Archiv für Juli, 2011

Rechtsstaat, Weekly World News, Buschi

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Bild gegen ARD: Abwehrbereit”
(berlinonline.de)
Nach Informationen der “Berliner Zeitung” “sollen die Intendanten der ARD auf ihrer Sitzung am 27. und 28. Juni in Würzburg beschlossen haben, eine virtuelle Medienredaktion einzurichten”: “Sie hat die Aufgabe, Sendungen und Beiträge vorzubereiten, die sich mit dem Boulevardjournalismus in Deutschland beschäftigen, konkret: mit Bild.”

2. “Der Rotz, der unser Leben lebenswert macht”
(lawblog.de, Udo Vetter)
In einem Blogbeitrag schreibt Nadine Lantzsch, dass “Geschlechterstereotypen und Verharmlosungen sexistischer Verhältnisse” dazu führen, “dass Wichser wie Strauss-Kahn trotz relativ eindeutiger Beweislage wohl am Ende freigesprochen werden”. Udo Vetter erinnert an die Vorteile des Rechtsstaats: “Der Gegensatz zum Rechtsstaat ist der Willkürstaat. Im Willkürstaat gibt es möglicherweise auch Regeln. Diese werden aber von denen, die das Sagen haben, außer Kraft gesetzt. Und zwar immer dann, wenn ihnen die Regeln gerade mal nicht in den Kram passen. Zum Beispiel dann, wenn sich das erhoffte Ergebnis nicht erreichen lässt.” Siehe dazu auch die Stellungnahme der Autorin.

3. “Die Wortmächtigen”
(taz.de, Dominic Johnson)
Dominic Johnson beschreibt die Nähe zwischen den politischen und den journalistischen Eliten in Großbritannien. “Dass Pressebarone sich durch gefällige Berichterstattung politische Vorteile erkaufen, ist so alt wie die Presse. Aber heutzutage scheint es eher andersherum zu laufen: Nicht die Journalisten betteln bei der Politik, sondern die Politiker bei den Journalisten, deren Fähigkeit zur Steuerung der öffentlichen Meinung als viel zu kostbar empfunden wird, um damit bloß Zeitungsauflagen zu steigern.”

4. “Die unglaubliche Geschichte”
(einestages.spiegel.de, Danny Kringiel)
“Weekly World News” war eine Boulevardzeitung, die aus vielen ersponnenen Texten bestand, zwischen die, “um eine gewisse Glaubwürdigkeit zu schaffen”, Berichte über wahre Begebenheiten gepackt wurden. “Denn obwohl die ‘Weekly World News’ zum Kultblatt vieler Studenten avancierte, die sie als Satire lasen, bestand der Kern der Käufer aus einfachen Arbeitern, die wirklich an Außerirdische, Geister und Dämonen glauben wollten.”

5. “Fernsehteam entschuldigt sich bei Osnabrücker Zooaffen Buschi”
(noz.de, Cornelia Laufer)
“Galileo Big Pictures” erklärt einen Orang-Utan aus dem Zoo Osnabrück für tot und entschuldigt sich darauf mit einer Autogrammkarte. “Ein Recherchefehler hatte übrigens das Missverständnis verursacht: Im Stuttgarter Zoo Wilhelma war im Frühjahr ein Orang-Utan verstorben – und der hieß auch Buschi.”

6. Interview mit Antje Schendel
(swr.de, Audio, Petra Zundel, Audio, 26:48 Minuten)
Das ehemalige Model Antje Schendel ist nun Tatortreinigerin. Sie räumt auf, wenn die Leichen weg und die Spuren gesichert sind, zum Beispiel nach dem Amoklauf von Winnenden.

