Archiv fü 2012

Wer schützt uns vor der Selbstjustiz?

Am Montag hatte sich “Bild” darüber empört, dass ein Mann, der gestanden hat, seine zwei Monate alte Tochter “totgeprügelt” zu haben, “trotzdem” nicht in Untersuchungshaft genommen wurde (BILDblog berichtete).

Am Dienstag legte die Zeitung nach und forderte:

Sperrt den Baby-Totschläger ein!

“Bild”-Kommentatorin Stephanie Jungholt (Fachgebiete: fassungslos sein, “unsere Justiz” nicht verstehen, harte Strafen fordern) fragte entsetzt:

Wer schützt uns vor solchen Richtern?

Dabei blieb sie ihrer Linie treu:

Wieder hat ein deutsches Gericht eine Entscheidung getroffen, die uns fassungslos macht:

Sie versuchte es mit der ihr eigenen Form von Einfühlungsvermögen:

Was geht in einem Richter vor, der so einen Beschluss fasst? Oder ihn vielleicht fassen muss, weil unsere Gesetze dies so vorsehen?

Ja, unsere Gesetze sehen vor, dass niemand ohne Verurteilung in einem Gerichtsprozess weggesperrt werden darf — außer, es sprechen gute Gründe wie Flucht- oder Wiederholungsgefahr dafür. Unvorstellbar für eine Law-and-Order-Aktivistin wie Stephanie Jungholt:

Egal, ob Fluchtgefahr besteht oder nicht, egal, ob einer eine schwere Kindheit hatte – es muss endlich Schluss sein mit dieser unerträglichen Kuschel-Justiz!

Wer einen Menschen grausam tötet, gehört weggesperrt! Punkt, aus.

Nur dann können wir Vertrauen in unsere Justiz haben.

Schon Dienstag Mittag konnten sie bei Bild.de dann das vermelden, was sie offensichtlich für einen Erfolg ihrerseits hielten:

Nach BILD-Bericht: Jetzt kommt der Baby-Totprügler hinter Gitter

Und die gedruckte “Bild” feierte geistern:

Nach BILD-Bericht: Baby-Totschläger endlich im Knast!

Die Zeitung schrieb:

Im Polizeiverhör gestand er die Tat, trotzdem schickte der Haftrichter ihn in die Freiheit. Begründung: Es bestehe keine Fluchtgefahr. Diese Entscheidung sorgte deutschlandweit für Entsetzen. BILD forderte: Sperrt ihn wieder ein!

Für juristisch unkundige Leser musste das klingen, als hätte die Sache für den Mann mit seiner Freilassung ausgestanden sein können. In Wahrheit erwarten ihn in einem Gerichtsprozess wegen Körperverletzung mit Todesfolge mindestens drei Jahre Haft.

Die Pressestelle des zuständigen Amtsgerichts Magdeburg erklärt uns die Entscheidung, den Mann jetzt doch in Untersuchungshaft zu nehmen, auf Anfrage so:

Im vorliegenden Fall hatte auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft ein anderer Richter über die Frage der Außervollzugsetzung des Haftbefehls zu entscheiden. Dieser hat wiederum in richterlicher Unabhängigkeit eine Prognoseentscheidung über die Frage der Fluchtgefahr des Beschuldigten getroffen und den Sachverhalt anders bewertet.

Für beide Einschätzungen sprachen gute Argumente. Die Möglichkeit divergierender Entscheidungen macht gerade die Unabhängigkeit der Richter bei der Beurteilung von Lebenssachverhalten deutlich.

Unsere Frage, ob die Berichterstattung bzw. die “bundesweite Empörung” bei der neuerlichen Entscheidung eine Rolle gespielt hätten, wie “Bild” suggeriert, beantwortet das Gericht so:

Ich hoffe, dass Ihre Frage, ob die gerichtliche Entscheidung etwas mit der Berichterstattung der Medien oder gar der Bild Zeitung oder der Empörung der Öffentlichkeit zu tun hat, nicht wirklich ernst gemeint ist.

Richter entscheiden in Deutschland unter dem Schutz der Verfassung unabhängig und sind nur dem Gesetz unterworfen. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist die Grundlage unseres Rechtsstaates.

Aus diesem Grunde kann es immer Gerichtsentscheidungen geben, die in der Öffentlichkeit unpopulär sein mögen und es kann auch immer divergierende Entscheidungen geben.

