Archiv für Juni, 2011

Get The Party Started

Sie können es nicht lassen. Sie wollen ihren Spaß. Sie wollen provozieren.

Oder, wie Bild.de selber schreibt:

Sie können es nicht lassen. Sie wollen ihren Spaß. Sie wollen provozieren.

Nachdem “Bild” in der vergangenen Woche schon so emsig die Werbetrommel für sogenannte Facebook-Partys gerührt hatte (BILDblog berichtete), geht der Irrsinn ungerührt weiter: Schon letzten Donnerstag berichtete “Bild” in Hamburg über “mehr als 19 000 (!) ‘Facebook’-Mitglieder”, die sich schon für eine Party in Hamburger U- und S-Bahnen angemeldet hätten — und nannte natürlich Datum, Uhrzeit und den Titel, unter dem man die Veranstaltung bei Facebook finden kann.

Gestern Abend dann machte Bild.de groß mit diesem Veranstaltungstipp auf:

Bochum zittert vor Party mit 50000 Facebook-Fans: Sie wollen "Feiern, Flirten, Trinken" - und den Rekord.

Natürlich nennt Bild.de das geplante Datum und den geplanten Ort. Den “Veranstalter” (also jene noch anonyme Person, die die Veranstaltung bei Facebook angelegt hatte), dessen erklärtes Ziel es ist, “50.000 Menschen zusammen zu bekommen”, zitiert das Onlineportal mit den anstachelnden Worten:

“Andere Städte haben es schon vorgemacht, doch diese Party wird alles übertreffen.”

Bild.de weiter:

Bislang gibt es 2381 Zusagen, aber das kann sich über Nacht vervielfachen.

Die Zahl der Zusagen lag heute um 15 Uhr bei 6.200, inzwischen ist die Veranstaltung bei Facebook verschwunden.

Die Pressestelle der Stadt Bochum zeigte sich auf unsere Anfrage hin eher unglücklich über die Berichterstattung der Medien. Der Pressesprecher sagte, er appelliere an alle Journalisten, sich ihrer Verantwortung bewusst zu sein, und im Vorfeld auch auf Panikmache zu verzichten.

Mit Dank auch an Sebastian K. und Hainz M.

Völlig perrückt

“Bild” scheint ehrlich empört. Auf der Titelseite ernennt sie Michael Antwerpes, Sportchef des Südwestrundfunks, zum “Verlierer des Tages” — und die Begründung erscheint sogar gerechtfertigt:

Verlierer: ARD-Moderator Michael Antwerpes (48) leistete sich einen Fehlstart in die WM. Mit einer schwarzen Perücke wollte er besonders lustig sein und feixte: "Fußball-WM der Frauen ist, wenn man trotzdem Spaß hat." BILD meint: Falsch! Fußball-WM macht Spaß, wenn man solche dummen Sprüche nicht hören muss!

Bei Licht besehen ist “Bild” aber offenbar vor allem sauer über die Urheberrechtsverletzung, die Antwerpes mit seinem Auftritt begangen hat.

Dieses Foto der Bild.de-Kolumnistin Franziska van Almsick prangte heute lange oben auf der Startseite von Bild.de:

Franzi Fan Almsick: Mein Afro-Start in die Gänsehaut-WM

Mit Dank auch an Christian H.

Spiegel Online, Springer-Boys, Oliver Kalkofe

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Über das Spektakuläre an ‘Spiegel online'”
(titanic-magazin.de, Stefan Gärtner)
Stefan Gärtner denkt über “Spiegel Online” und seine Auswirkungen nach: “Anders als Springers Kettenhund nicht im Schmuddeleck angepflockt, hat ‘Spon’ mit demselben Crossover aus Sex, Crime und Politik (‘Türkischer Wahlkampf: Sexvideos und Größenwahn’) paradigmatisch werden können: Nichts hat der allgemeinen Sensationitis und Boulevardisierung im Preßbereich so den Boden bereitet wie die Kopplung des Nimbus vom ewigen Nachrichtenmagazin ans sexy Atemlose des Netzmediums.”

