Archiv für August 16th, 2011

ndr.de  

Spanische Post

Hannover 96 muss am Donnerstag in der Qualifikationsrunde der Europa League gegen den FC Sevilla antreten.

Der spanische “El Diario de Sevilla” hat im Vorfeld schon mal über das Spiel der Hannoveraner beim 1. FC Nürnberg berichtet und dabei die Namen von Manuel Schmiedebach und Jan Schlaudraff falsch geschrieben: “Schmiedelbach” und “Schauldraff” steht da, weswegen sich “Der Platzwart” im 96-Blog der “Hannoverschen Allgemeinen Zeitung” beklagt:

Die Tageszeitung “El Diario de Sevilla” hat dem 96-Sieg gegen Nürnberg sogar einen eigenen Artikel gewidmet, obwohl sich sportlich in Sevilla derzeit (fast) alles um das bevorstehende Stadtderby des FC gegen Real Betis dreht. Berichtet wird von einer Tormaschine (“El Noruego”) und den Spielern Schmiedelbach und Schauldraff. Schmiedelbach und Schauldraff klingt süß, aber nicht nach Gruppenphase. Der Donnerstag wird zeigen, ob es die beiden dabei belassen, oder ob sie sich unter ihren richtigen Namen bei den Spaniern nachhaltig in Erinnerung bringen wollen. Der Platzwart ist für eine Richtigstellung.

Das war offensichtlich zu kompliziert für ndr.de, wo es jetzt heißt:

Nein, als die ganz große Hürde auf dem Weg in die Gruppenphase der Fußball-Europa-League wird Hannover 96 von der Presse in Sevilla nicht angesehen. Zwar widmete die Tageszeitung “El Diario de Sevilla” dem 2:1-Erfolg der Niedersachsen am vergangenen Sonntag beim 1. FC Nürnberg einen eigenen Artikel. Neben einem Lob für 96-Angreifer Mohammed Abdellaoue (“eine Tormaschine”), fanden sich in diesem aber auch Sätze, die von wenig Respekt gegenüber dem Bundesligisten zeugen. “Schmiedebach und Schlaudraff klingt süß, aber nicht nach Gruppenphase”, war dort beispielsweise zu lesen.

ndr.de hat es also geschafft, den Hinweis auf einen Fehler falsch zu verstehen und ihn dann falsch abzuschreiben.

Mit Dank an Simon G.

Nachtrag, 18.55 Uhr: Unser Leser Day weist uns darauf hin, dass “El Noruego” mitnichten “Tormaschine” heiße, sondern “der Norweger”. Genau das ist Mohammed Abdellaoue.

Es ist nicht ganz auszuschließen, dass diese Fehlübersetzung im eher humoristischen Blog vom “Platzwart” Absicht war und ndr.de auch das falsch verstanden hat.

Journalismus in den Seilen

17 Stunden saßen die Leute, denen Franz Josef Wagner gestern seine “Post” widmete, am Wochenende in der Gondel einer Seilbahn in Schwangau im Allgäu fest. Erst am Samstagmorgen ab 6 Uhr konnten die 19 Fahrgäste und der Gondelführer gerettet werden.

Bei dapd mussten die Eingeschlossenen allerdings nicht so lange ausharren. Schon am Freitag um 18.44 Uhr vermeldete die Nachrichtenagentur ihre Rettung:

45 Bergbahnfahrgäste mit Hubschraubern geborgen

Nach der Kollision eines Tandemgleitschirms mit einem Bergbahntragseil sind am Freitag in Schwangau im Allgäu zwei Gondeln evakuiert worden. 45 Fahrgäste und die beiden Gleitschirmflieger mussten mit mehreren Hubschraubern geborgen werden, wie die Polizei mitteilte.

Erst nach Mitternacht vermeldete dapd, dass zu diesem Zeitpunkt immer noch fast die Hälfte der ursprünglich 45 Menschen in der oberen Gondel festsaßen.

Auch dpa hatte am frühen Freitagabend eine mindestens irreführende Meldung abgesetzt:

Gleitschirm legt Seilbahn lahm – 45 Fahrgäste steckten fest

Schwangau (dpa) – Ein Gleitschirm hat sich am Freitag in Schwangau im Allgäu in einer Seilbahn verfangen und sie damit stundenlang lahmgelegt. 45 Fahrgäste in den Gondeln mussten mit mehreren Hubschraubern geborgen werden.

In der Überschrift der Zusammenfassung von 20 Uhr war aus “45 Fahrgäste steckten fest” überraschend “45 Fahrgäste stecken fest” geworden, aber ansonsten legte der Text den Schluss nahe, dass die Rettungsaktion bereits erfolgreich abgeschlossen war:

Ein Gleitschirm hat sich am Freitag in Schwangau im Allgäu in einer Seilbahn verfangen und sie damit stundenlang lahmgelegt. 45 Fahrgäste in den Gondeln der Tegelbergbahn mussten mit Hubschraubern geborgen werden.

Die Rettungsaktion dauerte bis in den Abend an.

Die dpa erklärte uns auf Anfrage, dass diese Meldungen für die Tageszeitungen des Samstags gedacht waren, die bereits am Abend Redaktionsschluss haben. Es handle sich dabei um einen “Kunstgriff”, die Redaktionen würden meist selbst dazuschreiben, dass die Entwicklung bei Redaktionsschluss noch nicht zu abgeschlossen gewesen sei. (Aus der Meldung selbst ergibt sich das allerdings nicht.)