Mit Dank auch an die vielen Hinweisgeber!

Rezensionsexemplare, Marietta Slomka, Tango

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “‘Tab Two’: Spiegel-Mitarbeiter verkauft Promo-CD”
(swp.de, Dana Hoffmann, 22. Februar 2012)
Ein an den “Spiegel” verschicktes Rezensionsexemplar des Albums “Two Thumbs Up” der Band Tab Two wird noch vor dem offiziellen Erscheinungstermin im Netz verkauft. Verkäufer Frank Mundt, der ein Musik- und Literatur-Antiquariat in Hamburg führt, gibt an, “kistenweise” solche Rezensionsexemplare zu erhalten. “Ein mal pro Woche, vorzugsweise samstags, kämen Journalisten in seinem Geschäft vorbei, um ihre neuesten Errungenschaften feil zu bieten. ‘Ich könnte einige nennen, die sich ein Einfamilienhaus mit Promoexemplaren gebaut haben’, sagt Mundt.” Siehe dazu auch “TAB TWO album leaked!” (tabtwo.eu, englisch) und “Offener Brief an den KulturSPIEGEL” (36music.de).

2. “Verstaubte Klischees statt ‘Geraubte Seelen'”
(queer.de, Christian Scheuß)
Christian Scheuß schreibt an Johannes Pennekamp, Autor des Artikels “Prostitution Minderjähriger – Geraubte Seelen” auf “Spiegel Online”.

3. “Tanze Tango mit mir!”
(klatschkritik.blog.de, Antje Tiefenthal)
Antje Tiefenthal liest die Zeitschrift “Tango” aus dem Promedia Verlag. “Selten habe ich ein so schludrig gemachtes Magazin in den Händen gehalten.”

4. “Das Geheimnis des Gesprächs”
(youtube.com, Video, 6:47 Minuten)
ZDF-Journalistin Marietta Slomka erzählt, wie sie sich auf Kurzinterviews mit Politikern vorbereitet.

5. “Die arme Auto-BILD und das böse Internet”
(auto-geil.de)

6. “TV-Sender sucht mit neuer Castingshow Ideen für neue Castingshows”
(kojote-magazin.de, Satire)

Bild  

Matthias Reims unheimliche Herz-OP

Fans des Schlagersänger Matthias Reim mussten sich bei der Lektüre der heutigen “Bild”-Zeitung Sorgen um ihr Idol machen:

Matthias Reim: Herz! Klinik! Heimliche Herz-OP

Die Zeitung schreibt:

Der Sänger brach mit Atemnot und Krämpfen zusammen, kam ins Krankenhaus. Das war nach Weihnachten. Danach sagte er Konzerte ab, zog sich über Wochen zurück. Die Fans machten sich große Sorgen. Er schwieg.

BILD erfuhr: Matthias Reim musste sich einem sechsstündigen Eingriff am Herzen unterziehen!

Und weiter:

Nach dem Zusammenbruch wurde Reim in eine Spezialklinik verlegt. Zu BILD sagt er jetzt: “Ich hatte schreckliche Angst.”

Im Herzzentrum Hamburg wurde Reim operiert. Er musste einen Druckverband tragen, war wochenlang außer Gefecht. (…) Bis Mitte März wird er noch pausieren, dann will er seine Konzerte nachholen.

Diese Berichterstattung muss einige Aufregung verursacht haben. Jedenfalls fühlte sich Reims Plattenfirma EMI bemüßigt, eine Stellungnahme zu veröffentlichen:

Ein BILD-Artikel mit der reißerischen Aufmachung “Matthias Reim – Heimliche Herz-OP” hat heute für einige Unruhe gesorgt. Wir können aber die Freunde von Matthias Reim beruhigen: Dem Künstler geht es blendend. Er hat weder eine Herz-Operation hinter sich, noch wurde er zwischenzeitlich in eine Spezialklinik überführt, noch muss er bis Mitte März pausieren.

Reims Management hatte bereits Ende Dezemer eine Pressemitteilung herausgegeben, wonach Reim infolge von Überarbeitung und einer schweren Virusgrippe kurz nach Weihnachten zusammengebrochen sei. Die Ärzte hätten dem Musiker damals 14 Tage absolute Ruhe verordnet, weswegen er zwei ausverkaufte Konzerte absagen musste.