2. “Die fabelhaften Springer-Boys”
(wolfgangmichal.de)
Wolfgang Michal schreibt über Mitarbeiter des Axel-Springer-Verlags: Mathias Döpfner, Kai Diekmann, Christoph Keese, Thomas Schmid und Manfred Hart.

3. “Der neue Medienjournalismus”
(funkkorrespondenz.kim-info.de)
Die Funkkorrespondenz wundert sich über die ausserordentliche Produktivität von Alexander Krei auf dwdl.de und erkennt in ihm “einen Medienjournalisten neuen Typs”. Der Besprochene antwortet: “All das ist schnell (und, soweit ich das beurteilen kann, auch sauber) vermeldet. Den sich daraus möglicherweise ergebenden (versteckten) Vorwurf, die Qualität bleibe dabei möglicherweise auf der Strecke, müssen natürlich andere beurteilen.”

4. “Ein neuer Typus von Web-Journalisten”
(2axbecker.blogspot.com, Alexander Becker)
Alexander Becker nimmt die Diskussion auf: “Das fast schon selbstverständliche Aggregieren der Leistungen anderer Medien in Form von eigenen Meldungen, wie es Redaktion wie DWDL, genauso wie MEEDIA.de und viele andere Web-Portale betreiben, ist eine Reaktion auf die noch recht junge Blogger-Kultur. Denn der ihr innewohnenden Anspruch alle Nachrichten möglichst schnell und direkt bloggen zu wollen, haben sich vor allem kleine Fach-Redaktionen – wie selbstverständlich – zu eigenen gemacht.”

5. “Oliver Kalkofe: Kein Mitleid für 9live”
(rockbär.de, Sebastian Pertsch)
Oliver Kalkofe im ausführlichen Interview. Zur Einstellung des TV-Senders 9Live sagt er: “Das war ein Auswuchs des modernen Fernsehens, was ganz deutlich gezeigt hat, wie in Deutschland momentan gedacht wird: Du machst etwas, das billig ist und was Kohle bringt. Das ist Betrug – wir können es nicht schön reden.”

6. “FOCUS killt Künast-Interview”
(gruene-bundestag.de, Michael Schroeren)
Die Grünen ärgern sich über den “Focus”: “Ein abgestimmtes Interview, das ohne nachvollziehbare Begründung aus dem Heft geworfen wird: Das ist mehr als ein starkes Stück, das ist ein beispielloser Affront.”

ODER AUCH NICHT

Einen unverhofften Einblick in die Arbeitsweisen von Medien gewährt heute – mutmaßlich unabsichtlich – die Webseite der “Süddeutschen Zeitung”:

ACHTUNG!!!!! JE NACH ENTSCHEIDUNG DER UNESCO-KOMMISSION MUSS DER EINSTIEG GEÄNDERT WERDEN - ERSATZFRAGE GANZ UNTEN (GGF: HERAUSNEHMEN; FALLS BEWERBUNG ERFOLGREICH WAR!) + DACHZEILE ÄNDERN und bitte auch in der Reise-Biga die Unesco-Stellen aktualisieren/konkretisieren. DANKe

Offensichtlich schon lange bevor die Unesco am Abend verkündet hat, das Fagus-Werk im niedersächsischen Alfeld (das Erstlingswerk des späteren Bauhaus-Gründers Walter Gropius) zum Weltkulturerbe zu ernennen, hatte sueddeutsche.de ein Interview mit Ernst Greten geführt, dem heutigen Chef der Schuhleistenfabrik.

Die Redakteure waren dabei auf alle Eventualitäten vorbereitet:

Nun hat die Unesco-Kommission entschieden, es ODER AUCH NICHT als Welterbe für die Menschheit zu bewahren.

