Archiv für November 1st, 2011

Metall-Musik und Blech-Berichte

Heute ist Allerheiligen, ein sogenannter “Stiller Feiertag”, an dem in manchen Bundesländern keine Musikveranstaltungen stattfinden dürfen.

In Berlin ist heute ein ganz normaler Werktag, aber man kann es natürlich trotzdem unpassend finden, wenn eine als satanistisch geltende Black-Metal-Band “ausgerechnet” an Allerheiligen ein Konzert in der Hauptstadt spielt. Das ist dann allerdings eher eine Geschmacksfrage.

Der “Berliner Kurier” jedenfalls empörte sich gestern:

Die Ekel-Rocker glauben an Satan, sie pöbeln gegen Christen, halten sich für Übermenschen. Der Gitarrist der norwegischen Black-Metal-Band Gorgoroth ist wegen unerlaubten Waffenbesitzes vorbestraft, zwei Ex-Mitglieder zündeten Kirchen an. Diese Teufels-Jünger und andere Satanisten-Bands dürfen jetzt trotzdem im Kult-Club SO 36 in Kreuzberg auftreten. Ausgerechnet zu Allerheiligen!

Die Kreuzigung nackter Frauen gehört zur Bühnen-Show. Echte Schafsköpfe und eine Metzelei mit 80 Litern Schafsblut sorgten 2004 für einen Skandal um ein Konzert in Krakau. Die Norweger Gorgoroth liefern seit 1992 immer wieder Aufreger: “Black Metal ist die Musik Satans”, sagte Gitarrist Infernus. 2006 wurde er wegen Vergewaltigung angeklagt. Wer soll da verstehen, dass solche Leute jetzt vor Berliner Teenagern spielen dürfen?

Ja, wo kommen wir hin, wenn Menschen, die wegen Vergewaltigung angeklagt waren und von diesem Tatvorwurf freigesprochen wurden, vor Berliner Teenagern spielen dürfen?

Aber der “Kurier” wusste noch mehr:

“Diese Band gehört zur norwegischen Neonazi-Szene”, warnt Psychologe Peter Kratz (58) vom Berliner Institut für Faschismus-Forschung (BIFFF). Er mobilisiert mit einer öffentlichen Erklärung (“Erneut Nazi-Musik-Fest im Szene-Club SO 36”) gegen das Konzert am Dienstag. Auch die Vorgruppen Vader und Valkyrja sieht Kratz in diesem Dunstkreis. Etwa weil Fans im Internet Runen-Zeichen benutzen, die Nazi-Symbolen ähneln.

Das “Berliner Institut für Faschismus-Forschung” ist ein eingetragener Verein, dessen Vorsitzender Peter Kratz in der Vergangenheit immer wieder durch Faschismus-Vorwürfe an unterschiedlichste Adressaten aufgefallen ist. Wobei “aufgefallen” vielleicht die falsche Formulierung ist: Bis auf ein paar Berliner Lokalzeitungen haben Kratz und sein “Institut” nie so recht die erhoffte Öffentlichkeit erreichen können. Forschungergebnisse im wissenschaftlichen Sinne kann das “BIFFF” nicht vorweisen, stattdessen arbeitet es sich in namentlich nicht gekennzeichneten Beiträgen vor allem am Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit ab.

Die “Berliner Morgenpost” bemerkte 1999 in einem anderen Fall:

Ohne zu dem Streit um die Ausstellung Stellung zu nehmen, erklärten anerkannte Berliner Faschismusforscher, daß ihnen weder das BIFFF noch Peter Kratz bekannt seien

Bereits im Jahr 2009 hatte das “BIFFF” gegen ein Metal-Konzert im SO 36 gewettert, was die damals teilnehmende Band Moonsorrow dazu veranlasste, sich “gegen Faschismus und jegliche Beschränkung der freien Meinungsäußerung” auszusprechen.

Jetzt schlägt Kratz die norwegische Band Gorgoroth und ihre Vorgruppen der “Nazi-Musik-Szene” zu. Seine beeindruckende Beweisführung: Bei MySpace und YouTube hätten Fans der Bands Profilbilder, in denen Symbole vorkommen, die von Neonazis verwendet würden.

Entsprechend bemühte sich sogar der “Berliner Kurier” um eine Relativierung der Anschuldigungen:

Diese knallharten Vorwürfe mögen überspitzt klingen, zumal Gorgoroth-Gitarrist Infernus im Interview klarstellte: “Ich bin persönlich gegen Rassismus in Theorie und Praxis.” So gibt es auch viele links stehende Metal-Fans, die das bierselige Teufels-Treiben eher als provokante Ballermann-Party begreifen. Und die gegrunzten Texte versteht ja ohnehin keiner.