EMI schreibt dazu heute:

Einige Tage, nachdem diese Meldung veröffentlicht wurde, passierte dann das, was der Anlass für die jetzt veröffentlichte, “aktuelle” BILD-Meldung wurde, die eine Reihe von Unrichtigkeiten enthält. Es gab in der Tat kurzzeitig den Verdacht auf einen Herzschaden – und um sicher zu gehen, flog Reim nachmittags zu einem Blitzbesuch in eine Hamburger Klinik. Dort wurde noch am gleichen Abend eine Herzkatheter-Untersuchung (also keine Herzoperation!) gemacht mit dem Ergebnis: “Grünes Licht – alles in Ordnung!” Am nächsten Vormittag flog der Künstler zurück nach Hause – und zwar in seine Wohnung und nicht in eine “Spezialklinik”.

Eine Woche später schon gab er wieder sein erstes Konzert. Das Ganze ist – wohlgemerkt – nun schon acht Wochen her. Die damals aus Gesundheitsgründen verschobenen Konzerte sind schon lange nachgeholt und inzwischen gab Matthias Reim noch drei weitere Konzerte. Von einer “Pause bis Ende März” war also nie die Rede.

Stern  etc.

Die Bilderhändler von Winnenden

Nach dem Amoklauf von Winnenden hatte der örtliche Schulfotograf plötzlich etwas, das alle wollten: Fotos von Täter und Opfern. Zuerst verbreiteten viele Medien die Aufnahmen ohne seine Genehmigung. Dann suchte er sich Partner und machte ein Geschäft daraus. Nun erschienen die Fotos mit seiner Einwilligung und brachten ihm Geld. Nur die Angehörigen der Opfer wurden weiterhin nicht gefragt.

Sechs Eltern von getöteten Kindern erstatteten daraufhin Anzeige gegen die Bilderhändler. Die Beschuldigten erhielten zunächst einen Strafbefehl, gegen den sie Widerspruch einlegten. Gestern hat das Amtsgericht Schorndorf das Verfahren gegen die Zahlung von 5700 Euro an den Förderverein der Albertville-Realschule eingestellt.

Die “Winnender Zeitung” berichtet ausführlich über das Verfahren und seine Vorgeschichte:

Eine besonders traurige Rolle spielt in dem Fall die Hamburger Illustrierte “Stern”. Sie hatte laut “Winnender Zeitung” mit dem Anwalt des Fotografen sogar für eine begrenzte Zeit einen Exklusivvertrag für alle Schulfotos abgeschlossen. Als verzweifelte Eltern eines der ermordeten Mädchens wissen wollten, wie ein privates Foto ihrer Tochter unter anderem in den “Stern” gelangen konnte, mauerte das Blatt und verweigerte die Auskunft. Auf Nachfrage des NDR-Magazins “Panorama”, woher die vom “Stern” gezeigten Bilder der Opfer stammen, ob die Angehörigen ihrer Veröffentlichung zugestimmt haben und wenn nein, warum man sie trotzdem zeigte, hatte der “Stern” damals lapidar geantwortet:

“Zu Redaktions-Interna erteilen wir keine Auskunft.”

Facebook, E-Mails, Taubstumme

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Warum beschweren sich deutsche Verleger nicht schon längst über Facebook?”
(carta.info, Wolfgang Tischer)
Wolfgang Tischer fragt: Warum beklagen sich deutsche Zeitungsverleger über Google, aber nicht über Facebook?

2. “Taubstumme Rentner können NUR gebärden”
(taubenschlag.de, Bernd)
Taubenschlag, ein Portal für Gehörlose und Schwerhörige, widmet sich der gestrigen “Bild”-Titelschlagzeile “Taubstumme Rentner um 2000 Euro geprellt”.

3. “17 Tipps gegen die Mail-Flut”
(spiegel.de, Sascha Lobo)
Sascha Lobo erklärt, wie man E-Mails so verfasst, “dass die Chance auf eine Rückmail minimiert wird”.