Haarte Zeiten für Wayne Rooney

Es gibt Geschichten, die schreiben sich fast von alleine. Die Sache mit Wayne Rooney, dem britischen Fußballspieler, der sich vor sechs Wochen Haare transplantieren ließ, aber heute scheinbar mehr Glatze hat als vorher, ist so eine Geschichte. Es brauchte nur eines Fotos, auf dem man einen klaren Blick auf die aktuellen Haarverhältnisse auf Rooneys Schädel werfen konnte, und keiner Recherche. Boulevardmedien in aller Welt, von Bild.de über die “Sun” bis “Spiegel Online”, machen sich mit unverhohlener Häme über den scheinbaren Misserfolg der Operation lustig.

“Trotz Moos nix los”, feixt “Spiegel Online”, wo sich offenbar schlecht bezahlte Mitarbeiter damit trösten, dass man sich mit Geld doch nicht alles kaufen kann: “Fußballstar Wayne Rooney hat Tausende Pfund in eine Haartransplantation investiert. Die Resultate sind äußerst spärlich.” Zunehmend müsse sich Rooney “eingestehen, dass die Transplantation wohl wenig bis gar nichts gebracht hat”.

Die Konkurrenz von Bild.de titelt: “Bei Rooney wächst kein Gras mehr…”, zweifelt am “langfristigen Erfolg der Behandlung” und meint, Rooney hätte die 11.000 Euro, die die Umpflanzung der Haare angeblich gekostet hat, besser für einen “schönen Urlaub” ausgegeben: “Mit Sonnencrème für die Glatze…”.

Die Online-Redaktion der “Rheinischen Post” diagnostiziert: “Transplantation ohne Wirkung”. Grundlage dafür ist ein Bericht des Sport-Informationsdienstes, dessen Haar-Experten heute meldeten: “Wayne Rooney (25), englischer Fußball-Nationalspieler in Diensten von Manchester United, muss sich wohl mit dem Gedanken an eine Glatze abfinden.”

In einem Wort: nein.

Vermutlich wird Rooney sogar damit gerechnet haben, zum jetzigen Zeitpunkt weniger Haare zu haben als vor dem Eingriff. Die Leute, die solche Transplantationen anbieten oder vermitteln, weisen nämlich ausdrücklich auf folgenden Umstand hin: Einige Wochen nach der Operation fallen die meisten verpflanzten Haare (und teilweise sogar einige alte Haare) zunächst einmal aus. Die Wurzeln bleiben aber erhalten. Erst nach etwa drei bis vier Monaten beginnt das neue Haar zu wachsen; abgeschlossen ist das alles nach rund einem Jahr.

Was hätte das für eine nette Geschichte werden können, wenn man das aufgeschrieben hätte: Ein Lehrstück an einem prominenten Beispiel, mit weniger Häme über den doofen reichen haarlosen Fußballspieler, aber voller Hoffnung für Menschen, die an Haarausfall leiden. Es hätte halt jemand recherchieren müssen, anstatt bloß auf- und abzuschreiben, was jeder sieht und sich (fälschlicherweise) denkt, aber wer sollte das tun? Journalisten?

Mit Dank an Andreas K.!

So ‘n Bart

“Bild”-Reporter möchte man auch nicht sein. Offenbar ist der Beruf nämlich mit der Gefahr verbunden, Dinge erzählt zu bekommen, die man nun wirklich nicht wissen wollte:

Schauspieler-Gattin Mirja du Mont (35) erzählt jetzt in BILD: “Mein Sky muss sich untenrum rasieren.”

Und Frau du Mont war offensichtlich in Plauderlaune:

Während ER aktuell für das Musical “Rocky Horror Show” auf der Bühne steht, verrät SIE: “Es ist einfach viel schöner, den Intimbereich zu stutzen oder ganz abzurasieren, anstatt so einen Busch da stehen zu haben. Das mögen die Männer bei uns Frauen ja auch nicht.”

Andererseits ist natürlich Sommer, in der Welt passiert sonst nicht viel und irgendwas mit Sex geht immer. Und so drehte Bild.de das Thema einfach weiter und verriet, wie “man(n) Intimhaare los” wird, und Welche Promis untenrum nichts tragen”.

