Archiv für Juni 8th, 2011

Handelsblatt  etc.

Und jetzt noch mal in Zeitlupe …

Wenn Journalisten schreiben, sie hätten etwas “aus Kreisen” erfahren, dann entweder, weil sie ihre Quellen schützen wollen, oder, weil ihre “Quelle” die Schwägerin des Nachbarn des Hausmeisters ist.

Das “Handelsblatt” konnte gestern mit “exklusiven” Neuigkeiten aus gleich zwei Kreisen aufwarten:

Die Deutsche Fußball Liga (DFL) geht bei der Vergabe der Fernsehrechte der Fußball-Bundesliga ab der Saison 2013/14 neue Wege. Eines der beiden Modelle sieht ein exklusives Ausstrahlungsfenster für Internet- und Mobilfunkfernsehen am Samstag bis 21.45 Uhr vor. Damit droht der populären “Sportschau” der ARD am frühen Samstagabend das Aus. Das erfuhr das Handelsblatt aus Unternehmenskreisen. Die DFL will durch attraktive Exklusivrechte für Web- und Mobil-Übertragungen neue Bieter anlocken und damit höhere Preise erzielen. “Der Markt wird entscheiden, ob die ‘Sportschau’ verschwinden wird”, erfuhr das Handelsblatt aus Kreisen der Profiklubs. Die DFL wollte gestern keine Stellungnahme abgeben.

Nun sind so “Unternehmenskreise” natürlich besonders nebulös. Es könnte aber gut sein, dass das “Handelsblatt” damit einfach einen Blick ins eigene Archiv meint.

Vom 2. März findet sich dort ein extrem launiger Kurzkommentar unter der Überschrift:

Von 2013 an könnten Internetunternehmen die ARD ablösen und die kurzen Zusammenfassungen der Ligaspiele anbieten. Bewegte Fußballbilder im Fernsehen gebe es dann erst ab 21.45 Uhr. (…) Noch ist die Internet-Sportschau nur eine von mehreren Ideen der DFL. Aber der Fußballfan weiß, dass das, was möglich ist, auch irgendwann gemacht wird. Und dass für die DFL – anders als für den Fan – beim Geld der Spaß aufhört.

Auslöser war wohl eine Meldung der “Süddeutschen Zeitung” vom Vortag, nach der die Deutsche Fußball Liga (DFL) erwog, “eine Art Web-‘Sportschau'” zu etablieren: “Web-TV und mobiles TV, also das Streaming im Internet und über mobile Endgeräte (iPad, iPhone)”.

Am 2. März berichtete auch “Die Welt”, einen Tag später der Kölner “Express” in kurzen Meldungen über die Pläne für eine “Web-Sportschau”.

Am 22. April tauchte das Thema dann wieder bei handelsblatt.com auf. In einem Artikel vom Sportinformationsdienst (sid) wurde unter anderem eine Umfrage zitiert, nach der “die Bundesliga durch einen Wechsel von der ARD- zur Internet-Sportschau keine Zuschauer verlieren” würde.

Der Grund für die Umfrage waren auch damals die Pläne der DFL:

Anstelle der Free-TV-Highlight-Verwertung in der ARD samstags um 18.30 Uhr soll bei dem Alternativmodell ab der Saison 2013/2014 eine Art Web-Sportschau um 19.00 Uhr den frei empfangbaren Markt bedienen. Im Free-TV soll die Zusammenfassung des Spieltags dann erst ab 21.45 Uhr zu sehen sein.

An der Nachrichtenlage hat sich seit Anfang März wenig verändert: Das Bundeskartellamt, das durch eine Befragung von Vereinen und Sendern die Spekulationen über die “Web-Sportschau” ausgelöst hatte, prüft die Vorschläge der DFL noch und die DFL selbst will sich dazu nicht äußern.

Aber wen interessiert das schon, wenn die “Sportschau” (in ihrer heutigen Form) womöglich, unter Umständen wieder mal (oder immer noch) bedroht ist?

“Süddeutsche Zeitung”:
ARD: Bundesligarechte - "Sportschau" in Gefahr

“Spiegel Online”:
Fußballrechte: Web-Sendung könnte "Sportschau" verdrängen

Bild.de:
Sportschau droht Aus: Bundesliga nur noch im Internet?

meedia.de:
DFL plant neue Übertragungswege im Internet: "Sportschau" steht ab 2013 vor dem Aus

horizont.net:
Gefahr für die "Sportschau": DFL will exklusive Rechte für das Internet ausschreiben

taz.de (auch bei “6vor9” verlinkt):
Diskussion über "Sportschau" im Internet: Freier Fußball für freie Menschen

turi2.de:
heute2: DFL erwägt Bundesliga im Web ohne "Sportschau".