4. “Literaturkritik, rechtsdrehend”
(welt.de, Richard Kämmerlings)
Richard Kämmerlings befasst sich mit dem Nachfolge-Artikel von Georg Diez im “Spiegel”, “eine Art ‘Making-of’ seines versuchten ‘Rufmords’ an Christian Kracht, wie es der Verlag Kiepenheuer & Witsch genannt hat”. “Bezeichnend, dass Diez es in seiner wortreichen Replik nicht für nötig hält, auf das weitverbreitete ‘Unbehagen’ an seiner unseriösen Methode näher einzugehen. Als Freibrief genügt ihm die Erkenntnis, dass ‘Journalismus etwas anderes als Germanistik’ sei. Genaues Lesen, das Erkennen von Zitaten und Anspielungen, kurz all das, was als Handwerkszeug des Kritikers gilt, hält Diez offenbar für spießig, am Ende vielleicht selbst für ein Erbteil dumpfen rechten deutschen Denkens.”

5. “Radiosender muss 200.000 Euro wegen Falschmeldung an FC Barcelona zahlen”
(arena-info.com)
Ein Reporter von “Cadena Cope” hatte Spielern des Fußballclubs FC Barcelona Doping unterstellt. Ein Gericht verurteilte den Radiosender nun zur Sendung einer Gegendarstellung und zur Zahlung von Schadenersatz in der Höhe von 200.000 Euro.

6. “How Science Reporting Works”
(smbc-comics.com, englisch)
(Quelle nachträglich korrigiert.)

Schuhgröße 28/29

Am frühen Donnerstagabend konnte der “Schleswig-Holsteinische Zeitungsverlag” auf seiner Internetseite mit einer Exklusivmeldung aufwarten:

Grausiger Fund in Nordfriesland: Die Polizei hat in einem Waldstück bei Langenhorn die skelettierte Leiche eines Kindes entdeckt. Die Ermittlungsbehörden halten sich bedeckt.

Die Informationen waren erstaunlich detailreich:

Das Opfer soll Schuhgröße 28/29 haben. Auf die Spur des Verbrechens sind die Behörden nach Informationen des sh:z durch die Aussage eines Mannes gekommen, der sich derzeit vor Gericht für ein anderes Verbrechen verantworten muss und sein Gewissen erleichtern wollte. Schon am 9. Februar war die Polizei mit Einsatzkräften vor Ort und hatte Spürhunde eingesetzt. “Wir wurden nur gefragt, ob wir einer Suche zustimmen würden”, erklärte der Besitzer des Waldstücks auf Nachfrage. Mehr erfuhr er nicht. “Mir war das schon ein wenig unheimlich.”

Nur bestätigt war daran noch nichts:

Die Ermittlungsbehörden hielten sich auf Nachfrage bedeckt. Marina Bräuer, Sprecherin der Bezirkskriminalinspektion Flensburg: “Die Untersuchungen vor Ort laufen noch. Daher können wir zurzeit aus ermittlungstaktischen Gründen nichts Näheres bekanntgeben.” Am Freitag will die Polizei weitere Details veröffentlichen.

Der dpa-Landesdienst Nord griff die Meldung am Freitagmorgen um 7.31 Uhr auf und verkündete:

In einem Waldstück bei Langenhorn in Nordfriesland ist eine Kinderleiche gefunden worden. Berichten des “SHZ” zufolge haben Polizeibeamte am Donnerstag eine skelettierte Leiche mit der Schuhgröße 28-29 ausgegraben. (…) Die Polizei Flensburg wollte den Bericht am Freitagmorgen zunächst weder bestätigen noch dementieren, erklärte aber, dass noch am Freitag eine Pressemitteilung herausgegeben werden soll.

Die Nachricht vom Fund einer Kinderleiche erschien daraufhin u.a. bei abendblatt.de, im Newsticker von Bild.de und auf den Webseiten der Regionalprogramme von RTL und Sat.1.

Um 9.57 Uhr brachte der dpa-Landesdienst Nord dann erneut eine Meldung zum Thema. Nur halt anders:

Polizei dementiert Leichenfund in Langenhorn

Die Polizei hat Berichte dementiert, wonach eine skelettierte Kinderleiche in einem Waldstück bei Langenhorn in Nordfriesland worden sei. “Es gab Ermittlungen, aber es wurde nichts gefunden”, sagte ein Sprecher der Polizeidirektion Flensburg am Freitagmorgen. Weitere Details sollen im Laufe des Tages bekanntgegeben werden.

In ihrer Pressemitteilung hatte die Polizei sogar wörtlich geschrieben:

Etwaige Meldungen über einen Leichenfund und sonstige Details stammen nicht von Seiten der Staatsanwaltschaft oder der Polizei und entsprechen nicht den Tatsachen.