Heute nun berichtet Bild.de über das anstehende Konzert und baut dafür auf den “Kurier”-Artikel und den Wikipedia-Eintrag von Gorgoroth auf. Die Distanzierung vom Rassismus hat Bild.de allerdings unter den Tisch fallen lassen.

Um der Berichterstattung von “Berliner Kurier” und Bild.de entgegenzutreten, hat das SO 36 heute eine Stellungnahme verschickt. Darin heißt es unter anderem:

1. Wir veranstalten keine Nazibands und werden es in Zukunft auch nicht tun.
2. Wir nehmen grundsätzlich alle Fragen und Hinweise bezüglich faschistischer Aktivitäten ernst, egal aus welcher Ecke sie kommen.
3. Selbstverständlich haben wir wie immer im Vorfeld umfassend recherchiert und uns sowohl bei Kennern der Musikszene (insbesondere der Metalszene) als auch bei Experten für rechtsorientierte Strömungen rückversichert.
4. Wir führen seit Jahren in Kooperation mit der Antifa strenge Einlasskontrollen an der Tür durch, dabei wird insbesondere auf Nazigesichter und Nazisymbole geachtet. Diese Personen kommen definitiv nicht rein.
5. Das SO36 bleibt weiterhin ein Forum für alle Musikrichtungen, wir verwehren uns dagegen, ganze Musikrichtungen auszugrenzen und in die rechte Ecke zu schieben. Nazis allerdings bleiben draußen. Wir wollen jungen Metalfans einen Raum bieten fern ab von faschistoiden, rassistischen, sexistischen und homophoben Strömen, um eventuell gefährdeten jungen Menschen eine Alternative auf zu zeigen.
6. Unsere Recherchen gehen weiter, sollten sich dennoch stichhaltige Beweise finden, die die Vorwürfe bestätigen, behalten wir uns vor das Konzert abzusagen.

An die Adresse von “Instituts-Chef” Peter Kratz heißt es:

Herr Kratz behauptet, die Band Gorgoroth verbietet die Veröffentlichung ihrer Texte im Internet, jedoch reicht die einfache Eingabe “Gorgoroth Lyrics” bei einer Suchmaschine im Internet, um die Texte der Band zu lesen.

Der Stellungnahme beigelegt ist ein Leserbrief, den Jakob Kranz, Redakteur der Zeitschrift “Metal Hammer” sowie Moderator und Redakteur der Musiksendung “Soundgarden/Stahlwerk” bei Radio Fritz, an den “Berliner Kurier” geschickt hat. Darin schreibt er:

Ich beschäftige mich seit mehr als 25 Jahren mit der Heavy Metal-Szene, und bin der bescheidenen Meinung, mir hierüber ein Urteil erlauben zu dürfen. 

Mit großer Empörung habe ich Ihren Artikel vom 30.10. über “Das Festival der Ekelrocker” gelesen. Mich erstaunt vor allem, dass Sie die Zitate von Herrn Kratz unkommentiert veröffentlichen. (…)

Gorgoroth waren nie Teil der norwegischen Neonazi-Szene, diese Behauptung ist falsch. Ebenso ist es falsch, dass die Vorgruppen Vader und Valkyrija aus diesem Dunstkreis stammen. Die konstruierten Zusammenhänge von Herrn Kratz sind schichtweg (sic!) Unsinn.

Mit Dank an Philipp O., Widerspenst und Christian N.

Schade, Maskerade

Scheinbar inspiriert durch Halloween fand es “Bild”-Reporterin Angela Wittig angebracht, in der Leipziger Regionalausgabe über dieses Phänomen zu berichten:

Maskenball im Amtsgericht

Dazu zeigt “Bild” fünf verschiedene Angeklagte, die sich wahlweise hinter einer Kindermatratze, der sächsischen Verfassung oder anderen Gegenständen verbergen, und garniert diese Aufnahmen mit Bemerkungen wie:

MODELL MIEZEKATZE
Tarnung: Fellkapuze und Kätzchen-Notizbuch
Dahinter: Bäcker Oliver Q. (42)
Er nahm 19 Geiseln bei “H&M” (…). Galt aber zum Tatzeitpunkt als schuldunfähig, bekam vom Landgericht fünf Monate auf Bewährung.

Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Die Zeitung, die regelmäßig vom Presserat gerügt wird, weil sie ebenso regelmäßig darauf pfeift, die Identität von Angeklagten zu schützen, zeigt reihenweise Angeklagte, die versuchen, eben nicht in Zeitungen wie “Bild” zu erscheinen, und verspottet sie auch noch.

Interessanterweise scheint Frau Wittig zwei verschiedene Versionen ihres Artikels verfasst zu haben. So behauptet sie online:

(…) Darf man als Angeklagter kostümiert zum Prozess erscheinen?

Eigentlich nicht, denn man muss vor den ehrwürdigen Richtern aufstehen, wenn sie den Saal betreten, um ihnen Respekt zu zollen.