Natürlich hat Bild.de auch eine (sprachlich etwas überraschende) Abstimmung durchgeführt:

Wie ist Ihre Meinung zur Intimrasur? Gut gestutzt 85% Wildwuchs 15%

Nach nur wenigen Tagen kann Bild.de auf der Startseite behaupten, dass “plötzlich” “alle” über Intimrasuren redeten.

Im konkreten Fall reden Leute, die Bild.de auf der Straße befragt hat.

Zum Beispiel er hier:

Und sie:

Und sie:

Das Thema sei “ein Dauerbrenner” sagt die Off-Sprecherin — und das ist sicher nicht von der Hand zu weisen.

Erst vor drei Monaten hatte Bild.de über den “sexy Frühlings-Trend Intimrasur” berichtet und dazu Menschen auf der Straße befragt.

Zum Beispiel ihn hier:

Und sie:

Und sie:

Für die “aktuelle” Umfrage hat Bild.de einfach die alte Umfrage genommen und mit einem neuen Anfang (Mirja du Mont auf einem roten Teppich) versehen.

Das Video vom April 2011 endete seltsamerweise mit dieser Jahreszahl:

Wobei: So seltsam ist das dann doch nicht. Bild.de verwendet den alten Beitrag tatsächlich seit zwei Jahren — etwa am 17. Juli 2009, am 22. Juli 2009, am 8. September 2009 und am 11. Dezember 2009 (die Liste ist womöglich unvollständig).

Nur am 21. Oktober 2009 hatte Bild.de versehentlich eine ganz andere Umfrage im Programm.

Mit Dank an Clemens W. und Philipp T.

Süddeutsche Zeitung, ORF, Feuchtgebiete

6 vor 9

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1. “Versicherungs-PR in der Süddeutschen”
(nachdenkseiten.de, Jens Berger)
Jens Berger liest in der “Süddeutschen Zeitung” einen Beitrag über die Berufsunfähigkeits-versicherung und fragt sich, “warum die SZ einen derart unkritischen PR-Artikel im redaktionellen Teil veröffentlicht”. “Im schlimmsten Fall handelt es sich hierbei um ein sogenanntes ‘Advertorial’, also einer Mischung aus Werbung und redaktionellem Inhalt, für den ein Kunde gezahlt hat. Im besten Fall versucht die SZ ‘lediglich’ das zu erreichen, was in den Hochglanzprospekten für potentielle Anzeigenkunden gerne als ‘werbefreundliches Umfeld’ beschrieben wird.”

2. “ORF verpasst sich Verhaltenskodex und Ethikrat”
(redakteur.cc, Elmar Leimgruber)
Der ORF führt einen “Verhaltenskodex für journalistische Tätigkeit bei der Gestaltung des Inhalteangebots” (PDF-Datei) ein.

3. “How to Correct Social Media Errors”
(pbs.org, Nathan Gibbs, englisch)
Nathan Gibbs erklärt, wie man Fehler in Sozialen Netzwerken wie Twitter, Facebook oder Google+ korrigiert: “Capture the error. Publicly acknowledge the error. Reference the error in the correction. Notify those who shared the error. Repeat the correction.”

4. “Have No Fear, England’s Here”
(thedailyshow.com, Video, 7:48 Minuten)
Jon Stewart und John Oliver fassen nochmals zusammen, was zur Einstellung von “News of the World” geführt hat.

5. “Bestseller mit Ansage”
(zeit.de, Ursula März)
Ursula März blickt zurück auf den “Ultrabestseller” “Feuchtgebiete”: “Der eigentliche Zündfunke für die Erfolgsgeschichte des Buches lag in der Synergie von Internet, Talkshow-Auftritten der Autorin, Interviews in Magazinen wie Spiegel oder Playboy. Das bürgerliche Feuilleton, auch das zeigt der Rückblick, spielte eine eher untergeordnete Rolle. Anders gesagt: Die Feuchtgebiete machten nicht nur die Hämorrhoiden der Ich-Erzählerin Helen Memel anschaulich, sondern auch den Strukturwandel der literarischen Öffentlichkeit und des Buchmarkts.”