Die Suchaktion stand dabei im Zusammenhang mit einem mehr als 18 Jahre zurückliegenden Vermisstenfall:

Die Bezirkskriminalinspektion Flensburg ging einer Spur in einem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Flensburg nach.

Seit dem 5. August 1993 wird die damals elfjährige Seike Sörensen aus Drelsdorf vermisst. Bis zum heutigen Tage konnte ihr Verschwinden nicht geklärt werden. Noch immer führt die Bezirkskriminalinspektion Flensburg in dem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Flensburg Ermittlungen durch.

Das war eine gute Gelegenheit für shz.de, den ursprünglichen Artikel über den angeblichen Leichenfund zu entfernen und an gleicher Stelle einen völlig neuen Text zur Suche nach Seike Sörensen zu veröffentlichen.

Darin erklärt die Redaktion auch, wie es zu der merkwürdigen Falschmeldung hatte kommen können:

Der sh:z hatte am Freitag vom Fund einer Kinderleiche berichtet. Grundlage dafür waren die Angaben einer langjährig zuverlässigen Quelle, die ihre Aussage mit glaubhaften Details untermauert hat.

Die meisten anderen Medien, die auch über die angebliche Kinderleiche berichtet hatten, haben ihre Artikel ebenfalls offline genommen.

Mit Dank an Martin S.

Der Bachelor, Porträts, Freizeit Woche

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Die Sendung ‘Der Bachelor’ hat meinen Ruf zerstört”
(madonna.oe24.at)
Katja Runiello, Kandidatin bei “Der Bachelor”, berichtet über die positiven beruflichen und negativen privaten Folgen der RTL-Sendung: “Ich gehe seit Wochen nicht mehr aus dem Haus. Ich gehe nicht einmal mehr ins Fitnessstudio, fahre auch nicht mehr mit der Bahn. Ich kann den Leuten leider nicht begreiflich machen, dass das alles nur eine Show war und ich in Wirklichkeit ganz anders bin.”

2. “Die 7 Irrtümer beim Porträtschreiben”
(journalist.de, Joachim Käppner)
Der Leitende Redakteur im innenpolitischen Ressort der “Süddeutschen Zeitung” gibt Tipps zum Schreiben von Porträts.

3. “Presserat: Weniger streng bei Politikern, aber keine Menschenhatz”
(derstandard.at)
Alexander Warzilek, Geschäftsführer des österreichischen Presserats, stellt sich den Fragen der derstandard.at-Lesern.

4. “Freizeit Woche – die nächste Yellow-Ente”
(meedia.de, swi)
“Königin Beatrix – Rücktritt!”, titelt die “Freizeit Woche”. “Seltsam nur, dass man von dem angekündigten Rücktritt des Staatsoberhauptes in der niederländischen Botschaft in Berlin rein gar nichts weiß. Von einem Rücktritt der Königin sei nichts bekannt, teilte man dort auf Anfrage von MEEDIA mit.”

5. “Vom Unsinn der 4-wöchentlichen TV-Zeitschriften”
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Uwe Mantel wertet die Anzahl der Fehler in Fernsehzeitschriften wie “nur TV”, “TV pur”, “tv!top” oder “TV 4×7” aus.

6. “Geheimdienste bitten Bürger, bestimmte Schlagwörter in E-Mails zu vermeiden”
(eine-zeitung.net, Satire)

Bild  

Er kann nach Hause gehn!

Das mit dem Rechtsstaat, das wird sich nicht durchsetzen. Zu abstrakt sind Begriffe wie “Unschuldsvermutung” oder “Resozialisierung” für durchschnittliche “Bild”-Leser und -Redakteure, zu kompliziert Konzepte wie “Bewährungsstrafe” oder “Untersuchungshaft”.

Vater erschlägt Baby! Richter schickt ihn nach Hause!

In schönster Empörungsprosa berichtet Annett Conrad aus Magdeburg:

Als wäre nichts gewesen, spaziert ein Mann aus der Polizeiwache Magdeburg (Sachsen-Anhalt). Das Handy in der rechten Hand, eine Zigarette lässig in der linken.

Die Hände, mit denen der Mann (34) seine zwei Monate alte Tochter totgeprügelt hat. Das hat er sogar zugegeben! Trotzdem darf er einfach nach Hause gehen!