Der Schusseligkeit der sueddeutsche.de-Redakteure ist es zu verdanken, dass die Nachwelt jetzt nicht nur weiß, was Ernst Greten zu der Entscheidung sagt (“Ich bin stolz, dass wir es bis dahin geschafft haben”), dass seine Fabrik jetzt Weltkulturerbe wird, sondern auch, was er gesagt hätte, wenn seine Fabrik nicht (bzw. NICHT) Weltkulturerbe geworden wäre:

EINSTIEGSFRAGE; falls das Fagus-Werk NICHT Welterbe wird:

sueddeutsche.de: Herr Greten, Ihr Fabrikgebäude galt als aussichtsreichster deutscher Kandidat auf den Unesco-Titel - und hat ihn nun doch nicht erhalten. Lassen Sie sich davon entmutigen?

Greten: Das ist kein Beinbruch! Es ist eine große Ehre, dass wir so weit gekommen sind. Die deutschen Gremien haben uns alle positiv beurteilt und das Fagus-Werk für würdig befunden, sich um den Welterbe-Titel zu bewerben. Wenn letztlich eine Höhlenzeichnung in Namibia als wichtiger erachtet wird, ist das nur eine Bewertungsfrage, das kann man so oder so sehen. Für uns bleibt die Hauptaufgabe, dieses lebende Denkmal zu bewahren.

sueddeutsche.de: Sie haben den Gropius-Bau mühevoll restaurieren lassen ... (dann weiter mit Frage zwei)

Mit Dank an Maximilian.

Nachtrag, 14.45 Uhr: sueddeutsche.de hat sich konsequent für die Welterbe-Variante entschieden.

Bild  

Die Knallerin des Jahres

Manche Rituale wiederholen sich bei “Bild” so sicher, dass man schon von Brauchtum sprechen kann: Kurz vor dem Beginn eines internationalen Fußballturniers gibt es wieder ein gemeinsames Angebot der Zeitung und ihres Lieblings-Discounters. Das hatte es schon 2006, 2008 und 2010 gegeben. Und weil es sich bei der am Sonntag beginnenden Fußballweltmeisterschaft um die der Frauen handelt, gibt es ausnahmsweise kein Bier, sondern – hoho, wie witzig – Prosecco.

Gestern warb “Bild” auf der Titelseite schon mal in frauenfreundlichem Ambiente für die heutige Aktion:

Der Knaller von Lidl in Bild! Zum WM-Auftakt gibt

Deutschland feiert die prickelndste Weltmeisterschaft aller Zeiten.Auch heute rührt “Bild” auf Seite 1 die Werbetrommel für den Gutschein im Inneren der Zeitung und schlägt vor:

Prosten Sie mit Lidl und BILD auf die WM!

Der Coupon selbst ist – wie in den vergangenen Jahren – zwei Mal mit dem Wort “Anzeige” überschrieben.

Und “Bild” hat dieses zweifelhafte System sogar perfektioniert: Der als “Anzeige” gekennzeichnete Gutschein befindet sich diesmal oberhalb des Begleittextes, so dass sich die Zeitung jetzt mit der Begründung rausreden kann, die begeisterten Zeilen seien Teil der Anzeige und nicht etwa der redaktionelle Inhalt, nach dem sie aussehen.

Keinen Zweifel gibt es bei den beiden Eigenanzeigen auf den Titelseiten gestern und heute: Die sind beim besten Willen nirgends als das gekennzeichnet, was sie bei Licht betrachtet sind — Werbung.

Mit Dank an Icke, Lothar und DJ.

SPD am Steuer, das wird teuer

Weil Griechenland, EHEC und die ständige Aberkennung von Doktortiteln auf Dauer langweilen, widmet sich “Bild” derzeit den vagen Plänen der Bundesregierung, die Steuern zu senken. Sogar einen Brief an die Bundesregierung sollten die Leser abschicken. (Mehr zu den Steuersenkungs-Versprechen von FDP und “Bild” bei den Nachdenkseiten.)