6. “Männer und Technik”
(dasnuf.de)
“Männer haben nicht mehr Ahnung von Technik. Sie haben eventuell mehr Erfahrung, mehr Geduld u./o. Interesse. Sie trauen sich mehr, machen vorher Backups und wissen wie man den Ursprungszustand wiederherstellt. Und ganz wichtig: Sie sagen nicht andauernd: ‘Oh nein, wie dumm von mir’ oder ‘Hups! Ich hab gar nichts gemacht, aber jetzt ist alles kaputt.'”

Menschenjäger, Höllenengel, Manuela Schwesig

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1. “Bilder machen Muslime”
(zeit.de, Deniz Baspinar)
Deniz Baspinar plädiert dafür, nicht immer die gleichen Bilder von Einwanderern zu zeigen: “Wenn von Migranten oder Muslimen die Rede ist, sehen wir die ewig gleiche Rückenansicht einer Gruppe von Frauen mit Kopftuch und bodenlangen Mänteln. Diese Frauen tun das, was ihre Bestimmung zu sein scheint: Kinderwagen schieben oder Einkaufstüten tragen. Sehr beliebt ist auch das unscharfe Motiv, auf dem die Frau drei Schritte hinter dem Patriarchen her läuft oder das vom Döner- respektive Gemüseverkäufer.”

2. “Seltsame PR-Strategie”
(spiegel.de, flo)
Die Ministerin für Soziales und Gesundheit in Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, schickt den Redaktionsleitern mehrerer Zeitungen Artikel zum Abdruck: “Wünschenswert wäre es, wenn die Artikel über einen Zeitraum von ca. sechs Monaten in regelmäßigen Abständen (ggf. vierzehntägig) erscheinen würden.”

3. “News of the World: Britischer Boulevardjournalismus”
(sueddeutsche.de, Hans Leyendecker)
Unter dem nicht grade neutralen Titel “Insel der Menschenjäger” vergleicht Hans Leyendecker den britischen mit dem deutschen Boulevardmarkt. “Bild” habe zwar “immer wieder Täter an den Pranger gestellt”, aber das sei “nichts im Vergleich zur Menschenjagd auf der Insel”.

4. “Lügen, die man gerne glaubt”
(zeit.de, Sabine Rückert)
Sabine Rückert fasst einige Beschuldigungen der letzten Zeit und die Reaktionen darauf zusammen: “Die Political Correctness gebietet es, dem vermeintlichen Opfer – eines NS-Verbrechens oder einer Vergewaltigung – bedingungslos zu glauben. Unbequeme Nachfragen und Recherchen unterbleiben. Zweifler laufen Gefahr, selbst im Reich des Bösen verortet zu werden.” (Eine Diskussion zur Rolle von Rückert im Kachelmann-Prozess findet sich hier).

5. “Nur ein Sommermärchen? Claudia Pechstein und die Höllenengel”
(mediensalat.info, Ralf Marder)
Eisschnellläuferin Claudia Pechstein dementiert auf ihrer Website diverse Medienberichte: “Ich pflege keinerlei Kontakte oder Geschäftsbeziehungen zu den Hells Angels.”

6. “Fremdschämen mit den taz-LeserInnen”
(spiegelfechter.com, Jens Berger)
Deniz Yücel erntet auf einen taz-Text mit dem Titel “Schämt euch, ihr Schlampen” über 400 Leserkommentare.

Alkohol weckt Tote auf

Krebs, Alkohol oder Sex: Das sind die drei Themen, mit denen prinzipiell jede Studie ihren Weg in die Schlagzeilen schafft. Kein Wunder also, dass Bild.de über die Erkenntnisse einer Studie der Washington University in St. Louis berichtet, in denen das durch übermäßigen Alkoholkonsum verursachte Phänomen “Filmriss” untersucht wurde.