Das Wort “trotzdem” ist perfide, denn damit versucht “Bild”, den falschen Eindruck zu erwecken, die Frage der Untersuchungshaft hänge mit der Schwere des Tatvorwurfs und/oder einem ersten Geständnis zusammen. Dabei sieht der deutsche Rechtsstaat vor, dass es gute Gründe braucht, jemanden ohne ein Urteil ins Gefängnis zu stecken. Ein Haftgrund ist neben der Wiederholungsgefahr die Fluchtgefahr.

Letztere ist im konkreten Fall offenbar nicht gegeben:

Es ist nicht zu fassen: Ein Richter erließ zwar Haftbefehl wegen “des Verdachts der Körperverletzung mit Todesfolge”, doch in Untersuchungshaft muss der Totprügler nicht. Der Haftbefehl wurde “unter Auflagen außer Vollzug” gesetzt, so die Polizei. Begründung: Es bestehe keine Fluchtgefahr!

Überraschend, dass das Wort “Begründung” bei “Bild” nicht in Anführungszeichen steht.

Gestern Vormittag das Geständnis. Der Vater gibt zu, den Säugling geschlagen zu haben. Die Mutter kommt wieder frei, ihr Freund muss zum Haftrichter – und darf trotz Haftbefehls aus der Polizeiwache spazieren.

Einzige Auflagen für den Mann, der sein Baby erschlug: Er muss aus der gemeinsamen Wohnung ausziehen – und sich regelmäßig bei der Polizei melden.

Das klingt, als sei die Sache für den Mann damit ausgestanden. In Wahrheit wird die Staatsanwaltschaft Anklage erheben, es wird zum Prozess kommen; auf Körperverletzung mit Todesfolge stehen mindestens drei Jahre Haft. Aber das kann natürlich noch dauern — viel zu lang für “Bild”, die sofortige Genugtuung will.

Und das alles natürlich nicht zum ersten Mal.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

Spiegel, Neue Welt, Gottschalk live

6 vor 9

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1. “Die Wildsau im Blätterwald – Meine Gegendarstellung”
(dagmar-woehrl.de)
CSU-Bundestagsabgeordnete Dagmar Wöhrl erklärt sich “zu den mir im Spiegel und in der Leipziger Volkszeitung gemachten Vorwürfen bzgl. meiner Reise mit Bundesminister Niebel nach Myanmar und Laos”. Siehe dazu auch “Spiegelplag: Schuldig im Sinne des Anklägers”.

2. “Der ‘Spiegel’: Das Sturmgeschütz des Shitstorms”
(blog-cj.de, Christian Jakubetz)
Christian Jakubetz nimmt den Fall von Wöhrl auf: “Es ist journalistisch ziemlich fragwürdig, wenn man jemanden auf drei Seiten mit Vorwürfen überzieht und ihn dann mit seinen Erwiderungen erstens nur ausgesprochen kurz und zweitens auch noch sinnentstellend wiedergibt.” Weiter zum Thema schreiben auch pottblog.de und hrbruns.de.

3. “Debatte um Christian Kracht”
(zeit.de, Adam Soboczynski)
Schriftsteller Daniel Kehlmann äussert sich zur Kritik von Georg Diez an Christian Kracht im “Spiegel”. “Selbst wenn man ihn für weltanschaulich bedenklich hält, müsste man sehr genau überlegen, ob man einen Angriff an diesem Ort in dieser Größe vorbringen muss. Er handelt sich ja um keine kleine Literaturzeitschrift, sondern um das sogenannte ‘Sturmgeschütz der Demokratie'”.

4. “Ja! Kai Winckler erwartet einen Jungen von Prinzessin Victoria”
(stefan-niggemeier.de)
Die WAZ-Zeitschrift “Neue Welt” titelt zur Geburt der Tochter von Prinzessin Victoria von Schweden, Estelle von Schweden: “VICTORIA – Hurra, ein Junge! Silvia weinte vor Glück”. Dazu berichten auch aftonbladet.se und ekstrabladet.dk.

5. “Erde an Planet ‘Gottschalk live’: Aufwachen, anpacken!”
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
“Gottschalk live” sei deutsches Fernsehen, wie wir es eben lange nicht mehr gewöhnt waren, schreibt Thomas Lückerath und gibt zu bedenken, dass es nur noch wenige Experimentierflächen gebe. “Das Problem liegt hinter der Kamera. Ein vergleichsweise großes Team hat also in den Wochen vor dem Sendestart nicht gemerkt, dass man eine Sendung plant, die so nicht zum Protagonisten passt und die so wie es beispielsweise in der ersten Sendewoche zu erleben war, auch nicht in den zeitlichen Rahmen passt.”