“Welt Online”:
Nach 50 Jahren: ARD-"Sportschau" droht möglicherweise das Aus. Die DFL lockt Internet-Fernsehanbieter mit attraktiven Exklusivrechten. Dadurch könnte die ARD-"Sportschau" von den Fernsehbildschirmen verschwinden.

“Rheinische Post”:
Der Sportschau droht das Aus

Die Totengräberstimmung ist übrigens (auch) unnötig, wie Roland Peters in seinem Kommentar auf n-tv.de bemerkt:

Wenn “der Markt” tatsächlich unabhängig vom Zuschauer entscheidet, die Erstverwertungsrechte ins Internet wandern und die Bundesliga aus der regulären Sportschau verschwindet: Insgesamt gab es die Sendung 50 Jahre lang. Auch zwischen 1992 und 2003, als Privatsender die Rechte besaßen. Aus einem einfachen Grund: Sport ist eben nicht nur Fußball.

[via allesaussersport]

Die verkeerde Antwoord

Leon Botha ist tot, damit wollen wir beginnen. Der südafrikanische Hip-Hop-Musiker Musiker und DJ starb am Sonntag an den Folgen von Progerie, die seinen Körper schneller altern ließ, einen Tag nach seinem 26. Geburtstag.

Doch wer war dieser Leon Botha? Bild.de ist sich sicher, die Antwort zu kennen:

Leon Botha von "Die Antwoord" litt an Progerie: Hip-Hop-Star mit 26 Jahren gestorben. Leon Botha ist tot. Er war Mitglied der südafrikanischen Band "Die Antwoord". Das Foto stammt aus dem Videoclip...

Im ersten Absatz erklärt Bild.de:

Der südafrikanische Hip-Hop-Star Leon Botha ist tot. Das Mitglied der Band “Die Antwoord” starb am Sonntag mit 26 Jahren. Botha litt an Progerie, einer Krankheit, die das Altern des Körpers beschleunigt.

Nur: Botha war gar nicht Mitglied bei Die Antwoord.

Die südafrikanische “Mail & Guardian” schreibt:

Botha erlangte Aufmerksamkeit als der DJ, der die Konzerte für Die Antwoord eröffnete und anschließend in einem ihrer Videos auftrat, das sie zu internationalem Ruhm brachte, Enter the Ninja.

(Übersetzung von uns)

Auch andere Medien betonen, dass Botha lediglich mit Die Antwoord zusammengearbeitet habe.

Theoretisch hätte das sogar der Bild.de-Mitarbeiter wissen können, der den kurzen Nachruf auf Botha geschrieben hat: Er verlinkt auf einen Bild.de-Artikel über südafrikanische Musiker von letztem Jahr.

Darin heißt es über Die Antwoord:

Ganz anders verarbeitet Die Antwoord (“Enter The Ninja) die vielseitige Kultur Südafrikas: Über einem wilden Mix aus HipHop und Electro rappt Frontmann Watkin Tudor Jones unter dem Pseudonym Ninja in seinen provokanten Tracks über Sex und Drogen. Unterstützt wird er laut “F.A.Z.” von seiner singenden Ehefrau Yo-Landi Vi$$er sowie von Justin DeNobrega (als DJ Hi-Tek). Die Musikwelt rätselt über das mysteriöse Projekt: Eine Satire oder ernst gemeint?

Mit Dank an Robert W.

Bild  

“1. Sex-Täter verurteilt!”

Endlich kann “Bild” mal wieder etwas Gutes aus dem Hause derer zu Guttenberg berichten:

Stephanie zu Guttenberg (34) und ihr engagierter Kampf gegen sexuellen Missbrauch von Kindern – jetzt ein großer Erfolg! Der erste Täter, den sie mit ihrer TV-Sendung “Tatort Internet” überführt hatte, stand Dienstag in München vor Gericht! Der Schlosser, der im Netz und auch bei einem Treffen Sex mit einer 13-Jährigen suchte, wurde verurteilt!

“Was für ein tolle Frau”, möchte man da fast ausrufen — wenn “Bild” das nicht wahrlich schon oft genug getan hätte.

Allein für ihren einmaligen Auftritt als Co-Moderatorin in der umstrittenen RTL2-Sendung “Tatort Internet” (die “Bild” unbeirrt als “Sendereihe von Stephanie zu Guttenberg” bezeichnet) hatte “Bild” die Gattin des damaligen Bundesverteidigungsministers mehrfach in den höchsten Tönen gefeiert. Nun ist einer der Männer, der in eine Falle der TV-Macher getappt war, wegen versuchten sexuellen Missbrauchs von Kindern vom Amtsgericht München zu drei Monaten Haft auf Bewährung und 1000 Euro Geldauflage verurteilt worden und “Bild” (für die eine Bewährungsstrafe sonst eigentlich “laufen lassen” bedeutet) feiert dies als persönlichen Triumph von Stephanie zu Guttenberg.