Die Ministerpräsidenten einiger Bundesländer sind von den Ideen eher weniger begeistert — und werden von “Bild” einigermaßen erwartbar als “Steuer-Nörgler” beschimpft.

Schon gestern Abend hatte Bild.de berichtet:

In vorderster Front kämpfen die CDU-Regierungschefs Reiner Haseloff (Sachsen.-Anhalt), Peter Müller (Saarland) und Christine Lieberknecht (Thüringen) Seite an Seite mit den SPD-Länderchefs Kurt Beck (Rheinland-Pfalz), Klaus Wowereit (Berlin) und Hannelore Kraft (Nordrhein-Westfalen).

“Keine Steuersenkung auf Pump” heißt ihre Parole. Kernargument: Erst müssen die Staatsschulden runter, nur dann gibt es wieder Spielraum für Entlastungen

Und wie das so aussieht, wenn CDU-Regierungschefs “Seite an Seite” mit SPD-Länderchefs kämpfen, verdeutlichen die Grafiker von Bild.de mit diesem Teaser-Bild, das gestern Abend auf der Startseite prangte:

Rebellion in den Ländern gegen Steuererleichterungen: Warum gönnen die uns die Kohle nicht?

Es zeigt ausschließlich die genannten SPD-Politiker.

Da ist es nur noch ein kleiner Schritt zu Ernst Elitz*, der heute in seiner Kolumne schreibt:

Die SPD tritt aufs Bremspedal. Sie will mal wieder die Besserverdienenden rösten. Steuern rauf statt runter, damit Geldverdienen keinen Spaß mehr macht.

*Ernst Elitz wird von “Bild” konsequent als “Gründungsintendant des Deutschlandradios” bezeichnet.

Mit Dank an Stephan K. und Marco G.

Papier, WWF, Frauenfußball

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Ich habe sie so lange bearbeitet, bis sie ‘Ja’ sagten”
(einestages.spiegel.de, Hanno Krusken)
Hanno Krusken erinnert sich an seine Zeit als Fotograf für die Illustrierte “Quick”. “Der Brotjob bestand im Aufspüren menschlicher Schicksale. Und wenn es keine dramatischen Ereignisse gab, musste sich die Redaktion etwas einfallen lassen – etwa mit einer Anzeige in der Lokalzeitung, in der sie ‘Kindermütter’; ‘Eltern, die ihr Kind verloren haben’ oder sonst wie anders Betroffene suchte, deren Erlebnisse sie zu Sammelgeschichten zusammenfasste und dann einen ‘Trend’ deklarierte.”

2. “Betonierung des status quo”
(perlentaucher.de, Thierry Chervel)
Thierry Chervel kommentiert die Klage deutscher Printverlage gegen die “Tagesschau”-App: “Sie versuchen im Moment des Verschwimmens der Gattungsgrenzen zwischen den Medien ihren vormaligen Status zu zementieren. (…) Das eigentlich Absurde an den öffentlich-rechtlichen Anstalten sind jedenfalls nicht die Tagesschau-Apps. Die politischen Aufgaben sind viel tiefgreifender. Das Problem ist das Festhalten an Strukturen, die vor dreißig jahren noch Sinn gehabt haben mögen.”

3. “Das Hoffen auf die ewige Kraft des Papiers”
(netzwertig.com, Martin Weigert)
Zeitungs- und Zeitschriftenmacher neigen dazu, die technische Entwicklung zu ignorieren und Print zu romantisieren. “Irgendwann werden bis auf einige wenige Sammler alle Konsumenten über die Pro-Print-Argumente aus der Zeit des digitalen Wandels schmunzeln.”

4. “Die verflixten 7”
(journalist.de, Ernst-Marcus Thomas)
Sieben Tipps für eine lebendige Radiomoderation, die ohne abgestandene Formulierungen und unpassende Adjektive auskommt.