Erstaunlich ist, wen Bild.de hierbei im Zusammenhang mit “Schlüssel-Rezeptoren im Gehirn (…), welche entscheidend für Lern-Prozesse und das Gedächtnis sind” zu Wort kommen lässt:

Samuel B. Guze, Professor und Leiter der Abteilung für Psychiatrie an der Universität von St. Louis: “Es braucht große Mengen an Alkohol, um diese Prozesse zu stören. (…)”

Bei Bild.de braucht es jedoch nicht mal Alkohol, um die Wahrnehmung aussetzen zu lassen, denn Dr. Samuel B. Guze war an der Studie überhaupt nicht beteiligt — aus dem nachvollziehbaren Grund, dass er seit elf Jahren tot ist.

Die Aussage, die hier zitiert wurde, stammt in Wirklichkeit von Charles F. Zorumski, der nicht nur Leiter der Studie ist, sondern auch eine von Samuel B. Guze und seiner Gattin noch zu Lebzeiten (1998) gestiftete Professur innehat.

Charles F. Zorumski, den Bild.de weiter unten im Text auch korrekt als Studienleiter benennt, ist also quasi der Samuel-B.-Guze-Professor der Washington University. In der Originalmitteilung der Universität heißt es entsprechend:

“It takes a lot of alcohol to block LTP and memory,” says senior investigator Charles F. Zorumski, MD, the Samuel B. Guze Professor and head of the Department of Psychiatry.

Mit Dank an D. N.

Nachtrag, 16.30 Uhr: Bild.de hat den Namen des Professors unauffällig korrigiert.

Nachtrag, 12. Juli: Bild.de hat sich doch noch entschlossen, transparent auf die Korrektur hinzuweisen. Unterhalb des Artikels steht jetzt:

*LIEBE LESER, HIER IST UNS EIN FEHLER UNTERLAUFEN: Irrtümlich haben wir zunächst berichtet, Samuel B. Guze hätte dieses Zitat abgegeben. In Wahrheit war es Professor Zorumski, der die Guze-Professur innehat. Professor Guze ist bereits im Jahr 2000 verstorben. Wir bitten, diesen Fehler zu entschuldigen.

Bild  

Lynchvorlage

Ende Juni kam die siebenjährige Mary-Jane aus dem thüringischen Zella-Mehlis nach der Schule nicht nach Hause, am nächsten Tag fanden Spaziergänger ihre Leiche. Zwei Wochen später, am vergangenen Freitag, nahm die Polizei einen Tatverdächtigen fest, am Samstag hat er gestanden, das Mädchen sexuell missbraucht und dann getötet zu haben.

Auch “Bild” berichtet heute groß über das Geständnis und bedient sich dabei einer inzwischen liebgewonnenen Formulierung:

SIE HABEN DAS SCHWEIN!

Tino L. (37), ein vorbestrafter Metzger, ermordete das Kind aus Zella-Mehlis (Thüringen). Er war nur auf Bewährung in Freiheit!

Man kann das so verstehen, dass der mutmaßliche Täter schon einmal ein ähnliches Verbrechen begangen hat und die deutsche Justiz (die “Bild” und ihren Lesern immer viel zu lax durchgreift) wieder mal versagt hat. Tatsächlich war er wegen Betäubungsmittel- und Straßenverkehrsdelikten vorbestraft und auf Bewährung frei.

Doch der Mann ist für Europas größte Boulevardzeitung nicht nur ein vorbestraftes “Schwein”, er ist noch mehr:

Wer ist der Mörder, der Mary-Jane das angetan hat? Beruflich und privat ein ewiger Verlierer.

“Bild” belegt diese Behauptung damit, dass der Mann zuletzt in einer Reinigungsfirma gejobbt habe, nachdem er bei seinem vorherigen Arbeitgeber rausgeflogen sei, und er zwei Kinder von zwei verschiedenen Frauen habe, die er (“Bekannte berichten”), auf Wunsch der Mütter nicht sehen dürfe.