Die Freifrau darf natürlich sogleich selbst zu Wort kommen und so tun, als sei überhaupt erstmalig in der Geschichte der Menschheit
ein “Sex-Täter” (“Bild”) verurteilt worden:

Stephanie zu Guttenberg zu BILD: “Ich bin froh, dass endlich ein Richter den Mut findet, einen dieser Täter zu verurteilen. Die Justiz muss die Gesetze gegen Kinderschänder endlich härter anwenden!”

Was “Bild” lieber verschweigt, hat die “Süddeutschen Zeitung” aufgeschrieben:

Das Gericht vertrat dabei die Auffassung, der Mann sei von RTL2 ‘in eine Falle gelockt’ worden. Richter Andreas Forstner hielt dem 42-jährigen Schlosser zugute, dass er von dem TV-Team ‘vorgeführt worden’ war. Wenn die Polizei mit Lockvögeln arbeite, sagte der Vorsitzende, sei das schon grenzwertig. Das gelte für einen Sender, der seine Quoten aufbessern wolle, ganz besonders.

Mit Dank an Andreas G. und Axel Sch.

Ohne Worte (mit Angela Merkel)

Empfang vor dem Weißen Haus: Die Obamas warten auf Merkel.

Mit Dank an Thomas B.

Nachtrag, 9.40 Uhr: Bei “Spiegel Online” haben sie sich das zu betextende Foto etwas genauer angeschaut und schreiben jetzt:

Empfang für die Kanzlerin: Die Obamas, Angela Merkel und Ehemann Joachim Sauer vor dem Weißen Haus.

Rivva, Sportschau, Brot

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. Rivva ist zurück
(blog.rivva.de, Frank Westphal)
Nachdem rivva.de im Februar aus finanziellen Gründen hatte schließen müssen, ist die Übersichtsseite über die im deutschsprachigen Social Web meistverlinkten Artikel zurück. Diese Nachricht wurde überwiegend enthusiastisch aufgenommen.

2. Russland schaut in den Pressespiegel
(nzz.ch, Ann-Dorit Boy)
Zwei Internet-Seiten übersetzen für russische Leser ausländische Artikel. Meist reagieren die Leser empfindlich auf Kritik an ihrem Heimatland, mitunter kann die Berichterstattung für Betroffene gar gefährlich werden. Doch manchmal stimmen die Kommentatoren den Reportern auch zu.

3. SWR-Tamtam: “Wie Ärzte Patienten reihenweise beim Suizid helfen”
(faz-community.faz.net/blogs/biopolitik, Oliver Tolmein)
“Report Mainz” (Beitrag hier in der Mediathek) berichtet, dass Ärzte “reihenweise” Patienten beim Suizid geholfen hätten, kann diese Behauptung aber nicht wirklich untermauern.

4. Freier Fußball für freie Menschen
(taz.de, Andreas Rüttenauer)
Die Deutsche Fußball Liga (DFL) erwägt, die frei empfangbaren Zusammenfassungen von Bundesligaspielen (bisher samstags um 18.30 Uhr in der “Sportschau” im Ersten) ins Internet zu verlagern. Andreas Rüttenauer schreibt über ein Beinahe-Grundrecht, Volksparteien und die Wirtschaft (dazu auch ein Kommentar von Roland Peters auf n-tv.de).

5. How Celebrities Are Ruining Our Lives
(blogs.forbes.com/meghancasserly, Meghan Casserly, Englisch)
Lisa Bloom, Rechtsexpertin beim amerikanischen Fernsehsender CBS, hat ein Buch geschrieben, mit dem sie Frauen zum eigenständigen Denken animieren will. Sie glaubt, dass Frauen von Medienmachern falsch eingeschätzt werden: “Producers say that the only programs that women are going to watch are Lindsay Lohan or Kim Kardashian or plastic surgery stories. And I just don’t believe that’s true.”

6. Ehemaliger Ki.Ka-Mitarbeiter veruntreute Geld, um Armverlängerung zu finanzieren
(der-postillon.com, ucn)
“Selten ließ sich ein Brot derart schmieren: Gleich am ersten Verhandlungstag gestand der angeklagte Ki.Ka-Mitarbeiter B. das Brot Bestechung und Untreue in Millionenhöhe, gab aber seinem beruflichen Umfeld eine Mitschuld.”