5. “Der Pakt mit dem Panda: Was uns der WWF verschweigt”
(mediathek.daserste.de, Video, 43 Minuten)
Eine WDR-Reportage beleuchtet die Zusammenarbeit des WWF mit der Bank HSBC und Palmölherstellern: “Warum kooperiert der WWF mit Unternehmen, die die Natur zerstören?” Eine Entgegnung findet sich auf wwf.de, ein Interview mit dem Autor des Films, Wilfried Huismann, auf radiobremen.de (Audio, 7 Minuten).

6. “sportstudio-Classics: Die Anfänge des Frauenfußballs”
(youtube.com, Video, 3:27 Minuten)
Das Thema Frauenfußball im Sportstudio von 1970 mit dem Moderator Wim Thoelke.

Sarg die Wahrheit! (2)

Am 6. April berichtete Bild.de über die Schauspielerin Hanna Köhler (bekannt aus der ARD-Serie “Marienhof”), die am 17. März verstorben war, und schrieb:

Jetzt steht ihr Sarg verlassen in einer Bestattungshalle, kein Angehöriger hat sich bisher gemeldet. (…)

Was keiner wusste: Der Sarg mit der Leiche steht seit ihrem Tod einsam in einer Bestattungshalle des Zentralfriedhofs Ulm.

Das stimmte nicht, denn Köhler war bereits am 28. März eingeäschert worden, mehr als eine Woche vor Erscheinen des Artikels (BILDblog berichtete).

Wir haben uns beim Presserat über diese offensichtlich falsche Berichterstattung beschwert, weil wir darin Verstöße gegen die Ziffern 1 (“Wahrhaftigkeit und Achtung der Menschenwürde”) und 2 (“Sorgfalt”) des Pressekodex sahen. Bild.de sah das erwartungsgemäß anders: In der Stellungnahme gegenüber dem Presserat erklärte die Rechtsabteilung, die Redaktion habe “wahrheitsgemäß” über den Tod von Hanna Köhler berichtet.

Nach Durchsicht des Textes müsse die Rechtsabteilung jedoch einräumen, dass der Artikel missverständlich aufgefasst werden könne. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung (06.04.2011) habe der Leichnam nicht mehr in der Leichenhalle gestanden. Hanna Köhler sei bereits am 28.03.2011 eingeäschert worden. Der fertige Artikel sei aufgrund einer redaktionellen Planungsänderung jedoch erst zwei Wochen später veröffentlicht und nicht mehr aktualisiert worden. In der Gesamtbetrachtung sei dieser Fehler jedoch nicht als gravierend einzustufen. Denn tatsächlich habe der Sarg mit dem Leichnam über eine Woche einsam in der Bestattungshalle gestanden. Insgesamt sei die Redaktion ihrer Chronistenpflicht in verantwortlicher Weise nachgekommen.

Die “Maßnahmen” des Presserates:

Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:

  • einen Hinweis
  • eine Missbilligung
  • eine Rüge.

Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.

Der Presserat wollte sich der Springer-internen Einschätzung, der Fehler sei nicht gravierend, nicht anschließen. Nach einstimmiger Ansicht der Mitglieder habe die Redaktion den Vorgang “nicht wahrheitsgemäß” dargestellt. Nach Ansicht des Gremiums hätte es die journalistische Sorgfaltspflicht erfordert, “dass die Redaktion den Beitrag vor Veröffentlichung noch einmal prüft und aktualisiert”. Wegen des Verstoßes gegen die Ziffern 1 und 2 des Pressekodex sprach der Beschwerdeausschuss Bild.de einen “Hinweis” aus.

Paul Ronzheimer, Soft-News, Bienenbüttel

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Jugend hetzt”
(coffeeandtv.de, Lukas Heinser)
Lukas Heinser fragt sich, was den 25-jährigen, mit dem Herbert Quandt Medien-Preis für die Artikel-Serie “Geheimakte Griechenland” ausgezeichneten Paul Ronzheimer dazu bringt, “in Europas größter Boulevardzeitung Halbwahrheiten und plumpe Hetze zu verbreiten”. Siehe dazu auch Stefan Niggemeier: “Und die Eulen wollen wir auch zurück!”.