6. “Bevormundete Bundesrätin”
(medienspiegel.ch, Christof Moser)
Wie PR-Verantwortliche den Kontakt von Journalisten zum Bundesrat erschweren. “Eine gewählte Politikerin, der Bevölkerung verpflichtet, und ein Journalist, der Öffentlichkeit verpflichtet, können kein Wort miteinander wechseln, weil eine PR-Verantwortliche ohne jede demokratisch legitimierte Rolle und nur der Imagepflege verpflichtet, sie erfolgreich daran hindert.”

Raubritter, Paywalls, Münchhausen

6 vor 9

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1. “Acta oder der Schutz der Raubritter”
(faz.net, Volker Grossmann und Guy Kirsch)
Zwei Ökonomen aus der Schweiz argumentieren, dass das geltende Urheberrecht dem Rechtsempfinden vieler Menschen widerspricht, weil es in Wahrheit gar nicht die Interessen der Urheber selbst schütze, sondern die der Unterhaltungsindustrie: “Urheberrechte manifestieren oftmals eine im vordigitalen Zeitalter erworbene Machtposition, mittels derer die Unterhaltungsindustrie eine Rente, das heißt ein leistungsloses Einkommen, erwirtschaftet. Wie ehedem die Raubritter: Auch diese nahmen die Bauern aus, die ihre Waren in die Stadt bringen wollten, ebenso die Städter, die auf dem Markt einkaufen wollten – und rechtfertigten dies damit, dass sie die Sicherheit der Wege gewährleisteten.”

2. “Syria Correspondent Wanted Her Reporting Read Outside Pay Walls”
(mediadecoder.blogs.nytimes.com, Brian Stelter, englisch)
Kurz vor ihrem Tod in Syrien hat die amerikanische Kriegskorrespondentin Marie Colvin darüber geklagt, dass ihr Auftraggeber, die “Sunday Times”, ihren Bericht über die mörderische Situation in Homs online hinter einer Paywall versteckt und er dadurch nicht die größtmögliche Aufmerksamkeit bekommt.

3. “Talkshow-Leaks”
(V.i.S.d.P.)
“Die interne ARD-Talkkoordinierungs-Webseite zeigt, wie die Redaktionen um Themen und Gäste kämpfen. V.i.S.d.P. veröffentlich exklusiv Screenshots daraus.” So gab “Hart aber fair” an, das Thema “Jetzt sage ich endlich die Wahrheit” u.a. mit Helmut Kohl und den Baronen Guttenberg und Münchhausen besetzen zu wollen.

4. “Pressefreiheit für Baku”
(pressefreiheit-fuer-baku.de)
Mit Interviews, Dokumenten und einer Chronik über Verletzungen der Pressefreiheit (pdf) macht “Reporter ohne Grenzen” vor dem Eurovision Song Contest in Baku auf die “Diskrepanz zwischen der glitzernden PR-Fassade und der bitteren Wirklichkeit Aserbaidschans” aufmerksam. “Juli 2011: FAZ-Journalist Michael Ludwig und sein aserbaidschanischer Kollege Hakimeldostu Mehdijew werden bei Recherchen in der Autonomen Republik Nachitschewan behindert. Mehdijew, der als Korrespondent für das Institut für die Freiheit und Sicherheit von Journalisten arbeitet und Ludwig bei seinen Recherchen begleitete, wird am 27. September 2011 wegen ‘illegalen Gebrauchs von Elektrizität’ zu einer Geldstrafe verurteilt.”

5. “Boulevard Of Breaking News”
(coffeeandtv.de, Lukas Heinser)
“Bei ‘Spiegel Online’ wollen sie auch ganz dringend Boulevard machen, aber sie können es nicht”, schreibt Lukas Heinser und dokumentiert aktuelle Anschauungsstücke wie einen nacherzählten und erklärten Witz von Russell Brand. “Die gute Nachricht: Den vierten Absatz erreichen die wenigsten Leser wach oder lebendig.”

6. “Japan Earthquake: Before and After”
(theatlantic.com, englisch)
20 großformatige Fotos zeigen die Verwüstungen in Japan nach dem Tsunami und wie es heute, fast ein Jahr später, an exakt denselben Stellen aussieht.

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