Der Artikel endet mit diesen Worten:

Der Killer sitzt jetzt in einer Einzelzelle, wird dauerhaft überwacht. Ein LKA-Beamter: “Wenn er sich nicht selbst etwas antut, gäbe es im Knast genügend andere, die das gerne übernehmen würden.”

Insofern fällt dieser “Bild”-Artikel vermutlich unter “Servicejournalismus”:

Das ist Mary-Janes Mörder: Er hat sie missbraucht, gewürgt und warf sie lebend in den Bach
Mit Dank an Therese.

Fortsetzung vor dem Presserat hier.

Pyeongchang, Nachrichtensender, Anne Will

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1. “Die deutschen Medien und der Sportsgeist”
(farorientalism.blogspot.com, eo)
Wie kommentieren deutsche Medien die Vergabe der Olympischen Winterspiele 2018 nach Pyeongchang (und nicht nach München)? “Pech für die Kommentatoren, dass dieses Mal weder eine Diktatur den Zuschlag erhielt, noch ein Land, von dem zu befürchten ist, dass es in halbfertige Sportstätten lädt oder die Sicherheit der Athleten nicht gewährleisten kann. So blieb – unisono, als wären Anweisungen direkt aus Katis ZK gekommen – nur Rummosern.”

2. “Schweizer Währungswucher am Kiosk – Deutsche Verlage zocken Schweizer Konsumenten ab”
(blog.huwi.ch, Michael Huwiler)
2007 kostete ein Euro 1,65 Franken, inzwischen nur noch 1,20 Franken. Michael Huwiler fragt nach, warum die Preise deutscher Zeitschriften in der Schweiz unverändert hoch sind.

3. “Zur Lage des Nachrichtenjournalismus”
(bouhs.tumblr.com, Daniel Bouhs)
In einem “Impulsreferat” fragt Daniel Bouhs, warum die Öffentlich-Rechtlichen keinen 24-Stunden-Nachrichtensender liefern. Und warum sich ihre Auslandkorrespondenten “erst in ihren Büros und dann sogar in Privaträumen” verstecken. “Immerhin war es Antonia Rados, die den Sturz Mubaraks auf dem Tahir-Platz in Kairo zwischen der jubelnden Menschenmenge live an das heimische Publikum vermeldete – während Jörg Armbruster in der ‘Tagesschau’ lediglich von seinem Balkon herab auf die Straßen blickte.”

4. “Es war fast immer wie immer”
(faz.net, Stefan Niggemeier)
“Es war wie immer”, lautet die Bilanz von Stefan Niggemeier nach vier Jahren “Anne Will” im Sonntagabendprogramm der ARD. “Man kann sich die Sendung angucken wie einen Filmklassiker, den man sich immer wieder anschaut. Es ist eine Konstante mit beruhigender Wirkung. Sie rüttelt nicht auf, sondern sediert. Was auch passiert in der Welt, es werden sich Menschen finden, die dafür oder dagegen sind und sich bei ‘Anne Will’ gegenseitig vorwerfen, nicht ausreden zu dürfen, obwohl sie die anderen gerade haben ausreden lassen.”

5. “W wie wunderbar”
(welt.de, Marc Reichwein)
“Mit welchen Vokabeln rühmt man, wenn die Argumentation aufhört? (…) Wie klingt es, wenn Kritiker rhetorisch den ‘Like-Button’ drücken?”

6. “Zwölf hoffentlich finale Thesen zur Zukunft des Journalismus”
(wolfgangmichal.de)

Adolf Sauerland, Affenbilder, James Murdoch

6 vor 9

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1. “James Murdoch’s statement in full”
(independent.co.uk, James Murdoch, englisch)
Die seit 1843 verkaufte Zeitung “News of the World” erscheint am Sonntag, 10. Juli 2011, zum letzten Mal, ohne kommerzielle Inserate, die Einnahmen werden einem guten Zweck zugeführt. James Murdoch sagt warum: “I want all journalism at News International to be beyond reproach. I insist that this organisation lives up to the standard of behaviour we expect of others.”

