänzt um ein umfangreiches Dossier, auf den Seiten der Bundeszentrale für politische Bildung zu sehen.)

 
Nachtrag, 21. Mai. Das ZDF teilt zu dem Vorgang mit:

Die kritisierte Szene aus dem jüdischen Theater hat das ZDF aus dem Archiv des Jüdischen Historischen Instituts in Warschau erhalten. Dort wird eine Kauf-DVD angeboten, die sich der Autor inklusive Kommentar angesehen hat. Danach wurden gezielt einzelne Szenen für den Film bestellt, die aus anderen Quellen nicht vorlagen. In dem Kommentar zu den besagten Sequenzen der DVD des Instituts befindet sich keinerlei Hinweis, dass diese Aufnahmen unter Zwang entstanden sind. Es heißt dort, dass die Bewohner dem Hunger und der Not zum Trotz versuchten, ihr kulturelles Leben weiterzuführen. Es wird auch aus den Erinnerungen einer Zeitzeugin an diesen Theaterbesuch zitiert, ohne Hinweis auf Zwang. An anderer Stelle wird tatsächlich auf den Propagandafilm der Nazis hingewiesen, der das luxuriöse Leben der Juden im Ghetto auf zynische Weise proklamieren sollte. Die Theaterszene ist aber deutlich davon getrennt. Aufgrund der Seriosität des Jüdischen Historischen Instituts hat der Autor keinen Anlass gesehen, die genaue Herkunft der Bilder noch einmal zu ermitteln.

Selbstverständlich wird der Autor die Bilder noch einmal überprüfen und die Dokumentation für eventuelle weitere Ausstrahlungen und für das Online-Angebot korrigieren, falls sich die verwendeten Bilder als nicht authentisch erweisen sollten.

Ralf Höcker, Claus Kleber, Cosmopolitan

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Erosion der investigativen Recherche?”
(cicero.de, Petra Sorge)
Ist es in Ordnung, von Journalisten gestellte Fragenkataloge zu veröffentlichen? “‘Einen Fragenkatalog urheberrechtlich zu schützen, ist schwierig’, sagt Eva Inés Obergfell von der Humboldt-Universität Berlin. Fragen stünden an der untersten Grenze der Schutzwürdigkeit, vielleicht sogar darunter, so die Urheberrechtsexpertin.”

2. “‘Wir haben Zuckerbrot und Peitsche'”
(datum.at, Georg Eckelsberger)
Medienanwalt Ralf Höcker im Interview: “Wenn keine Verständigung möglich ist, kann das durch Abmahnungen und einstweilige Verfügungen geschehen. Im Allgemeinen versuche ich aber zunächst ein Hintergrundgespräch mit dem Journalisten zu führen und ihm in Ruhe die Rechts- und Sachlage zu erklären. Ich erkläre ihm: ‘Das darfst du schreiben, das nicht und wenn du es doch machst, gibt es möglicherweise Probleme. Lass uns doch eine Lösung finden, wie wir den Artikel gemeinsam so gestalten, dass es keine rechtlichen Auseinandersetzungen geben muss.’ Das funktioniert sehr häufig.”

3. “Neue Gefahr: Neonazis als Journalisten”
(blog.zeit.de/stoerungsmelder, Felix M. Steiner und Johannes Hartl)
Ein Bericht über “Anti-Antifa-Fotografen”: “Doch nicht nur das Ablichten von politischen Gegnern zählt zur Aufgabe der rechtsextremen Fotografen. Diese schüchtern auch gezielt Journalisten ein und versuchen deren Film- und Fotoaufnahmen durch herumschubsen, vor die Kamera stellen oder schlicht und einfach subtile Bedrohungen zu verhindern.”

4. “Verurteilt vor dem Urteil?”
(tagesschau.de, Stefan Schölermann)
Stefan Schölermann stellt bei Journalisten schon vor dem NSU-Prozess gefällte Urteile fest: “Schon die beinahe allgegenwärtige Phrase vom ‘Zwickauer Terrortrio’ kommt aus dieser Schublade. Denn sie unterstellt noch vor Eintritt in die Beweisaufnahme, dass Beate Zschäpe gleichberechtigtes Mitglied einer Mörderbande gewesen sein soll – obwohl genau das in diesem Verfahren einer der entscheidenden Punkte sein wird, für den die Belege erst noch erbracht werden müssen.”

5. “Oops…”
(klatschkritik.blog.de, Antje Tiefenthal)
Die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift “Cosmopolitan”: “Vorn Jessica Chastain, hinten Jessica Chastain und, natürlich, im Heftinneren Jessica Chastain. Yves Saint Laurent sagt herzlich Danke!”

6. “Claus Kleber und der Wortkorks im ‘heute journal'”
(ulmen.tv, Peer Schader)