Anders als dapd setzte dpa seine Berichterstattung am Abend aber fort und meldete so etwa um 22.04 Uhr:

Ein Ausflug in die Berge nahe dem Schloss Neuschwanstein hat für zahlreiche Menschen eine dramatische Wende genommen. Nach einem Unfall steht die Seilbahn still. 45 Menschen sitzen in luftiger Höhe fest.

Da stimmte dann nur die Zahl nicht mehr.

Doch auch nach der erfolgreichen Rettung aller eingeschlossenen ließen die journalistischen Merkwürdigkeiten nicht nach — sie fingen bei Bild.de erst richtig an.

Sonntagmittag vermeldete das Portal:

Er brachte 50 Menschen in Lebensgefahr: Gleitschirm-Pilot auf der Flucht

Und schrieb:

UNFASSBAR, DER GLEITSCHITM-PILOT IST AUF DER FLUCHT!

Der Mann aus dem schweizerischen Kanton Zürich hat sich direkt nach der Bergung in die Schweiz abgesetzt.

Unfassbar und ziemlicher Quatsch — den “Welt Online” gerne übernommen hat:

17 Stunden Angst. Autor: Antje Hildebrandt. Gleitschirmflieger von Gondel-Drama auf der Flucht. Die Situation in der Gondel am Tegelberg war kritischer als bisher angenommen. Der mutmaßliche Schuldige ist in die Schweiz geflüchtet.

Das “Füssener Blatt” hat heute ein Interview mit dem Pressesprecher des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West in Kempten, Christian Owsinski, abgedruckt. Darin heißt es unter anderem:

Der Gleitschirmpilot, der einen Mitarbeiter des Bayerischen Rundfunks in Gurt hatte, hat sich angeblich in die Schweiz abgesetzt. Stimmt das?

Owsinski: Die Formulierung “abgesetzt” ist irritierend, denn der Mann hat sich dem Zugriff der Behörden nicht entzogen. Der Deutsche mit Wohnsitz in der Schweiz ist nach dem Vorfall am Tegelberg in die Schweiz abgereist. Das ist nicht zu beanstanden.

Mit Dank an Norbert P., Murry, Jens und Michael W.

Kai Pflaume, Tessin, Leserkommentare

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Das ‘Raumschiff Berlin’ lockt Journalisten”
(meedia.de, Christian Meier)
Christian Meier sucht Gründe, warum so viele Politikjournalisten in die Politik wechseln. “Zum einen rühmen Journalisten sich mit ihrer Stellung als unabhängige Beobachter. Zum anderen suchen sie oft instinktiv die Nähe zu den Objekten ihrer Berichterstattung. Man muss nur auf ein paar Medienparties gewesen sein, bei denen auch Politiker eingeladen waren, und wird verstehen, was gemeint ist.”

2. “Die Gänsehaut-Umleitung”
(faz-community.faz.net, Peer Schader)
Kai Pflaume spricht über 18 Jahre “Nur die Liebe zählt”: “Die Scripted-Reality-Formate waren am Ende ein großes Problem für ‘Nur die Liebe zählt’, weil wir öfter gefragt wurden: Ist das auch nicht echt, was ihr da zeigt? Auch wenn das echte Leben die schönsten Geschichten schreibt, erscheint es gegen die mittlerweile vom Zuschauer gelernte Verdichtung einer geskripteten Wirklichkeiten oft langweilig.”

3. “Einfluss von PR auf Tageszeitungen im Tessin”
(de.ejo-online.eu, Gerardo Bramati)
Eine Masterarbeit von Gerardo Bramati untersucht 1144 Artikel mit Regionalbezug der Tageszeitungen “Corriere del Ticino” und “La Regione Ticino”. 74 Prozent der Artikel sind “zweifelsfrei von PR-Aktivitäten induziert”. Siehe zum Thema auch “Im Körper des Feindes” (taz.de, Frank Brunner).

4. “Verachtung am Morgen”
(dradio.de, Mely Kiyak)
Mely Kiyak stellt fest, dass “sobald ein Artikel das Thema Integrationspolitik oder Islam streift”, sich innerhalb kürzester Zeit 100, 200 manchmal bis zu 500 Leserkommentare sammeln. “Notfalls müssen sich Zeitungen mit der Idee vertraut machen, ihren Lesern kein Forum für Islamfeindlichkeit zu bieten und damit möglicherweise auf Teile ihrer Leserschaft verzichten. Zeitungen können sich nicht gleichzeitig über Islamhetze in rechten Blogs und Foren empören und ihren Lesern Möglichkeiten zur Verbreitung ihrer anti-muslimischen Gesinnung bieten.”

5. “Hebräerkritisches vom Gasmann”
(boess.welt.de, Gideon Böss)
Gideon Böss sammelt Kommentare, die er nach einem Hinweis auf eine Meldung, in der steht, dass ein 13-jähriger Junge in Berlin Prenzlauer Berg “von einem Unbekannten antisemitisch beschimpft und geschlagen worden” ist, erhält.

6. “Er denkt, was sonst viele nur sagen”
(ahoipolloi.blogger.de)