2. “Anstandslos”
(ksta.stadtmenschen.de/blogs, Vögi)
Zur Werbekampagne von “Bild”: “Die BILD greift zu einem psychologischen Trick und instrumentalisiert zu dessen Umsetzung willfährige Prominente, die das taktische Manöver entweder nicht durchschauen oder aber – wahrscheinlicher – den persönlichen Anstand zurückstellen.”

3. “Die Verlage verklagen die Falschen”
(meedia.de, Dirk Kunde)
Aufgrund eigener Erfahrungen glaubt Dirk Kunde, dass die Verlage die Konkurrenz falsch einschätzen. Für das digitale Verlagsgeschäft seien profilierte Autoren in Zukunft gefährlicher als Google oder öffentlich-rechtliche Sender: “Die Leserschaft findet sich, wenn die Artikel Relevanz haben, gleiches gilt für die Werbeeinnahmen. Ohne Akquise kamen Bannerbuchungen aus Deutschland, Frankreich und China. Nur der Umfang der Einnahmen ist bislang ein Problem der Blogger.”

4. “Jimmy Schulz: Ich widerspreche meiner Ministerin beim Leistungsschutzrecht”
(leistungsschutzrecht.info, Philip Banse)
Was würde passieren, wenn “das gewerbsmäßige Verlinken auf Verlagsseiten abgabepflichtig” wäre? FDP-Politiker Jimmy Schulz sieht es so: “Das wäre ja ein deutsches Gesetz und dann wird in Deutschland vernünftigerweise keiner mehr gewerbsmäßig auf Verlagsseiten verlinken. Stellen Sie sich mal vor, zum Beispiel Google würde dann beschließen, anstatt diese Abgaben zu zahlen, einfach nicht mehr auf diese Verlage zu verlinken. Was machen die denn dann? Dann liest die ja gar keiner mehr.”

5. “Ein Mann, kein Wort”
(zeit.de, Eva Müller)
Adolf Sauerland ist nach wie vor Oberbürgermeister von Duisburg: “Für Adolf Sauerland heißt Verantwortung übernehmen: bleiben. Seither hat das Unglück von Duisburg ein Gesicht – seines.”

6. “zahlt die dapd auch honorare an affen?”
(wirres.net, Felix Schwenzel)
Wie entlöhnt die Nachrichtenagentur dapd den Urheber eines Selbstporträts, einen Affen?

Landweg nach Indien entdeckt

Endlich wäre auch das mal geklärt:

Neue Umfrage: Italiener sind Europas schlechteste Autofahrer. Auch deutsche Fahrkünstler kommen nicht gut weg

Bild.de berichtet über erstaunliche neue Erkenntnisse:

In der aktuelle Umfrage des Ferien-Autovermieters “Holiday Autos” dürfen sich die Italiener mit dem zweifelhaften Titel als “schlechteste Autofahrer Europas” schmücken.

Die Top-10-Liste, die Bild.de in eine zehnteilige Klickstrecke gepackt hat, wartet dann auch mit einer echten Überraschung auf:

Europas schlechteste Autofahrer 2011 - Platz 7: USA (4 Prozent der Stimmen)

Die USA in Europa?! Weiß das Barack Obama? Oder Sarah Palin?

Kein Grund zur Panik für die Amerikaner: Bei Bild.de waren sie nur zu doof, die Pressemitteilung abzuschreiben, die sie selbst verlinkt haben.

“Holiday Autos” hat demnach einfach nur “die schlechtesten Autofahrer” ermittelt. Das Wort “Europa” taucht in der Pressemitteilung nicht ein mal auf.

Mit Dank an Daniel G.

Nachtrag, 8. Juli: Bild.de hat den Artikel überarbeitet und weist sogar darauf hin:

Nachtrag: In einer früheren Fassung des Artikels schrieben wir von “Europas schlechtesten Autofahrern”. Tatsächlich bezieht sich die Umfrage aber nicht nur auf Europa. Vielen Dank an die vielen Hinweise unten im Kommentarblock.

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