Das ist so nicht richtig. Laut § 178 Abs. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) “kann” gegen “Beschuldigte (…), die sich in der Sitzung einer Ungebühr schuldig machen” zwar “ein Ordnungsgeld bis zu eintausend Euro oder Ordnungshaft bis zu einer Woche festgesetzt und sofort vollstreckt werden”, dies liegt aber im Ermessen des Richters.

In der gedruckten “Bild” heißt es daher auch korrekterweise:

Ausdrücklich verboten ist die Maskerade übrigens nicht. Laut Prozessordnung müssen die Angeklagten zwar aufstehen, wenn der Richter den Saal betritt. Solange aber die Fotografen und Kameraleute im Prozess sind, toleriert das Gericht die Maskerade. Erst danach müssen die Verkleidungen abgelegt werden.

Übrigens müsste ausgerechnet Angela Wittig am besten wissen, warum es sogar ratsam ist, sich nicht von “Bild” fotografieren zu lassen. Sie selbst war es nämlich, die vor gut zweieinhalb Jahren einen unschuldigen Mann zum Kinderschänder erklärte (BILDblog berichtete). Erst acht Monate später, nachdem BILDblog eine Beschwerde beim Presserat eingereicht hatte, war “Bild” bereit, diesen Fehler einzuräumen (BILDblog berichtete).

Mit Dank an Philipp E.

Bild  

Kein Glück im Wortspiel

Bei “Bild” waren sie so stolz auf ihr Wortspiel, dass sie es gleich zwei Mal bringen mussten:

Jack Black spielt Black Jack. Der US-Schauspieler Jack Black (42, "School Of Rock") nimmt hier an einem Charity-Glücksspiel teil — und schenkt uns damit dieses Wortspiel: "Jack Black spielt Black Jack."

Wir wollen die Euphorie nur ungern bremsen, aber das “Charity-Glücksspiel”, an dem Jack Black da teilgenommen hat, war ein PokerTurnier.

Mit Dank an Carapinha und H.K.

Die Toten Hosen, Henryk Broder, Oliver Welke

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Steuergelder für Die Toten Hosen? – Eine Richtigstellung”
(dietotenhosen.de)
Die Toten Hosen schreiben an “Welt” und “Berliner Morgenpost”: “Man kann sich sicherlich darüber streiten, ob die Toten Hosen deutsches Kulturgut sind, aber Tatsache ist, dass diese Tournee nur stattfinden konnte, weil wir selber ca. 100.000.-€ aus eigener Tasche an Reisekosten, Transport und Crew-Löhnen beisteuerten. Wir sind zudem ohne Gage aufgetreten.” Der Journalist schreibt zurück: “Wie Sie vielleicht wissen, bedienen sich die Nachrichten-Websites von Tageszeitungen in der Regel aus den gedruckten Artikeln, versehen sie mit neuen Fotos, etwas anderen (in der Regel zugespitzteren) Überschriften und vor allem mit einem knappen Vorspann (‘Teaser’).”

2. “Wir basteln uns ein Weltbild (mit Dank an Henryk M. Broder)”
(scienceblogs.de/zoonpolitikon, Ali Arbia)
Ali Arbia kritisiert einen “Welt”-Text von Henryk M. Broder. “Der ganze Artikel ist eine Ansammlung von Verzerrungen, selektiven Informationen, gezielten Auslassungen, Tatsachenverdrehungen und Phantastereien.”

3. “Das Töten ist des Volkes Lust”
(mediensalat.info, Ralf Marder)
“Des Volkes Lust am Töten der Mörder mag ja bei dem einen oder anderen Bürger Zuspruch finden. Aber es sind unsinnige Diskussionen, die nach jedem abscheulichen Mord in den Medien und Internetforen geführt werden.”

4. “Tränen lügen doch”
(haz.de, Imre Grimm)
Die “Bild”-Empörung über “Bauer sucht Frau”. Imre Grimm macht darauf aufmerksam, dass eine ganze Reihe von Produktionsfirmen davon lebt, “sich absurde Liebesquerelen auszudenken, arglose Kandidaten zu finden und sie mit sanftem Druck und 150 Euro Tagesgage durch schlecht gelüftete Dreizimmerwohnungen zu schubsen, angeleitet von sogenannten ‘Realisatoren’ hinter der Kamera”.

5. “Merkel ist der ultimative Test für Interviewer”
(journalist.de, Hans Hoff)
Ein Interview mit Oliver Welke von der “Heute-show”: “Ich habe mich ja darüber amüsiert, dass Jauch alle Gäste inklusive Thomas Gottschalk auslädt, weil Angela Merkel anruft und sagt, sie hätte Lust vorbeizukommen. Wir müssten ihr natürlich auch die komplette halbe Stunde geben.”

6. “Best statistics question ever”
(flowingdata.com, englisch)