2. “Qualitätsjournalismus unter Druck”
(nzz.ch, Martina Leonarz, Werner A. Meier und Gabriele Siegert)
Autoren des Instituts für Publizistikwissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich fassen mehrere wissenschaftliche Analysen zusammen. Im Abschnitt Boulevardisierung heisst es: “Unterhaltung und Soft-News werden wichtiger. Aus einer wirtschaftlichen Warte wird Boulevardisierung mit der Sicherung der Leserschaft verbunden.”

3. “Katz-und-Maus-Spiel in Chinas Medien”
(diepresse.com, Jutta Lietsch)
Ein Interview mit der Journalistin Nailene Chou Wiest über Medienzensur in China: “Wer die Anweisungen der Propaganda-Abteilungen nicht befolgt, darf seine Nachrichtenseite 24 Stunden lang nicht aktualisieren. Das ist tödlich fürs Geschäft.”

4. “Wie Bienenbüttler über Journalisten denken”
(ndr.de, Video, 3:22 Minuten)
EHEC: Einwohner von Bienenbüttel erzählen mit Belustigung und Verwunderung von der kurzzeitigen Belagerung durch internationale TV-Teams.

5. “Merkels Verkäuferin”
(tagesspiegel.de, Thomas Gehringer)
Ein Kurzporträt von Eva Christiansen, Medienberaterin der Bundeskanzlerin. Zum Verhältnis zwischen Medien und Politik sagt sie: “Wir sind auf beiden Seiten Getriebene und treiben uns gegenseitig. Ich empfinde mein Tagesgeschäft als ein Hinterherlaufen der Nachricht der Nachricht der Nachricht.”

6. “Preisträger des Grimme Online Award 2011”
(grimme-institut.de)

AFP  

Doktor-Spüle

Geschirrspülmaschinen können tödlich sein, so der Tenor einer neuen Studie, die sich Schimmelpilzen in den beliebten Haushaltsgeräten widmet.

Knallerstory, befand auch der deutsche Ableger der AFP und haute eine Meldung raus, die zahlreiche Medien gerne übernahmen.

Darin heißt es:

Die Pilze, die in mehr als der Hälfte der Gummiabdichtungen der Spülmaschinentüren gefunden wurden, können in der Lunge eine Stoffwechselkrankheit verursachen, die zystische Fibrose.

Nun ist die zystische Fibrose (auch bzw. eher bekannt als Mukoviszidose) eine angeborene Erbkrankheit. Wie soll die von einem Schimmelpilz ausgelöst werden?

Der Verlag, in dem die Studie erschienen ist, hatte in seiner Pressemitteilung geschrieben:

Exophiala dermatitidis is rarely isolated from nature, but is frequently encountered as an agent of human disease, both in compromised and healthy people. It is also known to be involved in pulmonary colonization of patients with cystic fibrosis, and also occasionally causes fatal infections in healthy humans. The invasion of black yeasts into our homes represents a potential health risk.

Das ist zugegebenermaßen ein Absatz mit vielen Fremdwörtern. Aber mit ein bisschen Mühe kommt raus, dass der Schimmelpilz Exophiala dermatitidis (eine sog. schwarze Hefe) häufig als Krankheitserreger bei geschwächten und gesunden Menschen auftritt. Er trägt zur Lungenbesiedlung von Patienten mit Mukoviszidose bei und sorgt gelegentlich auch für tödliche Infektionen bei gesunden Menschen.

Mit anderen Worten: Der Pilz ist für Menschen mit Mukoviszidose besonders gefährlich, aber er verursacht sie nicht.

Mit Dank an Daniela B.

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